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Sagen- und Märchengestalten – Der Stein der Weisen – Teil 2

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Der Stein der Weisen – Teil 2

Früher noch als die Transmutationen in Koblenz fand eine ziemlich wunderbare Verwandlung in Österreich statt.

In dem Badeort Rodaun bei Wien erschien im Sommer des Jahres 1746 ein Fremder in dem Häuschen des Bademeisters, begehrte eine Kammer zu längerem Aufenthalt, um seine zerrüttete Gesundheit wiederherzustellen, und wurde freundlich aufgenommen. Es zeigte sich auch bald die Wirkung der stärkenden Quelle an dem neuen Gast, der sich fleißig zu der Familie hielt und wie ein Glied derselben mit allen traulich und herzlich verkehrte.

Als nun zu Ende des Sommers der Fremde noch immer in Rodaun verweilte, obwohl bei seinem kräftigen, gesunden Aussehen solcher Aufenthalt nicht mehr nötig erschien, begannen allmählich die lieben Nachbarn heimlich zu konserieren, um den Magnet ausfindig zu machen, der den ritterlichen Herrn an ihr liebes Örtlein so mächtig fessele. Die Meinungen waren sehr geteilt, denn wenn die Burschen und Mädchen in dem Gesichtchen der blonden Maria den Grund zu entdecken meinten, der den Fremden bestimmte, sich von dem bunt bewegten Treiben der nahen Hauptstadt abzuschließen, die so verlockend für jemand sein musste, der Geld, Mut und rasches Blut besaß, schüttelten die Männer, von ernsteren Gedanken bewegt, zweifelnd das Haupt. Es musste seine besondere Ursache haben, dass der Bademeister so oft nach Wien mit einem Auftrag des Fremden ging, und dass sich seine Familie, wenn er wiederkam, jedes Mal gebärdete, als ob es mittlerweile Geld geregnet hätte. Das ließen die alten Mütterlein gelten, und wenn der gnädige Herr nicht ein Räuberhauptmann war, der, dem schlauen Fuchs gleich, überall stahl und morden, nur nicht vor der eigenen Höhle, so stand er doch wenigstens mit dem Gottseibeiuns in verräterischem Bund oder hegte heimlich eine Alraune. Vielleicht schaffte ihm ein Hecketaler nächtlichen Besuch des goldglühenden Schatzdrachen.

Weshalb entfernte er sich in solchen Nächten, in denen jeder Christenmensch fein daheimzubleiben pflegt? Und zu welchem Ende sammelte er weißes und gelbes Kraut ein, welches niemand kannte, wozu er den Samen erst im Spätsommer selbst gesät hatte in des Bademeisters Gärtlein?

An einem Sonntagabend ging es in Rodaun bunter und lustiger zu als gewöhnlich. Truppweise zogen die Burschen umher, sangen und lärmten bis tief in die Nacht hinein. Etwa zwischen elf Uhr und Mitternacht trat eine schlanke Mädchengestalt aus dem Schatten des Waldes hervor, der Flur und Wiesen begrenzte, und schlüpfte sacht zwischen den Gärten dahin. Da sah sie sich plötzlich umringt von den jauchzenden Schwärmern. Vergebens strebte sie, sich aus den Armen zu befreien, die sich ihr entgegenstreckten. Über dem Ringen fiel ihr das Kopftuch in den Nacken und der Mondstrahl beleuchtete ihr Gesicht.

»Oho!«, rief der Übermütigste der tollen Schar, »Bademeisters Maria! Wo kommst du her? Was willst du hier so spät in der Nacht?«

»Ich bitte euch«, sagte das Mädchen bebend, »macht keinen Lärm! Bin ich eine fahrende Dirne, dass Ihr mich festhalten wollt? Mein Vater ist gen Wien, und weil er spät außen blieb, bin ich ihm entgegen gegangen.«

»Nichts da!«, riefen die Burschen durcheinander. »Du kamst nicht von zu Hause, sondern aus dem Wald. Hast du Zauberkräuter gesucht für euren Hexenmeister? Oder Irrlichter gefangen? Oder willst du im Mond lesen? Sprich! Wir dulden so hässliches Treiben nicht. Entweder sagst du auf der Stelle, was du gewollt hast oder wir halten dich wie eine fahrende Dirne.«

»Um der allerheiligsten Jungfrau willen!«, rief Maria, die nicht mehr wusste, wohin sich wenden vor den Augen, die ihr so lustig und doch wieder schreckhaft entgegenblitzten. »Wo soll ich gewesen sein? Haltet doch ein, ihr unsinnigen Buben, – der Herr Sehfeld ist kein Hexenmeister, – durchaus nicht! Aber er vermag mehr als ich und ihr alle – Gold kann er machen!«

»Gold!«, riefen alle wie aus einem Mund, »hast du etwas bei dir? Zeig, wir wollen sehen, ob es echt ist.«

»Nicht Gold habe ich bei mir«, entgegnete die Geängstigte, »aber goldfleckige Eidechslein, die dazu versotten werden.«

Keiner achtete jetzt ihrer Worte, denn ein eigentümliches Geräusch, welches auf der Landstraße, die nach Wien führte, näher und näher kam, lenkte aller Aufmerksamkeit dorthin. Endlich glänzte es im Mondschimmer wie Helm und Speer. Ein kleiner Reitertrupp zog in den Ort. Schon wollten die Burschen sich still hinwegbegeben, als der Führer jener Schar sie mit befehlendem Ton anrief und von ihnen Auskunft über des Bademeisters Haus und seinen Gast forderte.

