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Sagen- und Märchengestalten – Die Alchemie (Goldmacherkunst) – Teil 2

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Die Alchemie (Goldmacherkunst) – Teil 2

Das 16. und 17. Jahrhundert, bis tief in das 18., weisen eine Unzahl Fürsten auf, deren geheimnisvolle Beschäftigung immer eine Menge Abenteurer in das Land und an den Hof lockte, überaus schlau gesponnene Betrügereien veranlasste und dem Staat schwere Summen kostete. Nicht alle verfuhren dabei so sparsam wie Kaiser Rudolf II., welcher von 1576 bis 1612 regierte. Er teilte ganz die Neigungen eines reichen Privatmannes, wenig geeignet für die Verhältnisse seiner Zeit. Über sein Grab hinweg brausten schon die ersten Stöße jenes furchtbaren Orkans, der länger als dreißig Jahre die deutschen Gauen verheerte und die Länder mit den Trümmern unzähliger Städte und Dörfer bedeckte.

Zu Prag, in der Burg der Böhmenfürsten, war es, wo dieser deutsche Hermes Trismegistos, wie seine Schützlinge ihn verehrend nannten, mit eigenen hohen Händen Schmelztiegel und Destillierkolben regierte, unterstützt von kunstverständigen Dienern und seinem, in der Alchemie wohlerfahrenen Leibarzt Thaddaeus von Hayek. Karawanen von Adepten pflegten alljährlich herbeizuziehen, um ihre Fertigkeit im Betrug zu erweisen, und der Kaiser überhäufte sie dafür mit Titeln und Würden.

Mit großem Pomp und vielverheißenden Reden trat um das Jahr 1515 ein Alchemist am kaiserlichen Hof auf, der sich Edward Kelley nannte, britischer Untertan war und Wunder zu leisten versprach.

Mehrere Produktionen, an denen der Kaiser selbstverständlich teilnahm, ergaben eine Verwandlung des Quecksilbers in Gold, welche dem Adepten den Freiherrntitel und die höchste Gunst des Fürsten eintrug. Doch nicht zufrieden mit dem, was er vor seinen eigenen Augen sich hatte bilden sehen, verlangte Rudolf nun auch genaue Angabe, wie der Stein der Weisen zu finden sei. Als der edle Brite dies nicht vermochte, begann sich der kaiserliche Gnadenhimmel mit gefahrdrohenden Wolken allmählich zu umziehen. Sechs Jahre lang harrte Rudolf der Lösung des Problems. Dann, als Kelley immer noch nichts zutage förderte und man gewahr wurde, dass er mit möglichst guter Manier sich dem herannahenden Sturm zu entziehen suche, wurde er ins Gefängnis gesteckt und bedroht. Gleichzeitig entstand das Gerücht, dass er sich in seiner Heimat verschiedener Fälschungen schuldig gemacht habe, dass er ursprünglich Notar gewesen und aus dieser Stelle schimpflich verjagt worden sei. Er versuchte aus dem Kerker auszubrechen, tat dabei aber einen so unglücklichen Fall, dass er an den Folgen dessen seinen Tod fand.

Kaum war nun einer dieser irrenden Ritter vom Schauplatz abgetreten, als auch schon andere heraufzogen wie schnell verschwindende Meteore. Der Hofalchemist des verstorbenen Kurfürsten zu Sachsen, Sebalt Schwertzer, bot dem Kaiser seine Dienste an, der den erfahrenen Mann gern aufnahm und zum Berghauptmann im St. Joachimsthal machte, wo er bis zu seinem Tod blieb.

Doch dies war nur einer der seltenen Fälle, in denen fürstliche Huld die mannigfachen Kenntnisse der mit der Chemie Vertrauten in angemessener Weise zu verwerten verstand. Andere, wie Herzog Friedrich von Württemberg, gingen mit blindem Eifer und in dem angemessenen Verlangen nach Gold und Schätzen auf das vermeinte Ziel los und erreichten nichts!

Dieser Herzog hatte in der Stadt Großsachsenheim ein Laboratorium erbaut, in welchem gewandte Taschenspieler ihn um sehr bedeutende Summen betrogen, bis endlich die Landstände im Namen des durch unerhörte Steuern schwer bedrückten Volks Einspruch erhoben.

Im Jahr 1595 erschien ein Alchemist, Georg Honauer, welcher Quecksilber vor des Herzogs Augen veredelte. Er hatte Kohlen, mit Gold ausgegossen, in den Schmelztiegel geworfen, dann das Quecksilber verdampfen lassen und das angeblich gewonnene Metall zutage gefördert. Als der Herzog Verdacht zu schöpfen begann, unterblieb die Prozedur mit den Kohlen, hingegen versteckte Honauer einen Knaben, den er mit der nötigen Masse versehen hatte, so geschickt, dass der Schmelztiegel dennoch die erstrebte Quantität Gold enthielt, obwohl der fürstliche Herr selbst das Laboratorium verschlossen und den Schlüssel in Verwahrung genommen hatte.

Das waren Erfolge, welche zu neuen Versuchen anregten, und der Alchemist fand bei diesen Experimenten so gut seine Rechnung, dass er nach zwei Jahren um zwei Tonnen Goldes reicher, und der Herzog um ebenso viele ärmer geworden war. Er gelangte nicht zum Genuss seiner Schätze, denn die Betrügerei wurde entdeckt. Man steckte den Entlarvten in ein von Flittergold überzogenes Gewand und hing ihn an einem eisernen, auf gleiche Art vergoldeten Galgen auf, der zu abschreckendem Beispiel aufgerichtet blieb.

Denselben tragischen Abschluss fand ebenfalls zu Stuttgart ein weit ausgesponnener Roman, der an verschiedenen Höfen begonnen und fortgeführt worden war.

In den Niederlanden trat 1602 ein Abenteurer auf, der den Stein der Weisen wirklich zu besitzen behauptete und die Möglichkeit der Metallverwandlung durch vielfache Proben erhärtete. Er legte unter Eingeweihten sich den Namen Kosmopolites bei, war aber von Geburt ein Schotte und hieß Alexander Setonius, mit dem Zusatz Scotus nach seiner Heimat. Auf seinen Kreuz- und Querzügen berührte er auch Straßburg, wo von ihm eine seltsame Geschichte erzählt wird.

Eines Tages erschien in dem Laden des Goldschmieds Güstenhöver ein Unbekannter und bat, dass ihm die Werkstatt des Meisters für kurze Zeit überlassen werden möge, ein chemisches Präparat darin zu fertigen. Güstenhöver erteilte gern die Erlaubnis. Der Fremde war Setonius. Indem er schied, verehrte er dem Goldschmied einen Teil der bereiteten Goldtinktur. Allein die verhängnisvolle Gabe trug dem armen Mann böse Früchte, denn er brachte in törichter Freude selbst die Kunde seines seltenen Schatzes in die Öffentlichkeit, stellte Proben an, die sämtlich gelangen, und erwarb sich dadurch den Ruf eines geschickten Adepten. Uneingedenk der klugen Warnung des fürstenkundigen Albertus Magnus und des weisen Tritheim, die Höfe zu meiden und die edle Kunst in schützender Einsamkeit zu bergen, folgte der Unbesonnene einem Ruf, der ihn nach Prag in das Laboratorium Kaiser Rudolfs beschied. Dort sollte er Gold schaffen, den Stein der Weisen bereiten. Als er in Seelenangst und Reue sich unfähig zu beidem bekannte, schloss man den Unglücklichen, weit entfernt ihm zu glauben, in ein enges Gefängnis ein, aus dem er nicht wieder befreit wurde.

Nach dieser traurigen Episode traf den eigentlichen Urheber derselben ein ähnliches Schicksal. Setonius zeigte seine Kunst bald hier, bald da. So kam er nach Crossen in Sachsen, wo Kurfürst Christian II. eine Probe zu sehen wünschte. Der Alchemist, um allen Verdacht eines Betruges von sich abzuwenden, ließ seinen Diener oder Gehilfen mittels des Wundersteines vor den Augen des entzückten Fürsten Blei in Gold verwandeln.

Doch in Christians Seele erwachte jene furchtbare Gier, welche ihn, wie einst den grausamen Ritter, der das Gold der Tidianshöhle um den Preis eines Menschenlebens erkaufte, zu tyrannischem Beginnen trieb. Setonius wurde gewaltsam nach Dresden geschleppt und dort, um das kostbare Geheimnis seinen schweigsamen Lippen zu erpressen, mit der Folter bedroht. Dem Schwur getreu, nach welchem jeder, der in die wundersame Bereitung eingeweiht war, nichts von derselben verlauten lassen durfte, ohne Leben und Seligkeit auf das Spiel zu setzen, verweigerte der unglückliche Adept jede Auskunft. Selbst die schrecklichste Pein der Tortur, welche jener als edel und deutsch gerühmte Fürst an dem Bejammernswerten ausüben ließ, dass man befürchtete, ihn unter den Händen seiner Henker den Geist aushauchen zu sehen, vermochte nicht, ihn zu bewältigen. So blieb er denn vorläufig in schwerer Haft. Christian erteilte den Befehl, ihm diese so unerträglich wie möglich zu machen, damit er endlich bekenne. Da erschien in der Hauptstadt ein Pole, der sich Michał Sędziwój nannte, durch einschmeichelndes Betragen und allerlei kurzweilige Stückchen die Gunst des regierenden Herrn zu gewinnen wusste und den Sinn desselben in einer Weise umgarnte, dass Christian II. wie von selbst auf den Gedanken kam, die Halsstarrigkeit des Gefangenen durch List zu überwinden. Zu solchem Unternehmen erwies Sędziwój sich wie geschaffen, und es wurde Befehl erteilt, den Günstling des Fürsten ungehindert bei Tag und bei Nacht Zutritt zu der Zelle des Adepten zu gestatten.

Fast schien es, als ob das verglimmende Leben des Letzteren in der Gesellschaft des jungen Edelmannes neu angefacht werde, der mit tröstendem Wort die finsteren Schatten so wohl aufzuhellen wusste, die des Gefangenen Seele umdüsterten. Da waren eines Morgens beide verschwunden und der betrogene Kurfürst sendete ihnen vergebens seine Reiter und seine Flüche nach.

