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Der Totenwirt und seine Galgengäste 1

Der-Totenwirt-und-seine-GalgengästeDer Totenwirt und seine Galgengäste
Eine abenteuerliche und höchst wundersame Ritter-, Räuber-, Mörder- und Geistergeschichte aus der grauen Vorzeit, um 1860

Jammer und Verdacht

»Jesus Maria!«, jammerte die junge, siebzehnjährige Gräfin Hedwig von Bardenfels auf ihrem Siechbett, »ich kann diese grausamen Schmerzen nicht mehr aushalten! Lieber Vater im Himmel, lass mich sterben, damit ich von meinen entsetzlichen Leiden befreit werde!«

Und wieder begann sie zu ächzen und zu winseln, dass sich ein Stein ihrer hätte erbarmen mögen. Mühsam suchte sie ihre Hände zu falten, welche, wie ihre Arme und ihr ganzer Leib, nur mit einer gelben, runzeligen Haut übersponnene Knochen zu sein schienen.

Vor einem halben Jahr war sie noch eine strahlende Schönheit in der vollen Pracht einer aufblühenden Rose gewesen, die Wonne ihrer guten Eltern, deren einziges Kind sie war, die Schönste unter allen Burgdamen des großen Thüringer Waldes, und noch weit darüber hinaus, von den Söhnen der vornehmsten Grafengeschlechter gefreit. Sie schlug aber alle lockenden Anträge aus, weil sie ihr edles Herz bereits an den zwanzigjährigen Junker Hildebert von Auffenbach vergeben hatte, dessen Stammburg vor drei Jahren von zwei mächtigen Raubrittern durch Verrat eines Knechtes nächtlicher Weile eingenommen, ausgeplündert und nach der Ermordung von Vater und Mutter niedergebrannt worden war.

Die Räuber hatten aus den weiträumigen Kellern nicht nur die vollen Weinfässer fortgeschleppt, sondern durch Zaubermittel auch den vermeintlich unaufspürbar verborgenen reichen Schatz von Juwelen, goldenen Geräten und Goldmünzen, welcher sich im Lauf der Jahrhunderte vermehrt und fortgeerbt hatte. Als Hildebert, nun ein elternloser und armer Junker, von dem treuen Freund seines Vaters, dem Grafen Ermin von Rothenfels, in dessen Burg väterlich aufgenommen, mit diesem, bald nach dem Untergang der Burg Auffenbach, unter den Ruinen nach dem verborgenen, dem Hildebert wohlbekannten Schatz forschten, fanden sie zu ihrer größten Verwunderung das Goldnest leer.

Die traurige Lage des Junkers, die er mit männlicher Fassung, und mit demütiger Ergebung in das unabänderliche Geschick zu ertragen vermochte, hatte Hedwigs zartfühlendes Herz gerührt, und vom Mitleid bis zur Liebe ist nur ein kleiner Schritt. Er war ein großer schlanker, kräftiger und schöner Jüngling, ein Meister im Gebrauch aller Waffen und ein ebenso verwegener als auch glücklicher Jäger. Wer weiß, ob der Überfall der Burg Auffenbach gelungen wäre, hätte er sich in jener unheilvollen Nacht nicht zufällig mit anderen Rittern und Junkern als Jagdgast auf der Burg Bardenfels befunden.

Bevor Hedwig auf sein schüchternes Liebesgeständnis ihr Herz ihm schenken und Treue geloben wollte, suchte sie sich zu überzeugen, ob er auch ein gutes Herz besitze, das ihrer Liebe würdig sei. Dazu fand sich bald eine Gelegenheit. Ihr Vater gedachte Hildeberts Sinn für Sparsamkeit zu prüfen und hatte ihm den Erlös aus der Hälfte der von ihm erlegten reißenden Tiere zugesichert, der Bären, Wölfe, Luchse usw. von welchen damals, zum größten Unheil der Landleute, in allen Wälder Deutschlands wimmelten.

