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Der bayerische Hiesel – Teil 1

Der-bayerische-HieselFriedrich Wilhelm Bruckbräu
Der bayerische Hiesel
Wildschützen- und Räuberhauptmann, landesverrufener Erzbösewicht

Vorwort

Der Name des bayerischen Hiesels lebt in ganz Bayern und Schwaben, und viel weiter in den deutschen Gauen, noch immer im Munde des Landvolkes, obgleich er bereits vor 60 Jahren sein verbrecherisches Leben geendet hat.

Die Geschichte dieses Verbrechers schien mir ganz geeignet, dem Landvolk einen Spiegel hinzustellen, worin es das Ende eines frevelhaften Daseins und Wirkens schauen könne, um ihm aus seiner eigenen Mitte ein warnendes Beispiel aufzustellen. Inwiefern mir diese Absicht gelungen sei, mögen andere entscheiden. Mir genügt das Bewusstsein, das Gute gewollt zu haben,

München, am 26. September 1833

Der Verfasser

Des Vaters Tod

Am Siechbett seines alten, 73-jährigen Vaters, Andreas Klostermayer, der ein Hirt zu Kissing war, einer den Jesuiten gehörigen Hofmark des Landgerichts Friedberg in Bayern, in einem gar armseligen Häuschen, genannt zum Brentan, welchen Namen er im gewöhnlichen Verkehr mit seinen Nachbarn führte, kniete am 13. September 1755 der einzige Sohn, Hiesel, damals ein junger Mensch von siebzehn Jahren, und weinte die bittersten Tränen. In dem kurzen Zwischenraum von drei Jahren hatte er seine geliebte Mutter und seine einzige Schwester verloren, und musste nun Abschied nehmen von seinem alten, redlichen Vater, dessen Haare in Ehren ergraut waren, und der in seiner höchst dürftigen häuslichen Lage alles getan hatte, seinen lieben Hiesel in der Furcht Gottes zu erziehen und an den goldenen Spruch zu gewöhnen: »Bleibe im Lande und nähre dich redlich!«

Hiesels Mutter war eine gar gottesfürchtige Frau gewesen, die ihm täglich die besten Lehren gab und alle die bösen Folgen eines sündhaften Lebenswandels vor Augen stellte. Wie oft sagte sie: »Hiesel, nimm deine Schwester Agnes als ein Beispiel, wie man leben muss, um Gott und den Menschen zu gefallen. Sie ist ein Jahr jünger als du, und nach ihrer Aufführung zu urteilen, sollte man meinen, sie wäre schon mehr als zwanzig Jahre alt. Wie fleißig hat sie die Schule besucht, wie gerne geht sie in die Kirche, wie andächtig betet sie ihr Morgen- und Abendgebet! In der Wirtschaft kann ich mich ganz auf sie verlassen. Ihre Augen sind überall, ihre Hände liegen niemals müßig im Schoß. Aus jedem Heller möchte sie einen Gulden machen. Bei dem schwachen Licht brennender Holzspäne spinnt sie bis nach Mitternacht, und wenn der Hahn zum ersten Male kräht, ist sie schon wieder bei der Arbeit. Sieh, Hiesel, so sollst du auch werden, dann könnte ich Freude an dir erleben. Du bist aber ein wilder Junge, streifst gern in den Wäldern umher, bist aufbrausend, jähzornig, raufsüchtig. Du hast zwar im Grunde ein gutes Herz, aber es kann unter dem wuchernden Unkraut deiner Leidenschaften nicht recht aufkommen. Strenge Arbeit scheust du, sonst hättest du längst schon als Knecht bei einem Bauer dein Unterkommen gefunden. Du bist ein hübscher Mensch, und könntest leicht dein Glück durch eine gute Heirat machen. Hütest du statt deines kränklichen Vaters das Vieh, so lässt du es laufen, wohin es will, kümmerst dich wenig darum, ob ein Stück des Abends fehle, oder nicht. Und bringt dir die Schwester Mittags das Essen hinaus, so muss sie dich im Wald suchen, wo du der Fährte eines Hirschen nachspürst oder den Hasen und Rehen Schlingen legst. Du bist nun alt genug, um einmal gescheit zu werden und gut zu tun. Folge mir, und bessere dich, sonst möchtest du es einst, aber vielleicht zu spät, bereuen.« So predigte die alte Mutter, und der gute Hiesel, der sie herzlich liebte, versprach goldene Berge. Allein in der nächsten Minute waren die guten Vorsätze wieder alle vergessen, und er tat, was ihm gefiel.

Sein größter Wunsch war, ein Jäger zu werden, denn die Jagd ging ihm über alles. Allein der Vater brauchte ihn notwendig zur Aushilfe, da er vom Viehhüten lebte und ein kleiner Feldanbau kaum hinreichte, das tägliche Brot für die Familie zu liefern.