»Ihr könnt es nicht besser treffen, gestrenger Herr«, sagte einer der Nachtschwärmer keck, »dieses Mädchen ist seine Tochter und sie gestand uns eben, dass der Herr Sehfeld, der bei ihrem Vater haust, Gold machen könne.«

»Schon recht!«, unterbrach der Soldat mit barscher Stimme den Verräter. »Komm, mein Kind«, fuhr er milde fort, als er das hübsche Gesicht und die jugendlichen Formen Maries so nahe sah, »es geschieht dir nichts. Zeige uns nur das Haus!«

In Angst und Beklommenheit schritt das Mädchen dem Zug voran, an der Seite des Reiters, der sie nicht aus den Augen ließ. Die Soldaten stiegen von den Rossen, besetzten Vorder- und Hintertür des Häusleins. Dann drang der Führer mit zweien ein. Maria musste draußen bleiben. Sie hörte die schweren Tritte die Stufe hinauf, hörte das starke Pochen an ihres Gastes Tür, darauf Sehfelds ruhige Stimme. Nach einigen Augenblicken erschien er selbst im Geleit der anderen.

Als er ihrer ansichtig wurde, flog ein düsterer Schatten über sein Gesicht. Er wollte sie anreden, doch die Soldaten verhinderten es. »Wie lange muss mein Wirt in Wien gefangen bleiben?«, fragte er den Anführer der Bewaffneten, dass Maria es hören konnte.

»Ei, nicht länger, bis ihr selbst in Wien sein werdet«, entgegnete dieser lächelnd mit einem schlauen Seitenblick auf das Mädchen. »Kameraden, einer von euch hebe den Herrn auf sein Ross, und dann vorwärts! Lebe wohl, mein schönes Kind, morgen früh kehrt der Vater heim.«

Maria schaute den Hinwegeilenden mit schmerzvollen Empfindungen nach, und erst, als kein Laut mehr die nächtliche Stille unterbrach, denn die Burschen hatten sich leise fortgeschlichen, betrat sie das Häuslein, dessen weit geöffnete Türen ihr unheimlich entgegenschauten.

Am folgenden Tag kam der Bademeister aus Wien zurück. Er warf den aufgestutzten Hut von sich ab wie eine schwere Last und rief: »Das war ein schlimmer Gang, nimmer möcht’ ich ihn wiederholen! Es ist doch, als ob der Böse leibhaftig in dem verwünschten Gold sitzt. Jedes Mal, wenn der Herr Sehfeld ein Häuflein Zinn im Schmelztiegel zergehen ließ, dann sein Küglein Wachs darauf warf mit dem Wunderstein, der das schlechte Metall zu purem, gelbem Golde machte, floss mir’s über den Rücken wie geheimes Grauen. Nun hat es sich gerächt! Wohl zehn Mal bezahlte mir die Münze das Klümplein Gold unweigerlich mit schönen harten blanken Reichstalern. Gestern hielten sie mich hin, als ich kam, bis sie das Komplott geschlossen hatten. »Woher hast du das Gold? Woher hat’s dein Gast?« Und gleich drohten sie mit Meister Hansen, der schon hinter mir stand. Da ich sagte, dass der Herr Sehfeld das Gold selbst gemacht habe, denn ich hoffte, damit ohne Weiteres loszukommen, hielten sie mich erst recht fest, bis ich heut früh entlassen wurde.«

»Weil sie unseren Herrn mit sich fortgeschleppt haben, denn um ihn wird es doch am meisten zu tun gewesen sein«, sagte Maria finster. »Wir werden ihn wohl niemals wiedersehen.«

»Der Herr ist fort?«, rief der Alte erstaunt, und das Mädchen berichtete nun die seltsamen Abenteuer der letzten Nacht. So rasch war alles gegangen, dass die Reiter schon über Stock und Stein waren, ehe des Bademeisters Leute, die im tiefsten Schlaf lagen, zu Hilfe kommen konnten.

Die Tage vergingen dahin. Von Sehfeld hörte man nichts in Rodaun, und in dem alten Bademeister reifte allmählich der Entschluss, noch einmal nach Wien zu gehen, um zu erfahren, was aus demselben geworden sei.

Der wiederkehrende Frühling führte dem Ort neue Besucher zu, unter ihnen manchen, der in den Verhältnissen der Hauptstadt genau Bescheid wusste. Maria fragte keinen, ihr Frohsinn schien gebrochen zu sein, wenn sie auch nicht klagte. Desto eifriger forschte der Vater, doch vergebens.

Abermals streute der Frühling seine Blüten aus, und die Vögel begannen ihr fröhliches Lied. Da erwachte auch Maria plötzlich aus der Dumpfheit, mit der sie so lange vergeblich gerungen hatte. Ihre bloßen Wangen färbten sich wieder, rascheren Schrittes eilte sie durch Haus und Garten, ihr Auge blickte froher, ja sie sang zuweilen, der jubelnden Lerche gleich, die in den Lüften schwebt.

Ein unerhörtes Ereignis setzte die Bewohner von Rodaun in gewaltige Erregung. Die Kaiserin Maria Theresia hatte einen Offizier geschickt, mit dem Befehl, den Bademeister auf die Hofburg zu führen. In derselben Stunde noch reiste der Mann ab, mit dem vornehmen Herrn in einer Kutsche. Und als er nach zwei Tagen wiederkehrte, gab er leise Andeutungen von der hohen Gnade, mit welcher er aufgenommen worden, wie er selbst und Herr Sehfeld vor der Kaiserin gestanden und diese dem Goldmacher, dessen Kunst nun unzweideutig erwiesen war, ihre schöne weiße Hand zum Kuss gereicht habe.