Sędziwój rettete seinen Schützling nach Krakau, allein dort starb Setonius an den Folgen der erlittenen Misshandlungen. Selbst der Tod löste das Siegel nicht, welches die Lippen des Adepten verschloss. Nur den Schatz der wunderwirkenden Masse, den er allen Nachforschungen Christians zum Trotz heimlich verborgen und jetzt gehoben hatte, hinterließ er scheidend seinem Befreier.

Mit dem Ererbten reiste der Pole von Krakau nach Prag, wo Kaiser Rudolf ihn ehrenvoll empfing und selbst mit dem Teil des Wundersteines, den er von dem Alchemisten überkam, Metallverwandlungen ins Werk setzte. Edler als Christian, ließ er den Fremden ungehindert seines Weges ziehen, denn das Schicksal des armen Goldschmieds mochte ihm Weisheit gelehrt haben, oder er hielt den Sędziwój, und mit Recht, nur für den Besitzer, nicht für den Erfinder des Elixiers.

Vergebens steht die uralte Mutter Erfahrung warnend an dem Eingang der Fürstenhöfe. In eigenwilligem Begehren, in selbstgeschaffener Verblendung wogt die Menge der Ehrgeizigen an ihr vorüber und deutet falsch die mahnende Stimme, welche ja nur zu dunkler Mittelmäßigkeit zurückzulocken scheint. So starrte vergebens zu Württemberg der eiserne Alchemistengalgen ins weite Land hinaus. Auch Sędziwój sah ihn nicht, als er an ihn vorüber in Stuttgarts Martern einzog, voll hoher Freude über den ehrenvollen Empfang, den ihm der Herzog zu teil werden ließ, wie über die ihn umdrängenden Höflinge, in deren Mitte der Hofalchemist Johann Müller von Mühlenfels ihm grüßend entgegentrat, holde Worte aus den beredten Lippen, Gift und Hass im neiderfüllten Herzen.

Der Hofalchemist war ein Mann von seltenem Wesen. Seine Geschichte bildet eine Episode für sich in dem Roman der Gold Erzeugenden. Wunderbar hatte das Schicksal mit ihm gespielt, für jetzt ihn aus der Tiefe zur Höhe geführt und es seinem Witz und seinen Künsten überlassen, dass er nicht hinabstürze. Nun zog an dem Himmel stolzer Erwartungen ein neuer Stern empor, und diesen auf andere minder gefährliche Bahnen zu lenken, gebot ihm schon die Pflicht der Selbsterhaltung.

Übrigens verachtete der Edle von Mühlenfels den Stein der Weisen aus Herzensgrund. Es schien ihm gar unwichtig zu sein, ob er dieses ungeheure Geheimnis besitze oder nicht. Hatte er doch in hoher Herren Gegenwart lebendigen Hühnern die Füße abgeschnitten, diese zu Asche verbrannt und dabei geschickt aus dem weiten Ärmel seines Gewandes Goldblättlein in den Tiegel fallen lassen, die sich dann in probehaltiger Gediegenheit erwiesen. Hatte er nicht zu Prag im Angesicht der kaiserlichen Majestät Blei in den Tiegel geworfen, dieses mit dem goldhaltigen Zauberstab umgerührt und das plumpe schlechte Metall in edles verwandelt? War nicht der halb eiserne, halb goldene, mit schwarzem Firnis überzogene Nagel, eingetaucht in die siedende zischende Masse, in einem Moment verwandelt worden? Wie zum Spaß vermochte er das alles und noch mehr, und lachend verehrte der Kaiser ihm ein schönes Geschenk mit dem unschätzbaren Pergament, das seinen plebejischen Namen »Müller« in denjenigen eines »Herrn von Mühlenfels« umwandelte, und ihn die Handhabung des Schermessers mit der geheimnisvollen, edleren des Schmelztiegels vertauschen ließ.

Sędziwój schritt in den Gefühlen des Stolzes über den huldreichen Empfang des Fürsten in dem ihm angewiesenen Gemach auf und ab und dachte an die nächsten Tage, in denen er seine Kunst und sein Wissen dem scharfen Blick seines hohen Gönners darlegen sollte. Die Dämmerung senkte purpurne Schatten in die dichten Laubgänge des Lustgartens, in die Sędziwój träumerischen Auges jetzt hinabschaute. Am fernen Horizont hob sich die schmale Sichel des Neumonds und der Abendstern blinkte freundlich über der Lichtung in den Gebüschen. Mit der zunehmenden Dunkelheit wichen die lieblichen Eindrücke des Tages in seiner Seele, es stiegen nach und nach trübe Gedanken in ihm auf und eine unerklärliche Schwermut bemächtigte sich seiner.

Das Bild des bleichen sterbenden Setonius erhob sich vor ihm und schien sich zu verkörpern. Es war ihm, als sehe er die abgezehrte Rechte desselben wie damals drohend gen Himmel gehoben und als höre er aufs Neue die Worte: »Fluch dem frevelnden Begehren des Sterblichen nach Gold und Macht, dreimal Fluch den gleisnerischen Heuchlern, wie sie an Fürstenhöfen lauern, Honig auf den Lippen, Galle in den Herzen!«

Und tief unten in der lautlosen Finsternis begann sich aus verdichteter Nebelmasse in immer bestimmteren Umrissen eine Gestalt zu bilden, die, in Grabtücher gehüllt, ihre knöcherne Hand zu ihm emporhob und wie aus unmittelbarer Nähe den warnenden Ruf vernehmen ließ: »Hüte dich! Herzog Friedrich sinnt Verrat. Gedenke an Kurfürst Christian!« Ein Schauer überfiel Sędziwój, seine Hände umfassten krampfhaft die Stäbe des Eisengitters. In seiner Seele wurde es hell, und deutlich sah er die Fäden des verderblichen Netzes, in das er geraten und welches sich über ihm schließen würde, wie über so vielen. In welcher Absicht konnte man ihn in dieses entlegene Gemach des einsamen Turms mit den festvergitterten Fenstern geführt haben? War er vielleicht schon jetzt ein Gefangener? Hastig schritt er zur Tür, riss sie auf und blickte hinaus in die dunklen Gänge.

Nichts regte sich. Sollte er fliehen? Fliehen vor einem Bild seiner erregten Fantasie, vor trügerischem Spuk, den die Nachtluft verweht, sobald sie ihn geboren!? Gegen die Furcht, welche sein Herz erfasst hatte, kehrte nun der Ehrgeiz seine Waffen: Wenn er floh, büßte er Gold und Ruhm und den stolzen Ruf eines wirklichen Adepten ein.

Ruhelos durchmaß er das Gemach, ohne einen festen Entschluss fassen zu können, bis der Morgen graute, reges Leben im Schloss erwachte und es schon zu spät war, um unbemerkt hinwegzuschleichen. Jetzt erschien auch der Diener des Herzogs, um ihn zu seinem Herrn zu beordern, der den Adepten freundlich empfing und bald ein tiefsinniges Gespräch über die edle Kunst mit ihm begann.

Nach der Mittagstafel wurden die herrlich aufgezäumten Rosse vorgeführt, und hinaus ging es aus den engen Mauern der Stadt durch Flur und Wald, an den mit Büschen bewachsenen Ufern des Neckar entlang. Sędziwój fühlte sein Herz von dem Druck jener seltsamen nächtlichen Erscheinung erleichtert. Vom Herzog getrennt, sprengte er munter einer Anhöhe zu, deren Gipfel ihm die lieblichste Fernsicht über Stadt und Land verhieß. Durch die weite Ebene mit wellenförmigem Grün strömte der breite, schimmernde Neckar, der sich um die Mauern von Württembergs Hauptstadt schlang. Heiß brannte die Sonne auf den spitzen Giebeldächern der Stadt. Jenseits reihten sich Hügel an Hügel und stiegen zu dämmernder Ferne auf, bis alles in leisen Duft um das höhere Gebirge am Rand des Horizontes zusammenfloss.

Mitten aus dem dunklen tiefen Grün der Wälder unweit des Hügels, aus welchem Sędziwój sich befand, ragte ein seltsamer Gegenstand mit schwarzen Armen empor, wie ein Wegweiser – auf der Spitze eines Sandbergs. Der Pole mühte sich vergeblich, die Bestimmung dieser wunderlichen Erscheinung zu erraten. Jetzt zuckte ein Sonnenstrahl darüber hin, und es glänzte und flimmerte rötlich-golden.

»Was schaut Ihr so nachdenklich zum Goldberg?«, fragte plötzlich eine Stimme neben ihm, deren Klang, obwohl tief und männlich, doch eine seltsame Empfindung in dem Angeredeten hervorrief. Er blickte auf, und der Hofalchemist von Mühlenfels hielt sein Ross dicht neben ihm an, in gedämpften Tönen also fortfahrend: »Ihr schaut nach dem Warnungszeichen, das unser gnädigster Herr dort vor acht Jahren errichten ließ, da es zum ersten Mal gebraucht wurde. Wisst Ihr, was es ist?« Er neigte sich hinüber zu Sędziwój, legte die Lippen fast an sein Ohr und sprach: »Der Galgen ist es, mein fremder Junker, an dem Georg Honauer erblich, der arme Tropf! Im flittergoldenen Kleid, das verhängnisvolle Gerüst geschmückt mit dem edlen Metall, welches er selbst gefertigt hatte, hing er da. Nehmt ein Beispiel daran, dass Ihr nicht ebenso vergoldet werdet!«

Damit setzte er dem Pferd die Sporen ein und trabte hinweg, dass der lange flatternde Mantel, den er stets umgeschlagen trug, sich im Wind hoch aufbauschte.

Sędziwój, so wenig Bedeutung er auch den Worten des Hofalchemisten beimessen mochte, fühlte sich doch im Angesicht des schwarzen Gerüsts, in Erinnerung an das Schreckbild der verwichenen Nacht, in der unheimlichen Stille des Walds tief bewegt. Zwar war der Unterschied zwischen ihm, der die kostbare Tinktur in Wirklichkeit besaß, und Honauer als einem bloßen Betrüger zu offenbar und entschieden, als dass in ihm Befürchtungen vor einem ähnlichen Geschick hätten aufsteigen können. Aber wie sehr er sich bemühte, seine aufgeregten Gefühle zu beschwichtigen, es gelang ihm nicht. Vielmehr las seine erhitzte Einbildung, als er zum Gefolge des Herzogs zurückgekehrt war, drohende Gefahren in dem Auge des Fürsten.

Zum zweiten Mal senkte sich die Nacht auf die Erde herab.

