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Der Freibeuter – Der Hamburger Spion

Der Freibeuter
Erster Teil
Kapitel 20

Während der ambitiösen Expektorationen der Frau Ankarfield war es auch zwischen Flaxmann und jenem ihn betrachtenden Spieler zu gegenseitigen Äußerungen gekommen. Dieser verwegen aussehende Kerl hatte offenbares Unglück im Spiel, und ein Taler um den anderen rollte aus seiner Hand in die Taschen der Mitspieler. Dem ungeachtet richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Reden der Wirtin und spannte sein lauerndes Ohr, als er von den Geldsäcken der im Haus wohnenden Fremden und den Ort, wo dieselben aufbewahrt seien, hörte. Endlich war der Mensch beutelleer und wandte sich mit einem widrigen Grinsen an Flaxmann.

»Mir geht’s wie Euch, guter Freund, vor fünf Wochen in Hamburg. Schade, dass ich nicht auch noch eine goldene Dose zu verlieren habe, wie Ihr.«

»Ich habe Euch in jener Gesellschaft bemerkt, und wenn ich nicht irre, so spracht Ihr an jenem Morgen, wo ich von Schurken und Falschspielern um all das meine betrogen wurde, mit dem Leutnant Kreuz am Fenster, und auf Euren Rat ließ ich mich anwerben. Gingt Ihr nicht mit bis nach Altona? Ja, ja Ihr wart dabei. Ich befand mich zwar damals in einem sehr aufgeregten Zustand, aber mir fallen doch alle kleinen Umstände ein, und es bleibt mir kein Zweifel übrig, Ihr seid einer der berüchtigten Helfershelfer und Spione des ungeschlachten Leutnants.«

»Das gehört mit zum Handel und Wandel in der Welt«, entgegnete der Spion lachend. »Wer mich bezahlt, dem dien’ ich. Wer sich betrügen lässt, ist selbst schuld daran. Zwang kann ich niemandem antun. Übrigens beweist ja Eure Gegenwart klar und deutlich, dass Ihr den König von Dänemark oder den Leutnant Kreuz auch ums Handgeld betrogen habt. Und darum wird Euch kein kluger Mann verdenken.«

»Ihr mögt in diesem Stück Eure besonderen Ansichten haben. Übrigens bin ich schwedischer Kriegsgefangener geworden und habe weder den König von Dänemark noch den Leutnant Kreuz betrogen, denn das Schiff, welches mich mit den übrigen Rekruten nach Kopenhagen transportieren sollte, wurde von einem schwedischen Kaper als Prise genommen.«

»Und wollt Euch hier im Haus als Kriegsgefangener ein Quartier mieten?«, fragte der Kerl und verzog sein breites hässliches Gesicht zur spöttischen Lache. »Die Dame dort hat wohl auch mit zu den Rekruten gehört und ist mit Euch in schwedischer Gefangenschaft? Ihr habt Euch ein erträgliches Geschäft und kurzweilige Gesellschaft gewählt.«

Flaxmann unterdrückte seinen Unwillen über die frechen Reden des gemeinen Menschen und erwiderte bloß: »Ich sehe nicht ein, wie ich dazu kommen sollte, Euch die Art und Weise meines Hierherkommens mitzuteilen. Weiß ich doch noch viel weniger, wie Ihr von Hamburg hierher gekommen seid.«

»O! Das kann jedermann wissen«, rief der andere herausfordernd. »Mein gnädiger Patron, der Leutnant Kreuz hat seine goldenen Füchse einmal alle unter die Philister gejagt und war so pauvre geworden, dass er nicht nur Kutsche und Pferde, sondern sogar Rock und Hemd vom Leibe verkaufen und in ein elendes Dachstübchen kriechen musste. Man kann das dem Mann nicht zur Last legen. Er hatte Unglück im Spiel, wie Ihr und ich. Es war natürlich, dass er nicht an seine Leute denken konnte, er war ja selbst in größter Kalamität. Jeder von uns musste auf seine eigene Faust leben. Ich aber war unglücklicherweise eben auch gräulich abgebrannt und in meinem Kopf und Beutel sah’s aus, wie in der Welt am ersten Schöpfungstag, wüst und leer. Da machte ich mit einem russischen Schiffskapitän Bekanntschaft. Er gab mir das Logbuch zu führen und die Küchenrechnung zu machen, und so sind wir mit guter Fracht nach Stockholm gekommen. Ich pflege in jeder Stadt gern lustige Häuser zu besuchen, und da das Schiffsvolk hier bei Frau Ankarfield einkehrt und sich von ihr Bart und Geld abnehmen lässt, so bin ich zu gleichem Zweck hier. Das Geld bin ich los, den Bart noch nicht. Wo steckt die Frau?«