Zu diesen herrlichen Nachrichten schüttelte Maria gar trotzig das blonde Köpfchen, denn eine ganz andere Kunde hatte sie der angebeteten Monarchin nicht gar zu geneigt gemacht. Woher sie dieselbe geschöpft, blieb zwar verborgen, wenn es auch nicht schwer zu erraten gewesen wäre. Aber sie wusste nun, dass Sehfeld in jener bangen Nacht nach Wien geführt worden war, dass die Kaiserin selbst ihn verhört und um das Elixier scharf befragt hatte, dass sie ihn, als er nicht gestand, wie einen Verbrecher geißeln ließ. Als er auch dann noch standhaft blieb, seine Überführung nach der Festung Temesvár in Ungarn anordnete.

Dort hatte er auf Erlösung geharrt bis jetzt. Eine Meldung des Kommandanten, der ihn lieb gewonnen und etwas für den Bedauernswerten zu tun wünschte, schilderte ihn als einen edlen Mann, dessen schweigsame Lippen ein Zeichen fürstlicher Huld weit eher zu erschließen vermöge, als unbeugsame Strenge. Dazu kam ein Brief von fremder Hand. Vielleicht gab am Hof selbst dieser und jener ein gutes Wort für ihn, was ja so selten geschieht, – genug, Kaiser Franz ließ den Bademeister von Rodaun zu sich entbieten, forschte ihn aus bis auf das Kleinste und suchte das Gemüt des Adepten, den er von Temesvár nach Wien zurückzugeleiten befahl, mild und nachgiebig zu stimmen.

Freudig begrüßte Sehfeld den alten Bekannten, gab sich gern und willig allem hin, was die wiedererlangte Freiheit ihn doppelt schätzen lehrte, und durchwanderte mit zwei Offizieren, die ihm zugesellt waren, die Kaiserstadt in allen Richtungen. Eines Morgens aber erschien weder der Adept noch einer seiner Wächter, – sie waren über Nacht entflohen und man hörte niemals wieder von ihnen, am wenigsten in Österreich.

Die blonde Maria verließ bald darauf Rodaun und zog zu ihres Vaters Schwester gen Welschland, wie der Alte sagte, wo sie sich vermählte und den ihren oftmals reiche Gaben schickte.

Als aber einst ein Bursche des Ortes auf seiner Wanderschaft in jene Stadt kam, in der sie leben sollte, wusste niemand von einer Schwester des Bademeisters, auch nicht von einer Tochter desselben. Da der Geselle wieder heimkehrte und den Vater darum befragte, lächelte dieser gar sonderbar und zuckte die Achseln.

Von der österreichischen Kaiserstadt am Ufer der mächtig brausenden Donau sind wohl viele Meilen bis zur Universitätsstadt Halle an der Saale. Damals, im Jahre 1750, wo das gewaltige Dampfross noch in dunkler Zukunft ruhte, fanden nur die großen Neuigkeiten des Tages eine weitere Verbreitung. Weil die Alchemie eine Wissenschaft war, deren Glanz allmählich zu erbleichen begann, erfuhren die Hallenser wenig von dem, was im stolzen Wien etwa zwei Jahre zuvor sich zugetragen hatte.

In der Apotheke der Franke’schen Stiftung erschien ab und zu ein Fremder, der im Gasthof Zum blauen Hirsch abgestiegen war und sich eifrig mit allerlei Studien zu beschäftigen schien, absonderlich auf dem Gebiet der Chemie ein außerordentliches Wissen an den Tag legte. Seine Besuche erwarben ihm das Zutrauen eines gewissen Reussing, welcher sich damals in jener Apotheke befand und freundschaftlichen Verkehr mit dem fremden Mann anknüpfte.

Eines Abends lud der Unbekannte den Reussing in sein Gemach ein, das er in jenem Gasthaus bewohnte. Der Wissbegierige folgte gern und verbrachte mehrere genussreiche Stunden in der Gesellschaft des Fremden, der mit seltener Schärfe des Verstandes eine tiefe und gründliche Bildung verband, andere Erd- und Himmelsstriche genau zu kennen schien und eine kleine auserlesene Sammlung merkwürdiger Seltenheiten besaß.

Mittlerweile war es spät geworden, schon brannten die Kerzen dunkler im Gemach und das Gespräch wendete sich unvermerkt von der Chemie zur Alchemie, deren reelle Basis Reussing mit Ungestüm angriff und durch die kräftigsten Beweisgründe zu Boden warf.

