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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Freibeuter – Verlegenheit auf der Fregatte

Der Freibeuter
Erster Teil
Kapitel 17

Sie stieg aus der Kajüte auf das Verdeck der Fregatte. Diese ging eben auf den Meerbusen zu, welchen die felsigen Holme im weiten Halbkreis einfassen, jene versteinerten Riesen, die die königliche Hauptstadt des Schwedenreichs auf ihren Häuptern tragen. Die Herbstsonne schien sich ihrer sommerlichen Kraft noch einmal erinnert zu haben und bestrebte sich, die alten Zauber mit dem Aufgebot aller Strahlen, die sie den nordischen Ländern zuzusenden vermochte, zum letzten Mal auszuüben. Die Nebel waren gewichen und zerstreut oder flatterten fliehend dem Bottnischen und dem Finnischen Meerbusen hinauf, ihrem kalten Geburtsland zu, und erlaubten ihrer Besiegerin, der Sonne, einmal wieder in den tiefsten Schoß der Ostsee hinabzublicken und sich die untergegangenen Städte, die versunkenen Schiffe und die schimmernden Bernsteinberge, und was sonst noch prächtiges da unten steht, zu betrachten. Freundlicher für die auf den Meerschiffen daher schwimmenden Menschen aber leuchtete die auf die weißen Felsen gebaute Königsstadt, das herrliche Stockholm. Vornan standen die Inseln alle, als Wächter des Hortes, als die riesigen Knappen der schwedischen Königskrone, und spiegelten ihre blanke Rüstung im blauen Meer ab, dann lagerten rechts und links an der Pforte die mächtigen Holme, gleichsam die Torhüter und herüber durch die enge Wasserstraße strahlten die königlichen Paläste und Schlösser und die Festen und Dome des Beckholm, Kastellholm, Staden und Ritterholm. Und wie in schweigender Verehrung die Menge mächtiger Vasallen den Königsthron umsteht, so lagerten die beiden Städte rechts und links an der Meerenge, der Södermalm und der Norrmalm, und blickten huldigend auf die inmitten des Meerpasses thronenden königlichen Schlösser und die Hauptkirche, auf Staden, als auf den schwedischen Thron. Ein erhebender Anblick entzückte das Auge und die Seele, und Friederike gab sich dem großartigen Eindruck hin. An den Bord des Schiffes gelehnt schaute sie in das ruhige Meer und die lockende Ferne, wie sie im Sturm in das empörte Meer und die grausige Nacht geblickt hatte. Aber es blieb zweifelhaft, welches von beiden Schauspielen ihr mehr Vergnügen bereitet hatte.

Um sie zeigte sich das Bild der Freude in verschiedenen Abdrücken, mutwillig koloriert. Die Matrosen kletterten an den Rahen hin und her und schmückten die spitzen Spieren mit bunten Wimpeln und Flaggen, während auf des Kapitäns Wink unten andere die Kanonen rüsteten, um die Königsstadt schuldigermaßen mit Donnerschall zu begrüßen. Andere scheuerten singend das Verdeck, andere putzten die Kajüte auf, denn es war nicht unwahrscheinlich, dass der König selbst, wenigstens der Graf Mörner dem Schiff einen Besuch machen werde. Juel Swale war damit beschäftigt, seinem Herrn Kammerdienerdienste zu leisten, und packte dessen Staatsuniform und Kapitänshut aus. Flink wie immer hatte er den Kapitän bald umgekleidet und musterte mit gefälligen Blicken die Pracht der Garderobe. Norcroß drückte den Federhut in die dunkelbraunen Haare und warf einen schalkhaften Blick auf Flaxmann, der wie im inneren Kampf auf einer Bank saß und das schöne Haupt in die Hand auf den Tisch gestützt hatte. Hierauf ging er zu dem Nachdenkenden hin, schlug ihn leise auf die Schulter und sprach zu dem wie aus einem bösen Traum Emporfahrenden: »Eure so lang verschobene Unterredung mit Fräulein von Gabel unter vier Augen scheint nicht die gewünschten Folgen gehabt zu haben. Sie steht dort und beschaut sich den Meerspiegel, als hätte sie Lust, nähere Bekanntschaft mit ihm zu machen, und Ihr kalmäusert hier, als wenn Euch die Seemöven das Brot gefressen hätten.«

