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Der Welt-Detektiv Band 6

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Detektiv Schaper – Falsches Geld – 1. Kapitel

Detektiv-SchaperM. v. Neuhof
Detektiv Schaper
Erster Teil
Falsches Geld
1. Kapitel
Wo die Dürftigkeit wohnt …

Detektiv Fritz Schaper reichte seinem Gegenüber die Banknote zurück.

»Tadellos, Herr Geheimrat, wirklich tadellos, da gebe ich Ihnen recht«, meinte er ernst. »Aber die Leute suchen – das hieße einen Heuhaufen nach einer Stecknadel durchstöbern – um einen etwas abgedroschenen Vergleich heranzuziehen«, fügte er hinzu.

Der Geheime Regierungsrat Winter hatte den Fünfhundertmarkschein sorgfältig in seine Brieftasche zurückgelegt und seufzte.

»Sie haben nur ausgesprochen, was mir schon seit einiger Zeit klar ist, Herr Schaper«, sagte er, seinen wohlgepflegten grauen Spitzbart durch die Finger gleiten lassend. »Zwei Monate, nein, bereits länger, ist unsere Berliner Kriminalpolizei nun schon hinter den Leuten her – vergeblich, total vergeblich! Noch nicht einmal einen geringen Anhalt hat man dafür entdeckt, wo diese Menschen zu suchen sind, ob es sich um ein größeres Gaunerkonsortium handelt oder ob nur wenige bei dieser unglaublichen Geschichte beteiligt sind. Dabei hat die Kriminalpolizei nichts unversucht gelassen, um den Fälschern auf die Spur zu kommen. Nun bin ich in meiner Not zu Ihnen gelaufen, nachdem mir heute Morgen die Deutsche Bank abermals sechs dieser leider Gottes nur allzu gut gelungenen Falsifikate zugestellt hat, die bei einer großen Revision der Banknotenbestände herausgefunden worden sind. Und wer weiß, wie viele von den Dingern den Beamten trotz aller Achtsamkeit noch durchgeschlüpft sind! Denn die Fälschungen sind ja nur an ganz, ganz winzigen Unterschieden zu den echten Scheinen erkennbar.«

»Die Sache kann allerdings eine böse Unsicherheit auf dem Geldmarkt hervorrufen, wenn man die Fabrikanten dieser Falsifikate nicht bald kaltstellt«, meinte Schaper zerstreut.

Ihm war dieser Besuch des Vorstandes der zweiten Abteilung der Reichsdruckerei, in der die Reichskassenscheine hergestellt werden, nämlich zurzeit recht wenig angenehm. War er doch gerade dabei gewesen, mit seinem Bürovorsteher alles Nötige genau zu vereinbaren, um dann mit dem Mittagszug endlich einmal als freier Mann eine längere Erholungsreise antreten zu können, die ihm nach diesen ersten zwei Jahren seiner Tätigkeit als Detektiv dringend nottat, da er bisher kaum einen Tag zur Ruhe gekommen war und seine pekuniären Verhältnisse ihm recht wohl gestatteten, einige Wochen vollständig auszuspannen und seinen lange gehegten Plan, die Schweiz und Italien zu durchwandern, ausführen zu können.

Daher brachte er diesem Kriminalfall, der seit zwei Monaten nicht allein die Berliner, sondern auch die Polizei der benachbarten Staaten in Atem hielt, recht wenig Interesse entgegen. Mit voller Absicht, da er eben nur zu gut wusste, dass, wenn sein ruheloser Geist sich erst einmal mit dieser Fälschergeschichte zu beschäftigen begann, er davon nicht wieder ablassen konnte.

»Wie wär’s, wenn Sie sich dieser Sache annehmen würden? Bedenken Sie, es sind dreitausend Mark für die Feststellung der Fälscher ausgesetzt!«

Schaper, der eben in Gedanken ausgerechnet hatte, dass ihm bis zur Abfahrt des Schnellzuges nach München nur noch eine Stunde blieb, schaute auf.