Lächelnd hörte der Fremde dem Eifernden zu, mit eingestreutem Wort die Glut noch schürend. Endlich aber unterbrach er ihn durch die seltsame Frage: »Für wie alt haltet Ihr mich?«

Reussing sah ihm verwundert in das bräunliche Antlitz, musterte die vollen schwarzen Locken, den wohlgepflegten Bart und sagte dann nicht ohne Verlegenheit: »Das ist schwer zu bestimmen, etwa dreißig bis vierzig Jahre mögt Ihr haben.«

Da lachte der Fremde hell auf. »Beinahe getroffen!«, rief er aus. »Ich zähle meine Jahre nicht mehr, seitdem ich hundertfünfzig erreichte.«

Reussing erschrak. Er glaubte, der Mann rede irre und schaute voll Besorgnis zur Tür. Allein der große Unbekannte fuhr fort: »Das wundert Euch? Seht, Ihr könnt es nicht begreifen, ebenso wenig vermögt Ihr den alchemistischen Prozess zu fassen. Schaut in dieses Büchslein. Es ist mit einem grauen Pulver angefüllt, das wie grob zerstoßenes Glas aussieht. Dieses Pulver …«, er tauchte die Spitze eines kleinen Messers hinein, welches neben ihm auf dem Tisch lag und fasste die an der Klinge haftenden Stäubchen mit Baumwolle auf, die er, in Papier gewickelt, dem Gast reichte, »… dieses Pulver ist die wunderbare Essenz, deren Vorhandensein Ihr so schön hinwegdisputiert habt. Nehmt dieses Papier und werft es auf schmelzendes Silber. Nicht mir, Euren eigenen Augen werdet Ihr glauben. Und nun gute Nacht!«

Er schob Reussing zur Tür hinaus und schloss hinter ihm ab.

Anderen Tags nahm der Apotheker einen silbernen Löffel, der zwei und ein halbes Lot wog, ging damit in das Laboratorium, welches er sorgfältig verriegelte, um nicht gestört zu werden, und ließ das Silber in einem Tiegel schmelzen. Dann warf er das Papier auf die glühende Masse, die er nach fünfzehn Minuten ausgoss. Als sie erkaltet war, fanden sich drei Lot des reinsten gediegenen Goldes.

Reussing eilte zu dem Fremden. Er war bereits abgereist und man hörte niemals wieder von ihm. Der Beschreibung nach ist es Sehfeld gewesen.

Ein Goldarbeiter zu Halle prüfte das Gold und kaufte es dann für den üblichen Preis. Glaubwürdige Personen, unter ihnen Reussings späterer Schwiegersohn, der Berg- und Salinendirektor von Leysser, haben die Wahrheit der Geschichte mehrfach erhärtet.

Man erzählte sich, dass selbst Goethes fürstlicher Freund zu Weimar, der Herzog Carl August, eine Zeit lang lebhaftes Interesse für die verwandelnde Kunst gehegt habe, ja dass sogar Friedrich der Große dem flüchtigen Traum der Golderzeugung nicht abhold gewesen sei. Aus Sachsen kam im Jahre 1751 eine Frau von Pfuel mit zwei Töchtern nach Potsdam, welche der mystischen Kunst sich rühme. Sie erreichte nichts und damit verflog denn auch die kurze Illusion des Philosophen von Sanssouci.

Die vielartigen Bestrebungen aller derer, welche sich mit Alchemie beschäftigten, erzeugten die Ideen mannigfacher Grundstoffe, wie die des Alkahest, des spiritus mundi und anderer. Aufgestellte Salze zogen den geheimnisvollen Geist der Luft an, wie man glaubte, und es gab der törichten Menschen eine Menge, die den so gefesselten spiritus mundi nebst dem Salz, das ihn enthalten sollte, zu bedeutenden Preisen kauften.

Den Grundstoff jenes allkräftigen Elixiers, des Steins der Weisen, in der Menge der Materien zu ermitteln, mit denen die Alchemisten aller Erdteile experimentierten, war schon für sich eine Aufgabe, über welche die meisten nicht hinauskamen, in Wahrheit nicht hinauskommen konnten. So suchte die Gesamtheit nach einem Lösungsmittel, dem nichts zu widerstehen vermöchte. Weder Stein noch Eisen, nicht Sand noch Kohle. Diesen Allgeist nannten sie Alkahest und fabelten von ihm, dass er Kies in Wasser verwandele, Quecksilber in trockenes Pulver. Genaue Kunde dieser alllösenden Substanz, behaupteten sie, hätten die Alten besessen, deshalb sei ihnen auch die Bereitung des Werkes der Sonne so ausnehmend gut gelungen.

Manche denkwürdige Szene spielte sich im Lauf der Zeiten auf diesem mystischen Boden ab. Es pochte an der Vordertür des hübschen kleinen Hauses, welches von zierlichen Blumenbeeten umgeben war, zwischen denen dunkelgrüne Buchsbaumhecken die heißen Strahlen der Julisonne milderten. Eine sauber gekleidete rosenwangige Magd erschien, um zu öffnen. Ihre blauen kindlichen Augen schauten fragend auf den bärtigen Mann, der vor ihr stand und also sprach: »Wohnet allhier der Herr Doktor Helvetius, Leibarzt des erlauchten Prinzen von Oranien? Ein Fremder wünscht ihn zu sprechen.«

Die Magd ging und kehrte nach wenigen Augenblicken mit dem Bescheid zurück, der Herr möge nur eintreten. Dabei öffnete sie die Tür des wunderlich ausgeschmückten Raums, welchen Doktor Helvetius sein Arbeitskabinett zu nennen pflegte.

Als die beiden Männer einander gegenüberstanden, betrachteten sie sich mit Neugier und Teilnahme, im Angesicht der stattlichen Gestalt des Leibmedikus, welcher eines ausgezeichneten, weitverbreiteten Rufs genoss, die hohe fremd blickende Erscheinung des anderen, mit dem langen, schlichten, dunklen Haar, in das sich manch leiser Silberstreif zu mischen begann, mit der breiten, mächtigen Stirn und den tief liegenden Augen, aus denen die unruhige Flamme eines südlichen Temperaments sprühte.

