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Sagen- und Märchengestalten – Die Hausgeister

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Die Hausgeister

Die nähere Bekanntschaft mit den heilsamen Kräften der Natur, in Verbindung mit dem Gefühl menschlicher Abhängigkeit, Schutz- und Hilfsbedürftigkeit, erweckt in der Fantasie jugendlicher Völker leicht die Vorstellung, dass irgendwo über oder unter der Erde höher organisierte Wesen existieren, die, ausgestattet mit ganz besonderen Eigenschaften und Fähigkeiten, die Aufgabe übernommen haben, den Sterblichen in ihrem irdischen Tun und Treiben Beistand zu leisten. Was der gereifte Verstand späterer Jahrhunderte als die Wirkung der ewigen Naturgesetze erkennt, darin glaubt der kindliche Sinn früherer Zeiten, die Spuren des Waltens überirdischer Mächte zu erblicken.

So etwa hat man sich den bei allen Völkern wiederkehrenden Glauben an dienstbare Geister zu erklären, den Glauben an das zahllose Heer kleiner Gestalten, die nur emporzutauchen scheinen, um den Menschen zu nützen. Zwischen Menschen und Zwergen entspann sich ein dauernder Verkehr, und ihre Verbindung ergab sich ebenso natürlich wie der Kampf der Riesen, der dummen Dutten, gegen die weiseren Götter. Die Großen hassten einander, während die Kleineren und Schwächeren sich zusammenschlossen zu Schutz und Trutz.

Es ist interessant, zu beobachten, wie sich der Glaube an die Hausgeister bei den einzelnen Völkern entwickelt hat, und zugleich belehrend, indem es uns einen Blick in Kultur und Charakter dieser Völker gewährt. Schon unter Griechen und Römern begegnet uns diese Erscheinung. Wir erinnern nur an den Dämon der ersteren, an die Penaten und Laren der letzteren. In der Mythologie des Nordens ist es besonders der isländische Hausgeist, der unsere Aufmerksamkeit fesselt, da er sich mit liebenswürdiger Uneigennützigkeit den Menschen verwendet. Am frühen Morgen zum Beispiel weckt er seine Günstlinge zum Fischfang und gewährt denen, die seinem Ruf gern und freudig folgen, großen Gewinn, während er die Lässigen, Zögernden nur spärlichen Ertrag finden lässt. Ganz im Gegensatz dazu steht der polnische Coltri, ein verschmitzter Dieb, der Getreide, Frucht und Geld stiehlt, um alles seinem Herrn zuzuwenden. Er nimmt Wohnung in den unteren Teilen der Häuser, auch in den Scheunen, wo das Holz aufbewahrt wird, und schlüpft, ein kleines Männlein, ein und aus. Wo der Coltri einziehen will, streut er über Nacht Sägespäne durch das Haus und beschmutzt die Milchfässer. Bleiben die Späne liegen, trinken die Bewohner von der Milch, so fasst er dies als ein Zeichen der Zustimmung auf und lässt sich nieder. Der Hausherr weist das Gesinde an, dem Geist von allen guten Dingen mitzuteilen, welche im Haus zubereitet werden. Und dieser zeigt sich erkenntlich, indem er im Haus aufräumt, das Vieh füttert und striegelt, die müßigen Dienstleute zaust und neckt. Der Coltri bleibt dem erwählten Aufenthalt meist treu, solange noch ein Glied der Familie lebt. Zuweilen freilich, in tückischer Laune, richtet er Unfug an, aber selten ohne Veranlassung. Meist haben es die Menschen selbst verschuldet, indem sie ihn stören und beunruhigen.

Auf St. Antonius’ Meierhof fand sich ein Hausgeist ein, der sich selbst Eckerken nannte und dann und wann in Zwergengestalt erschien. Er pflegte nachts so viele Korngarben auf die Tenne zu werfen, wie die Knechte den Tag über auszudreschen vermochten. Waren sie aber faul und blieben hinter ihrer Aufgabe zurück, so strafte er das mit Schlägen.

Sehr oft sprach er diejenigen, die am Meierhof vorüberzogen, mit seinem feinen Stimmchen um eine milde Gabe an, bezeichnete auch das, was er haben wollte, mitunter ganz genau.

