Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Teufel auf Reisen 22

Der-Teufel-auf-Reisen-Zweiter-BandCarl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Zweiter Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Fünftes Kapitel – Teil 6
Abenteuer auf dem Lande

Ungefähr eine halbe Stunde vom Gut des Herrn von Bergheim lag mitten in einem ziemlich ausgedehnten See eine Insel, welche allgemein unter dem Namen »die Matroseninsel« bekannt war. Ein alter Seemann mit wettergebräuntem Gesicht, durch und durch eine ehrliche Haut, deshalb aber auch arglos und kurzsichtig, bewohnte dort ein kleines Häuschen und lebte vom Ertrag der Fischerei, welche er gepachtet hatte. Ungeachtet des Schiffsmaats Peter – so wurde er allgemein genannt – gerade keine Glücksgüter zu Gebote standen, so barg er doch auf seiner Insel einen Schatz, nach welchem schon mancher schmucke Bursche verlangend seine Blicke gerichtet hatte. Er besaß nämlich eine Tochter, die, wenigstens in Betracht ihrer äußeren Erscheinung, ganz das Gegenteil vom alten Seewolf war, den sie Vater nannte. Während der Maat ein breites, durch manchen Messerstich zerfetztes Gesicht besaß und einen Mund zeigte, der, wenn er ihn zum Lachen verzog, so ziemlich von einem Ohr bis zum anderen reichte, hatte die Natur sich darin gefallen, der 18-jährigen Margarethe eine zarte, leichte, bewegliche Gestalt zu geben, die ganz dazu gemacht war, die Blicke der Männer auf sich zu ziehen. Ein paar große, muntere braune Augen, volles üppiges Haar und ein Teint, dessen Frische und Weiße man bewundern musste, machten sie zu einer wahrhaften Schönheit. Häufig war die »Matroseninsel« von den jüngeren Bewohnern des Schlosses zum Zielpunkt eines Ausfluges ausersehen worden. Man ließ sich dann dort Fische zubereiten, was Margarethe vortrefflich verstand. In der ersten Zeit war die Freude des Mädchens, wenn die Damen sie besuchten, jedes Mal in der unzweideutigsten Weise an den Tag getreten und es hatte dabei stets für Marianne, die seine Milchschwester war, eine besondere Zuneigung gezeigt. Seit einiger Zeit aber vermied Margarethe den Blick Clementines oder, wenn sie ihm begegnete, errötete sie vor dem Ernst desselben. Aber auch die Damen benahmen sich sehr zurückhaltend, wenn das Gespräch auf die Tochter des Matrosen kam, und behandelten dieselbe, ganz ihrer früheren Gewohnheit zuwider, kalt und einsilbig. Dann entschlüpfte wohl der armen Margarethe ein leiser Seufzer, oder eine Träne trat in ihr Auge und mit einem Blick des schmerzlichsten Vorwurfs, als ob sie hätte sagen wollen, »Ihr seid ebenso unbarmherzig und grausam wie die anderen Menschen«, kehrte sie dann so schnell als möglich in ihr Häuschen zurück. Nur Herr von Felsen schien diese Härte gegen das schöne Mädchen nicht zu teilen. Oft sah er es, ungeachtet der zürnenden, ja fast wegwerfenden Blick Mariannes, teilnehmend an. Seine Freundlichkeit gegenüber ihr blieb sich stets gleich, und wenn er sich mit seinem Freund Reingold allein befand und dieser ihn darauf aufmerksam machte, dass Marianne sein Benehmen gegenüber Margarethe nicht zu billigen scheine, so erklärte er mit ungewöhnlicher Festigkeit, dass er sich durch die von der jungen Dame gegen die Tochter des Matrosen an den Tag gelegte Kälte nicht zurückhalten lassen werde, die Insel dennoch recht häufig zu besuchen, was seinen Freund aufs Höchste befremdete, da er Felsen als einen feinfühlenden Mann kannte, während er sich auf der anderen Seite doch auch wieder der stillen Bemerkung nicht erwehren konnte, dass in einem solchen Verhalten eine offenbare Rücksichtslosigkeit, wenn nicht Verletzung gegenüber Marianne lag, der er doch in so unverhohlener und ernster Weise seine Huldigungen darbrachte.

»Dahinter steckt irgendetwas Besonderes«, sagte am Ende eines solchen Gesprächs Reingold jedes Mal kopfschüttelnd, indem er Felsen dabei zweifelhaft anblickte.