Mit unruhigem Sinn betrat der Alchemist das stille Gemach, welches nur matt von den blassen Streiflichtern des Monds erhellt wurde und versank bald in einen leichten Schlummer.

Ein Traum setzte die Gedanken fort, denen er sich wachend hingegeben hatte. Ihm schien es, als drängen finstere, wilde Gesellen in sein Gemach, mit Schwert und Dolch die Herausgabe des Wunderelixiers von ihm fordernd. Dann sah er sich in einem feuchten unterirdischen Gewölbe, von dessen Wänden schreckliche Geräte herabhingen. Starke Fäuste ergriffen ihn, um Arme und Beine schlangen sich Seile, an denen er emporgezogen werden sollte. Aber mit der Kraft der Verzweiflung rang er sich los und stieß einen gellenden Schrei nach Hilfe aus, der schaurig von der gewölbten Zimmerdecke widerklang und ihn erweckte.

Der Alchemist fühlte seine Glieder von Fieberschauern gerüttelt, ein kalter Schweiß bedeckte seine Stirn. Rasch sprang er auf und raffte in wilder Hast alles zusammen, was sein war.

Hinaus aus diesen Räumen trieb es ihn, auf denen der Fluch lastete! Vielleicht war es hier, wo vor ihm die anderen eingeschlossen geschmachtet hatten, von denen das Gerücht ging, der Herzog habe sie langsam verhungern oder zu Tode foltern lassen.

Und war das alles vielleicht auch eine Fabel? Keine Fabel war der Galgen, den er mit eigenen Augen gesehen und der so drohend auf Stadt und Schloss herabschaute, keine Täuschung der unheilvolle Blick des Fürsten und die warnende Stimme des toten Meisters!

Ungewöhnlich lange dauerte es an jenem Tag, ehe der Herzog seinem Pagen den Befehl gab, Sędziwój zu ihm zu beordern, denn seit früher Stunde schon harrte der Hofalchemist von Mühlenfels im Vorzimmer seines gnädigsten Herrn, dem er wichtige Dinge mitzuteilen hatte. Als endlich der Fürst rief »Sędziwój soll kommen!«, geschah es nachlässig und kalt, nicht mit dem lebendigen Verlangen von Tag zuvor. Eben so langsam kehrte der Bote zurück, trat gleichsam wider Willen in des Fürsten Gemach und blieb scheu und vorsichtig der Schwelle nahe, als er berichtete: »Gnädigster Herr, der Alchemist ist fort! Wild zerstreut sind die Kissen des Lagers, in Unordnung die Geräte, das Gitter des Fensters durchbrochen.«

Da sagte Herzog Friedrich mit spöttischem Lächeln: »Hab’ mir’s gedacht! Lasst ihn laufen, er findet auch anderswo einen Galgen!« Er wandte sich wieder zu dem von Mühlenfels und winkte dem Pagen, sie allein zu lassen.

Die heißen Strahlen der Sonne vermochten sich kaum einen Weg in das Dickicht des Waldes zu bahnen, in welchem angenehme Kühle herrschte. Dort auf der kreisrunden Lichtung brannte ein helles Feuer, von wunderlichen Gestalten umlagert, welche begierig auf die saftige Keule eines erlegten Hirsches schauten, die an eisernem Spieß briet, während hin und wieder ein wechselnder Ruf in fremder Zunge die Stille unterbrach. Aus der Ferne wurde derselbe beantwortet, als seien Posten ausgestellt, um die Lagernden vor unwillkommenen Überraschungen zu schützen.

Nun aber tönte er länger und lebhafter, die kauernden Gestalten erhoben sich, Männer und Frauen liefen durcheinander, denn auf dem Pfad, der sich in Schlangenlinien der Lichtung näherte, ließen sich eilige Tritte vernehmen. Ein bärtiger Mann erschien, ein schweres Bündel auf der Schulter, die Erscheinungen vor ihm mit forschenden Blicken musternd. Hinter ihm schaute ein kleiner schwarzäugiger Zigeunerbube blinzelnd hervor, und seine Gegenwart, wie das verabredete Zeichen, welches er gab, brachten Ruhe in die aufgeregte Schar zurück, die den Fremden neugierig umdrängte.

»Fürcht’ dich nit«, sagte er und suchte den Zögernden vorwärts zu schieben, »gute Leut’, die da, – meine Leut’.«

Dann berichtete er mit schneller Rede und in einem seltsamen Kauderwelsch den anderen, wie er den Fremden, indem derselbe über die Landesgrenze zu kommen gewünscht, irrend im Wald getroffen hatte. Eines der aufmerksamsten Frauen unterbrach ihn, eine braune wilde Dirne, mit brennenden Augen und kirschroten Lippen.

»Schweig«, rief sie dem Knaben zu, »Fiametta wird ihm jetzt sagen, was die Sterne verkünden und der Tag ihm bringt.«

Sie neigte sich über die Rechte des Mannes, die er ihr nur widerstrebend ließ, und schaute lange mit glänzenden Blicken in seine flache Hand. Dann umdüsterte sich ihr Gesicht und sie rief: »Wer einen Schelm und Betrüger heißen will, der nenne ihn Alchemist.« Und als der Fremde ihr unwillig die Hand entzog, fügte sie rasch hinzu: »Hüte dich vor dem roten Löwen, dem grünen Drachen, der weißen Taube!«

Sędziwój, denn er war es, dem das braune Kind Ägyptens die Zukunft so enthüllte, staunte, als er diese Worte vernahm. Dann winkte er dem Mädchen, beiseitezutreten, und sprach mit gedämpftem Ton: »Was weißt du von unseren Geheimnissen und wer lehrte es dich?«

Die Zigeunerin antwortete nicht sogleich, aber mit einer bezeichnenden Gebärde ihre Arme nach Erde, Luft und Wald ausstreckend, sagte sie: »Die Geister reden mit uns, wie mit ihresgleichen. Die Tiefen erschließen sich unserem Blick und der Sterne Reigen zieht sichtbar über unser Haupt dahin in melodischen Klängen. Der purpurne König wird ertrinken in seinem Bad«, fuhr sie wie in Begeisterung fort. »Nimmer umfängt er die Jungfrau in Liebesglut, nur dem wahren Meister bleibt sie hold. Hüte dich vor Betrug! Ich sehe geharnischte Reiter dir folgen, der Boden zittert unter der Rosse Huf, sie suchen dich und den Schatz, den du trägst, der dir Verderben bringt!«

Sędziwój blickte finster umher und griff nach dem Dolch in seinem Gürtel, als gedenke er, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen.

Doch das Mädchen legte die kleine Hand auf seinen Arm und gemahnte ihn dringend: »Stärke dich erst mit Speise und Trank, teile unser Mahl und lösche den Durst aus jener Quelle. Dann will ich dich zu einem alten Bau führen, der schon Jahrhunderte lang den Stürmen trotzt, dass er dir Obdach biete, bis die eiserne Wolke vorüber ist.«

Mit lächelnder Anmut ging sie voran, dem Feuer zu, um welches die anderen schon gelagert waren und des Bratens harrten, den einer von ihnen soeben kunstgerecht zerteilte.

Unweit der Grenze Württembergs, do wo der Schwarzwald seine wildromantischen düsteren Züge mit dem Lauf des Rheins parallel führt, lagen in einer Schlucht verborgen Turm und zerfallene Trümmer einer Burg, welche eine seltsame Laune oder vielleicht ein wichtiger Beweggrund gerade auf jenem Fleckchen Erde hatte erstehen lassen. Von dem Gebäude selbst war nichts mehr sichtbar als die nördliche Umfassungsmauer, an der sich eine Wand von dunkelgrünem Efeu hinaufrankte. Den äußersten, nach Westen vorspringenden Punkt dieses Überrestes bildete ein fester und hoher Turm, dessen untere Fenster in Schießscharten bestanden, während nach oben zu die Form derselben, sich allmählich vergrößernd, unter dem höchsten Mauerkranz schmale hohe Fensteröffnungen zeigte, durch welche Licht auf eine gewundene Treppe fiel, die zu der Plattform hinaufführte.

Dieser Turm besaß nur ein einziges Gemach, welches zu sicherem, wenn auch nicht behaglichem Aufenthalt dienen konnte.

Es befand sich im Erdgeschoss und empfing spärliches Licht durch die Schießscharten, deren schräge Richtung dem Sonnenstrahl nicht erlaubte, hineinzudringen, selbst wenn er Eingang in die Schlucht gefunden hätte. So wie der Turm stand, dämpften noch die hohen Bäume des Waldes die kümmerliche Helle. Das Auge eines Eintretenden bedurfte einiger Zeit, ehe es sich an das matte Dämmerlicht des Raums zu gewöhnen vermochte. Eine niedrige spitzbogige Tür, aus festem Eichenholz gezimmert und mit starkem Eisenblech gefüttert, bildete den Eingang dieser Art von Feste, deren überaus starke Quadern wohl einem heftigen Anprall zu widerstehen vermochten. Ein Ausdruck von befriedigtem Sicherheitsgefühl überflog das gebräunte Antlitz, des Alchemisten, als er vor diesem Zufluchtsort angekommen war und das Ganze mit scharfen Blicken musterte.

»In Wahrheit, du hast mich wacker geleitet, Fiametta«, sprach er nun. »Wenn ich erst völlig geborgen sein werde, will ich dir lohnen, wie ich nur vermag. Verbitt’ es nicht«, fuhr er mit seltsam weicher Stimme fort, als die Zigeunerin eine abwehrende Bewegung machte, »ein hübsches Halsband von Gold mit roten Korallen müsste nicht übel zu deinem schwarzen Haar und deinen blitzenden Augen stehen.«

»Ich bitt’ dich«, rief Fiametta angstvoll, »geh hinein und verschließ die Pforte hinter dir. Draußen umlauert dich Verrat, hier drinnen bist du sicher wie der Falke in seinem Nest. Und wenn du von außen gedrängt werden solltest …«

Sie vollendete nicht, denn es rauschte zwischen den Bäumen wie Männertritt und Waffenklang. Ehe Sędziwój die Tür zu erreichen vermochte, nach welcher das bestürzte Mädchen mit ausgestrecktem Arm wies, glitten schwarze Gestalten wie aus dem Boden gewachsen zwischen ihn und das rettende Asyl.