Dann deutete Helvetius schweigend auf einen Sessel, der seinem Arbeitsstuhl gerade gegenüberstand, und ließ sich nieder.

Der Fremde tat desgleichen und begann mit höflichem Ton: »Mich trieb das Verlangen her, einen Mann zu begrüßen, dem die Nachwelt tief verpflichtet sein wird für den unermüdeten Fleiß, mit welchem er die schwersten Aufgaben der Wissenschaft zu lösen wusste.«

Nach diesem vielverheißenden Eingang entspann sich in dem schwülstigen Stil jener Zeit eine lange Reihe der artigsten Hin- und Wiederreden. Es dauerte geraume Weile, ehe die beiden über die chinesische Höflichkeit hinweg an das tiefere Fahrwasser der Wissenschaft gelangten, wo Meinung und Erfahrung ein lebhaftes Gespräch entfalteten.

»Es will mich bedünken«, sagte der Fremde mit einem schweifenden Blick über die seltsame Pflanzen- und Tierwelt, die das Gemach erfüllte, »als hättet Ihr, Herr Helvetius, mancherlei Studien außerhalb des medizinischen Feldes getrieben. Nach den Gerätschaften, welche ich hier erblicke, müsst Ihr Euch mit chemischen Versuchen vielfach befasst haben?«

Helvetius lächelte. »Es ist wahr«, entgegnete er, »dass ich gern und mancherlei experimentierte, auch unterschiedliche kuriose Entdeckungen gemacht habe.«

»Solltet Ihr …?«, unterbrach ihn der Fremde. »Doch nein, ich irre mich. Niemals achtetet Ihr das hohe Geheimnis des großen Magistertums. In Euren Schriften habt Ihr es zu mindest scharf bekämpft. Derohalben hielt ich es nicht für angemessen Euch mit solchen Dingen beschwerlich zu fallen, sondern vergnügte mich allein an den sonderlichen Eigenschaften Eures klaren Geistes.«

War der Fremde ein Zauberer, dessen magische Berührung Wünsche in dem ruhigen Herzen des Gelehrten aufsteigen ließ, die ihm bis dahin unbekannt geblieben? Wie eine goldene Wolke zog es plötzlich an seinem nüchternen Sinn vorüber und hastig entfuhr ihm die Frage: »Was wisst Ihr davon? Wer seid Ihr?«

»Bin ich Euch schon verdächtig geworden«, rief der andere, »dass Ihr nach meinem Namen begehrt? Nun, Ihr sollt ihn wissen, doch heute nicht. Ich gedenke Euch wieder zu sehen, ehe der Mond sich von Neuem füllt. Wenn ich«, fuhr er nach kurzer Pause fort, »Euch auch versichern wollte, dass das berufene Geheimnis wirklich lebt, würdet Ihr mir nicht glauben, und wenn ich Euch den Wunderstein darwiese, würdet Ihr mich einen Prahler, vielleicht gar einen Lügner schelten.«

Helvetius schüttelte verneinend das Haupt. Eine ungewohnte Aufregung war über ihn gekommen, seine Augen glühten, die Hände zitterten. »Wer Ihr auch sein mögt«, murmelte er endlich scheinbar ruhig, »ich beschwöre Euch, haltet nicht mit Eurer Wissenschaft zurück. Vertraut mir, Ihr dürft es ohne Bedenken tun, ich bin kein Verräter.«

Der Fremde war dem Arzt nähergetreten und legte jetzt die Hand auf dessen Arm: »Das wusste ich«, sagte er, »ehe mein Fuß über Eure Schwelle trat. Glaubt mir, ich sehe manches, was dem Auge der Menschen entgeht, und mein Blick liest in den Zeichen, welche die Natur weithin verstreute, wie in einem aufgeschlagenen Buch. So vernehmt denn: Mir ist das Geheimnis des grünen Löwen in seiner höchsten Vollendung kund geworden, allein meine Zunge wird gebunden durch des Meisters Spruch.« Er zog ein Büchslein aus seinem Gewand, öffnete es und entnahm daraus ein unscheinbares graues Gestein. »Seht«, fuhr er mit gedämpfter Stimme und feierlichem Wesen fort, »dieses ist es, dessen geringstes Körnlein unedle Massen wandelt in des reinsten goldes Strahl – nehmt es, rührt es an, wenigen ist es vergönnt, das Wunderwerk zu schauen.«

Helvetius fasste begierig danach und prüfte mit dem Nagel des Steins Härte. Ein wenig, das ihm haften blieb, legte er verstohlen auf ein Streiflein Papier, als der Besucher – es war schon tiefe Abenddämmerung – sich zum Gehen wendete.

Kaum sah er sich allein, so verschloss er die Tür des Gemaches, zündete ein Kohlenfeuer im Kamin an, setzte einen Tiegel mit Blei auf die Glut und warf endlich den gewonnenen Schatz auf die schmelzende Masse. Allein das Blei verschmolz in farbloses Grau, und da Helvetius es verdrießlich ausgoss, zeigte es keine Spur von Veränderung. Ein bitteres Gefühl der Täuschung entwand sich seiner Brust, die begeisterten Flammen waren verlodert, und er stand zürnend vor dem Häuflein Asche.

»Bah!«, sagte der Leibmedikus endlich, »er ist ein Betrüger wie alle anderen, aber der schlauesten einer. Wie wird ihn meine kindische Aufregung ergötzen, die ich mir selbst kaum zu erklären weiß! Nun, mag er es haben.« Damit warf er den Tiegel beiseite, stieß verächtlich mit dem Fuß nach dem Klumpen Blei und schritt hinüber zu dem Gemach seines Weibes, die ihm die Falten von der Stirne strich und ihm mit schmeichelndem Wort die Geschichte entlockte.