Ritter Wessel von Berffelt ritt vorüber, ohne in die Tasche zu greifen. Da ergriff ihn das erzürnte Männlein und warf ihn vom Pferd herab auf den Heideboden. Denen, die in einem Wagen sitzend, der Bitte nicht achteten, stürzte er das Gefährt um oder spielte ihnen auf anderer Weise mit. Sonst aber zeigte er sich hilfreich in Stall und Haus, hielt sich freundlich zu den Mägden und schlief gern auf der Decke ihres Bettes.

Während Eckerkens Treiben nach innen und außen gerichtet war, setzten sich andere Poltergeister in einzelnen Teilen des Hauses fest, neckten die Schlafenden und machten ein arges Getöse. Ein unerschrockener Mann unternahm es, in der Kammer zu schlafen, in welcher ein solcher Geist sein Wesen treiben sollte. Lange war es still. Plötzlich fühlte der Mann, wie eine kalte weiche Hand, einem Wattebausch gleich, ihm über Stirn und Wangen fuhr und ihm den Mund zu öffnen versuchte. Von Grauen ergriffen, erhob er sich, eilte hinaus, um nicht wiederzukehren.

Selbst den Gelehrten mittelalterlicher Zeiten erschien das Dasein der Poltergeister oder Kobolde ganz unzweifelhaft. Der Abt von Spanheim, Joh. Tritheim, oder wie er sich gewöhnlich in lateinischer Version nennt, Trithemius, in den letzten Dezennien des 15. und den ersten des 16. Jahrhunderts, ein gelehrter und überaus belesener Mann, dessen historische Arbeiten einen dauernden Wert haben, berichtet die wunderlichsten Dinge von dem Wesen und Treiben der kleinen Geister.

Als der Bischof Bernhard Platner zu Hildesheim residierte, begann sich dort ein Hausgeist zu zeigen, der an Gestalt einem winzigen Bäuerlein glich und einen breitrandigen Hut zu tragen pflegte. Man nannte den wunderlichen Gast Hedekin, d. h. Hütchen. In Schloss und Stadt spazierte das Männlein umher, gesellte sich freundlich zu den Leuten, redete mit ihnen und gab gar höfliche und verständige Antworten, auch wenn er unsichtbar umging und nur sein Tun ihn verriet.

Damals lebte zu Winzenburg ein Graf, der die lüsternen Blicke auf die schöne und tugendhafte Gattin eines seiner Edlen geworfen hatte. Da er innewurde, dass die Frau ihm nicht hold werden mochte, sendete er den Edelmann an des Kaisers Hof, unter dem Vorwand, dass er dort wichtige Dinge ausrichten solle. Während der Zeit schlich er sich nachts in die Wohnung der Edelfrau ein, und tat ihr den schlimmsten Schaden an ihrer Ehre an. Der Ritter kehrte danach wieder heim und sein Weib klagte ihm mit Tränen den erlittenen Schimpf. Der Edle, welcher jederzeit Zutritt in seines Lehnsherrn Schlafgemach hatte, begab sich augenblicklich dorthin auf den Weg, trat unangemeldet ein und verschloss hinter sich die Tür. Der Graf und seine stolze Gemahlin aus fürstlichem Stamm ruhten noch in den Armen des Schlafes. Da rüttelte jener, der feige List verschmähte, den Wüstling mit gewaltiger Hand aus dem Schlummer, stellte ihn über sein Vergehen zur Rede und stieß ihm sein Schwert bis ans Heft in den Leib. Die Gräfin erhob ein gewaltiges Jammergeschrei, dass um eines so geringen Weibes willen, dem doch eigentlich eine große Ehre widerfahren, ihr edler Gemahl so schmählich gemordet worden sei.

»Wehe dir!«, rief sie dem Ritter zu und hob ihre Hände fluchend gen Himmel, »der, den ich unter dem Gürtel trage, soll die Untat an dir und den deinen rächen, dass die Nachwelt es mit Staunen und Grauen sehen wird.«

Ohne ein Wort der Erwiderung zog der Edelmann das blutige Schwert aus dem Körper des Grafen, tötete auch die Gräfin, floh aus Gemach und Schloss und mied das Land.