»Es ist zu spät«, murmelte Fiametta, »der Marder schlich uns nach mit leisem Tritt. Wehe dir und mir – wehe ihm!«

»Freilich ist es zu spät«, klang es spottend mit gedämpfter Stimme nach, und ein bewaffneter Mann, vom Haupt bis zu den Füßen in einen weiten schwarzen Mantel gehüllt, das Antlitz, tief verborgen unter einer dunklen Samtmaske, legte seine schwere mächtige Hand auf die Schulter des Polen.

»Herr«, fuhr er fort, »Ihr seht, wir sind in der Überzahl, ergebt Euch dem Geschick, das über Euch verhängt ist.«

Aber Sędziwój sprang zurück, indem er den Dolch aus der Scheide riss. Vielleicht hatte er die Absicht, in den Wald zu entfliehen, aus dem er gekommen war. Vielleicht hoffte er noch den schützenden Bau zu erreichen, dessen geöffnetes Tor nur wenige Armeslängen von ihm entfernt war. Allein auf einen Wink des Verhüllten stürzten sich die übrigen vermummten Gestalten von hinten auf den Polen, ergriffen ihn mit starken Fäusten. Während einer ihm die Waffe entrang, warfen die anderen ihn trotz seines verzweifelten Widerstandes zu Boden und schnürten ihm Hand und Fuß mit festen Stricken.

»Halt«, rief Fiametta in wild aufloderndem Grimm und packte mit ihren kleinen Händen des verhüllten Mannes Arm, ihn zornig schüttelnd. »Ist das der Schutz, den du mir verhießest? Rettest du so sein Leben, das mächtige Feinde bedrohen? Lass ihn los, gleich auf der Stelle lass ihn los oder ich töte dich!«

Ein raues höhnisches Lachen war seine Antwort, als er ihre Hände wie eine Feder von sich abschüttelte.

»Schweig, Törin«, sagte er dann, »was kümmert dich der fremde Mann? Zieh deines Weges und danke Gott und der heiligen Jungfrau, wenn wir dich ungehindert von dannen ziehen lassen. Nicht sein Leben begehre ich, nur den kostbaren Schatz, den er an sich trägt. Den will ich um jeden Preis besitzen.«

»Wer einen Schelm und Betrüger nennen will, der heiße ihn einen Alchemisten«, sagte die Zigeunerin. »Du hast mich verraten und dem Verrat folgt die Strafe auf dem Fuß. Du sollst ihm nicht ein Haar krümmen, sag’ ich dir, ihn nicht berauben, ich will es nicht.«

Der Vermummte trat mit einer raschen Bewegung dicht zu ihr hin. »Nicht?«, erwiderte er spottend. »Du willst es nicht? Aber ich will es! Ich will mich nicht in diesen Handel verwickelt haben, ohne den Preis davonzutragen, der in meinen geschickten Händen das Samenkorn zu reicher Saat der Ehren und des Ruhmes werden soll. Doch wozu der törichten Worte so viele! Schon zu lange habe ich dich angehört. Hinweg mit dir, dass ich nicht in Versuchung gerate, dich mit ihm in diesen Turm werfen zu lassen.«

Die Zigeunerin lachte wild und spöttisch auf bei dieser drohenden Rede. »Wag’ es, mich zu berühren«, sagte sie und zog ein Pfeifchen hervor, das an einer Schnur in ihrem Busen hing.

»Wisse, dass keiner ist unter der braunen Schar, der nicht sein Leben zehnfach für mich gäbe. Denn ich bin edel geboren, aus königlichem Stamm und die vertriebenen Kinder Ägyptens kennen die Treue, die du so schmählich brichst.«

»Schweig!«, schrie der Vermummte zornig, ergriff sie mit Ungestüm beim Handgelenk und schleuderte sie von sich, dass sie vor Schmerz laut auffuhr. »Schweig! Oder ich durchbohre ihn vor deinen Augen mit meinem Schwert. Doch höre, was ich dir sage«, fuhr er nach einer Pause fort. »Ich weiß, dass du deine Schwüre hältst. Schwöre mir bei Himmel und Erde, bei der Asche deiner Eltern, bei dem höchsten Geist, den Ihr verehrt, dass kein Laut über das, was du hier gesehen hast, deinen Lippen entschlüpfen soll, dass du niemals einem Menschen vertrauen willst, was du von diesem Manne sahst – willst du? Wo nicht, tue ich, was mich vielleicht reuen wird, denn sein Leben ist mir nützlicher als sein Tod!«

»Wohlan«, sagte Fiametta nach kurzem Besinnen »Ich will gehorchen, und selbst von den meinen soll niemand wissen, was hier geschehen. Aber«, fuhr sie mit erhobener Stimme fort, »wehe dir, wenn du ihn mit einem Finger verletzt! Ich bin ein Funke, ich würde für dich zur Flamme werden, die einen Holzstoß anzündet, und wenn ich selbst darüber zu Asche brennen müsste!«

»Leeres Geschwätz!«, unterbrach sie der Verlarvte, »nichts als Worte und der leere Schall tötet nicht.«

Aber die Drohung der Zigeunerin hatte doch etwas Unheimliches, Unbehagliches für ihn.

Er wiederholte seine Aufforderung. Fiametta leistete den Schwur, stieg leicht und gewandt die steile Seite des Berges hinan und verschwand im dichten Waldgebüsch.

»Nun, mein edler Herr«, sprach der Vermummte, indem er sich zu dem am Boden liegenden Polen wendete, »gebt das wundersame Pulver heraus, um dessen willen man Euch verfolgt. Ich werde es in sichere Obhut nehmen. In nicht gar ferner Zeit wollen wir mehr darüber reden, denn ich hoffe, dass die geheimnisvolle Kunst ihrem aufmerksamsten Schüler die Wege zu den höchsten Ehren bahnen soll.«

Erwartungsvoll schwieg er nun, allein der Pole rührte sich nicht. Seine düster gefaltete Stirn, die festgeschlossenen Lippen und die finster blickenden Augen schienen genugsam Zeugnis abzulegen, dass er nur der Gewalt weichen, nimmermehr aber freiwillig jenes ausliefern würde, was den eigentlichen Kern und Zweck seines Daseins bildete.

»Ihr schweigt?«, fuhr der andere fort, »nun, wie Ihr wollt. Zu hoch ist der Preis, um den ich ringe, dass nicht Gewalt entschuldigt wäre!« Er winkte und einer der Bewaffneten begann das Gewand des Alchemisten sorgsam zu durchsuchen, ohne dass der gefesselte Pole sich dem zu widersetzen vermocht hätte.

Sędziwój schloss die Augen, dunkle Zornesglut bedeckte seine Wangen. Aber plötzlich erblasste er, denn der Mann, der ihn plündern sollte, hatte den Schatz entdeckt, der in einer schweren metallenen Kapsel auf der Brust des Alchemisten ruhte.

Gierig entriss der Führer ihm die kostbare Beute. »Es ist genug«, sagte er dann, »tragt ihn jetzt hinein und schließt die Tür hinter ihm.«

Sędziwój fühlte sich emporgehoben, fortgeschleppt und auf den Boden jenes Gemaches niedergelegt, das ihm zu Schutz und Schirm hatte dienen sollen. Dann schloss die Tür sich und er sah sich allein und gefangen.

Wie lange er so gelegen, wusste er kaum. Als der verräterische Überfall stattfand, neigte die Sonne bereits zum Untergang. Schnell folgte tiefe Dämmerung und finstere Nacht. Als er allmählich wieder zum Bewusstsein kam, schimmerte ein schwacher Lichtstrahl durch die Schießscharten hinab. Der Alchemist versuchte, seine steif gewordenen Glieder zu regen. Allein die Stricke, mit denen er gefesselt war, hinderten jede Bewegung. Vollkommen hilflos lag er da. Was tun? Vermochte lauter Ruf durch das steinerne Gemäuer nach außen zu dringen, dessen Festigkeit ihm kurz zuvor so wünschenswert erschienen war? Und wenn zufällig des Wegs Kommende ihn vernahmen, konnte nicht dadurch sein Aufenthalt verraten werden? Konnten nicht eben jene die vom Herzog ausgesandten Verfolger sein? Vergebens bemühte er sich, einige Verbindung in das Erlebte zu bringen. Nur eines stand ihm mit vernichtender Gewissheit fest, dass er den Talisman nicht mehr besaß, dessen Kraft die goldenen Pforten der Fürstengunst erschloss, den Weg zu Ruhm und Ehre ihm bahnte. Ein Strom der bittersten Empfindungen wogte in seiner Brust empor und Tränen entstürzten seinen Augen, wie er sie nie gekannt hatte. Es tat ihm seltsam wohl, die heftige Erregung ausströmen zu lassen, und er begann allmählich ruhiger zu werden und die zerstreuten Gedanken zu sammeln auf den einen Punkt: Wie hinauskommen? Er richtete seine Augen zur Decke des Gemachs und bemerkte einen dunklen Schatten, in dem er mit angestrengtem Blick eine Falltür erkannte, die nach oben führen musste.

Dort winkte vielleicht Rettung, eine Möglichkeit zur Flucht. Doch selbst wenn es ihm glückte, bis zur Plattform des Turmes vorzubringen, wie sollte er hinabgelangen?

Unruhig warf Sędziwój sich hin und her, als er plötzlich einen harten Gegenstand unter sich fühlte. Zur Seite gewendet, fand er ein geschlossenes Messer und daran einen schmalen Streifen beschriebenen Pergaments. Was konnte ihm jetzt, da er weder Hand nach Fuß zu rühren vermochte, die Gabe nützen, die vielleicht nur während seiner Bewusstlosigkeit durch eine der Schießscharten hineingeworfen war? Wer konnte ihn retten wollen? Fiametta? Sie allein? Das war unmöglich, und hatte sie nicht schwören müssen, das Geheimnis niemandem zu anvertrauen?

Sędziwój fühlte seine Gedanken sich von Neuem verstricken, aber er riss sich mit Gewalt empor und überlegte, wie er zuerst die Fesseln lösen mochte, die alle anderen Versuche zur Rettung abschnitten.

Mühsam schleppte er sich zu einem Vorsprung der steinernen Wand, gegen den er mit aller Macht die Stricke zu reiben begann, welche seine Hände umschlangen, auch wenn er dabei sich die Haut an vielen Stellen blutig riss. Er machte eine äußerste Anstrengung, dehnte seine zerschundenen Glieder mit voller Macht, und das Seil zerriss. Dann griff er nach dem Messer und trennte das Band um seine Füße. Matt erhellt waren noch die kleinen Öffnungen, deren einer er sich näherte, um den Inhalt des Pergamentstreifens zu entziffern. Er enthielt nur die Worte: »Wache und lausche.« Und der Pole lauschte mit angestrengten Sinnen, wenn er auch nichts vernahm als das leise Rauschen der Bäume, oder den hellen Schrei eines Raubvogels, der vorüberzog.