»Ich selbst bin leider nicht imstande, mich der Angelegenheit zu widmen«, erwiderte er diplomatisch, da er es mit dem Beamten nicht verderben wollte. »Noch heute gedenke ich für einige Zeit zu verreisen, da ich meinen Nerven endlich einmal eine Weile Ruhe gönnen muss. Ich werde jedoch meinen Leuten Anweisung geben, dass sie die Sache im Auge behalten.«

Der Geheimrat schien sichtlich enttäuscht zu sein.

»Schade, sehr schade«, sagte er unmutig. »Gerade von Ihrer persönlichen Hilfe hatte ich mir so viel versprochen. Ihr Personal in Ehren, Herr Schaper! Aber es gibt doch nun einmal nur einen Fritz Schaper auf der Welt, und der kann doch seine Findigkeit und seinen Scharfsinn nicht hierlassen … leider nicht!«

Der Detektiv verbeugte sich leicht.

»Vielen Dank für das Kompliment, Herr Geheimrat. Wollen wir uns nicht dahin einigen, dass ich Ihnen verspreche, sofort zurückzukehren, sobald auch nur die leiseste Spur von den Fälschern gefunden ist? Sie werden selbst einsehen, dass bei der augenblicklichen Lage der Sache sich nichts tun lässt, gar nichts. Die Kriminalpolizei hat ja nicht einmal festzustellen vermocht, woher auch nur ein einziges der Falsifikate stammt. Ich meine, wer es ausgegeben hat. Wo sollte ich also mit meinen Ermittlungen beginnen?«

Winter nickte. »Das stimmt leider! Gut also, Herr Schaper, lassen wir es dabei. Auf ein Telegramm von mir stellen Sie sich uns zur Verfügung. Nur müssen Sie mich von Ihrem jeweiligen Aufenthaltsort verständigen.«

Die Herren trennten sich dann mit freundschaftlichem Händedruck.

 

Am Abend desselben Junitages, an dem diese Unterredung stattgefunden hatte, saßen in einem sehr bescheiden eingerichteten Zimmer drei Personen um einen von einer Gaslampe bestrahlten Tisch und verzehrten schweigend ihr einfaches Abendbrot.

Horst-Günther von Molnar schob den Teller beiseite und faltete die Serviette, zwischen deren vielfach geflickten Stellen die in gelber Seide gestickte Adelskrone beinahe komisch wirkte, sorgfältig zusammen. Dann zog er die Uhr, ein schweres, altväterliches Ding, und schaute nach der Zeit.

»Ich werde noch ein wenig ausgehen«, meinte er zögernd. »Der Juniabend ist zu schön, um ihn hier in der Stube zuzubringen.«

Schon wollte er den Stuhl zurückschieben und sich erheben.

Aber ein strenger Blick der Majorin bannte ihn noch an seinen Platz.

»Astrid, räume den Tisch ab«, sagte Frau von Molnar kurz zu ihrer jüngsten Tochter, einem elfenhaft zarten Geschöpf, dessen feines Antlitz mit den großen, dunklen Augen unfehlbar schön zu nennen gewesen wäre, wenn es nicht einen so krankhaft bleichen Teint gehabt hätte.

Und zu ihrem einzigen Sohn gewandt, fügte die Majorin hinzu: »Bleibe noch hier, Horst-Günther. Ich habe mit euch zu reden.«

Wieder herrschte Schweigen in dem kleinen Zimmer, dessen wertvollster Schmuck die alten Ölgemälde derer von Molnar waren, die man ohne jede Spur von Geschmack dicht nebeneinander an den Wänden aufgehängt hatte und die in ihren leuchtenden Offiziersuniformen der letzten zwei Jahrhunderte in diese ärmliche Umgebung gar nicht hineinpassten.