»Da kommt sie eben über die Straße«, sagte ein Bürschlein, welches Sohn, Kellner und Barbierbursche zugleich war. »Wenn Ihr befehlt, mein Herr, so will ich Euch des Bartes entledigen.«

»Und des Kinnes dazu, Junge. Du magst deine Schabekunst an Delinquenten lernen. Mein Gesicht ist bis jetzt noch zu gut dazu. Ich weiß schon, dass deine Mutter Messer und Wort gleich trefflich führt, und nur von ihr will ich bedient sein. Wie heißt der schwedische Kaperkapitän, dem Ihr anheimgefallen seid, Herr?«

»Norcroß«, versetzte Flaxmann mürrisch.

»Norcroß?«, rief ein wohlgebildeter Mann, der auf derselben Bank saß, früher mitgespielt und das meiste Geld gewonnen hatte, derselbe, welcher von der Wirtin dem kleinen Juel als Kammerdiener der im Haus wohnenden vornehmen Fremden bezeichnet worden war.

»Ist er nicht ein Engländer?«, setzte er in gebrochenem Deutsch hinzu, denn Flaxmann und der Spion hatten zeither deutsch gesprochen.

»So ist es«, versetzte Flaxmann englisch, »und Ihr seid sein Landsmann, Herr, denn Eure Sprache verrät Euch.«

Der Mensch stand aber ohne zu antworten auf und ging hinaus.

»Norcroß?«, hatte auch der Spion gerufen. »Der saß ja in Hamburg mit uns am Tisch. Wir haben’s nachher wohl erfahren, dass er’s war. Seine Fregatte lag in Cuxhaven. Es ist ein kühner Freibeuter.«

»Wer war der hübsche Mann, der soeben hinausging?«, fragte Flaxmann.

»Ein Spitzbube, der uns das Geld abgenommen hat«, versetzte der Spion.

»Er dient der fremden Dame, die im Haus wohnt, trägt sich wie ein Gentleman und hat alle Taschen voll Geld.«

Eben trat Frau Ankarfield in die Stube.

»Es ist gut, dass Ihr kommt, Frau«, sagte der Spion zu ihr. »Mein Bart stachelt mich ganz verteufelt, seit ich mein Geld verlor. Nehmt ihn mir ab.«

»Ihr tut mir viel Ehre an«, versetzte die Frau flüchtig und wandte sich dem Fräulein zu. »Ich habe die Ehre, Euch zu vermelden, mein gnädigstes Fräulein, dass Euer Freund sogleich bei meiner Tochter anziehen kann. Ihr zahlt für Logis mit Möbeln monatlich vier Reichstaler. Die Kost könnt Ihr bei mir für ihn nehmen. Für Rock, Kamisol, Beinkleider, seidene Strümpfe, Manschetten, Perücke soll bestens gesorgt und der Bursche herausgeputzt werden, wie der vornehmste Edelmann. Man muss seine Ambition haben.«

Während dieser Worte schöpfte sie mit einem kleinen blanken Kupfertopf aus einer hinter dem Ofen eingemauerten Kupferblase warmes Wasser, holte vom Kandelbrett über der Kammertür das große messingne Barbierbecken herab, zog aus einem ungeheuren Tischkasten eine Kapsel voll Barbiermesser und den Streichriemen, strich das Messer hurtig und schlug dann Seifenschaum im Becken. Der kleine Kellner hing dem Spion die Serviette um. Frau Ankarfield seifte ihm Kinn und Backen mit gewandter Hand ein und begann mit geschickten Zügen und Wendungen ihm den Bart abzunehmen. Man sah es ihr an, dass sie sich eine Ehre daraus machte, die Männer also zu bedienen.

Nach vollbrachter Arbeit sagte sie pathetisch: »Ich habe die Ehre, Eure Dienerin zu sein.« Sie reichte mit einem Selbstgefühl, wie es den Menschen meist nach einer vollendeten guten Tat zu überkommen pflegt, dem Knaben das Becken dar, welcher dasselbe sofort reinigte, mit frischem Wasser füllte und dem Schiffsmann das glatt rasierte Gesicht rein wusch und abtrocknete. Der Junge wandte seinen Eifer dann dem benutzten Messer zu, und Flaxmann sah, wie während der Geschäftigkeit des Kleinen der Spion eins der Messer aus der Kapsel zog und am Finger prüfte.