»In der Tat, Kapitän«, versetzte der andere, ohne aufzuschauen, »ich schäme mich vor mir selbst, dass ich Eure Tapferkeit zu einem Abenteuer in Anspruch nahm, welches zu nichts weiter geführt hat, als mir mich selbst in einem lächerlichen Licht zu zeigen. So verbleichen die glühendsten und gefeiertsten Bilder unserer wildesten Wünsche, sobald sie uns näher gerückt, heimgegeben sind, und in der Pforte der Gewährung stehend, sehen wir Schwelle und Tempel versinken und starren in das öde Chaos unserer eigenen Schwäche.«

»Fürwahr, Ihr kommt mir unbegreiflich vor. Ihr gabt vor, zu jeder Unternehmung für unseren König, für unser Vaterland untauglich zu sein, bevor Ihr nicht die Glut Eurer Leidenschaft oder Eurer Rache gekühlt, und nun, da Ihr das eine und das andere könnt, sitzt Ihr und winselt von Neuem über Euer Schicksal.«

»Ich vermag mich selbst nicht zu begreifen, mein Freund«, entgegnete Flaxmann mit einem Anklang bitterer Wehmut, »und deshalb kann ich es Euch nicht übel nehmen, wenn Ihr es nicht vermögt. Ach, das Leben hat ja so viel Unbegreifliches! Ich wollte, ich wäre nie nach Dänemark gekommen!«

»Dann klagt lieber gleich unsere Königin Anna – Gott habe sie selig! – an, dass sie sich den dänischen Prinzen zum Gemahl auserkoren hat. War denn Euer Vater nicht des Prinzen Freund, war Prinz Georg nicht der Taufpate Eurer Schwester?«

»Leider ist es so!«

»In welches Land hättet Ihr also nach des Prätendenten Unglück im vorigen Jahr zu fliehen ein größeres Recht gehabt als nach Dänemark? Doch darf ich wissen, was Euch von Neuem bedrängt, so öffnet mir Euer Herz und seid versichert, dass ich helfe, wenn ich helfen kann.«

»Ich weiß es und Ihr sollt es erfahren. Warten wir nur eine der Mitteilung günstigere Stunde ab. Jetzt muss ich erst den Kampf mit mir allein auskämpfen. Nur das eine müsst Ihr wissen: Das Fräulein von Gabel ist frei, und ich wünsche, dass in Stockholm nichts von der Geschichte meiner Leidenschaft und ihrer übereilten Handlung verlaute.«

»Wahrhaftig!«, rief Norcroß, »die Fabel vom Fischlein, das ein Schiff viele Meilen weit Strom und Wind entgegen trägt, klingt mir glaubhafter, als Eure Äußerungen. Doch Euer Wille soll geschehen, die Schöne ist Eure Gefangene und nicht die meine. Ihr dürft nur wünschen, was mit ihr geschehen soll. Es versteht sich übrigens von selbst, dass wir über den Vorfall die tiefste Verschwiegenheit beobachten, da Euer Wind sich gewendet hat. Wäre er im alten Strich geblieben, so durfte der König immerhin davon erfahren, er hätte den Coup politisch betrachtet und sich darüber gefreut. Ja, ich wäre einer Belohnung gewiss gewesen. Nun aber müssen wir uns hüten, dass etwas davon verlautete, denn Ihr wisst, der König ist ein Weiberfeind und hasst alle Liebesgeschichten. Der Mädchenraub möchte mir teuer zu stehen kommen und Eure Pläne vereiteln.«

»Aber denkt, wie seltsam der Zufall, oder wenn Ihr lieber wollt, die Bestimmung mit uns spielt! Ich habe Friederike erklärt, was ich Euch soeben gesagt habe, aber sie hat mit Bestimmtheit, nach Kopenhagen zurückzukehren, verweigert.«