Die Minuten schienen sich endlos zu dehnen, vielleicht war der rettende Ruf schon erklungen und er hatte ihn nicht gehört! Wenn er doch hinauszudringen vermocht hätte, wie jene Steinchen, welche der Zahn der Zeit von dem starken Bau abgelöst hatte und die er, in gedankenvoller Pein von seiner Hand zusammengedrückt, durch die Öffnung hinauswarf. Er erbebte, denn hatte er nicht unklug gehandelt, auch nur das geringste Lebenszeichen von sich zu geben? Da knisterte es draußen wie das Geräusch eines über Kieselerde hinschreitenden Fußes.

Eine Stimme flüsterte gleich darauf: »Bist du wach, Fremdling?«

»Wohl bin ich’s!«, rief Sędziwój rasch, »doch wer bist du und was bringst du mir?«

»Freiheit!«, sagte die Stimme und fuhr in gedämpften zitternden Tönen fort: »Die Tochter des Südens hat ihre Ohren betören lassen von dem treulosen Wort des verlarvten Räubers und sie will, sie muss dich retten, den sie wider Willen ins Verderben stürzen half.«

»Fiametta«,« rief der Pole fast mit einem Schrei des Entzückens. Aber er bekämpfte mit Gewalt die Aufregung seines Innern und lauschte aufmerksam den Worten der Zigeunerin, als sie wie nach Atem ringend in kurzen Absätzen fortfuhr.

»Du musst um jeden Preis die Falltür erreichen, welche sich über deinem Kopf befindet. Stoße sie auf! Wenn es dir gelingt, sie zu öffnen, so steige hindurch und verschließe sie hinter dir. Dann wende dich links. Hinter einem Haufen alten Gerölles findest du, was Dich sicher von der schwindelnden Höhe hinabtragen wird. Eile! Längst überschritt der Sonnenwagen die Mittagshöhe. Wenn die Nacht einbricht, musst du dich in die Ferne gerettet haben. Deine Verfolger werden mit dem Mondlicht wieder hier sein. Ich bin ihnen nachgeschlichen und belauschte sie. Tritt zurück.«

Sędziwój wich unwillkürlich zur Seite. Es rauschte empor. Durch die Schießscharte glitt eine Stange herab, dann noch eine, dann kurze Stäbe. Der Gefangene sammelte das seltsame Gerät, und ein Ruf der freudigsten Überraschung entfuhr seinen Lippen. Die Stäbe bildeten die Glieder einer festen, ziemlich hohen Leiter und schnell fügte er die getrennten Teile zusammen.

Die Falltür befand sich in einer Ecke des Gemachs, und wenn nur eine Handbreit an der Höhe der Leiter fehlte, war es ihm unmöglich, die schwere Tür aufzuheben, weil er von unten ihre ganze Last zu tragen haben musste. Sein Herz pochte stürmisch, als er mit den Augen die Entfernung maß. Jetzt erstieg er die Sprossen, so rasch es seine durch die Fesselung noch erstarrten Glieder erlaubten. Doch wie vom Schwindel gepackt, sank er zurück, und ein kalter Schweiß überrieselte ihm den Leib.

Wieder näherte er sich der Schießscharte und rief: »Fiametta!«

Als dem Lauschenden keine Antwort gegeben wurde, raffte er abermals Steinchen zusammen und schleuderte sie durch die Öffnung. Allein er harrte vergebens. Er vernahm nichts, als das einförmige Rauschen der Bäume. Eine fieberhafte Angst ergriff ihn. Von Neuem erklomm er die Leiter und stemmte seine zitternde Schulter gegen die Falltür, die in ihren Fugen zwar erbebte, aber nicht wich.

Sędziwój schöpfte Atem, und ein schwacher Strahl der Hoffnung belebte sein Herz. Die Höhe der Leiter reichte also aus. Wenn die Falltür seinen Anstrengungen endlich nachgab, war er fürs Erste gegen die Wut der Verfolger geschützt.

Als er so, ausruhend auf den Sprossen saß und hinabschaute, sah er erst, dass auch an der inneren Seite der Eingangstür schwere Befestigungen angebracht worden waren, um einem Sturm von außen wirksamen Widerstand entgegensetzen zu können.

Zwei kolossale Eisenriegel oben und unten mussten das Eindringen nahezu unmöglich machen. Schnell wie der Gedanke in ihm entstand, glitt der Alchemist von der Leiter hinab und schob die Riegel vor, die sich ungleich leichter handhaben ließen, als er gehofft hatte. Es konnte nicht allzu lange Zeit verflossen sein, seit diese Riegel zum letzten Mal bewegt worden waren. Vielleicht hatten die Zigeuner, zu deren Bande Fiametta gehörte, diesen Schlupfwinkel ehedem benutzt.

Von Neuem bestieg Sędziwój die Leiter. Allein auf halbem Weg hielt er lauschend inne, denn es klang wie Stimmengemurmel von draußen. Deshalb hatte die kluge Fiametta seine Zeichen nicht beantwortet. Himmel, so nahe der Rettung und vielleicht dennoch verloren!

Ein Schlüssel wurde in das Schloss gesteckt und darin umgedreht und die schwerfällige Klinke hob sich. Allein die Tür gab dem Druck nicht nach, zu fest hielten die Eisenriegel sie.

Nun schien es, als solle Gewalt angewendet werden, denn die Fugen der Pforte knackten und Stäubchen rieselten an der Mauer herunter. Mehr wartete der Gefangene nicht ab. Hurtig erklomm er die Leiter, und die gewaltige Aufregung, in der er sich befand, verlieh ihm Riesenkräfte. Er presste seine Schulter gegen die Falltür und drückte sie mit aller Gewalt hinauf, ein Mal und noch einmal und wieder. Nur widerstrebend, hob sie sich ein wenig. Dann, mit lautem Krachen, flog sie empor, eine Wolke finsteren Staubs auf den Alchemisten hinabsendend.

Heftige Schläge dröhnten unten gegen die Eingangstür, als Sędziwój die Leiter vorsichtig emporzog, sobald er oben festen Fuß gefasst hatte. Dann senkte er die schwere Klappe wieder und sah sich in dem Raum um, in welchem er sich befand.

Von dem Inneren des Turms führte eine schmale gewundene Treppe mit verfallenen Stufen weiter hinauf. Ein Haufen alten Gerölls versperrte den Zugang, und als Sędziwój dasselbe hinwegzuräumen begann, entdeckte er darunter ein zusammengerolltes starkes Tau von beträchtlicher Länge.

Nur einen Augenblick atmete der Flüchtling auf, dann begann er die Treppe zu ersteigen und sah sich nach kurzer Zeit oben auf der Plattform, über deren zackiges Mauerwerk er ungesehen hinabschauen konnte.

Vor der eisenbeschlagenen Tür hielt auf falbem Ross derselbe tief verhüllte Mann, der ihn so schmählich beraubt hatte. Mit lautem Zuruf ermunterte er die Männer, deren Kraft sich vergeblich gegen die Riegel abmühte, welche den Zugang in das Innere des Turms versperrten. Indem Sędziwój so hinabschaute, fasste der Wind des Reiters schwarzen Mantel und bauschte ihn auf wie dunkle Flügel. Ein halb unterdrückter Ruf des Zornes entschlüpfte den Lippen des Lauschers, denn er erkannte den Hofalchemisten von Mühlenfels, wie er ihn gesehen hatte, als derselbe ihm spöttisch das unheilvolle Denkmal auf dem Goldberg wies.

Ha, dachte er, könnte ich dich mit diesen Steinen zermalmen! Aber deine Stunde wird kommen, räuberischer Wicht, dann rechnen wir ab!

Nun näherte sich Sędziwój der entgegengesetzten Seite der Plattform und blickte spähend hinab. Wo der Turm sich mit der Mauer verband, zeigte sich die günstigste Gelegenheit zur Flucht, weil die vorspringende Ecke der Ruine ihn vor den Augen derjenigen schützen musste, die sich am Eingang noch immer vergeblich abmühten. Hinter der Mauer wucherte dichtes, hohes Farnkraut, bis zu dem Gipfel hinauf, wo der Wald sicheren Schutz gegen weitere Verfolgung bot.

Nur einen Moment lang hatte er sich aufgerichtet und wollte eben hinter der Zinne des Turms seine vorige Stellung wieder einnehmen, da teilten sich drüben die dichten Gebüsch. Aus ihrer gelichteten Mitte schimmerte ein buntes Gewand, ein rotes Kopftuch hervor. Der Alchemist strengte sich an, mehr zu entdecken, allein die Erscheinung war verschwunden, und nur die grünen Wipfel des Gesträuches schwankten hin und her, wie vom Winde bewegt. Er befestigte das Seil an dem Turmkranz und glitt unhörbar daran hinab. Selbst wenn die Stürmenden am Eingang weniger geräuschvoll verfahren wären, hätten sie wohl kaum das leise Anschlagen des Taus an die Mauer vernommen.

Der Pole sank in die weiche Fülle der hohen Kräuter, die den Boden bedeckten, glitt auf Händen und Füßen vorwärts, jener Stelle zu, wo Fiamettas Gewand ihm sichtbar geworden war. Er wandte nicht einmal das Haupt, um nach seinen Verfolgern auszuschauen, denn die fortdauernden Stöße gegen die eisenbeschlagene Tür waren ihm ein sicheres Zeichen, dass seine Flucht völlig unbemerkt von statten gehen konnte. Das herabhängende Seil befestigte er an einer Wurzel, um zu verhüten, dass es, vom Abendwind bewegt, dieselbe verraten möchte.

Endlich umfing ihn das niedrige Unterholz. Wenige Augenblicke später wagte er es, sich aufzurichten. Die nächsten Schritte führten ihn der Zigeunerin entgegen, die mit Freude sprühenden Blicken auf ihn schaute. Ehe er ihre Absicht erriet, sank sie vor ihm nieder, neigte ihr dunkellockiges Haupt auf seine Füße und stammelte: »Vergib, o vergib!«

Wie eine leidenschaftliche Regung flammte es auf in dem Herzen des jungen Mannes. Doch noch schwebte das Schwert über seinem Haupt.