Frau Ankarfield bat sich die Ehre aus, ihn in sein neues Logis führen zu dürfen, und versicherte, das Erkerstübchen werde eben geräumt und das gnädige Fräulein bald zur Ruhe und Ordnung kommen. Sodann befahl sie den scheidenden Juel viele Grüße an Meister Habermann an und ließ sich die Ehre ausbitten, sie ja morgen bei frühem Tage mit seiner ihr höchst angenehmen Gegenwart zu erfreuen, weil sie die Ehre haben werde, über höchst wichtige Dinge mit ihm zu konferieren. Friederike und Flaxmann fügten ihre Grüße an den Kapitän Norcroß hinzu. Flaxmann beurlaubte sich mit wehmütiger Wärme vom Fräulein und ging mit der messergeschickten Frau über die Straße. Der Trödler, auch Schneidermeister und Negoziant, empfing ihn schon an der Ladentür mit Bücklingen und einem Schwall unsinniger Redensarten, und seine Frau, das Ebenbild ihrer Mutter, mit einem Säugling auf dem Arm, zwei Kinder an der Seite und noch verschiedenen im Schlepptau ihres weiten vornehmen Rockes, Kapitalstück aus der Trödelbude ihres Mannes, sprach beständig von der Ehre, die ihnen widerführe. Des kleinen hohläugigen Mannes Bestrebungen gingen zuvörderst dahin, seinen neuen Hausgenossen erst zum Mann zu machen, d. h. ihm einen Rock mit Zubehör an den Leib zu ziehen. Er bot, den verdrießlichen Flaxmann vor seine Vorratsschränke führend, all seine weitschweifige Beredsamkeit aus, dem schlecht Gekleideten zu beweisen, wie höchst nötig es in der Welt sei, stets standesgemäß gekleidet zu sein, selbst in dem Fall, dass man keinen Stand habe. Was man nicht habe, müsse man sich zu erwerben trachten, und die erste Stufe zu Stand und Reichtum sei ein vornehmes Kleid. Flaxmann schützte Erschöpfung von der Reise vor und bat, da er doch an diesem Tag nicht ausgehen werde, ihn morgen mit dem Nötigen zu versehen, und ließ sich aufs Zimmer bringen. Sobald er sich dort allein sah, warf er sich auf das unförmliche Ruhebett und überließ sich einem schmerzlichen Gefühl, bis eine dumpf brütende Angst vollen Besitz von seiner Seele nahm.

»Wie?«, rief er endlich aufspringend, »ist das Scheu, mit dem König zu reden? Endlich einmal mit meinem Geheimnis hervorzutreten? Ich mit einem König nicht frei und offen reden! Ich nicht! Aber wurde ich in Dänemark nicht ebenfalls von dieser Scheu zurückgehalten, mich dem König oder dem Kronprinzen anzuvertrauen, und ward ich nicht endlich inne, wie wahr mir meine Ahnung vorgesagt? Wäre es nicht mein Tod gewesen, wenn ich aus meiner Verhüllung hervorgetreten wäre? Und es wäre geschehen, wenn sich die Liebe zu Friederike nicht meiner bemächtigt und eine so gewaltige Herrschaft über mich ausgeübt hätte, dass es mir unmöglich war, an etwas anderes zu denken. Solcher Mittel und wunderbaren Wege bedient sich die ewige Weisheit, uns vom Verderben abzuhalten. Friederike ist, ohne es selbst gewusst, noch gewollt zu haben, die Retterin meines Lebens geworden. Denn ohne sie wäre ich in die Schlingen der Intrige gefallen, die an diesem dänischen Hof für mich lagen. Gottlob! Ich bin der Gefahr entgangen. Aber neue Angst bemächtigt sich meiner. Gott, gib mir einen Lichtstrahl in dieser Finsternis! Heiland, Gottessohn, hilf mir überwinden! Reine Jungfrau, Gottesmutter, steh mir bei!«