Sie war nun anderer Meinung, als der beschämte Gemahl: »Wer weiß«, tröstete sie, »welch eine wichtige Vorkehrung du verabsäumtest. Ich bin gewiss, dass der Fremde wiederkommt, und dann werde ich ihn nicht fortlassen, bis er uns einen Beweis seiner Kunst gegeben hat«

Und die kleine hübsche Frau hatte recht. Einundzwanzig Tage nach jenem Ereignis kam der Fremde wieder und versprach, eine glänzende Probe abzulegen von der heiligen Wissenschaft, schenkte auch der anmutig Bittenden ein geringes Körnlein des Steins, etwa so groß wie ein Rübsame.

Die Dame warf spöttisch die vollen roten Lippen auf wie ein verzogenes Kind. »Das ist viel zu wenig«, rief sie, »es lohnt gar nicht der Mühe, damit anzufangen.«

»Ihr irrt, schöne Frau«, entgegnete der Fremde, »es ist zu viel.« Er nahm das Stücklein, teilte es säuberlich in zwei Hälften, behielt die eine und legte die andere, groß wie ein mäßiger Nadelkopf, vor die Erzürnte hin. Dann stand er auf, sich zu empfehlen, verhieß nun, nächsten Tages die Probe selbst zu machen.

»O, über den garstigen Mann!«, sagte Frau Helvetius, als die Tür sich hinter ihm schloss, zu ihrem Gatten, der tief nachzusinnen schien, »frag ihn doch, wie er heißt, damit ich ihn nachdrücklicher schelten kann.«

Helvetius folgte dem Fremden, den er noch im Garten traf.

»Bemüht Euch nicht«, sprach derselbe mit seltsamem Lächeln. »Mein Name steht deutlich in Eurem Gemach, gleich über dem Kamin, wo das Stück Blei liegt, das Ihr so verächtlich behandeltet, da es sich nicht in Gold verwandeln wollte.«

Helvetius sah mit Erstaunen in das Antlitz des Sprechers.

»Wie habt Ihr es doch so töricht angefangen«, fuhr dieser fort, entschlossen, wie es schien, ihm nichts zu schenken, »anstatt den Stein, den Ihr so meisterlich zu stehlen wusstet, mit einer wächsernen Hülle gegen die bösen Dämpfe des Bleies zu schützen, warfet ihr ihn nackt darauf und zürntet über den schlechten Erfolg. Nun, ich sehe, es tut Euch leid. Gott befohlen, Herr Leibmedikus!«

Damit schritt er rasch hinweg und Helvetius kehrte in das Gemach zurück. Auf dem Sims des Kamins lag das verachtete Blei. Griechische Buchstaben schimmerten daran, wie mit goldenem Stift gezeichnet: Philaletha.

»Er ist der größte Meister unserer Zeit«, sagte Helvetius, »aber der größte Betrüger. Morgen wird es sich ja zeigen. Und nun lass mich allein, ich bedarf der Ruhe.«

Der folgende Tag brachte kein Lebenszeichen des Adepten. Als der Abend zu dämmern begann, vermochte Frau Helvetius ihre Ungeduld nicht länger zu zügeln. Ihr Gemahl wog sechs Drachmen Blei ab, nahm einen neuen Tiegel und erhitzte das Metall. Dann hüllte er die Tinktur in Wachs, warf sie in die Masse und goss sie nach kurzem Schmelzen aus. Es war Gold.

Der Münzwart im Haag und andere prüften das Metall verschiedene Male, allein die Tatsache blieb und Helvetius machte sie 1667 in einer eigenen Schrift bekannt.

Auch hier berührten sich die entgegengesetzten Pole: das Seltsame mit dem Gemeinen, das Erhabene mit dem Lächerlichem.

Bischof Haimo, der gewaltige Adept des 9. Jahrhunderts, sagt von dem sehnlichst begehrten, mit Lebensmühen gesuchten Grund- und Urstoff der wunderwirkenden Materie in naiver, ungeschminkter Weise: »Der Mensch ist gleich dem Universum. Gehe an das Hinterteil der Welt, da wirst du Donner hören und des Windes Brausen vernehmen, Hagel mit Platzregen wird fallen. Da findest du die Sache, so man sucht, und sie ist köstlicher für den Alchemisten, als alle Steine der Gebirge.«

Fantastischere Naturen, als die so stark ausgeprägte des Bischofs, empfohlen Sternschnuppenmaterie zur Bereitung des Steins.

Ein französischer Adept, Herr de l’Isle, welcher auf seinem Schloss Palud in der Provence lebte, stand in dem Ruf, durch rotes Pulver Blei in Gold, durch weißes Eisen in Silber verwandeln zu können. Weite Gärten umgaben das Schloss. In ihnen baute de l’Isle mehrere Arten der lunaria (Mondkraut oder Walpurgiskraut), aus deren silberweißen Schoten er den Eisen veredelnden Stoff gewann. Einige vornehme Personen, welche ihm befreundet waren, glaubten von der Wahrheit dieser Erscheinung überzeugt zu sein und berichteten darüber nach Paris.