»So stellt sie dem König als Eure Braut vor.«

»Nimmermehr! Sie liebt einen anderen und ich liebe eine andere.«

»Sprecht Ihr im Traum?«

»Ich rede die Wahrheit. Aber sagt, findet Ihr nicht, dass Friederike in Gestalt und Wesen Ähnlichkeit mit Eurer früheren Geliebten, mit der reizenden Tochter des Herzogs von Ormund hat?«

»Wie kommt Ihr auf diese seltsame Frage?«

»Ei, wisst Ihr schon nicht mehr, dass ich das Studium der ars sympathetica mit Eifer getrieben habe, dass ich etwas auf die geheimen Wissenschaften halte und auf Eurem Schiff für einen Hexenmeister gelte?«

»Und wenn mir nun wirklich des Fräuleins Ähnlichkeit nicht allein mit meiner Henrica, sondern auch mit meiner ersten Liebe in Lissabon auffiele, was würdet Ihr mittels Eurer geheimen Wissenschaft daraus schließen?«

»Dass sie Euch bestimmt ist und nicht mir.«

»Ihr scherzt! Ich denke mich nach Seiner Exzellenz, des Herrn Feldmarschalls Grafen Mörner Willen bald mit dem Fräulein Broke zu vermählen, mit welcher ich, so lange ich in Schweden bin, Bekanntschaft habe. Mein Patron und Gönner wünscht unsere Ehe, und ich habe keinen Grund, mich diesem gnädigsten Wunsch, der mein Bestes erzielt, zu widersetzen, denn ich schätze das Fräulein Broke, ihrer Tugend und Liebenswürdigkeit wegen, vor allen anderen Damen hoch.«

»Nicht die Leidenschaft der Liebe hat Euch zu Eurer Braut geführt, nur das Bedürfnis des Umgangs, der Wunsch Eures Mäzens und die Konvenienz. Und Ihr werdet mir deshalb den Glauben nicht nehmen, dass Ihr nicht für das Fräulein bestimmt seid. Es gibt gewisse geheime Indizien, die man nicht belächeln sollte. Die Rätsel der Natur liegen nicht oben auf und vor jedermanns Augen, ihre wunderbaren Kettungen wollen gefühlt, geahnt sein.«

»Geht mir mit Euren Indizien, Rätseln und Kettungen, mit Euren Gefühlen und Ahnungen und all dem wunderlichen Schnickschnack!«, sprach der Kapitän lachend. »Meine Jungen haben Euch angesteckt. Ihr fangt nach und nach selbst zu glauben an, dass Ihr ein Zauberer und Hexenmeister seid. Das Fräulein Broke wird meine Braut, und ich mache mein Glück durch sie, weil sie eine Verwandte des Grafen und von ihm wohlgelitten ist. Übrigens werde ich weder sie noch jemals eine andere Dame mit jener leidenschaftlichen Glut lieben können, mit welcher ich einst meine Donna Isabella und meine Prinzessin Henrica umschlang. Diese Zeiten sind vorüber, und mein Herz ist tot für solche Empfindungen.«

»Nennt Starrkrampf nicht Tod, Norcroß. Die Natur möchte Euch Lügen strafen. Ihr seid von ihr zu einem ihrer Schoßkinder bestimmt, und zwingt Euch selbst, im Gleis der Gewöhnlichkeit Euer Leben hinzuschleppen. Aber Euer Geschick wird Euch wider Euren Willen beim Scheitel nehmen und den Flug eines Adlers führen.«

»Ihr sprecht viel zu schmeichelhaft von mir. Ich sehne mich nicht danach, noch Liebesabenteuer zu bestehen. Ich wünsche Euch meine Erfahrungen in diesem Stück und bin überzeugt, Ihr würdet gleiche Meinung mit mir hegen.«

»Es scheint in der Tat, als ob Ihr ausgezeichnetes Glück bei schönen Frauen hättet.«

»Leider oft zu ausgezeichnet!«

»Ich ahne. Jene Dame, welche Euch durch die Barbiersfrau in Barnet aus dem Gefängnis befreien ließ, mag Eure Erfahrungen in der Liebe nicht auf das Angenehmste bereichert haben.«

»Ihr habt recht.«

»Ich weiß nicht, welche sonderbare Ahnung mich bei Eurer Erzählung überkam. Ich halte, wie Ihr wisst, etwas darauf.«

»Welche Ahnung?«, fragte der Kapitän aufmerksam.