Von nun an tobte Hildebert wie das wilde Heer durch die dichten Wälder und kam nie ohne reiche Beute nach Hause. Monatlich erschienen fremde Händler auf der Burg und kauften die Bärenfelle, Luchsbälge und sonst Brauchbares von Wildtieren, zogen von Burg zu Burg und machten mit ihrem Handel in fernen Ländern einen reichen Gewinn. Der mutige Jäger erhielt vom Grafen immer pünktlich die Hälfte des Erlöses mit der väterlichen Ermahnung, »weislich zu sparen, und wenn sich das Geld nach und nach vermehre, es zu guten Zinsen sicher anzulegen«, was Hildebert redlich zu tun versprach.

Am zweiten oder dritten Tag nach dem Empfang des Geldes ritt er gewöhnlich fort, zur Jagd gerüstet, vorgebend, dass er einen weiten Streifzug machen wolle und deshalb wohl einige Tage ausbleiben werde. Zwar kehrte er dann jederzeit mit der Nachricht großer Beute zurück und nannte den Burgknechten die Stellen, wo sie diese finden und auf Wagen heimführen könnten, jedoch ohne seine Heiterkeit in seinen Mienen, mit welcher er sonst sein Jagdglück zu verkünden pflegte.

Einige Stunden von Bardenfels lag eine unscheinbare Burg, Kralleneck genannt, auf welcher ein noch junger, unvermählter Ritter Erhard, ein wilder Geselle, hauste, der stark im Verdacht stand, ein Raubritter zu sein und sogar an der Plünderung und Zerstörung der Burg Auffenbach teilgenommen zu haben. Diesen Verdacht bestärkten die vielen Festgelage in seiner Burg, umgeben von wüsten Kameraden und schlechten Dirnen, ein Schlemmerleben, dessen sich oft seine Knechte, wenn sie mit ihresgleichen irgendwo zusammentrafen, mit wildem Gelächter rühmten. Auf diesem Weg hatte auch Graf Ermin von dem sündhaften Treiben in der Burg Kralleneck Kunde erhalten, und schon häufig von anderen ehrbaren Rittern Klagen gehört, dass ihre Söhne auf allerlei Art dorthin gelockt, im betrügerischen Spiel mit falschen Würfeln ihres Geldes beraubt und mit bösen Beispielen des Lasters heimgeschickt wurden.

Da drängte sich dem Grafen der Verdacht auf, dass Hildebert zur Zeit seiner monatlichen Abwesenheit nach Empfang des Geldes bei Tag die Jagd betreibe, die Nächte aber in der schlechten Gesellschaft auf der Burg Kralleneck zubringe, dort sein Geld verspiele und deshalb immer mit traurigem Gesicht heimkomme. Bei seinem großen Vertrauen auf die Tugend und den edlen Charakter des Jünglings fiel es dem Grafen sehr hart, einen solchen Verdacht zu schöpfen, denn der Argwohn ist ein Schelm, wie das Sprichwort sagt. Er hütete sich auch, diesen Argwohn gegenüber seiner Gemahlin und seiner Tochter auszusprechen, am allerwenigsten gegenüber dieser, deren Neigung zu Hildebert er längst schon bemerkt und im Stillen gebilligt hatte. Er dachte jedoch, dass die Liebe blind sei, und Hedwig, wenn sie davon wüsste, ihm leicht die Ausführung seines Planes vereiteln könnte.

Oft fragte Hedwig den Junker, wenn er in solchen Tagen mit betrübter Miene heimkehrte: »Was fehlt Euch, Hildebert, dass Ihr nicht so heiter seid wie an früheren oder späteren Tagen?«

»Mir fehlt nichts, holdes Fräulein«, antwortete er dann, »es ist vielleicht nur eine Anspannung durch die allzu anstrengende Jagd.«

»Aber warum strengt Ihr Euch gar so sehr an?«

»Um den Sturm in meinem Innern zu schwächen, um leichter zu vergessen …«

»Was?«

»… das mir alles fehlt!«

Er sprach diese Worte mit der innigsten und schmerzlichsten Rührung, mit einem klagenden Blick, der tief in ihr Herz drang.

Die Mutter kam. Hedwig trat rasch an ein Bogenfenster, ihr jungfräuliches Erröten zu verbergen.