»Wohl möglich«, entgegnete dieser dann trocken, »übrigens sei überzeugt, dass wenn ich deiner Hilfe bedarf, ich nicht zögern werde, diese in Anspruch zu nehmen.«

Damit wendete er dem Freund den Rücken zu und schritt sorglos zum Garten, wo beide in der Regel mit dem Freiherrn und dessen Töchtern den Tee einzunehmen pflegten, während Onkel Gottfried mit Jenny und Sonnenberg von einem tief im Park liegenden Sommerhaus Besitz genommen hatten, weil, wie er sich sehr philosophisch ausdrückte, die höchste Freiheit des Menschen darin bestehe, dass er nicht andere belästige und von anderen belästigt werde.

Man ersieht hieraus, der Präsident der Aktiengesellschaft zum Anbau inländischen Tabaks war bereits mit raschen Schritten auf der Höhe jenes erbärmlichen Egoismus angelangt, welcher unsere nur ausschließlich den materiellen Interessen nachsagende Zeit so sehr charakterisiert. Er hatte sich von der Familie, die ihm einst lieb und teuer war, losgerissen, weil er sich durch sie in seiner »Selbstständigkeit« beengt glaubte. Er fand es lästig, anderen zu gefallen, sich nach irgendeiner Seite Rücksichten zu unterwerfen. Seine Neigungen konzentrierten sich in seiner Selbstsucht, deren Mittelpunkt sein eigenes Ich war. Wer sein Vertrauen gewinnen wollte, musste sich vor diesem Götzen beugen und ihm zu dienen sich bereit erklären.

Wie viele Heuchelei, wie viel Betrug, wie viele Nichtswürdigkeit erzeugt dies? Wie tief wird die bessere und edlere Natur dabei in den Staub getreten? Welcher Missbrauch wird mit der Freundschaft, mit der Liebe, mit den zartesten und tiefsten Regungen des Herzens getrieben, wenn es sich dabei zuletzt nur noch um ein elendes Schachern und Handeln, um ein bloßes Kaufen und Verkaufen dreht! Es ist selbstredend, dass Betrug und kalte Berechnung schließlich dabei die Hauptrolle spielen und dass Schlauheit und kühne Verworfenheit zunächst ihre Netze auswerfen, um den Einfältigen entweder ins Garn zu locken oder sich die Dienste, welcher Art diese auch sein mögen, wenigstens zum höchsten Preis bezahlen zu lassen.

Es war bereis Mitternacht, und Onkel Gottfried lag längst, gleich den übrigen Bewohnern des Schlosses, im tiefen Schlaf, als sich das Zimmer Jennys leise öffnete und Sonnenberg in dasselbe schlüpfte. Das junge Mädchen erhob sich vom Sofa.

Indem es dem Abenteurer einen Schritt entgegentrat, sagte es: »Mein Gott, was ich zittere. Ich habe mir die Sache doch leichter gedacht, wie dieselbe mir jetzt vorkommt.«

»Es ist Ihr erstes Debüt, meine Teure.«

»Wir wollen also wirklich heimlich fort von hier.«

»Der Wagen, welchen mein Freund Vampyr besorgt hat, hält am Ausgang des Parkes.« »Und Sie versprechen mir wirklich, mich zu einer vornehmen Dame zu machen?«

»Mindestens zu einer Gräfin, mein Blümchen Tausendschön.«

»Sie wollen mich mit Glanz und Luxus umgeben?«

»Sie sollen alles haben, was Ihr Herz begehrt. Schwere seidene Roben, kostbare Spitzen, Gold, Diamanten …«

Die Augen Jennys begannen zu leuchten. Man sah es ihr an. Sie stand mit begehrlichen Blicken auf der Schwelle dieser verlockenden Zukunft und hatte weder die Lust noch den Mut, nochmals rückwärts zu blicken.

Sonnenberg gewahrte den Eindruck, welchen seine Worte auf das schwache eitle Mädchen machten. Um dessen Sinne vollends zu berauschen, hielt er es für angemessen, seine Schilderungen noch weiter auszudehnen.

»Die sogenannte Tugend, teure Jenny«, fuhr er mit der Stimme des Verführers fort, »ist ein Phantom und diejenigen, welche demselben nachjagen, spielen die Rolle beklagenswerter Büßer. Sie tappen ewig im Dunklen und ihr stetes Bemühen besteht nur darin, in dieser Dunkelheit nicht zu straucheln. Nein, vor einem so trübseligen Los sollen Sie bewahrt werden. Ich werde Sie auf einen Thron setzen und Sie sollen von dort aus als Königin herrschen. Männer von Reichtum, Geburt, Jugend und Schönheit werden huldigend vor Ihnen niedersinken … Oh, Sie glauben nicht, welche Zauberkraft in zwei schönen Augen liegt und was für Wunder eine Frau vollbringen kann, wenn sie die Mittel, welche ihr die Natur verliehen hat, gehörig zu benutzen versteht.« »Und Sie wollen mich wirklich nach Paris führen?«

