Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Das Harzmärchenbuch von August Ey Teil 28

Sagen und Märchen aus dem Oberharz
Gesammelt und herausgegeben von August Ey im Jahre 1862

Der Doktor

Es ist einmal ein Doktor gewesen, der hat mehr gekonnt als Brotessen. Der ist heillos gelehrt und klug gewesen. In seinen langen, langen Dienstjahren ist ihm vieles und manches vorgekommen und hat er manches in seinen Büchern gefunden, auf welches hunderte von Doktoren nicht kommen. Er hat aber auch, wenn er zu Hause gewesen ist, fleißig studiert und dadurch hat er oft Unmögliches möglich gemacht. Auf diese Art ist er nach vielem Forschen dem Ding auf den Grund gekommen, dass es möglich ist, wenn man einen lebendigen Menschen tötet und in Wurststückchen zerhackt, diesen Brei in ein großes, großes Glas tut und tagtäglich mit einigen Tropfen von einer Flüssigkeit bespritzt, die er dazu express gemacht hat, der zerhackte Kram wieder zusammenwächst, der vorige, aber weit gesundere Mensch und auch hübsch und lebendig wird. Eine Probe damit zu machen, fragt er seinen alten Diener, ob er sich wohl dazu hergeben wolle. Er solle auch dreitausend Taler haben und dann nicht mehr als Diener, sondern als großer Herr leben.

Dem Diener kommt die Geschichte aber doch zu wackelig vor und er antwortet, er wolle nur Diener bleiben. Dies wäre gewiss, das andere ungewiss. Er hätte nur ein Leben zu verlieren. Danach sucht der Doktor andere dazu zu kriegen, was er den Leuten aber auch verspricht, keiner ist dazu zu bewegen. Weil sich nun keiner zu dieser Probe hergeben will, so will er es durch seinen Diener an sich selbst probieren lassen. Dieser will aber auch nicht daran. Endlich, nachdem er ihm sein ganzes Vermögen versprochen und gerichtlich zugesichert und eben so fest gemacht, dass, wenn es nicht gelänge, ihm nichts getan werden solle, so lässt sich der Diener dazu bewegen. Der Doktor sagt ihm, er solle ihn förmlich schlachten, wie ein Schwein, sein Fleisch abschälen und klein hacken, seine Knochen zerstampfen und dazwischen werfen und die ganze Kaltschale in das große Glas tun, was da im Eckschrank stände, ja aber alle Tage von den Tropfen etliche darauf träufeln und bei Leib und Leben danach sehen, dass niemand an den Schrank käme und ihn anrühre. Geschähe dies, so sänke die Masse zusammen und alles wäre vergeblich. Folge der Diener aber seiner Vorschrift genau, so würde er in dem großen Glase nach und nach seine vorige Gestalt annehmen, größer werden, dann auch erst ein schwaches, darauf kräftigeres Leben bekommen und so nach einem Jahr als ein kerngesunder, neuer, aber derselbe Mensch aus dem Glase wieder glücklich heraussteigen.

Der Diener verspricht, ja er beschwört aufs Heiligste, alles genau so machen zu wollen, wie es befohlen wäre. Hierauf gehen die beiden miteinander zum Rathaus, und die Geschichte wird vor Gericht in Ordnung gebracht. Man will den Doktor erst von seinem Vorhaben abbringen, er lässt sich aber nicht irre machen. Er verschreibt seinem Diener seine ganzen Habseligkeiten, und das ist nicht wenig gewesen und dann gehen sie wieder nach Hause. Nun macht der Doktor noch alles zurecht, übergibt dem Diener die Schriften, sein Geld und was er sonst hat, und der Bedienstete muss ihn dafür schlachten, und so lohnen, wie es der Herr befohlen hat. Alles geschieht aufs Genaueste, denn der Diener ist ein treuer Diener gewesen, der es brav mit seinem Herrn gemeint hat. Als er nun die ganze Masse von dem Leib feines Herrn in das große Glas in dem Eckschranke getan und das erste Mal mit den Tropfen begossen hat, so schließt er nicht allein den Schrank und die Stube, sondern auch alle Fenster und Türen des Hauses fest zu und setzt sich hintenaus in ein kleines Zimmer und besorgt da seinen kleinen Haushalt. Nach vier Wochen sieht er schon, wie sich die Masse in dem Glas verwandelt und zu gestalten sucht. Nach acht Wochen sieht er schon den Kopf daraus heraufkommen. Nach einem Vierteljahr wird der Kram einem Menschen ähnlich und nach einem halben Jahr sieht er schon einen vollkommenen Menschen im Glas stehen, der aber kein Leben hat. Die Freude des Bedienten ist unbeschreiblich, er kann gar nicht mehr in seinem Wohnzimmer bleiben, er muss immer vor dem Schrank stehen und seinen lieben Herrn anstaunen und sehen, wie er immer vollkommener, ja ihm ähnlicher wird.

Nach einem Dreivierteljahr fängt der Mensch auch schon an bisweilen zu zucken, die Augenlider und Augen bewegen sich auch ab und an, und der Diener hat nun die Gewissheit, dass er seinen alten Herrn nach einem Vierteljahr gesund und wohl wieder bekommt. Da wird auf einmal Krieg im Land. Der Feind kommt auch noch hierher und belagert die Stadt. Da sie sich aber nicht ergeben will, so wird sie erstürmt und geplündert. Die Feinde dringen auch in das Haus des Doktors, zerschlagen alles und kommen auch an den Schrank, in welchem der Doktor steht, schlagen ihn auf und so stürzt die ganze Geschichte zusammen. Auch dem armen Diener wird alles genommen, was die Soldaten finden, und so ist dieser seinen Herrn und dessen ganzen Reichtum los. Als alles wieder ruhig ist, da hat dieser diese Geschichte oft erzählt und so ist sie von Mund zu Mund gegangen, bis sie hier aufgeschrieben und nun zu lesen ist.