Heftroman der Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Der Marone – Der Saujäger

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 29

Der Saujäger

Der wilde Eber war bei den Überresten von Herberts Frühstück stehen geblieben, die aus einigen von ihm auf dem Boden liegen gelassenen Stücken Gebirgskohl bestanden. Das Tier wedelte mit dem haarigen Schwanz, stieß ein kurzes, seine Zufriedenheit bezeugendes Grunzen aus, und fuhr fort, die zerstreuten Stücke Kohl zu fressen und sie zwischen seinen mächtigen Zähnen zu zermalmen.

Plötzlich wurde dies ruhige Bild in einen höchst aufregenden Auftritt umgewandelt. Während Herbert den Eber aufmerksam betrachtete, sah er, wie dieser auf einmal stutzte, seinen Rüssel hoch in die Luft hob und zugleich ein eigentümliches Geschrei ausstieß. Es war unbezweifelt ein mit einer zornigen Drohung verbundenes Angstgeschrei, das bezeugten die Borsten auf seinem Rücken, die unverzüglich zu einer aufrecht stehenden Stachelmähne angeschwollen waren.

Herbert spähte nach dem Feind des Ebers aus.

Es war keiner zu gewahren. Doch der Eber hatte jedenfalls etwas gesehen oder gehört, denn er war im Begriff, fortzuspringen.

Eben jetzt widerhallte ein lauter Knall im Wald, eine Kugel pfiff durch die Luft und das Tier fiel mit gellendem Schrei auf den Rücken, während das Blut aus einer Wunde in seiner Lende hervorspritzte.

Herbert sah gleich, dass der Eber nicht getötet, sondern nur durch den Verlust eines Beines gelähmt worden sei.

Im Augenblick stand das Tier wieder auf den Beinen und hätte auf den drei ihm verbliebenen leicht entfliehen können, hätten Zorn und Wut es nicht davon zurückgehalten. Es wich nur wenige Schritte zurück und bezog zwischen zwei der großen Wurzelausläufe der Ceiba Platz, ganz auf derselben Stelle, wo Herbert die Nacht zugebracht hatte. Hier, die beiden Seiten und den Rücken vom Baum gedeckt, stand das Tier mutig, grunzte kühn und trotzig und erwartete furchtlos seinen Feind.

Herbert sah zu der Richtung, woher der Schuss gekommen war, in der Erwartung, den Mann zu sehen, der geschossen hatte.

Lange hatte er nicht zu warten, denn einen Augenblick später stürzte ein Jäger über die Lichtung zum angeschossenen Wild. Er kam mit einem Schwert in der Hand, aber ohne Flinte. Herbert nahm daher an, dass er das leere Gewehr zurückgelassen haben müsse.

Der junge Engländer wurde von dem eigentümlichen Aussehen des jamaikanischen Jägers betroffen, doch hatte er wenig Zeit zur Beobachtung, bis er gerade dicht unter ihm war.

Mit einem Dutzend schneller und weiter Schritte durcheilte der Jäger die Lichtung, erreichte die Wurzeln des Baumwollbaumes und war sofort in einen tödlichen Kampf mit dem verwundeten Eber verwickelt.

Ungeachtet der erlittenen Verwundung war der Eber immer noch ein furchtbarer, nicht zu verachtender Gegner. Es erforderte die ganze Geschicklichkeit des Jägers, so gewandt er auch zu sein schien, um seinen fürchterlichen Hauern auszuweichen.

Abwechselnd griff einer den anderen an, indem der Jäger sich bemühte, das Tier mit seinem langen Schwert zu durchbohren, und der Eber dagegen mehrere Male auf seinen Gegner einrennen, sich plötzlich auf seinen Hinterfüßen aufrichten und dann mit seinem bewaffneten scharfen Rüssel nach oben stoßen wollte.