»Der Ton Eurer Frage regt sie noch mehr auf. Wie? Solltet Ihr meinetwegen den Namen jener Dame verschwiegen haben?«

»Bei Gott! Ihr habt recht!«, rief Norcroß erstaunt.

»Und jene Dame war meine eigene Schwester Rosamunde?«

»Steht Ihr wirklich mit Geistern im Bunde? Seid Ihr mehr, als ich weiß? Steht Euch wirklich eine geheime Wissenschaft zu Gebote?«, so rief der Kapitän Norcroß und warf den Kopf wie von Schrecken ergriffen zurück.

»Seid Ihr nun schon etwas mehr geneigt, an Ahnungen, Indizien und dergleichen zu glauben?«

»Sagt mir, ich beschwöre Euch, wie seid Ihr darauf gekommen, in jener Dame Eure Schwester Rosamunde zu vermuten?«, fragte der Kapitän noch immer verwundert.

»Ich diente in der Provinz und kam selten nach London. Aber da Ihr von unserer Partei ward, so hörte ich oft von Euch reden. Meine Sendungen an den Hof von St. Germain und Bar-sur-Aube gaben mir ebenfalls Gelegenheit von Euch zu hören. So oft ich in London war, redete Rosamunde von Euch. Sie war eine Bekannte der Prinzessin Henrica. Die große Welt nannte beide Freundinnen. Doch das konnten sie nicht sein, denn Henrica war tugendhaft, Rosamunde nicht. Ich wusste viel Tadelnswertes von meiner Schwester. Von Eurer Liebenswürdigkeit reden, war bei ihr schon sicherer Beweis, dass sie sterblich in Euch verliebt sei. Überdies wusste ich, dass die Amme meiner Schwester einen Barbier in Barnet geheiratet hatte. Kaum also hattet Ihr die Prinzessin Henrica als Eure Geliebte in London bezeichnet, so ahnte mir, dass Rosamunde Eure Befreierin aus dem Gefängnis gewesen sein möchte. Der Name meines Vaters, die Einkünfte ihrer eigenen Baronie, ihre Schönheit, die sie zu ihren Zwecken an den Mann zu bringen sich nicht scheute und zuletzt ihre schlaue Erklärung, dass sie mit Leib und Seele der hannoverschen Partei und den Whigs zugetan sei, womit sie sich überall eingeschmeichelt, ja wodurch sie sogar Einfluss erlangt hatte, da mein Vater immer in Verdacht des Jakobinismus war. Alle diese Mittel machten ihr wahrscheinlich die Öffnung Eures Gefängnisses leicht. Aber sagt mir nun auch, welchen Lohn begehrte sie für ihre Befreiung?«

»Verzeiht, Major, wenn ich Euch diese Bitte abschlage. Vielleicht finden wir später Gelegenheit, darüber zu reden, und die Zeit hat mich dann geneigter gemacht, über ein mir widriges Verhältnis zu sprechen. Jetzt lasst uns vor allen Dingen überlegen, was aus dem Fräulein von Gabel werden soll.«

»Ich habe ihr wunderliches Schicksal unbesonnenerweise veranlasst, nun will ich auch für sie sorgen. Lasst mich darüber mit ihr selbst sprechen.«

»Gut, so wollen wir unseren Burschen die Zungen schweigen lassen, denn in zwei Stunden legen wir im Hafen an. Meister Pehrsohn!«, rief er dem Oberbootsmann zu, der die Taue eben einrollte, dann und wann den Tabakrauch unwillig aus seiner Pfeife blies und mit scheelen Blicken zu dem Fräulein von Gabel hinsah. »Es macht sich notwendig, dass außer unserer Mannschaft keine Seele etwas von dem Raub jenes Mädchens erfährt.«

»Für meine Burschen bürge ich, aber nicht für die dänischen Stockfische da hinten auf dem Schoner.«

»Diesen will ich das Maul stopfen. Wer eine Silbe lallt, so droh’ ich, bekommt zwei Lot schnelles Blei hinein. Das wird ihnen die Zähne zusammenhalten. Besprecht Euch mit unseren Leuten.«

»Viel Umstände eines Unterrocks wegen!«, grummelte der Bootsmann.