Ein peremptorischer Befehl Ludwigs XIV. in gnädigen Ausdrücken abgefasst, berief den Erfinder einer so wichtigen Substanz nach Paris. De l’Isle, in richtiger Würdigung der verhängnisvollen Ehre, lehnte die königliche Einladung ab, die aber nun, von einem Detachement königlicher Truppen begleitet, wiederholt wurde. Der bedauernswerte Adept vermochte nicht zu widerstehen. Er sah sich nach Paris geschleppt, anfänglich mit Milde, später durch strengere Mittel um die Mitteilung seines Geheimnisses bestürmt.

Vergebens versicherte er, die Bereitung des Mittels niemals selbst versucht zu haben, vielmehr der Freigebigkeit eines fahrenden Jüngers der Alchemie alles das zu danken, was seine dienstfertigen Freunde ihm zuschrieben. Man glaubte ihm nicht, und de l’Isle, um der drohenden Folter zu entgehen, welche der große Ludwig an ihm zu versuchen befahl, nahm im Jahre 1712 ein schnell wirkendes Gift.

Siebzig Jahre später endete auf beinahe gleiche Weise der letzte berühmte Adept Englands, Doktor James Price. Der Ruf erzählte von ihm verschiedene öffentliche Transmutationen, insofern man als öffentlich bezeichnen kann, was in Gegenwart mehrerer Zeugen geschieht. Er sollte im Besitz beider Tinkturen, der roten und der weißen, sein.

Endlich drang das Gerücht bis zu den Stufen des Thrones, und Georg III. forderte eine Untersuchung dieser Angelegenheit durch Mitglieder der königlichen Sozietät. Das wollte Price nicht. Er sagte, dass er keine Tinktur mehr besitze und er sich nicht in der Stimmung befinde, ein so mühevolles Werk von Neuem zu beginnen.

Die Enttäuschung derer, welche auf das wunderbare Geheimnis lüstern waren, machte sich in gehässigen Beschuldigungen Luft. Um diese zu widerlegen, fing Price eine neue Operation an, die ihm jedoch nicht glückte. Nun zogen sich alle, die sich voll Eifer um die Sache bemüht und sich des Adepten Freunde genannt hatten, von einem Mann zurück, dessen misslungenes Unternehmen ihn zum Betrüger stempelte, und die allgemein ausgesprochene Verachtung ließ Price endlich das Leben unerträglich finden. Er folgte dem Beispiel seines französischen Vorgängers 1783.

Nach so tragischen Ereignissen werden heitere Züge aus dem Leben wandernder Jünger der hermetischen Kunst eine wohltuende Abwechselung gewähren. Viele dieser Fahrenden zeichneten sich als ungemein gewandte Taschenspieler aus, die in ergötzlicher Weise die Goldbedürftigen zu täuschen wussten.

Cosmus I., Großherzog von Toskana, von 1537 bis 1569, wurde das Opfer eines feinen Betrügers, mit dem er sich in weitgehende Unternehmungen einzulassen Willens war.

In Italien zog damals Daniel von Siebenbürgen umher, welcher Metalle verwandelte und Kranke von ihrem Siechtum heilte durch die wundertätige Kraft des Steins der Weisen.

Ihn berief Cosmus nach Florenz, um gegen eine reiche Belohnung von dem weisen Meister die große Kunst selbst ausüben zu lernen.

Daniel trat in einer wunderlichen Tracht auf, gleich jener seines prophetischen Namensbruders, wie er sagte, im alten Testament. Nachdem er die Menge der geistigen Vorbereitungen, deren es zu so hohem Werke bedurfte, erschöpft hatte, offenbarte er dem fürstlichen Lehrling die mannigfachen Ingredienzien, welche in ihrer Vermischung die allkräftige Essenz bilden sollten. Unter ihnen zeichnete sich eine der heilsamsten Tinkturen aus, welche, aus reinstem Gold und edlen Pflanzenstoffen geboren, des Erfinders höchste Blüte darzustellen schien. Dieses Zaubermittel hieß Usufur.

Nun begann eine arbeitsvolle Zeit für den Fürsten, der mit eigenen hohen Händen das Laboratorium beschickte, in welchem Daniel nur anordnend, beratend, leitend wirken durfte. Günstige Sterne mussten über dem mühseligen Werk geleuchtet haben, denn es gelang über Erwarten herrlich, und Cosmus, um seine Freude in wahrhaft fürstlicher Weise auszudrücken, verehrte dem Adepten zwanzigtausend Dukaten guten, gemünzten Geldes.

Am folgenden Tag war Daniel verschwunden. Er hatte sich nach Frankreich begeben, dessen Luft ihm zuträglicher als die Schwüle in Florenz schien, und von dort richtete er ein Schreiben an den Großherzog, in welchem er rückhaltlos den Betrug enthüllte, mit welchem er des Lernbegierigen Augen geblendet hatte.

Die goldhaltige Tinktur, Usufur genannt, war ein Produkt seiner eigenen schlauen Spekulation und enthielt des edlen Stoffes genug, um bei der Anwendung einen recht ansehnlichen Niederschlag desselben zu bewirken. Diese Tinktur verhandelte Daniel in alle Apotheken zu mäßigem Preis.

Sobald er an das Bett eines Kranken gerufen wurde, verordnete er unter anderen Mitteln auch Usufur. Er mischte mit eigenen Händen den heilkräftigen Trank und ließ dabei geschickt die Goldtinktur verschwinden, welche aus dem Laboratorium des schlauen Adepten ihren Weg von Neuem nach der Apotheke nahm: ein Zwischenhandel, der nicht unerhebliche Vorteile bot.