Einer der Vorderfüße des Tieres war freilich von dem Schuss getroffen und gelähmt, doch hinderte diese Wunde, wenn sie das Tier auch bedeutend schwächte, dasselbe durchaus nicht, sich lange Zeit in der verzweifeltsten Weise zu verteidigen. Die großen Wurzelausläufer des Baumwollbaumes waren dabei seine besten Verteidiger, da sie seinen Angreifer verhinderten, seine Seiten zu bedrohen und es nach einer raschen Wendung von der Seite zu durchbohren. Deshalb war der Kampf ganz von vorne, von Angesicht zu Angesicht. Der wiederholte rasche Schwertstoß des Jägers glitt, ohne dem Tiere zu schaden, stets von dessen harter Hirnschale ab oder streifte nur seine mächtigen Fangzähne.

Mehrere Minuten bereits dauerte dieser eigentümliche Kampf, dem der junge Engländer mit gespanntester Aufmerksamkeit folgte, aber dabei nicht das geringste Zeichen seiner Gegenwart von sich gab. In der Tat war das Schauspiel so aufregend und so plötzlich vor seinen Augen entstanden, dass er einige Zeit, durch die Überraschung fast sprachlos, nur hinzustarren vermochte.

Sobald er sich indessen von der Überraschung erholt hätte, würde er seine Gegenwart kundgetan haben und dem Jäger sofort zu Hilfe geeilt sein, hätte ihn nicht die Erwägung abgehalten, dass jede Bewegung von seiner Seite die Aufmerksamkeit des Jägers ablenken und ihn den Angriffen seines wütenden Gegners bloßstellen müsse. Sein plötzliches Herabsteigen vom Baum – und er wäre noch dazu gerade auf die Schultern des fremden Mannes gekommen – musste diesen alsdann sicher aus der Fassung bringen und hätte vielleicht sogar sein Leben gefährden können, denn hätte der Jäger nur einen Augenblick geschwankt oder in seinem Angriff nachgelassen, der Eber würde ihn unbezweifelt sofort zerfleischt haben.

Herbert, selbst ein Jäger, begriff dies alles aufs Schnellste und entschloss sich deshalb klug, still sitzen zu bleiben, wo er war.

Nun war aber auch der Kampf bereits beendet.

Der Jäger, der alle Geschicklichkeit zu besitzen schien, die sein gefährlicher Beruf erfordert, wandte einen schlauen Kunstgriff an und vermochte infolgedessen seinem Gegner alsbald den Gnadenstoß zu erteilen.

Dieser Kunstgriff war durchaus nicht ohne Gefahr, wurde aber von dem Jäger so gewandt ausgeführt, dass er bei dem ihn ganz wohl begreifenden Engländer in höchster Weise Verwunderung wie Bewunderung erregte.

Das Kunststück wurde folgendermaßen ausgeführt: Während er vorwärts auf seinen menschlichen Gegner eindrang, hatte sich der Eber unvorsichtig über die ihn deckenden Wurzelausläufer des Baumes hinausgewagt.

Der Jäger hatte das Tier absichtlich herausgelockt, indem er im Kampf zurückzuweichen schien.

Doch gerade nun, bevor das Tier seine Absicht irgend zu merken vermochte, stürzte der Jäger plötzlich vorwärts und sprang mit der äußersten Kraftanstrengung hoch in die Luft. Auf diese Weise das Tier überflügelnd, gelangte er in den von den zusammenlaufenden großen Baumwurzeln gebildeten Winkel.

Der Eber hatte nun seine vortreffliche Verteidigungsstellung vollständig verloren, der Jäger aber alle Umstände ganz richtig berechnet, denn bevor noch das wütende Tier, durch sein lahm niederhängendes Bein gehindert, sich umzudrehen vermochte, um ihn aufs Neue einzugreifen, hatte er mit seinem langen Schwert weit ausgeholt und ihn dem Tier fast bis ans Heft zwischen die Rippen gestoßen.

Mit einem gellenden Schrei fiel der Eber ausgestreckt auf die Erde hin, das rote Blut sprang hell aus seiner Seite hervor und befleckte die Stegreismatratze aus Baumwollbaumflocken, worauf Herbert die Nacht verbracht hatte.