»Alter, seid nicht so bös. Die Sache ging nicht anders.«

»Ihr werdet sehen, dass die Graf Mörner nun kein Glück mehr hat. Ein Weib auf dem Schiff! Aller Appetit ist mir vergangen, seit Ihr solch’ Fleisch, solch … nun, man nennt’s nicht gern … eingenommen habt. Ich habe meinen Grog mit Ekel getrunken. Puh! Mich schaudert’s, wenn ich daran denke!«

»Ihr seid ein Narr, Pehrsohn!«

»Herr!«, erwiderte der Bootsmann und machte mit dem rechten Arm eine drohende Bewegung nach Stockholm zu, »wenn Ihr mir deshalb einen Narren stechen wollt, so beschimpft Ihr damit einen höheren und mächtigeren Mann als Pehrsohn, einen Mann, den Ihr so hoch verehrt, wie ich, und der alle Verehrung verdient, obgleich er es sein Lebtag über so gehalten hat, wie ich, das heißt, er hat nichts von Weibern gehalten. Ich meine damit unseren allergnädigsten König und Herrn.«

»Lasst’s gut sein, Meister, es war so arg nicht gemeint«, begütigte ihn der Kapitän.

»Weil mir einmal des Königs Majestät in den Sinn kommt«, fuhr der Bootsmann fort, »so besinnt Euch doch ja, was Ihr sagen wollt, wenn der König, wie’s oft trifft, im Hafen sein und gleich unsere Fregatte besteigen sollte. Glaubt Ihr, er werde schmunzeln, wenn er den Unterrock unter unseren Schiffsjacken findet? Den rührt der Anblick eines bartlosen Gesichtes so wie mich, oder es wird ihm zumute wie den Hunden, wenn sie eine Katze in der Stube riechen. Und eine feine Nase hat die Majestät auch und weiß gewiss so gut wie ich, den Geruch eines Unterrocks vom Teerduft einer Matrosenjacke zu unterscheiden. Zuletzt, mein’ ich, wenn die Sache geheim bleiben soll, so darf das Weibsbild nicht mit in den Hafen, denn in einer Stunde wüssten es alle Wasserratten, dass auf der Graf Mörner ein Mensch hervorgekrochen sei, der keine Hosen getragen habe. Ihr müsstet sie denn in eine Kiste packen und also ans Land schaffen lassen oder bis um Mitternacht in der Taukammer verstecken.«

Flaxmann, der danebenstand, pflichtete dem Bootsmann bei, und auch der Kapitän fand es einleuchtend, dass Friederike nicht mit in den Hafen einlaufen dürfe.

Der Steuermann Reetz, der Lieutenant Gad und der Schiffschirurgus Habermann wurden also mit zum Kollegium gezogen, um zu beraten, was man zu tun habe, um alles Maulgesperre zu vermeiden.

