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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der bayerische Hiesel – Teil 4

Der-bayerische-HieselFriedrich Wilhelm Bruckbräu
Der bayerische Hiesel
Wildschützen- und Räuberhauptmann, landesverrufener Erzbösewicht

Der kühne Sprung

Das Landgericht Friedberg kannte die Scheu Hiesels vor dem Soldatenleben sehr wohl. Elfmal war es ihm gelungen, sich frei zu losen, und der Landrichter ärgerte sich nicht wenig, dass ihm ein so hübscher Rekrut so oft entwischte.

Er hatte sogar öfter die Werber auf Hiesel aufmerksam gemacht, die sich alle erdenkliche Mühe gaben, ihn in ihr Netz zu bringen. Da Hiesel aber nie dem Trunk ergeben war und ihre großen Versprechungen nicht beachtete, mussten sie immer mit langer Nase abziehen.

Die Anzeige von der Misshandlung der drei Jäger durch Hiesel kam also dem Landrichter gerade erwünscht.

»Hab’ ich dich doch einmal, Hiesel«, rief er ihm lachend zu, als zwei Husaren ihm in das Verhörzimmer führten. »Du hast saubere Geschichten angefangen. Erstens bist du eines Wilddiebstahles verdächtig, zweitens hast du die drei Jäger auf den gerechten Tod geprügelt. Freilich mildert der Umstand deine Schuld, dass sie dich zuerst mit harten Worten anfielen. Allein die Selbsthilfe ist allemal verboten, solange es einen Richter gibt, bei dem man klagen kann. Die beiden Anzeigen liegen nun einmal vor. Ich muss die Untersuchung gegen dich einleiten, und bis zum Ausgang derselben dich im Amtshaus als Arrestanten behalten. Diese Untersuchung kann wohl ein halbes Jahr dauern. Willst du die schöne Zeit so elend zubringen? Das täte mir leid um dich! Und was gewinnst du dabei? Höchstens, dass du noch ein Vierteljahr in ein Korrektionshaus kommst, wo du spinnen und Wolle kratzen musst. Noch steht es bei dir, dich aus dieser Verlegenheit zu ziehen. Lass dich anwerben, werde Soldat, so hat die ganze Geschichte ein Ende und es kann aus dir mit der Zeit noch etwas Rechtes werden.«

»Gnädiger Herr Landrichter«, erwiderte Hiesel. »Ich bin Ihnen für Ihren guten Rat dankbar. Übrigens muss ich Ihnen erklären, dass ich kein Wilddieb bin, und dass ich nichts bereue, als dass ich die drei Jägerhalunken nicht gleich totgeschlagen habe. Denn, wer mich an der Ehre angreift, der bringt mich um. Da wollt’ ich doch lieber gleich sterben, als im Amtshaus auch nur 24 Stunden lang sitzen. Ich werde Soldat! Vivat, der Kurfürst soll leben!«

»Bravo, Hiesel!«, rief der Landrichter aus, und drückte ihm die Hand. »Die Herren von der Konskription in München werden sich freuen, wenn sie deinen Namen in der Liste lesen. Geh jetzt in die Küche, und lass dir Fleisch und Bier geben!«

Hiesel war seelenvergnügt über diesen unverhofften Ausgang der Sache, machte sich gleich mit seinen Kameraden vertraut, aß und trank mit dem größten Appetit. Dann folgte er den Werbern in das nahe am Abhang des Berges gegen Augsburg liegende Wirtshaus, wo sich auch die übrigen Rekruten einfanden, und suchte die Traurigen unter denselben mit allerlei Späßen aufzuheitern.

Weil Hiesel zur Strafe Soldat werden musste, bekam er kein Handgeld. Deswegen fehlte es ihm aber nicht an guter Münze, die er noch von dem Hirschhandel in der Tasche hatte. Er ließ immer volle Krüge bringen und trank den Werbern tapfer zu. Diese freuten sich des lustigen Gesellen und hatten nicht den geringsten Argwohn, als Hiesel plötzlich durch eine Hintertür entwischte und durch den Garten bergabwärts rannte, dem Dorf Appertshausen zu, jenseits des Lech, damals in Schwaben gelegen, wo er sich vor jeder Nachstellung gesichert halten konnte.

Aber eben, weil Hiesel unter allen der Lauteste und Lustigste gewesen war, vermisste man ihn bald in der allgemeinen Stille.

Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht in Friedberg: »Der Hiesel ist durchgebrannt!« Und der Herr Landrichter beliebte zu äußern: »Das ist doch ein Teufelskerl, der Hiesel!«

Von der Anhöhe des Berges aus sah man ihn in Richtung Grenze laufen. Von Jugend an auf Weiden und in Wäldern erstarkt, durch das Einholen verirrter Stiere, Ochsen und Kühe im Schnelllaufen geübt, hatte er schon einen bedeutenden Vorsprung, als er hinter sich eine dichte Staubwolke erblickte, die ihm seine Nachsetzer verkündete.

Hiesel verdoppelte seine Eile, allein Husarenpferde laufen doch besser als Menschenfüße.

Ein breiter Wassergraben trennte die Verfolger von Hiesel, der etwa noch 200 Schritte bis zur Lechbrücke hatte, welche auch sogleich von den Husaren besetzt wurde, die ihn dort mit aller Gewissheit in Empfang zu nehmen gedachten.

Hiesel machte auch eine Wendung rechts auf dem schmalen Uferdamm des Lech, als wolle er der Brücke zueilen. Doch plötzlich sprang er in die reißende Tiefe und verschwand vor den Augen der erstarrten Husaren.

Weit unterhalb der Brüche tauchte er wieder empor. Die Verfolger sprengten am Ufer nach und schossen viermal auf den Hiesel. Eine Kugel verwundete ihn leicht an der rechten Schulter. Er tauchte noch einmal unter, und erklomm mühsam das Ufer auf schwäbischem Grund und Boden. Die langsam heranreitenden Husaren hatten das Nachsehen.

 

***

 

Bei diesem Abenteuer entwickelte Hiesel zwei Eigenschaften seines Gemüts: Verstellung und Geistesgegenwart. Als ihm der Landrichter die Wahl zwischen dem Arrest und dem Soldatenstand ließ, war sein Entschluss schnell gefasst. Aus dem Arrest wäre er vielleicht nicht entkommen. Aber den Werbern eine Nase zu drehen, schmeichelte eben so sehr seiner Schlauheit wie seiner Freiheitsliebe.

Die Entschlossenheit, womit er durch den kühnen Sprung in den Lech seinen Verfolgern entging, bestärkte ihn völlig in dem Vertrauen auf sich selbst, das er späterhin bis zur äußersten Verwegenheit steigerte. Mit dem Sprung ins Wasser war Hiesel aus dem Kreis des friedlichen Lebens hinausgesprungen. Von nun an werden wir ihn auf der Bahn der Verbrechen wandeln sehen.