In derselben Nacht, als dies geschah, trat Hütchen an des erwähnten Bischofs Lagerstätte, schüttelte ihn und rief: »Stehe auf, Bernhard, und rüste dich! Die Grafschaft Winzenburg ist ohne Herrn, und leicht wird es dir sein, sie an dich zu bringen.«

Der Bischof erhob sich schnell, sammelte alles reisige Volk, dessen er habhaft zu werden vermochte, und überfiel Schloss Winzenburg, besetzte auch das Land und hat später das Ganze mit Bewilligung des Kaisers dem Hildesheimer Stift einverleibt.

Indessen lief Hütchen nach wie vor umher und begegnete einstmals einem Bürger, der in schwere Gedanken versunken schien.

»Heda, guter Freund«, sagte der Kobold, »was ficht dich an, dass du so traurig gehst?« »Ach«, erwiderte der Mann, »ich muss eine weite Reise unternehmen. Dazu habe ich ein Weib, schön von Angesicht, doch leichtfertigen Sinnes, und ich fürchte, sie wird in meiner Abwesenheit große Torheit üben.«

»So, so!«, meinte Hütchen, »und da möchtest du, dass dir jemand das Haus behütet und dein Weib dazu?«

»Ei freilich«, rief der Mann und sah dabei von Herzen erleichtert und froh den Kobold an, »Lieberes könnte mir nicht geschehen.«

Da übernahm Hütchen das schwere Amt und der Gatte reiste ab.

Als der Letztere, nach einem Monat wiederkehrend, sich der Stadt nahte, vernahm er plötzlich ein zartes Stimmchen neben sich, welches sprach: »Bin ich froh, bin ich froh, dass du wieder da bist.« Und als der Mann verwundert um sich schaute, fuhr die Stimme fort: »Ich bin Hütchen, dem du auftrugst, dein Weib zu bewachen, aber lieber will ich die Säue in ganz Sachsen hüten, als solch ein Flittchen! Brachte sie doch alle Tage einen anderen heran, und immer abwehrend und störend habe ich so meine Kräfte erschöpft, dass ich kaum noch körperlich zu erscheinen vermag.«

Am Hof des Bischofs befand sich nun zwar kein leichtsinniges Weib, welches dem Hütchen hätte zu schaffen machen können. Dagegen lag er in fortwährender Fehde mit einem unnützen Küchenjungen, der ihm zum Verdruss tat, was er irgend ersinnen konnte.

Hütchen beschwerte sich beim Küchenmeister wiederholt über den Buben. Dieser wies ihn aber regelmäßig spöttisch ab und sagte, er solle sich seiner Haut wehren, so gut er könne.

Da kehrte der Kobold seine raue Seite heraus. Eines Abends, als der Bursche in des Küchenmeisters Abwesenheit ihm einen besonders hämischen Streich gespielt hatte, ergriff er ihn mit dämonischer Kraft, brach ihm den Hals, zerriss ihn in Stücke, warf diese in einen Kessel, setzte das Ganze ans Feuer und ging seines Weges.

Als der Küchenmeister bemerkte, welches schauerliche Gericht in dem Kessel gesotten wurde, begann er auf den Kobold zu schimpfen und zu fluchen und forderte ihn mit giftigen Reden heraus. Dieser schwieg jedoch. Am nächsten Morgen, da der Küchenmeister des Bischofs Mahlzeit zu beschicken anfing und ein köstliches Wildbret anzurichten gedachte, trug Hütchen indes zwei ungeheure Kröten herbei und zerdrückte sie über dem Braten. Als der Küchenmeister darüber in Zorn geriet und in eine Flut von Verwünschungen ausbrach, erfassten ihn plötzlich die Geisterhände und schleuderten ihn durch das Fenster in einen tiefen Graben hinab.

Nun erzählt die Sage, wie des Geistes Walten in der Residenz immer störender und beunruhigender wurde und selbst die Wachen nicht verschonte, mit denen er sonst freundlich zu verkehren pflegte, bis der Bischof sich entschloss, ihn zu bannen. Er verwies ihn in das schlesische Gebirge, wo er unter dem Namen Rübezahl eine ganze Sagenwelt erschuf, deren Sinn gegen die Menschen gerichtet ist.