Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Sagen- und Märchengestalten – Der Frauen Umzug

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874

Der Frauen Umzug

Auf Wolken thronte einst die Gattin Odins oder Wotans, die im weiten Himmelsraum wie über die Fülle des Erdbodens gebietende Frigga. Sie bewohnt den goldstrahlenden Palast, in den die Geister der Helden aufgenommen wurden, sobald ihr Leib dem Tod verfiel. Aus unerschöpflichen Quellen spendet die Hohe des Segens Überfluss. Unter ihrer Hand bedecken sich die Felder mit schweren Halmen, kleiden sich die Bäume in liebliches Frühlingsgewand und schwellt nach der Blüte auch die prangende Frucht. Wenn beide Gatten sich liebend vereinen, sendet jeder Strahl des Himmelslichtes eine neue Gabe zur Erde hinab. Wenn sie sich trennen, versiegt des Segens Born und alles welkt. Auf Fittichen des wildesten Sturmes folgt Wotan der Holden nach, die sich ihm streng entzog. Der Felder goldene Frucht verdirbt, das Grün der Wälder bleicht und der zürnende Gott würgt die Genien der Bäume mit schadenfroher Lust, denn sie dienen der Gattin, die seiner Liebe spottet.

Doch nicht immer scheidet die Göttin sich von dem Gemahl. In den heiligen Zwölften trägt ein schimmernder Wagen das unsterbliche Paar durch die Nacht der Wälder dahin, vom Himmel zur Erde, aus und ein in die Burg, deren Schoß Wotan mitunter aufnimmt. Zuweilen ist der Wagen feurig, d. h. golden, oft nur kristallen oder auch schwarz. Wenn er rasch wie der Blitz vorüberführt, sieht man Wotan und Frigga darin sitzen. Der Anblick der Götter bringt aber Verderben, denn er taugt nicht für das sterbliche Auge. Wie des Gottes Gestalt mannigfach verändert sich darstellt, so rührte die Sage auch an Friggas Erscheinung, deren Name allmählich in Holda, Abundia, Diana, Frau Venus, oder auch in Herodias, in Perchta, Frau Gauda und andere überging.

Frau Holda oder Frau Holle erweist sich den Menschen, besonders den Kindern, freundlich gesinnt, sie straft aber auch Trunkenbolde, Flucher, unordentliche Hausfrauen und böse, hartherzige Buben und Mädchen. Sie wohnt in den Wolken des Himmels, dort schüttelt sie ihre Federbetten, wenn der Schnee in der Luft umherwirbelt, mit den noch ungeborenen Kleinen sitzt sie im Kinderbrunnen, wandert als eine schöne, stolze Frau unter den Bäumen des Waldes oder keucht mit schwerem Korb auf dem Rücken, hässlich und ungestalt an den Bergen empor. Wenn die wilde Jagd brausend durch die Wälder zieht, fährt Frau Holle in ihrem Geleit. Mit der Holle ziehen auch die ungetauft verstorbenen Kinder, welche nicht in den Christenhimmel eingehen durften. Dann schildert die Sage ihre Führerin als eine garstige Alte mit struppigem Haar und langen, gelben Zähnen, die unter der großen, spitzen Nase drohend hervorsehen. Mit der Märchengestalt, leibhaftig wie des Teufels Großmutter, schreckte die Wärterin gern die ungezogenen Kinder.

Frau Holle hält auf gute Ordnung, wenn sie in den heiligen zwölf Nächten durch die Häuser zieht. Wehe der faulen Dirne, deren Spinnrad Zeugnis von ihrer Unordnung ablegt! Zu Weihnachten kommt sie in das Land, da werden alle Rocken mit Flachs sauber umwickelt, denn die Gütige spinnt zuweilen ihren Lieblingen eine ganze Spule voll feinen Garnes, auf dem dann ein besonderer Segen ruht. Wer ihren Zorn durch Trägheit oder Unordnung reizte, fand am Morgen den Rock zerzaust und beschmutzt. Zu Fastnacht musste der Flachs abgesponnen und die Rädchen beiseitegestellt, jeder Winkel in Gemach und Küche sauber gefegt und mit weißem Sand gestreut sein. Wo sich alles so fand, sprach die Nachtgöttin ihren Segen: »So manches Haar, so manches gute Jahr.« Schmutzige Räume strafte sie: »So manches Haar, so manches böse Jahr.«

Durch das Mansfelder Land zog am Donnerstag nach Fastnacht alljährlich das wilde Heer, und die Leute strömten von weit und breit herbei, dem seltsamen Aufzug beizuwohnen. Voraus schritt ein alter, bärtiger Mann, der getreue Eckhart, einst im Nibelungenlied gefeiert als Kriemhildes Kämmerer, nun gebannt in den ruhelosen Zug, wenn er nicht am Hörselberg saß, die unvorsichtig Nahenden vor Frau Venus zu behüten, die so manchen tapferen Rittersmann mit süßem Reiz verlockte.