»Ich habe meine Gedanken schon im Stillen über die Frau gehabt«, sagte Reetz. »Lieber Gott! Menschen sind ja die Weiber wohl auch und Geschöpfe Gottes, aber doch eigentlich nur halbe. Denn sagt selbst, sie sind da, um zu essen und zu trinken, nicht aber, um auch zu arbeiten. Sie sind da für die Nacht, nicht aber für den Tag. Sie sind da für das Festland, nicht aber für das Meer. Auf das Wasser soll keine Frau. Wir fuhren einmal – es mögen wohl ein halbes Schock Jahre her sein – an einem stürmischen Tag durch das Kattegat, da stießen wir auf das Stralsunder Paketboot und gaben ihm eine Salve. Das Boot wollte erst sein Heil in der Flucht suchen, aber wir hatten den Kiel angebohrt und die Planken zum Sieb gemacht. Es musste nach der dritten Salve die Segel streichen. Aber denkt Euch unseren Schrecken, als wir hinübersetzen und eine Frau zerschossen auf dem Boden der Kajüte liegend fanden, die einen Säugling an der blutenden Brust hatte! Beinahe hätten wir über einen solchen Anblick die ganze Prise im Stich gelassen. Nun, ich erbarmte mich des Wurms, aber wenn’s doch ein Junge gewesen wäre! Nein, ein Mädel! Was half’s? Ich fütterte die kleine Bestie mit Fleischbrühe und Wein, schleppte mich damit herum, wie eine Amme und bracht’s glücklich davon. Na, jetzt hat sie einen Mann und Kinder. Ein anderes Mal zwang mich der russische Kapitän Hutchin, in dessen Diensten ich stand, ein Weib an Bord zu nehmen! Das war eine Not! …«

»Es ist gut, Meister Reetz«, unterbrach der Kapitän den redseligen Alten etwas ärgerlich, »wir wollen der gegenwärtigen Not gedenken und überlegen, wie wir sie loswerden.«

»Ich sehe nicht ein«, begann der Lieutenant Gad etwas hochtrabend, »wie man sich auf dem Wasser aller menschlichen Gefühle dergestalt entäußern kann, dass man das Unterste zuoberst kehrt und den Schmuck, die Zierde, die Blüte des Menschengeschlechts für dessen Abwurf hält? Ein so bezauberndes Wesen, wie jene Schöne, sollte von uns allen hoch verehrt und im Triumph in den Hafen der Hauptstadt geführt werden.«

»Ich wundere mich über nichts weiter«, sagte der Kapitän lächelnd, »als dass Ihr mit diesen zärtlichen Gesinnungen Eure 36 Jahre erstiegen habt, ohne vom Liebesgott in feste Bande geschmiedet worden zu sein. Wollt Ihr nicht bei jener Schönen anfragen, die Eure Gunst in so hohem Grad zu besitzen scheint? Sie ist zurzeit vakant.«

»O, spottet ihrer nicht!«, bat Flaxmann mit einem Ton, der von seiner inneren Verletzung sprach.

»Mit Verlaub zu melden«, erhob nun der Chirurgus seine feiste Stimme, »was mich betrifft, so denk’ ich, wir setzen ein kleines Boot aus, packen das schwarzäugige Teufelchen hinein und bugsieren es gleich nach Ladugårdslandet hinüber. In der Karlsstraße neben dem alten Nonnenkloster wohnt eine ehrbare Witwe in einem Häuschen. Sie hat viel Bekanntschaft, und ich habe die Ehre, dazu zu zählen. Das macht, ihr verstorbener Eheherr war Chirurgus und Barbier. Frau Ebba Ankarfield führt die Barbierstube fort, schenkt dabei Wein und Branntwein aus und vermietet ihre Zimmer an anständige Fremde. Man wohnt abgezogen bei ihr, denn die Passage ist dort gering. Auch gibt sie auf Verlangen ein Stübchen hinten hinaus.«

»O! Ich kenne die Frau Ankarfield!«, rief Juel Swale, »ich bin mit den Matrosen zuweilen bei ihr eingekehrt. Sie macht gern Redens und hält besonders viel auf ihre Ehre.«

»I! Du Wetterjunge! Mit Verlaub, Kapitän, so kann sie der Bube hinführen und einen Gruß von mir bringen. Danach, wenn unsere Sachen in Ordnung sind, könnt Ihr ja weiter über die Sache nachdenken.«

»Bei meiner Treu, ich glaube, Meister Habermann gibt uns den besten Rat!«, rief Flaxmann.

»Es ist wahr!«, setzte der Kapitän hinzu. »Ich hatte einen ähnlichen Vorschlag, wenn ich auch nicht Straße, Haus und Mietleute, wo das Fräulein wohnen soll, anzugeben wusste. Erst wollte ich den Rat meiner Herren darüber hören.«

»Gebt mir den Juel und noch einen Matrosen, ich werde das Fräulein begleiten, das bin ich ihr schuldig«, sprach Flaxmann.