Flink und geschickt trug Astrid indessen die Teller und Schüsseln hinaus in die Küche, in der nur ein trübes Lämpchen brannte, das ständig einen unangenehmen Petroleumduft verbreitete und trotzdem immer wieder benutzt wurde, weil es die billigste Art von Beleuchtung blieb.

Mutter und Sohn hatten jeder einen Teil der Abendzeitung vorgenommen und vertrieben sich mit Lesen die Zeit, bis Astrid sich dann zu ihnen an den Tisch setzte und ihre Stickerei vor sich ausbreitete.

Die Majorin faltete die Beilage zusammen. Ihr fiel es offenbar schwer, das vorzubringen, was sie ihren Kindern zu sagen hatte, denn sie beeilte sich beim Fortlegen des Blattes keineswegs.

Endlich begann sie dann, indem sie sich in ihrem Korbsessel zurücklehnte und starr vor sich auf das Muster der bunten Tischdecke blickte.

»Ich habe heute Nachmittag einen Ausgabenüberschlag über das verflossene Vierteljahr gemacht. Das Resultat ist ein trauriges. Wir haben vierhundert Mark mehr verbraucht, als unsere Einnahmen dies zulassen, das heißt, wir haben … diese Summe von dem kleinen, uns gebliebenen Kapital verausgabt.«

Eine Weile war es totenstill in dem Zimmer.

Dann meinte Horst-Günther leicht gereizt, wobei er die Mutter merkwürdig forschend anblickte: »Ich begreife das nicht. Maximiliane zahlt uns doch monatlich eine … eine Beihilfe von dreißig Mark, Astrid verdient durchschnittlich zwanzig und ich gebe von meinem Riesengehalt gleichfalls dreißig Mark ab. Wir stehen also doch besser als früher! Und trotzdem ist das Kapital angegriffen worden? Mir unverständlich!«

»Du vergisst, dass diese Wohnung, die wir seit Ostern innehaben, monatlich fünfunddreißig Mark mehr kostet als unsere erste hier in Berlin«, erwiderte die Majorin streng. »Ferner übersiehst du, dass die Lebensmittel jetzt hier geradezu horrend teuer sind und dass du, lieber Horst-Günther, insofern nur scheinbar seit einem halben Jahr den Zuschuss zur Wirtschaft gibst, als ich dir dafür deinen Sommerulster und zwei neue Anzüge mit zusammen 195 Mark angeschafft habe. Schließlich dürfte es dir entgangen sein, dass Astrid in durchaus notwendiger Rücksicht auf ihre zarte Gesundheit in den drei letzten Monaten so gut wie nichts gearbeitet und daher auch nichts verdient hat.«

Horst-Günther von Molnar stieg deutlich eine tiefe Röte in das feingeschnittene Gesicht, das trotz des leicht blasierten, hochmütigen Zuges um den Mund recht sympathisch wirkte. Und dann fuhr es ihm heraus, schroffer, als er es wohl beabsichtigt hatte. »So, nun machst du mir also auch noch die fertig gekauften Kleider, die wahrlich bescheiden genug sind, zum Vorwurf! Sollte ich denn wirklich weiter in den ausgewachsenen, abgeschabten Sachen herumgehen, die schon die kritischen, spöttischen Blicke meiner Kollegen auf sich zogen!«

Die Majorin, deren blasses, von Leidensfurchen bedecktes Antlitz mit dem grauen, vollen Scheitel über der edlen Stirn noch immer die Spuren einstiger Schönheit verriet, schaute ihren Sohn strafend an.