»Dort, meine teure Freundin, ist das Feld, wo wir unsere goldene Ernte halten wollen. Sie werden eine elegante Wohnung beziehen, Ihre Dienerschaft haben und in Ihrem Salon alle Lebemänner vereinigen. Man wird Landsknecht spielen. Während Sie durch Ihre Blicke die Männer fesseln, werde ich mir die Mühe nehmen, deren Taschen zu leeren.« »Aber um so auftreten zu können, muss man mit den nötigen Geldmitteln versehen sein, und dann folge ich Ihnen auch nur als Ihre angetraute Frau nach Paris«, entgegnete Jenny, indem sie einen misstrauischen Blick auf ihren Vertrauten warf.

»Das Letztere versteht sich von selbst«, entgegnete Sonnenberg, »und was das Erstere anbelangt, so handelt es sich bloß um die erste Einrichtung und hierfür wird Onkel Gottfried Sorge tragen.«

»Nein«, rief das Mädchen, bei dem sich ein augenblickliches besseres Gefühl zu regen begann, »ich will nicht, dass man diesen alten Schwachkopf auch noch um sein Geld betrügt.«

»Oh, welches gerechte Wort sprechen Sie da aus, meine teure Freundin«, sagte der Abenteurer schmeichelnd, »nein, alles soll reell zugehen! … Ich werde meine Aktien zum Anbau inländischen Tabaks zur Begründung unserer Zukunft verwenden.«

»Das ist etwas anderes«, entgegnete Jenny leicht beruhigt, »übrigens bleibt es wahr, Onkel Gottfried ist ein alter Filz und ich habe ihm einen Abschiedsbrief zurückgelassen, den er nicht hinter den Spiegel stecken wird.«

»Ich habe heute an unseren Freund Vampyr geschrieben«, bemerkte Sonnenberg, »um das Geschäft wegen der Aktien ungesäumt zustande zu bringen. Bis dies geschehen ist, finden Sie in seinem Haus eine sichere Aufnahme. Und nun, meine teure Freundin, muss ich Sie daran erinnern, dass es Zeit zum Aufbruch ist.«

Ein leises Beben durchzuckte den Körper Jennys. Sie erhob sich und überflog mit schmerzlichem Blick das kleine Zimmer, indem sich ihre Augen dabei mit Tränen füllten.

»So nehme ich«, sagte sie tief bewegt, »von der Vergangenheit Abschied. Die Brücke ist abgebrochen, der Fluch meiner Wohltäter, die Verachtung Clementines und Mariannes wird mir folgen! …«

»Aber dafür winkt Ihnen auch eine glänzende Zukunft, die Ihnen alle Freuden des Lebens bietet. Wollen Sie in einem Dorf verkümmern, während Paris Ihnen seine Tore öffnet? … Wollen Sie den Launen anderer auch noch länger dienstbar sein und noch weiter das drückende Joch der Abhängigkeit tragen, während ein mit Blumen bestreuter Weg vor Ihnen liegt, und Freiheit, Selbstständigkeit und eine Welt voll zauberischer Freuden Ihrer harrt?«

»Der Bursche glaubt, er spricht aus sich selbst«, murmelte Schwefelkorn, der seit einiger Zeit in seinem Bett eine Stellung einnahm, als ob er einem Gespräch zuhorchte, »und doch bin ich es, welcher ihm diese verlockenden Worte eingibt.«

»Was sagen Sie?«, murmelte Schwalbe halb im Schlaf.

»Ich sage, dass ich sie bereits beide im Garn habe. Ha! Ha! Der Spaß ist köstlich!«

Inzwischen war ein tiefer Seufzer der leichtsinnigen Jenny entflohen – noch ein letzter Kampf, und dann hatte sie sich entschieden.

»So kommen Sie«, sagte sie entschlossen, »Sie haben recht, hier würde ich doch nur kümmerlich verschmachten, denn stürmisch pocht es in meinem Herzen und das Blut rinnt mir so heiß durch die Adern! …«

Entschlossen ergriff sie ein kleines Paket, welches neben ihr auf dem Tisch lag und folgte dann geräuschlos ihrem Begleiter, erst durch den langen Korridor, dann durch die dunklen Alleen des Parkes, bis beide schließlich ins Freie traten. Dort hielt der Wagen. Jenny schlüpfte hinein und warf noch einen langen Blick auf das Haus, wo sie bisher ihre Tage unter edlen und guten Menschen verlebt hatte. Dann schloss sie die Augen und sank in eine Ecke der Kutsche zurück, welche auf dem weichen Sandboden geräuschlos fortrollte.