Hastig zog er das Mädchen empor und flüsterte leise: »Komm hinweg, Fiametta, jeder Augenblick kann uns Verderben bringen. Erst wenn die Fluten des Rheins uns auf günstiger Welle hinabtragen, dürfen wir uns sicher schätzen.«

Fiametta schaute ihn unter Tränen lächelnd an und deutete nach jener Stelle zurück, von der noch immer die fruchtlosen Schläge erdröhnten.

»Der Fuchs kläfft vor der Höhle des Löwen«, sagte sie, »aber er wird seine spitzen Zähne zerbrechen und nicht hineindringen. Siehst du dort oben den Flug der Raben? Sie wittern Beute. Der Lügner soll seinen Leib zu ihrer Speise bereiten, ehe des Mondes Scheibe zum zweiten Mal sich füllt!«

Einen zornigen Blick noch schleuderte sie hinüber, dann ergriff sie die Hand des Flüchtlings und führte ihn durch das Dickicht zu einem schmalen gewundenen Pfad, der um das Gestein sich aufwärts schlang.

Es war ein mühevolles Wandern durch den tiefen schweigsamen Wald, der jede Fernsicht unmöglich machte. Nur hin und wieder streifte das Auge durch ein wogendes Meer von Baumwipfeln, aus dem braunes oder graues Gestein auf die milden Pilger im letzten Abendlicht herabblickten. Sie sprachen wenig, anfänglich aus Besorgnis, die Verfolger auf ihre Spur zu leiten.

Doch mit der steigenden Sicherheit wuchsen auch die bitteren und schmerzlichen Empfindungen des Alchemisten, hervorgerufen durch den Verlust seiner kostbaren, wohl nimmer zu ersetzenden Habe.

Diese Gefühle übertäubten sogar die Ermattung seiner Glieder, den Hunger und Durst. Er erwog immer aufs Neue, wie er dem Räuber die kostbare Beute wieder abzujagen vermochte, als die Zigeunerin plötzlich stehen blieb und aufmerksam die Bäume am Saum des Wegs prüfte.

Des Alchemisten Hand griff unwillkürlich nach seinem Gürtel, wo er sonst die Waffe zu tragen pflegte.

Allein Fiametta sagte abwehrend: »Die Dämmerung erlischt, schon blinken Sterne, morgen steigen wir hinab in eines anderen Herren Land. Doch heute musst du noch auf feindlicher Erde ruhen. Ich kann nicht weiter! Seit du gefangen im Turm lagst, drang kein Schlaf in meine Augen. Meine Lippen berührten weder Trank noch Speise.« Sie schaute empor zum dunkelnden Abendhimmel, als ob sie nach dem Stand der wenigen matt blinkenden Gestirne ihren Weg zu richten gedächte. Alsdann wendete sie sich nach rechts und drang durch Gestrüpp und Ranken aufwärts bis zu einer dunklen aufgehäuften Masse von großen Steinen, die regellos umhergeworfen schienen.

In der Mitte dieses fast abgerundeten Haufens, wohin zu gelangen, ohne kundige Führung mühsam und sogar gefährlich sein mochte, zählte Fiametta die Blöcke. Bei dem siebten derselben hielt sie an und ahmte den Ruf des Käuzchens nach, das in altem Gemäuer nistet.

Sędziwój sah voll Erstaunen den größten der Blöcke, wie von unsichtbarer Hand gefasst, sich langsam zur Seite bewegen. Es öffnete sich ein unterirdischer Raum, mäßig groß, von einer Fackel im Hintergrund nur schwach erleuchtet.

»Tritt ein«,« sagte die Zigeunerin zu ihm, »wir sind unter Freunden.«

Zwei dunkle Gestalten tauchten unter dem Stein empor, der allmählich und geräuschlos die Höhle schloss. Auf einen Wink der Zigeunerin trugen die beiden Brot und Wein herbei und breiteten Matten auf die Erde. Dann schlüpften sie hinaus.

Den fragenden Blicken ihres Schützlings begegneten Fiamettas dunkle Augen, aber ernst und ruhig. »Der Wein ist gut«, sagte sie, »das Brot frisch. Morgen wirst du Herbergen treffen, wo es reicher zugeht. Allein hier bist du sicherer, denn meine Freunde wachen.«

»Schwörest du nicht jenem Frevler, zu schweigen, auch gegen die deinen?«, fragte Sędziwój voll Verwunderung.

Fiamettas ernste Züge erhellte ein Lächeln. »Wohl«, entgegnete sie, »aber ich habe nicht gelobt, mich unter fremden Schutz zu stellen. Die Kinder des Südens forschen nicht, woher und wohin? Wenn ich gebiete. Ich sendete jene zwei hierher mit dem Nötigen und sie verstanden ohne Wort, dass mir Gefahr droht. Jetzt durchstreifen sie die Gegend und wenn Verfolger nahen, werden sie dieselben schlau auf andere Spur zu locken wissen.« Sędziwój war noch nicht ganz befriedigt. Er begehrte zu wissen, was er teilweise erraten hatte.

Doch Fiametta sagte nur: »Morgen.«

Dann, nachdem sie etwas Speise eingenommen, verließ auch sie die Höhle und der Alchemist versank wider seinen Willen in einen tiefen wohltätigen Schlummer.

 

Der verkappte Reiter auf dem falben Ross sah endlich die Unmöglichkeit ein, jene kleine spitzbogige Tür, welche zu dem Innern des Turms führte, mit Gewalt zu öffnen. Er gebot daher den Männern, mit ihrem Werk innezuhalten und fügte hinzu: »Zwei von euch mögen sich ein Lager im Wald bereiten und bis Mitternacht ruhen. So lange müssen die anderen wachen und auf die nächste Umgebung acht haben, damit der Gefangene nicht entweicht. Hier nehmt« – er warf ihnen eine Handvoll blanker Münzen hin – »und harret mein, bis ich zurückkehre.« Damit lenkte er sein Ross auf denselben Weg, auf dem Fiametta und der Pole den Abend zuvor gekommen waren. Maske und Bart, die ihm lästig zu werden schienen, nahm er ab und barg sie auf seiner Brust.

Gedankenvoll ritt er dahin. Plötzlich scheute das Ross und tat einen mächtigen Sprung zur Seite, sodass der Reiter beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Indem er mit einem Ausdruck des Zorns um sich blickte, gewahrte er zwischen den gabelförmigen Ästen eines dicht belaubten Baumes jenen Zigeunerknaben, der den verirrten Sędziwój auf sein Geheiß nach der Lichtung geführt hatte.

»Komm herunter!«, rief er ihm zu. »Ich habe mit dir zu reden.«

Aber der Knabe rührte sich nicht, sondern entgegnete nur: »Redet immerhin, ich höre.«

»Gezücht!«, murmelte der Reiter. Dann fuhr er lauter fort: »Wo ist Fiametta?««

»Wo ist der Morgenstern?«, sagte der Knabe mit unverkennbarer Trauer, »zwei der unseren zogen aus, sie zu suchen.«

Jener schien einen Augenblick nachzudenken, dann hob er eine Menge Silbergeld aus der Tasche und hielt es hoch empor, damit der Knabe es besser sehen konnte.

»Das soll dein sein«, sprach er in überredendem Ton, »und weit mehr noch, wenn du meine Fragen ohne Rückhalt beantworten und meinem Wink gehorchen willst.«

Die schwarzen Augen des Burschen blitzten heller als die Abendröte, deren letzter Strahl auf den Wipfeln der hohen Tannen allmählich verglomm. Dann ließ er sich rasch an dem knorrigen Stamm des Baumes hinab, doch nur so weit, bis er eine seiner Hände denen des Reiters nähern konnte.

»Du bist ein vorsichtiger Spitzbube, meiner Treu!«, rief der Fremde lachend, indem er die Münzen, eine nach der anderen, in die geöffnete Hand des Knaben fallen ließ. »Hier hast du und nun rede.«

»Fragt, Herr«, sagte der Knabe mit schlauem Lächeln, »Ihr besitzt einen Schlüssel, der Felsen zu öffnen vermag, Jakomos Herz liegt offen vor Euch.«

»Gut, gut! Wo ist Fiametta?«

»Ich weiß es nicht«,« entgegnete Jakomo, wie er sich selbst genannt hatte. »Sie verschwand aus unserem Lager mit dem Fremden, den Ihr sicherstellen wolltet vor Verfolgern und den sie zu einem Schlupfwinkel führen sollte.«

»Höre, Bursche«, sagte der Reiter und zügelte sein ungeduldiges Ross, »ich will, ich muss sichere Kunde von Fiametta und ihrem Tun haben. Was du zu erspähen vermagst, trage mir zu. Am östlichen Saum des Walds liegt eine einsame Hütte, nur bewohnt von dem Einsiedler, den das Volk wie einen Heiligen verehrt.«

»Ha!«, rief der Knabe, »der weise Phileta!«

»Du kennst ihn?«, fuhr der Reiter mit gehobener Stimme fort. »Wohlan, wende dich an ihn mit allem, was mich betrifft, denn es könnte sich leicht ereignen, dass mehrere Tage vergehen, ehe ich wiederkehre.«

»Sorgt nicht, Herr«, sprach der Knabe, »ich will Euch redlich dienen.«

Der Fremde wendete sein Ross. Bald verhallten in der Ferne die Hufschläge desselben und abendliche Stille breitete sich über das Dunkel des Waldes aus. Nun verließ auch der Knabe den Baum und strebte der Lichtung zu, auf welcher die Zigeuner am Mittag gelagert hatten.

 

In seinem Schlafgemach schritt Herzog Friedrich auf und nieder. Voll Erwartung und Ungeduld zog er bald die schweren Fenstervorhänge zurück und lauschte in die stille Nacht hinaus, bald beugte er sich auf den alten bestäubten Folianten hin, der aufgeschlagen auf dem runden Eichentisch inmitten des Zimmers lag. Mitternacht war längst vorüber. Schon begannen die Kerzen in dem Gemach des Fürsten niedrig und trübe zu brennen, da vernahm des Lauschenden Ohr plötzlich rasche Hufschläge. Bald darauf ertönten Schritte im Vorgemach, der Herzog blickte gespannt zur Tür, der Kammerdiener öffnete, und der Hofalchemist von Mühlenfels trat ein.