»Ich verbitte mir diesen Ton«, sagte sie streng. »Du hast in letzter Zeit schon einige Male gewagt, mir mit Redensarten gegenüberzutreten, die sich für einen Molnar nicht ziemen! Ich wünsche ähnliche Ausfälle, die der krasseste Undank sind und nur von deiner völligen Verständnislosigkeit für unsere Lage zeugen, nie wieder zu hören!«

Die Majorin machte eine kurze Pause. »Leider muss ich annehmen«, fuhr sie dann fort, »dass du auch dem Vorschlag, den ich euch machen wollte, aus einer Selbstsucht heraus, die bei dir nur zu stark ausgebildet ist, nicht die rechte Würdigung schenken wirst. Trotzdem wird das geschehen, was ich mir vorgenommen habe. Wir werden dein Zimmer vermieten, Horst-Günther, und du selbst kannst in die bisher nur als Schrankkammer benutzte Mädchenstube ziehen, die, da sie ein volles Fenster hat, trotz ihrer Kleinheit für einen zwanzigjährigen jungen Menschen vollauf genügt.«

Horst-Günther von Molnar wagte keinen Widerspruch, so sehr ihn auch der Verlust seiner gemütlichen »Bude«, die einen besonderen Eingang vom Flur hatte, schmerzte und empörte. Und um seine Ungehörigkeit von vorhin wieder gut zu machen, zwang er sich sogar zu einer freilich nicht ganz aufrichtig klingenden zustimmenden Erwiderung.

Die Majorin schien diese Antwort als selbstverständlich hinzunehmen. Sie richtete nun an Astrid das Wort, die mit niedergeschlagenen Augen dasaß und nur einen Wunsch hatte, dass diese peinliche Aussprache recht bald beendet sein möchte.

»Ich rechne damit, dass wir einen soliden Herrn in gesetztem Alter in Pension nehmen, der monatlich etwa siebzig bis achtzig Mark bezahlen könnte – natürlich bei voller Verpflegung. Wo drei satt werden, isst der Vierte so gut wie umsonst mit. Jedenfalls dürften uns immer noch vierzig Mark Überschuss bleiben, denke ich.«

In demselben Augenblick klingelte es draußen an der Flurtür. Astrid eilte hinaus, um nach kurzer Zeit in Begleitung der ältesten Molnar, die den wenig häufigen Namen Maximiliane trug, zurückzukehren.

Maximiliane von Molnar war das vollständige Ebenbild ihres nach langem Krankenlager verstorbenen Vaters. Während Astrid und Horst-Günther ihre zarte Gesichtsfarbe und die blonde Haarfülle ihrer Mutter verdankten, besaß ihre Schwester dasselbe dunkle, leichtgewellte Haar, das auch das energische Gesicht des Majors gekrönt hatte. Um Kopfeslänge fast überragte Maximiliane ihre Geschwister, und wo in deren Zügen nur weiche Linien zu finden waren, da standen in ihrem Antlitz seltene Energie, Zielbewusstsein und Entschlossenheit geschrieben. Trotzdem machte ihre Erscheinung einen durchaus mädchenhaften Eindruck, und dies wohl hauptsächlich infolge des Ausdruckes ihrer stets halb verschleierten grauen Augen, die in der Erregung, sogar schon bei lebhafteren Gesprächen, schnell den matten Glanz verloren und in denen dann ein Feuer aufglomm, das von einem leidenschaftlichen heißen Herzen sprach.

Maximiliane begrüßte zunächst die Majorin durch einen Kuss auf die Stirn und reichte dann Horst-Günther die Hand.

»Nun, Herr Bankdirektor, wie geht’s?«, meinte sie scherzend zu dem Bruder, der nicht gerade gutgelaunt schien. »Für einen Menschen, dessen Lehrzeit am ersten Oktober beendet ist und der dann auf 125 Mark Anfangsgehalt rechnen kann, siehst du recht trübselig aus, Söhnchen!«

Horst-Günther entzog ihr ziemlich schroff seine schmale, wohlgepflegte Hand.

»Lass den Unsinn, Maxi!«, sagte er kurz. »Wir haben jetzt hier alle nicht die rechte Lust zu Neckereien.«

»So? Und weshalb denn nicht?«, forschte die älteste Molnar, indem sie sich auf einen Stuhl neben der Mutter niederließ.