»Mit Verlaub, Ihr werdet bei Frau Ankarfield so vortrefflich wohnen, wie im besten Kaffeehaus auf dem Ritterholm«, erinnerte der Chirurgus geschmeichelt. »Nur muss ich, mit Verlaub, Euch bitten, der guten Witwe, die meine Freundin ist, nicht merken zu lassen, dass Ihr mehr könnt wie andere Leute. Sonst würde sie Euch um keinen Preis der Welt aufnehmen, denn sie würde in steter Angst sein, Ihr möchtet Euch in einen Wehrwolf verwandeln, und vor Wehrwölfen hat sie besonderen Respekt.«

»Aber was soll ich tun, wenn sie nun Lust bekäme, in meine Schreibtafel zu sehen?«

Der Chirurgus wurde noch röter, als die gewöhnliche Wirkung der eingenommenen Spirituosa ihn färbte, und der Lieutenant Gad wendete sich verlegen ab.

»Wir haben eins übersehen«, bemerkte der Kapitän, »nämlich, ob die Dame auch Lust hat, sich wie eine verbotene Ware in die Stadt schmuggeln zu lassen. Lieutenant Gad, habt die Güte, sie darum zu befragen.«

Der Lieutenant zauderte und blickte den Kapitän mit einem albernen Gesicht bittend an.

»Was zögert Ihr?«, fuhr Norcroß fort. »Ihr habt Euch so deutlich zugunsten jener Dame erklärt, dass Euch die Gelegenheit, mit ihr in ein Zwiegespräch zu geraten, willkommen sein muss.«

»Ich bitte sehr um Entschuldigung«, stotterte der Lieutenant. »Auf solchen Fall nicht vorbereitet … wie könnte ich … wie vermöchte ich … die Kühnheit … die Wagnis … ich kann nicht … ich bin nicht imstande.«

Der Kapitän und Flaxmann brachen in lautes Lachen aus, aber selbst dieser Impuls vermochte die lange, dürre, zusammengebeugte Gestalt des Lieutenants nicht in die Höhe zu richten. Auf den Backenknochen seines sonst fahlen Gesichts hatte sich eine Stelle in der Größe eines Brabanter Talers hochrot gefärbt und seine Augen irrten in grenzenloser Verlegenheit am Boden.

»Es fällt mir ein«, sagte Norcroß schelmisch, »dass so lange auch die Schöne schon am Bord unserer Fregatte ist, Ihr doch noch keine Gelegenheit genommen habt, ihr näher zu treten, und doch brachen die Gefühle Eures Herzens vorhin in lichten Flammen aus. Wohlan, ich muss Eurer Schüchternheit zu Hilfe kommen, sonst sterbt Ihr unbeweibt, und die Welt wird um Eure Nachkommenschaft betrogen. Ich befehle Euch also, Lieutenant, Euch sogleich zum Fräulein von Gabel zu verfügen und ihr geziemend vorzutragen, ob sie gesonnen sei, unseren Vorschlag hinsichtlich ihrer Einbringung in die Stadt anzunehmen. Stellt ihr unsere Gründe mit Anstand und Überraschung vor.«