»Ha, seid Ihr es endlich!«, rief ihm Herzog Friedrich entgegen, dessen vom Nachtwachen bleiches Gesicht, dessen am Schmelztiegel gerötete Augen einen seltsamen Kontrast zu dem vollen, blühenden Antlitz des ehemaligen Barbiers bildeten. »Sprecht, was bringt Ihr?«

Mühlenfels, der ehrerbietig stehen blieb, während der Herzog sich erschöpft in einen Sessel niederließ, schien sich zu besinnen, als müsste er weit ausholen.

»Lange«, sprach er, »opferte ich meine Zeit und meine Kräfte umfassenden Studien, welche das höchste Ziel zu erreichen strebten, – die Erlangung jener wunderbaren, alle Kräfte der Natur in sich vereinigenden Essenz, von welcher wenige Tropfen reichen, gemeines Metall in edles Gold zu verwandeln, Menschen von langjährigem Siechtum zu befreien, die Schwäche des Alters zu heilen, langes Leben …«

»Ich bitte Euch, erspart mir das!«, unterbrach der Herzog diese Tirade des Alchemisten, der in die marktschreierische Geschwätzigkeit seines ehemaligen Standes zurückzusinken schien. »Zwei Nächte wart Ihr abwesend, um den Inhalt des wundersamen Destillierkolbens zu prüfen, den ihr zubereitet hattet. Sagt, was Ihr fandet und ob das Werk geglückt ist.«

»Mein gnädigster Herr, es ist geglückt!«, entgegnete feierlich der Alchemist, zog eine kleine Phiole von ungewöhnlicher Gestalt hervor, in der sich eine graue körnige Substanz befand, »Ihr seht mich bereit, die Probe zu machen, wann und wo Ihr es befehlt.«

»Täuscht mich nicht, Mühlenfels«, sagte der Herzog fast drohend. »Mein furchtbarster Zorn würde Euch treffen. Seht Euch vor!«

Statt der Antwort näherte Mühlenfels sich der Tür des Schlafgemachs, öffnete sie und rief dem Kammerdiener zu: »Basilik! Seine herzogliche Durchlaucht befehlen, dass Ihr sogleich das Kohlenfeuer zündet und einen Schmelztiegel mit der nötigen Apparatur bereithaltet.« Darauf sich zu dem Fürsten wendend, fügte er mit tiefer Verneigung hinzu: »Ich bitte Euch, wählt selbst das Metall, welches Ihr verwandelt zu sehen begehrt.«

Der Herzog, noch immer ungläubig, folgte dem Alchemisten in das Nebengemach, wo Basilik schon eifrig beschäftigt war. Dann wurde ein mäßig großer Tiegel zur Hälfte mit zerstücktem Blei gefüllt, das Herzog Friedrich selbst unter den dort aufgeschichteten Blöcken gewählt hatte, und nun entstand eine lautlose erwartungsvolle Stille, bis das Metall, von der Hitze ergriffen, langsam in sich zusammenschmolz und mit einer feinen grauen Haut sich überzog. Daraufhin öffnete Mühlenfels die Phiole, schüttete daraus ein weniges, in Jungfernwachs verhüllt, auf die Masse, und streckte die Hand nach dem Stäbchen aus, welches der Herzog selbst ihm darreichte, um die Mischung umzurühren. Ein leichter Duft stieg empor, kräuselte sich in seltsamen Figuren und ließ im Tiegel ein rötlich glänzendes Metall zurück.

»Werft es in Wasser!«, rief der Herzog, »lasst es schnell erkalten, – nicht länger trag’ ich diese Pein!«

Kaum hielt er sich zurück, bis die abgekühlte Masse gelb und goldig ihm entgegenleuchtete. Mit zitternden Händen griff er hinein und eilte, die Probe zu machen. es war Gold, gutes Gold, jedes Korn – da waltete kein Zweifel mehr, wer auch immer das Pulver bereitet haben mochte. Herzog Friedrich stand noch über die Masse gebeugt, mit angehaltenem Atem, mit klopfenden Pulsen und weit geöffneten Augen, als schaue er in das geheimnisvolle Reich im Schoß der Erde, wo Gold- und Silberstufen in endlosem Glanz sich türmen, blinkendes Edelgestein leuchtet in farbigem Schmelz.

»Es ist wahr!«, sagte er endlich wie zu sich selbst, denn er vergaß, dass noch andere an diesem Triumph der heiligen Kunst teil hatten. »Es öffnet sich die Pforte zu den verborgenen Schätzen der Erde, und mein, mein ist die zauberische Blume, deren Kraft die Schranken sprengt, die mich noch zurückhielten.«

Da fiel sein Blick auf die schweigenden Zeugen dieser unangemessenen Freude und ein Schatten überflog die erregten Züge. Doch bald glättete sich die verfinsterte Stirn wieder, er streckte dem Alchemisten die Hand entgegen, die dieser ehrfurchtsvoll an seine Lippen drückte, und sprach mit Huld: »Das Gold Eures Wissens und Könnens hat sich bewährt, wie keines je zuvor, und was jener prahlerische Sędziwój …«

Mühlenfels zuckte zusammen, seine Wange erbleichte.

Aber der Herzog bemerkte es nicht, sondern fuhr mit gehobener Stimme fort: »Was jener Sędziwój zu schaffen verhieß und nicht zu leisten imstande war, habt Ihr vollbracht. Ruhm und Ehre sollen Euch dafür in reicher Fülle zuteil werden. Doch jetzt geht zur Ruhe, Ihr bedürft derselben nicht minder als ich!«

Ein unheimlicher Klang durchzitterte das Gemach, als der Herzog diese Worte sprach, und zum anderen Mal erbleichte die Wange des so gnädig Entlassenen, denn es überfiel ihn wie schwere Ahnung des künftigen Geschickes.

»Was war das?«, fragte der Herzog und schaute suchend umher. »Seht nach, Basilik, ob eine der Phiolen sprang. Nicht? Nun, es war vielleicht nur Täuschung. Gute Nacht, oder besser, Guten Morgen!« Damit ergriff der Herzog mit eigenen Händen das Gefäß, welches die kostbare Beute dieser Nacht enthielt, trug es in sein Schlafgemach und schob den Riegel vor. Der Hofalchemist aber schwankte hinaus, wie zu Boden gedrückt von geheimer Schuld, und Basilik schaute ihm verwundert nach.

 

»Dort ist die Grenze«, sprach Fiametta, und deutete mit der ausgestreckten Hand auf die zur Ebene gedehnte Talöffnung am Fuß des Berges, auf welchem die beiden standen, hinabblickend zu den Wassern der Murg, die sich eilenden Laufs dahinschlängelte, hinaufschauend zu dem klaren Sommerhimmel, in dessen Bläue nur hier und da vereinzelte Wölkchen wie duftige Silberflocken schwammen.

»Drüben, wo die Berge aufhören«, begann die Zigeunerin von Neuem und war bemüht, ihrer Stimme größere Festigkeit zu geben, »drüben senkt das Land sich hinab zu dem grünen Wasser, das du Rhein nennst. Dorthin, den goldenen Sonnenball über dir, rechts das fließende Wässerlein, gelangst du zu der Stadt mit dem prächtigen Münster, nach der dir der Sinn steht und wo du Freunde zu finden hoffst.«

Sie schwieg. Mit geisterhaft prophetischem Blick, als senke die magische Entzückung ihrer rätselvollen Stammeltern sich herab auf das heimatlos irrende Kind des dunkelfarbigen Geschlechts, schaute sie in der Sonne glänzendes Licht.

»Du stürmst hinauf«, sprach sie, »hinauf zur Burg des Löwen mit dem geflügelten Wort auf der Pergamentrolle, welche der Bote und sein schnelles Ross dahintragen. Der Pfeil wird treffen. Eine finstere Schar zieht hinaus, den armen Sünder in der Mitte, schreiend im Flug über ihm die Raben. Begierig streckst du die Hände nach dem Kleinod aus, um dessen Besitz du dein Leben wagen würdest. Doch es zerflattert in Luft und du wirst unter den Suchenden bleiben.«

»Du willst mir nicht folgen«, fragte der Pole mit innigem Ton, »willst zurückkehren in jene Schluchten, in denen Verrat auf dich lauert?«

»Die Kinder Ägyptens verraten nicht ihr eigenes Blut«, unterbrach Fiametta ihn mit Heftigkeit. »An ihrem Feuer ist mein Platz, in ihrem Zelt meine Ruhestätte. Dem Christen, dem ich folge, bringt mein Wissen nur Verderben.«

»Ich werde dich schützen«, sagte der Alchemist, »wenn du auf den Arm der deinen so fest vertraust, weshalb riefst du sie nicht herbei, als der Frevler mich binden ließ und mir mein Eigentum entriss?«

»Der Wald ist unsere Heimat«, rief Fiametta, »und jener würde uns vertrieben haben, hätte ich offenen Widerstand geleistet. Den Zigeuner schützen eure Fürsten nicht so viel wie den Hund, der in ihrem Stall schläft.«

»Wann sehe ich dich wieder?«, fragte Sędziwój, der in ihren Augen las, dass keine Überredung ihre Entschlüsse wankend machen konnte.

»Wenn die Zeit sich erfüllt und du einsam bist«, entgegnete das Mädchen und hob ihre Blicke voll heiliger Glut auf zu ihm. »Lebe wohl!«, sagte sie. Ihre Stimme bebte, ihre schlanken Glieder zitterten. »Der Sonne Strahl webe über dir mild und hold, der Mond verletze dich nicht mit seinem kalten Schein. Lebe wohl!«

Und ehe er etwas zu erwidern vermochte, ehe ein Entschluss ihn drängte, sie zurückzuhalten, war sie im Gebüsch verschwunden.

»Fiametta!«, rief er schmerzvoll. Aber nur das Echo trug den Namen leise und traurig zurück.

 

Jacomo durchstreifte suchend die Gegend um den Turm, allein die Wächter verscheuchten ihn und drohten ihm mit strenger Strafe, falls er sich wieder in ihrer Nähe zeigen würde. So umkreiste er sie in weitem Bogen und seinen scharfen Blicken entging das Seil nicht, welches er von der Zinne des Turmes straff zur Erde reichen sah. Dieses ihm wohlbekannte Zeichen überzeugte den Burschen, dass ein Gefangener von dort seine Freiheit gesucht habe und glücklich entkommen sei. Rasch verknüpfte sich in seinem regsamen Geist die ganze Folge der Ereignisse und er wusste sogleich, dass dem Reiter im schwarzen Mantel viel daran gelegen sein müsse, die Art dieser Rettung genau zu kennen. Doch wagte er nicht, ihm mitzuteilen, was er erraten hatte, denn der Turm galt in mannigfacher Beziehung für einen sicheren Zufluchtsort und eben das Tau bewies ihm, dass bei jener Entweichung Leute seines Stammes tätig gewesen seien.