Bei diesen Worten nestelte er sein Wams auf, entblößte die Brust und zog das Etui hervor. Dann griff er mit der rechten Hand unter den linken Arm und nahm ein dort an feiner Seidenschnur befestigtes Schlüsselchen. Doch eben so schnell hielt er auch inne, ging vorsichtig zur Zimmertür und schob den Riegel vor, horchte an der Tür, ging leise auf den Zehen an das Fenster zurück und öffnete behutsam das Schloss des Etuis. Das Büchlein sprang auf und an der inneren Wand des Oberdeckels wurden zwei Porträts in Miniatur, ein männliches und ein weibliches, sichtbar. Ein edler Mannskopf mit etwas unbestimmten und verschwommenen Zügen und ein Frauengesicht voll Milde und Majestät, beide schon im vorgeschrittenen Alter. Flaxmanns strahlendes Auge ruhte eine Zeit lang auf diesen beiden Gemälden, und seine Mienen nahmen dabei einen wehmütigen Ausdruck an. Ein paar große Tränen glänzten in seinen Augen, er seufzte und ließ einige Schriften durch die Hand gleiten, welche, den großen Lettern und den aufgedrückten Insiegeln nach zu schließen, Dokumente waren. Nachdem er einen schmerzlichen Kuss auf eines dieser Schriftstücke gedrückt hatte, klappte er das Buch um und nahm ein kleines goldenes Kruzifix und ein daran befindliches Muttergottesbild heraus. Diese stellte er vor sich auf den Tisch und begann sein Gebet zu verrichten. Doch er konnte die Ruhe nicht erringen, die er suchte und die ihm Bedürfnis war, sollte er anders mit Ernst an die Ausführung der Pläne denken, die seinen Geist durchkreuzten. Es war unterdessen Nacht geworden. Auf ein leises Pochen an der Tür fragend, wer da sei, erhielt er die Antwort, die Hausfrau gebe sich die Ehre, ihrem Gast Licht zu bringen und nach besten Befehlen zu fragen. Flaxmann verbarg seine Heiligtümer wieder in die Kapsel und öffnete die Tür. Die Wirtin trat schüchtern herein, überreichte ein paar Kerzen und erwartete so die gewünschten Befehle. Als diese nicht erfolgten, wagte sie es, einige Vorschläge, das Abendessen betreffend, zu tun, welche der junge Mann ohne Weiteres annahm.

Nach einer Stunde brachte die Wirtin das Essen. Er nahm zerstreut einige Bissen, maß dann die Stube mit heftigen Schritten und war in seine vorigen Träumereien versunken. Seine Wangen glühten zuletzt von Fiederhitze, und seine Augen blickten düster. Seine Fäuste ballten sich, und um seine Lippen zuckte es wie lebendig gedachte Flüche und Verwünschungen. Der Raum des Zimmers wurde ihm zu eng, seine Brust wogte stürmisch, er riss das Fenster auf, sich an der Abendluft zu kühlen, und noch einmal nach Friederikes Erkerstübchen hinüber zu sehen. Eine schöne Herbstnacht lag über der Erde. Ihm gegenüber leuchteten zwei Fenster im Erkerstübchen. Der Anblick der Sterne tat ihm wohl, er starrte lange in den Himmel. Der Wechsel seiner Gefühle war zwar noch eben so schnell, aber weniger gewaltsam und stürmisch, und der Schmerz seiner Seele begann sich in Wehmut aufzulösen.

Auf diese Weise vergingen ihm ein paar Stunden.

Er sah die Lichter gegenüber verlöschen und er löschte die seinen, um sich ungestörter den Genüssen hinzugeben, welche die Stille und Feierlichkeit der Nacht bereiten.