Der Lieutenant versuchte noch einmal, an die Milde des Kapitäns zu appellieren, aber der niederschmetternde Blick desselben verschloss ihm den Mund und trieb ihn, der seine unbesonnenen Reden still im Herzen verwünschte, wankend vorwärts. Der Mann, dessen Herz schon seit zwanzig Jahren in stillem, aber gewaltigem Feuer für das andere Geschlecht sich verzehrte, der sich in jedes Busentuch verliebt hatte, aber auch vor jedem Frauenfuß in namenloser Angst geflohen war, der selbst eines sinnbetäubenden Zitterns sich nicht erwehren konnte, sobald ihm Kinder weiblichen Geschlechts zu nahe kamen. Dieser Mann sollte nun zum ersten Mal in seinen Mannesjahren mit einer Dame reden! Es flirrte ihm vor den Augen, er machte einen großen Bogen und schlich endlich auf den Zehen von hinten an das Fräulein heran. Aber er hielt den Atem so streng an sich, als müsste ihm jeder Zug einen Teil feiner Lebenskraft rauben. Die so Gedanken Vertiefte bemerkte nicht eher etwas von ihm, bis ihm die Angst einen lauten Seufzer auspresste. Jetzt wandte sie sich um. Der Lieutenant hüpfte erschrocken zurück und fing an, tölpische Kratzfüße zu machen. Angst und Schrecken hatten ihm die Kehle zugeschnürt. Seine Lippen bewegten sich fieberhaft, aber kein Laut drang aus ihnen hervor. In Ermangelung der Sprache hufte er nur immer weiter zurück, bückte sich immer tiefer, schlug immer heftiger hinten und vorn aus und geriet auf diese Weise in die Taue, mit deren Ordnen Meister Pehrsohn beschäftigt gewesen war, als er zum Schiffsrat des Kapitäns gerufen wurde. Die langen ungeschickten Füße des Lieutenants verwickelten sich in die Stricke und zappelten wie ein paar Aale im Fischernetz. Er versuchte sich in Todesangst aus den Garnen zu helfen, kam aber tiefer hinein und stürzte mit einem Seemannsfluch der Länge lang vorwärts auf das Verdeck in der Richtung nach dem Fräulein zu, sodass sein breiter Mund einen heftigen Kuss auf Friederikes Füße drückte, die bestürzt sich dieser sonderbaren Huldigung schnell entzog. Dieser Fall erregte das Gelächter der ganzen Schiffsmannschaft, und Flaxmann eilte zu Friederike. Aus Besorgnis, sie möchte sich beleidigt fühlen, bot ihr die Hand und führte sie in die Kajüte, um sie dort mit seinem Plan bekannt zu machen. Kaum war er mit ihr verschwunden, als sich der Lieutenant aufraffte, die Taue von den Füßen streifte und wütend ausrief: »Der Teufel hole alle Zauberer und Hexenmeister! Ich muss um meinen Abschied bitten, Kapitän, wenn Ihr länger mit diesem Höllenbraten Umgang pflegt. Jetzt habt Ihr’s deutlich gesehen, und alle, wie er mich betört und behext und in die Taue hineingeführt hat. Ich will nicht selig sein, wenn er nicht die Schuld an meinem Unfall und an meiner Schande allein trägt! O, ich bin wütend!«

»Aha, Ihr denkt an die Geschichte aus der roten Schreibtafel. Lasst Gras darüber wachsen!«

Der Lieutenant zog sich beschämt unter die Matrosen zurück, und Flaxmann kam, dem Kapitän anzusagen, dass das Fräulein mit dem Beschluss zufrieden sei. Sogleich gab dieser Befehl, ein Boot auszusetzen. Flaxmann stieg mit einem Matrosen hinab, und ruderte auf den dänischen Schoner los, der im Schlepptau der Fregatte hing und auf welchen alle, welche darauf gefangen genommen worden, verwiesen waren, um also in gehöriger Ordnung im Hafen einzulaufen. Dort unterhielt sich Flaxmann einige Zeit mit dem Franzosen Courtin und legte wieder an der Fregatte an, dem Kapitän Lebewohl zu sagen und die Dame zu erwarten. Diese erschien gleich darauf an Norcroß’ Hand, der sie höflich die Treppe hinab ins Boot begleitete. Beide nahmen Verabredung, sich den anderen Morgen zu sprechen, und schieden dann mit brüderlichem Kuss voneinander. Das Boot stieß ab, und Juel Swale gab die Richtung an, indem er das Steuer regierte. Der Matrose und Flaxmann ruderten kräftig. Die Fregatte mit dem Schoner lief, stolz ihre Segel aufblähend, unter dem Jubel der Matrosen und dem Donner ihrer Geschütze in den Hafen der Königsstadt ein.