Je weiter der Tag vorrückte, desto weniger vermochte er seine Neugier zu zügeln. Und kaum begannen die tieferen Schatten der Nacht sich herabzusenken, als Jacomo sich durch das Farnkraut dem Turm näherte, unbemerkt von den Männern, die ja nur von Zeit zu Zeit an der noch immer wohlverriegelten Tür rüttelten oder zu den Fensteröffnungen träge emporblickten.

Jacomo schlang das Seil fester um die Wurzel, an die es Sędziwój geknüpft hatte, dann schaute er bedächtig umher und kletterte ohne große Mühe hinauf. Als er den Turmkranz erreicht hatte, verschwand er in der Treppenöffnung und schritt vorsichtig tastend hinab, denn es war misslich, Licht anzuzünden, dessen Schein durch die Fenster bemerkt werden musste.

Am Fuß der gewundenen Treppe berührte die Hand des Knaben jene Leiter, die es dem Polen möglich gemacht, die Falltür zu erreichen, mühsam hob er die schwere Klappe empor, lauschte, und als er keinen Laut unter sich vernahm, versuchte er, in das Turmgemach zu gelangen. Glücklich erreichte er von der Öffnung aus die Sprossen und durchsuchte nun den Raum, der sich völlig leer erwies.

»Ah«, sagte er zu sich selbst, »hier verbarg also Fiametta den Fremdling, hierher wusste sie die Stäbe zu schaffen, die ich wiedererkenne, denn ich, Jacomo, habe sie geschnitzt. Sie erzählte ihm, wo das Seil versteckt lag, es war also ihr Wille, dass er entkam, gewiss geleitet sie ihn, bis er in Sicherheit ist. Silber erschließt wohl meine Zunge«, fuhr er im Selbstgespräch fort, »aber sie wird nichts verraten, was Fiametta Schaden brächte.« Er erstieg die Leiter und tastete nach der Falltür. Vielleicht hatte er sie nicht sicher oder nicht weit genug zurückgelegt, oder er stieß unvorsichtig daran. Sie schwankte und schloss sich plötzlich über ihm mit einem Geräusch, das laut schallend nach außen drang.

Erstaunt liefen zwei der Wächter herbei, denn die beiden anderen waren zu einem erfrischenden Trunk in das nächste Dorf zurückgekehrt. Als sie durch die Tür noch immer keinen Eingang gewinnen konnten, eilten sie um die Mauerecke und erblickten nun das Seil. Hier, dachten sie, wolle der Gefangene entweichen, der sich ohne Zweifel noch im Turm befinde. Sie harrten im Farnkraut versteckt, doch es rührte sich nichts und es schien gewiss, dass irgendjemand bei der beabsichtigten Flucht beteiligt war. Wie konnte sonst das rettende Seil so fest um jene Wurzel geschlungen sein?

Nach vergeblichen Harren und Erwägen schlich der eine von ihnen vorsichtig zurück. Sein lauter Ruf zog den zweiten Wächter herbei. Offen stand die Tür, leer war das Gemach, die Leiter verschwunden.

»Zünde eine Fackel an«, gebot endlich der Entschlossenste von ihnen. Auf dem Boden zerstreut sahen sie die Überreste der Stricke, mit denen sie ihren Gefangenen so fest geschnürt erachtet hatten, unter ihnen ein Pergamentstreifen und ein Messer. Was auf dem Ersteren geschrieben stand, vermochten sie, des Lesens unkundig, nicht zu entziffern. Ein unheimliches Gefühl überkam sie in der stillen Nacht.

War der Gefangene vielleicht einer von den Fahrenden, die ihr höllischer Meister durch die kleinsten Öffnungen entschlüpfen lassen konnte? Zu welchem Zweck sonst die kabbalistischen Zeichen auf jenem Pergament, jener donnerähnliche Klang, die Befestigung des Seils? Und wenn sie dem Ritter, auf dessen Geheiß sie den Turm bewachten, auch die volle Wahrheit mitteilten, würde er, statt ihnen zu glauben, sie nicht vielmehr anklagen? Kurz war die Beratung: die treulosen Hüter beschlossen, sich eiligst davonzumachen und ihre Person allen Nachforschungen zu entziehen.

Bald lag der Platz in ununterbrochenem Schweigen da. In den Wipfeln der hohen Waldbäume flüsterte der Nachthauch. Über sie hinauf schiffte die Sichel des Mondes, deren blasse kalte Strahlen des Turms öde Zinne trafen.

Als die beiden anderen Wächter am Morgen des nächsten Tages ihr Amt antreten wollten, fanden sie die Gefährten verschwunden, die Tür des Turms offen. Da folgten auch sie demselben Entschluss und entflohen.

Der Verhüllte im schwarzen Mantel, der Edle von Mühlenfels, kehrte nicht zu jener Stelle zurück, wo er so schwer gegen den Fremden gesündigt hatte. Wie konnte er auch jetzt den Hof verlassen. Gleich dem Sonnengold, blendend und erdrückend zur selben Zeit, häuften sich die Strahlen fürstlicher Huld auf sein Haupt, und fast schien ihm ein Gefangener in dem wohlverwahrten Käfig der herzoglichen Gemächer zu sein. Dort beugte er seine Stirn in heuchelnder Demut, wenn er aber hinaustrat unter die Schar der Höflinge, lag der freche Stolz des Niedriggeborenen in jedem Zug seines Angesichts.

Nun saß er in dem Laboratorium seines fürstlichen Herrn und schaute mit geheimen Seufzern auf die Massen unedlen Metalles, welche noch verwandelt werden sollten, ohne dass die Arbeit ihm selbst Erkleckliches einzubringen verhieß. Welch’ ein Tor war er, den Glück bringenden Schatz nicht für sich bewahrt zu haben! Floss der Löwenanteil nicht in die alles verschlingende Kasse des Herzogs? Und ihm blieb nichts als die Ehre, nichts als der falsche Ruhm, jene wundersame Tinktur bereitet zu haben, von der er doch nicht ein Stäubchen zusammenzubringen vermochte.

Plötzlich ertönten mehrfache Tritte auf dem Steinboden des Nebengemachs.

Die Tür flog auf, der fürstliche Herr erschien im vollen Schmuck, das Schwert an der Seite, wie zur Fehde gerüstet. Eine Schar von der Leibwache füllte hinter ihm das anstoßende Zimmer, aus deren Mitte Meister Hans im roten Mantel trat und dem gnädigsten Herrn in das Laboratorium folgte, das er sorgsam hinter sich verschloss.

Herzog Friedrich hielt ein offenes Schreiben in der Hand und seine Blicke verkündeten Unheil.

»Da, lest!«, rief er und warf seinem getreuen Adepten die Schrift fast ins Gesicht. Dann schränkte er die Arme übereinander und wartete. Nichts regte sich. Man vernahm nur das Rascheln des Pergaments in den bebenden Händen des Schuldbeladen. Kalter Schweiß bedeckte seine Stirn. Sędziwój hatte sich in einer langen und ausführlichen Beschwerdeschrift an den Herzog gewandt, legte ihm in besonnener und klarer Darstellung die Fäden jenes abscheulichen Gewebes bloß und forderte Gerechtigkeit, Gerechtigkeit für des Herzogs Ehre und für die schmähliche Beraubung, die an ihm selbst vollzogen war.

»Nun, was sagt Ihr dazu?«, unterbrach der erzürnte Fürst die peinvolle Stille. »Denkt nicht, Euch mit verstecktem Trug zu lösen, Eure Taten zeugen wider Euch. Nicht ein Adept seid Ihr, nicht einmal ein Forscher oder Suchender, ein verächtlicher Dieb, ein Straßenräuber, entweiht Ihr mit Eurer Gegenwart den Boden selbst, auf dem Ihr steht. Wo ist das Eigentum jenes polnischen Edelmannes? Gebt heraus, was Eure Hände nie berühren sollten, augenblicklich!«

Vernichtet sank der unglückselige Barbier zu den Füßen seines strengen Gebieters, allein Herzog Friedrich stieß ihn wild zurück.

»Den Wissenden habt Ihr verräterisch hinweggelockt, und dadurch alle die glänzenden Erfolge vereitelt, deren Ruhm mein Haus verherrlichen sollte«, rief er, »aber ich werde eine Rache an Euch nehmen, wie sie solchem Tun gebührt. Wo ist der Schatz?«

Mühlenfels zog die kleine Phiole hervor und stellte sie auf den Tisch im Laboratorium. »Dies?«, sagte der Herzog spöttisch, »geht doch, ich bin besser unterrichtet.« Ein Gedanke schien in ihm aufzublitzen. »Meister Hans«, fuhr er zu diesem gewendet fort, »verlass uns. Ich werde dich rufen lassen, wenn ich deiner bedarf.«

Der Henker ging und der Fürst blieb allein mit dem armen Sünder. Was dieser ihm bekannt und ob er ihm den ganzen Raub ausgeliefert, erfuhr niemand. Aber in einer der nächsten Nächte erblickte der Mond den Edlen von Mühlenfels im flittergoldenen Kleid an dem Alchemistengalgen.

 

Sędziwój kehrte nicht an den Hof zu Stuttgart zurück, obwohl der Herzog mit huldvollen Verheißungen ihn einlud und ihm die Wiedererlangung seines Elixiers in lockende Aussicht stellte. Denn es schwebte ihm das Schicksal derer vor, welche die Höhle des Löwen nicht wieder verlassen hatten.

Hier und da tauchte die Erscheinung des Alchemisten in den darauffolgenden Jahren noch auf, doch was er vollendete, eine bloße Färbung der Metalle, war der heiligen Kunst nicht würdig. In das Gebirge zurückgezogen, in einsamer Hütte unablässig dem Studium der hermetischen Wissenschaft ergeben, sah er niemanden um sich, wie die Sage kündet, als eine braune Frau mit dunklen, flammenden Augen. Diese Frau nannte er Fiametta.