Die Majorin klärte sie kurz auf.

»Mama, das wäre sehr vernünftig von euch«, erwiderte Maximiliane dann. »Horst-Günther wird einsehen, dass es nicht anders geht«, setzte sie schnell hinzu. »Er muss sein Zimmer abgeben. Schließlich braucht er bei seiner Tätigkeit, die ihn den Tag über von Zuhause fernhält, doch nur einen netten Schlafraum.«

Die Sache wurde nun nochmals nach allen Seiten hin erörtert. Das Resultat war, dass die Majorin gleich am kommenden Morgen ein entsprechendes Pappschild unten an der Haustür befestigen lassen und auch eine Zeitungsannonce einrücken wollte.

Gegen halb zehn brach Maximiliane, die bei einem berühmten Augenarzt als Empfangsdame und Buchhalterin tätig war, wieder auf.

»Ich werde dich noch ein Stück begleiten«, meinte Horst-Günther, froh, dass er auf diese Weise noch ins Freie konnte.

Die verwitwete Frau Majorin Agnes von Molnar bewohnte in einem älteren Haus in dem Berliner Vorort Schöneberg eine aus drei Zimmern bestehende, im ersten Stock gelegene Vorderwohnung. Als die Geschwister die Flurtür hinter sich zuzogen, öffnete sich gleichzeitig die gegenüberliegende Entreetür, die zu der zweitem in derselben Etage befindlichen Wohnung gehörte, und heraus trat ein schlanker, gut gekleideter Herr, der tief den Hut zog und Horst-Günther mit wortreicher Liebenswürdigkeit begrüßte, wobei seine Blicke immer wieder Maximilianes stattliche Erscheinung bewundernd musterten.

Horst-Günther konnte unter diesen Umständen nicht anders, als den ihm persönlich bekannten Flurnachbarn der Schwester vorzustellen.

»Liebe Maximiliane – du gestattest: Herr Ernesto Sagnali – meine Schwester.«

Der Italiener, der seit ein paar Monaten in den Räumen seiner Wohnung eine Fabrik für künstlerische Stickschablonen eingerichtet hatte, freilich zunächst noch in recht bescheidenem Umfang, verbeugte sich tief.

»Mein gnädiges Fräulein«, sagte er mit dem etwas scharfen Akzent des Ausländers, sonst aber in tadellosem Deutsch, »ich bin entzückt, dass der Zufall mir endlich Gelegenheit gibt, Ihre Bekanntschaft zu machen. Eigentlich von Haus aus Maler, bin ich ein Verehrer jener eigenartigen Frauenschönheit, wie sie die alten Meister der italienischen Schule auf ihren Gemälden mit Vorliebe festzuhalten pflegten, einer Schönheit, wie mein Künstlerauge sie bereits seit längerer Zeit an Ihnen zu bewundern wagt. Bitte, bitte, Gnädigste, nicht dieses stolze, abweisende Gesicht! Ich habe Sie doch nicht verletzen wollen, habe nur Gedanken ausgesprochen, die jeder künstlerisch veranlagte Mensch bei Ihrem Anblick empfinden muss … aus reinster Freude an der Schönheit, nur deshalb, nur …!«

Sagnali, der selbst ein auffallend schöner Mann war, hatte eine so bezwingende Art von Liebenswürdigkeit, dass selbst die unnahbare Maximiliane ihm die Hand hinstreckte.

»Mein Bruder hat uns bereits viel von Ihnen erzählt, Herr Sagnali. Sie treiben gelegentlich mit Horst-Günther italienische Konversation. Dafür muss er Ihnen sehr dankbar sein. Heutzutage kann man sich ja an Sprachkenntnissen nie genug aneignen.«

Dann schritten sie nebeneinander die Treppe hinab. Unten vor dem Haus bat Sagnali bescheiden, ob er sich den Geschwistern anschließen dürfe.