Hiesel war vierzehn Jahre alt, als seine Mutter an einer vernachlässigten Brustentzündung starb. Solche arme Leute auf dem Land waren damals in Krankheitsfällen noch weit hilfloser als jetzt. Selbst den Beistand unwissender Bader konnten sie nicht anrufen, weil sie nicht imstande waren, seine Hilfeleistungen zu bezahlen. Sie wandten sich gewöhnlich an die sogenannten Klausner, Männer, welche in dichten Wäldern, in einsamen Hütten betend ein beschauliches Leben führten, für fromme Leute gehalten wurden, und bei dem Landvolk hoch in Ehren standen, welches ihnen wöchentlich Eier, Schmalz, Butter und Früchte brachte.

Es ist wahr, dass solche Klausner mitunter Kenntnisse von heilsamen Kräutern hatten, und allerlei Wundtränke und Heilmittel zu bereiten wussten. Allein da sie keine gründlichen Kenntnisse von den menschlichen Krankheiten besaßen, so geschah es oft, dass ihre Mittel statt der Hilfe den Tod brachten.

Scharfrichter, Wasenmeister und reisende Quacksalber beschäftigten sich in jener Zeit ebenfalls mit der Heilung körperlicher Übel und stifteten dadurch mancherlei Unheil an. Häufig behandelten sie die Krankheiten der Menschen, wie die Gebrechen des Viehs, und wer mit heiler Haut davonkam, hatte es seiner guten Natur zu verdanken.

Hiesels Mutter machte von der damaligen Sitte keine Ausnahme. Sie nahm alles ein, was ihr als heilsam angerühmt wurde, und bevor vier Wochen vergingen, lag sie im Grab.

Dies war ein harter Schlag für unseren Hiesel. Er war stets das liebe Muttersöhnchen. Die Mutter verhehlte manches schlimme Stückchen Hiesels dem Vater, aus Besorgnis, der Ärger möchte dem alten kränklichen Mann schaden. Allein dadurch schadete sie am meisten dem Sohn selbst. Wird ein Bäumchen nicht schon früh gerade gezogen, so bleibt es immer krumm.

Hiesel war über den Tod seiner Mutter untröstlich. Noch auf dem Totenbett gelobte er ihr bei allen Heiligen eine völlige Besserung. Aber vierzehn Tage nach ihrer Beerdigung hatte der Leichtsinnige schon wieder alle seine guten Vorsätze vergessen und fiel in die alten Fehler zurück. Bald darauf führte der wackere Sohn eines reichen Bauers, der das väterliche Anwesen übernahm, die brave Agnes als seine eheliche Hausfrau heim. Leider starb sie aber schon im ersten Wochenbett und wurde mit ihrem Kindlein, welches am nächsten Morgen verschied, auf den Friedhof getragen.

Auch dieser zweite harte Schlag öffnete dem verblendeten Jüngling die Augen nicht. Er weinte Tag und Nacht um seine geliebte Schwester. Allein die Tränen vertrockneten und mit ihnen die unreifen Pläne zu einem besseren Lebenswandel.

Nun war Hiesel der Herr in der Hütte. Der Vater wurde immer hinfälliger und konnte zuletzt das ärmliche Lager nicht mehr verlassen. Hiesel tat alles, was in seinen Kräften stand, um dem teuren Vater den beklagenswerten Zustand zu erleichtern. Wo er einen Kreuzer zu verdienen wusste, war er bei der Hand und verwendete seinen geringen Erwerb redlich für den Kranken.

Doch das Leben ging mit dem Alten zu Ende. Der Verlust seiner liebenden Pflegerin und der guten Tochter hatte ihm das Herz gebrochen. Als daher die Nacht des 13. Septembers angebrochen war, und Hiesel dem Vater eben einen Kräutertrank reichte, ergriff dieser seine Hand und sprach mit schwacher Stimme.

»Lieber Hiesel, ich fühle, dass ich bald sterben und den nächsten Tag nicht mehr erleben werde. Du stehst dann allein und hilflos in der Welt, und nur durch Fleiß und gute Aufführung kannst du dich redlich fortbringen. Was in meinen geringen Kräften stand, hab’ ich für dich getan. Ich habe dich in die Schule geschickt und zum Religionsunterricht des Herrn Pfarrers. An häuslichen Ermahnungen und guten Lehren deiner Eltern hat es dir nie gefehlt. Danke Gott für deine geraden Glieder. Du bist gesund und stark und kannst dir durch deiner Hände Arbeit dein Brot verdienen. Mutter und Schwester sind tot. Ich folge ihnen nun nach in ein besseres Leben. Mit Schulden belastet hab’ ich mein väterliches Anwesen übernommen. In den blutigen Kriegsjahren konnte ich sie nicht bezahlen. Es wird dir also ein schmaler Erbteil bleiben. Denke aber: ›Eine redliche Hand geht durchs ganze Land.‹