Und so hatte er, mit mannigfachen Gedanken beschäftigt, bis nach Mitternacht gestanden. Auf seine Augen wollte sich kein Schlaf senken, da wurde seine Aufmerksamkeit auf ein paar Gestalten gerichtet, welche sich auf der Straße langsam und leise hindrückten. Vor dem Haus der Barbierwitwe hielten sie und berieten sich, wie es schien, miteinander, doch war kein Laut zu vernehmen. Endlich ging einer in die Mitte der Straße und musterte die Fenster des Hauses, dann die der anderen Häuser zu beiden Seiten, und horchte, aus seinen Bewegungen zu schließen, die Straße entlang. Flaxmann hatte sich ein wenig zurückgezogen und das Fenster beigeschoben. Sein Herz klopfte hörbar, er war ganz Auge. Der horchende und spähende Vermummte gab dem anderen mit der Hand ein Zeichen und dieser öffnete sofort entweder mit einem Nachschlüssel oder mit einem Dietrich die Haustür. Beide huschten hinein und lehnten die Tür an. Der Gedanke, dass Friederike eine Gefahr drohen könne, brachte Flaxmann bald außer sich. Ohne sich zu besinnen, steckte er seine Terzerole in den Gürtel und fühlte sich rasch hinab, durch den Hausflur bis an die Haustür. Das einfache Schloss war mittels eines Zuges bald geöffnet und der junge Mann auf der Straße. Eben so rasch war er im gegenüberliegenden Haus. Doch hier kannte er die Lokalität nicht weiter, als bis zur Schenkstube, und er hatte Mühe, die Treppe zu finden. Endlich traf er die Stufe und schlich leise hinauf. Er war auf einem kleinen Vorsaal, aber die Dunkelheit ließ ihn nichts erkennen. Er stand in der peinlichen Ungewissheit. Eine namenlose Angst zermarterte ihn. Da hörte er plötzlich in einem Zimmer »Wer da!« rufen, aber augenblicklich darauf vernahm er ein Geräusch, als ob zwei miteinander kämpfen – ein Röcheln. Flaxmann eilte in die Richtung, von wo er den Laut gehört hatte, riss die Tür auf und erblickte beim schwachen Schimmer einer Diebeslaterne, wie ein Mensch sich am Boden wälzte und zwei andere aus einem Schrank Geldsäcke nahmen. Kaum erblickten sie Flaxmann, so stürzten sie mit einigen Säcken fort, er feuerte ein Terzerol ab, verfehlte aber, und die Kugel schlug in eine offene Zimmertür, in welcher sich eben eine weibliche Gestalt zeigte, die darauf mit einem Schrei zu Boden stürzte. Flaxmann, von Entsetzen erfüllt, ahnte, dass seine Kugel ein unglückliches Ziel gefunden hatte, und eilte auf die Gefallene los.

Die davoneilenden Diebe rissen die Laterne um und entkamen mit dem Geld. In demselben Augenblick entstand ein angstvolles Rufen im Haus. Man kam mit Lichtern – Frau Ankarfield im bloßen Hemde Männer und Frauen, unter diesen Friederike. Lichtschimmer fiel auf die Szene, grässliches Geschrei ertönte. In dem an der Erde blutenden Manne wurde der Kammerdiener der fremden Dame erkannt. Flaxmann beugte sich über die ohnmächtige Frau und versuchte zu erspähen, welchen Weg seine Kugel genommen hatte. Er rief nach Licht und hatte doch die Pistole noch krampfhaft mit der Hand umspannt. Eine possierliche Mannsgestalt kniete daneben, befreite die Verwundete von den Kleidern, entdeckte die Wunde am rechten Oberarm und gab sich durch seine geschickte Untersuchung derselben, wie durch die zuversichtliche Erklärung, dass es nicht viel zu bedeuten habe, als Wundarzt zu erkennen. Nun fielen Flaxmanns Blicke auf das Gesicht der Dame, die eben die Augen aufschlug. Entsetzt fuhr er auf, auch sie sprang empor. Beide riefen zu gleicher Zeit: »Rosamunda, Schwester!« und »Jacob! Bruder Jacob, du mein Mörder?«

»Er ist der Mörder!«, rief es nun von mehreren Seiten. Die Stube füllte sich mit Männern, Arme langten nach ihm, er wollte reden, niemand hörte ihn, er verstand sein eigenes Wort nicht. Auch war es, als hätte ihm Schrecken und Überraschung die Zunge gelähmt. Die herbeigerufene Scharwache trat mit Wehr und Waffen ein. Da gelang es dem furchtlosen Fräulein von Gabel, sich durch die Männer einen Weg zu ihrem Freund zu bahnen.

»Haben Sie mir etwas aufzutragen?«, fragte sie leise.

Wie ein Lichtstrahl fuhr es ihm durch den Sinn. Er griff sich an die Brust, riss die Schnur entzwei, welche das Etui an den Hals befestigt hielt, zog das Büchlein hervor und steckte es dem Fräulein flüsternd zu: »Ihnen überlasse ich das höchste Geheimnis meines Lebens. Bewahren sie es auf!«

Sie steckte das Etui in ihren Busen, und sogleich wurde der Unglückliche abgeführt.

Die verwundete Dame war zu Bett gebracht worden, aber sie schrie: »Mein Bruder! Bringt ihn zu mir! Seine Kugel hat mich als gerechte Strafe ereilt! Bringt ihn zu mir, ich will ihm alles bekennen.«

Aber ihr angstvolles Geschrei verhallte und die Aufmerksamkeit wendete sich auf den Kammerdiener, der unter den Händen des viel schwatzenden Barbiers lag, während Frau Ankarfield ein blutiges Schermesser, welches der Wundarzt vom Boden aufhob, als eines der ihren erkannte.

Ende des ersten Teils