So gingen die drei dann eifrig plaudernd durch die abendlich vornehmen Straßen dem vornehmen Teil des Berliner Westens, dem sogenannten  Bayrischen Viertel, zu, wo die Wohnung Professor Neubers lag, ein stattliches Gebäude, an dem nur ein kleines, weißes Porzellanschild an der Haustür den Leidenden den Namen des berühmten Arztes anzeigte. Hier verabschiedeten sich die beiden Herren. Und Horst-Günther wunderte sich nicht wenig, als die stolze Maximiliane dem Italiener abermals mit einem gewinnenden Lächeln die Hand hinreichte und sagte: »Leben Sie wohl, Herr Sagnali. Und nehmen Sie sich meines Bruders auch ferner ein wenig an. Er kann von Ihnen viel lernen. Auf Wiedersehen!«

Damit war sie in der Haustür verschwunden.

Schweigend durchquerten die beiden Zurückgebliebenen einige Straßen. Dann fragte der Italiener, ob man nicht noch eines der Cafés am Kurfürstendamm aufsuchen wollte.

Horst-Günther, in dem ein gut Teil unbefriedigte Lebensgier und Genusssucht steckte, hätte nur zu gerne ja gesagt. Aber der Gedanke an seinen allzeit leeren Geldbeutel ließ ihn schnell eine Ausrede gebrauchen.

Doch Sagnali durchschaute ihn.

»Tun Sie mir schon den Gefallen, Herr von Molnar«, bat er liebenswürdig. »Ich plaudere so gerne mit Ihnen. Bitte, seien Sie nur dies eine Mal mein Gast.«

Da gab Horst-Günther nach.

Erst kehrten sie in dem neuen Café Berlin ein, das der junge Bankbeamte bisher stets nur von außen bewundert hatte. Das Leben und Treiben in den eleganten Räumen, die rauschende, lockende Musik versetzten ihn bald in einen wahren Taumel von sprühender Lebensfreude. Am Nebentisch ließen sich nach einiger Zeit ein paar elegante Damen nieder, die für Horst-Günthers rassiges Aristokratengesicht bald das lebhafteste Interesse zeigten. Unwillkürlich schaute er immer häufiger zu ihnen hinüber. Und dann – er wusste selbst nicht, wie es gekommen war, befanden sie sich auch schon in einem mit allerhand vorläufig noch recht harmlosen Neckereien gewürzten Gespräch, an dem Sagnali zunächst wenig Anteil nahm. Schließlich taute aber auch er immer mehr auf. Und eine halbe Stunde später saßen die vier – die dritte der Damen hatte inzwischen einen Freund gefunden, der sie zu sich an den Tisch rief -, in einem Auto und fuhren zu einer jener Weinkneipen, an denen der Westen der Reichshauptstadt so reich ist und wo in verschwiegenen Nischen Leichtsinn und Liebe ihre Orgien feiern.

Inzwischen hatte Horst-Günther Gelegenheit gefunden, den Italiener um »eine Kleinigkeit für kurze Zeit« anzuborgen. Bereitwillig und diskret schob Sagnali ihm gleich drei Hundertmarkscheine in die Hand. Der junge Molnar atmete auf. Nun brauchte er diesen entzückenden Mädels gegenüber doch nicht weiter den armen Schlucker zu spielen.

Erst gegen vier Uhr morgens schlich Horst-Günther dann mit weinschwerem Kopf in sein Zimmer. Ein Glück, dass die Seinen nicht hören konnten, wann er heimgekehrt war. Aber ein Jammer war’s, dass er diese Bude mit dem famosen Eingang vom Flur gerade jetzt aufgeben musste, wo er die süße Lizzie vom Nollendorf-Theater kennengelernt hatte, die mit ihm recht, recht oft zusammen sein wollte.