Lebe wohl und vergiss deinen sterbenden Vater nie. Ehre sein Andenken durch ein rechtschaffenes Leben. Dürfte ich mir eine Gnade von Gott erstehen, so wäre es, dass er mir vergönne, von Zeit zu Zeit dich sichtbar warnen zu dürfen, wenn du vom Weg der Tugend abweichen solltest. Doch dies lege ich in die Hand meines barmherzigen Gottes, dem ich meine arme Seele in Demut empfehle. Lebe wohl, Hiesel, und mache mir im Grabe keine Schande! Lebe wohl!«

Also mit gebrochener Stimme scheidend, schloss der Alte mit einem leisen Seufzer auf ewig die Augen, und Hiesel stürzte über die Leiche des geliebten Vaters hin, mit seinen bitteren Tränen sie überströmend.

 

***

 

Gute Lehren in Menge, liebe Leser, könnt ihr aus dem, was ich euch nun vom Hiesel erzählt habe, schöpfen.

Ihr seht daraus, welch ein Glück es für die Kinder ist, wenn sie rechtschaffene, fromme Eltern haben, die ihnen mit einem guten Beispiel vorangehen, und wie hart es sein muss, wenn Vater und Mutter sterben, ehe die Kinder versorgt sind.

Ihr werdet auch bemerken, dass Hiesels Schwester das Muster einer guten Tochter war, Gar oft ereignet es sich, dass in einer Familie ein Kind weit besser gedeiht, als die anderen. Ist dies in einem Haus der Fall, so dürfen die Eltern zu den anderen Kindern zwar allerdings sagen: Gertraud, Franz, – oder wie sie eben heißen, – seht doch, wie euer Bruder oder eure Schwester so gut und fleißig ist. Macht es auch so! Allein ihr müsst euch wohl hüten, das gute und fleißige Kind durch allzu vieles Lob eitel und hochmütig zu machen.

Hiesel wollte ein Jäger werden. Die Jagd war nun einmal seine Lieblingsneigung. Hätte ihn sein Vater zu einem braven Jäger in die Lehre getan, es wäre vielleicht alles gut gegangen. Erforscht stets mit Aufmerksamkeit die Neigungen eurer Kinder, und wenn diese Neigungen von anhaltender Dauer sind, und nicht bloß eine vorübergehende Einbildung, so lasst sie ihren Stand frei wählen.

Ich weiß wohl, dass die armen Leute in der Stadt, besonders aber auf dem Land, wenn sie krank werden, selten so glücklich sind, von einem ordentlichen Arzte mit den gehörigen Arzneien geheilt zu werden. Oft ist der Arzt zu weit entfernt, oft bei anderen Kranken. Oft auch scheuen sich die armen Leute, den Arzt holen zu lassen, weil sie, wenn er sie auch unentgeltlich kuriert, die Arzneien nicht bezahlen können. Allein die lieben Leute sollen bedenken, dass ihre Gesundheit, ihr Leben davon abhängt. Es gibt sehr viele wohlfeile Bücher, worin für das Landvolk in allerlei Krankheiten erprobte Hausmittel zu finden sind, die höchstens einige Pfennige und gewöhnlich gar nichts kosten, weil sie in Feldern und Wäldern wachsen.

Ein solches Not- und Hilfsbüchlein für Kranke sollte in der Stadt, vorzüglich aber auf dem Land, in jeder Familie gehalten werden. In keinem Fall jedoch sollen Kranke ihre Zuflucht zu Quacksalbern nehmen, welche ihnen das Geld abfoppen und die Gesundheit vollends zugrunde richten.

Es ist ein großes Unglück für unversorgte Kinder, wie ich schon erwähnt habe, Vater und Mutter zu verlieren, selbst wenn ihnen diese einiges Vermögen hinterlassen. Doppelt schmerzlich muss es aber sein, wenn die bedauernswerten Doppelwaisen arm und hilflos unter fremde Leute kommen. Dann sehen sie erst recht ein, was sie an guten Eltern verloren haben.

Wenn ihnen überdies ihr Gewissen sagt, dass sie gar oft grob und undankbar gegen ihre Eltern gewesen sind, und ihnen manche bittere Stunde verursacht haben, so wird ihnen, solange sie leben, die Reue am Herzen nagen.

Darum, o liebe Kinder, betet täglich zu Gott, dass er euch eure Eltern lange erhalte. Seid gut und gehorsam, damit sie sich nicht kränken, sondern Freude an euch erleben. Die Heilige Schrift sagt ausdrücklich: »Ehret Vater und Mutter, auf dass ihr lange lebet, und es euch wohlergehe auf Erden!«