Es konnte nicht fehlen, dass auch die Alchemie mit der religiösen Schwärmerei assimiliert erschien, welche das Glaubensleben jener Zeit erfüllte. Die Wogen der Umwälzung im 16. Jahrhundert gingen noch zu hoch, um nicht über ihre Ufer zu treten, und dem leichtfertigen Irrglauben auf der einen Seite hielt begeisterte Überspannung auf der anderen die Waage.

Wunderbare Märchen flatterten in der allgemeinen Wendung der Dinge dem Mystizismus voraus. Zeichen geschahen aller Enden. Hier entstanden blutige Spuren im dicht gefrorenen Eis, dort gruben unsichtbare Geisterhände warnende Bilder und Charaktere in die Fensterscheiben. Im Meer fing man seltsam punktierte Fische, in den reichen, üppigen Fluren Ungarns wiesen die Weinbeeren vieler Stöcke goldene Traubenkerne auf.

Freilich mochte das Blut unter dem Eis einen durchaus natürlichen Ursprung haben, die schreibenden Geister waren mit Fleisch und Bein bekleidet, oder der Frost malte jene Zeichen, oder das Glas war schlecht, zersprungen, blasig. Die goldenen Traubenkerne aber blieben unerklärt, bis etwa hundert Jahre später eine Krankheit der Weinpflanzungen nähere Untersuchung veranlasste und man die Beeren mit den goldgelben Eiern eines schädlichen Insekts gefüllt fand.

Das Gold hielt die Köpfe befangen. Einem Kind armer Eltern in Schlesien wuchs ein goldener Zahn. Es war gegen das Ende des 16. Jahrhunderts. Gelehrte Männer prüften das Wunder. Breite Schriften erschienen darüber. Professor Horst zu Helmstedt erkannte, Gott habe den Seinen durch dieses besondere Zeichen einen Trost gewähren wollen für die blutigen und grausamen Verheerungen der Türken.

Ungläubige verlangten endlich, dass der Zahn durch einen Goldschmied sachgemäß geprüft werde. Da fand sich eine dünne Goldplatte künstlich um das Milchzähnchen gepresst.

Indessen ließ die Frömmigkeit sich den einmal eingenommenen Standpunkt nicht rauben, sondern bemächtigte sich des Steins der Weisen als eines Gleichnisses. Anfänglich passten sie die mühsame und oft resultatlose Bereitung nur dem Wachstum der Pflanze, auch wohl der tierischen Erzeugung an. Dann aber stieg die Schwärmerei immer höher und maß dem göttlichen Geheimniss den eingebildeten Prozess bei, der die Auferstehung mit einem verklärten Leibe bedeuten sollte.

Die Anhänger dieser Richtung redeten alles Ernstes von einem Samen und von einer Seele des Geldes. Eine wunderliche Mischung der Alchemie und des Mystizismus entstand, die sich weiter entwickelte.

Einer der bekanntesten Mystiker, Jakob Böhme, ein Schuhmacher, welcher in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts zu Görlitz lebte, nannte in seinem Mysterium magnum die Bekehrung der verstockten Seele die Auffindung des Steins der Weisen und verglich den grünen Löwen der Alchemisten mit dem Löwen aus dem Stamm Juda.

Einen höchst ergötzlichen Schluss dieser törichten Hinneigung zu dem geheimnisreichen Wesen bildete die kleine Episode, welche den warteten, einer strikten, kritischen Richtung in der Theologie angehörenden Professor Semler in Halle zu einem Anhänger der Golderzeugung machte.

In Dresden verkaufte etwa 1787 ein Baron Leopold von Hirsch Luftsalz als eine Universalmedizin. Wahrscheinlich hatte sich der unbekannte und viel gesuchte spiritus mundi in der Mischung gefangen, so dachten wenigstens jene Toren, die das Wundermittel begierig kauften.

Semler bildete sich ein, dass in dem Luftsalz, wenn es mit einem gewissen Liquor angefeuchtet würde, Gold entstehe. Er machte die Probe und schickte an die Berliner Akademie der Wissenschaften von jenem Stoff nebst dem angeblich darin gewachsenen Gold. Den gerechten Zweifeln der Akademiker gegenüber behauptete er, mit eigenen Augen die bezüglichen Wahrnehmungen gemacht zu haben, sendete ihnen auch von dem Salz, ehe es angefeuchtet worden war, und von dem Liquor. Beides fand sich bereits mit Blattgold vermischt.

Plötzlich begannen die Goldpflanzen zu entarten, obwohl Semler noch schrieb: »Zwei Gläser tragen Gold. Alle fünf oder sechs Tage nehme ich es ab, immer zwölf bis fünfzehn Gran. Zwei bis drei andere Gläser sind auf dem Wege und das Gold blüht unten durch.«

Das neue Erzeugnis hielt die Probe nicht stand. Vielleicht war der kalte nachdenkliche Himmel Norddeutschlands diesem Gewächs des Südens auf die Dauer nicht günstig.

Allein die mystische Veränderung klärte sich auf. Semlers Diener hatte, da ihm die eigentliche Kultur des Goldsalzes anvertraut wurde, die Goldblätter hineingewischt. Mannigfache Aufträge, die er von dem Professor empfing, verhinderten ihn während mehrerer Tage, sich der Goldkolonie anzunehmen. Er betraute deshalb seine Frau mit diesem Geschäft, welche in hausmütterlicher Sparsamkeit statt der Goldblätter Tabak nahm.