»Fliehet ab dem Wege, dass Ihr nicht Schaden nehmt!«, rief der Alte den Herandrängenden entgegen und schwang den weißen Stab, denen, die ihm folgten, freie Bahn zu schaffen. Da traten seltsame Wanderer einher. Hier rollte einer, aufs Rad geflochten, den Heerweg entlang, dort trug ein anderer sein Haupt in der Hand, auf zweibeinigem Pferd kam ein Dritter, wieder andere hatten Arm oder Bein auf die Schultern geladen. So floh der gespenstische Zug vorüber, und wer ihm nicht auswich, büßte den Trotz schwer genug. Das wilde Heer riss ihn fort und setzte ihn dann hilflos auf dem Wipfel eines hohen Baumes oder auf steiler Felsenklippe ab. Im Hörselberg hielt Frau Holle, wenn sie nicht umzog, Hof. Erst im 14. oder 15. Jahrhundert wandelte die Sage ihren Namen in Frau Venus um. Im Berg dienten ihr die Elben, deren Königin sie war, und dort, in ihrem unterirdischen Reich, thronte sie in seltener Schönheit und Pracht.

Wo Frau Holle im Brunnen sitzt, hütet sie, wie schon erwähnt, die noch Ungeborenen. Die Sage meldet von einem Hollenteich, der Gütchengrube, dem Kindergut oder von dem Knäbleinsborn, dem Milchbrunnen und wie die Namen alle lauten mögen, mit denen man den Ort bezeichnete, an dem Frau Holle ihre Kleinen auf die Erde steigen lässt. Sie wurden aufgefischt, auch wohl gekauft, am häufigsten bringt sie Niklas, eine alte Frau, oder der Storch. Keines aber weiß sich darauf zu entsinnen, wie es in der Göttin Brunnen liebliche Spiele gespielt und wie es herausgestiegen war aus der heimischen Flut. Störche sind eigentlich verwünschte Menschen, deshalb haben sie ihre besondere Art zu leben, und wer ihnen wohl tut, dem bringen sie Glück. Wo die Kindlein im Brunnen wachsen, da ist auch der eigentliche Jungbrunnen, über den Frau Holle gebietet. Wer, von ihr begünstigt, in die Wunderflut hinabtaucht, empfängt einen neuen, jungen Leib durch die Huld der Brunnenfrau, deren Gewässer die Haut strahlend macht. Lieblich wie die Brunnengöttin ist Holda auch dann, wenn sie während der heiligen zwölf Nächte in Taubengestalt die Luft durchrauscht. Als ein weißes Täubchen flattert sie vor den Augen des entzückten Landmanns, der nun weiß, dass im neuen Jahr der Ernte Segen wunderbar sich mehren wird. Wer die Göttin erblickt, dem verleiht sie unverhofftes Glück. Mit ihren kleinen, rosigen Füßen trägt sie einen wunderfeinen Stuhl, vom feinsten Rohr geflochten, auf den sie sich, wenn sie ermüdet, niederlässt. Das kann man am Korn bemerken, denn wo die Taube ruhte, blüht und grünt es schöner als an anderen Orten. So klein die Flügel des Vogels auch sein mögen, rauscht es hinter ihm durch die stille Luft mit gewaltigem Brausen, den Götterflug verkündend. Wenn aber der Dreikönigstag vorüber ist, wandelt die Taube sich wieder in Frau Holde und verschwindet.

Die Göttin wurde oft von Sterblichen gesehen, wie sie zu einem Gewässer hinabstieg, um sich zu baden. So trat sie aus dem Harkenberg, die Wildschweine lockend, so aus dem Kyffhäuser, den sie mit dem alten Barbarossa teilt. Ihr Weg zum Bad hinab ist tief ausgetreten, alle Tiere des Waldes sind ihr untertan und geleiten sie an das Wasser, dessen Flut ihr geweiht ist.

Einst schritt sie den Berg hinauf, an dessen jenseitigem Abhang ein Salzsee lag. Am Rand des Weges saß ein Schäfer mit Hund und Herde, den redete sie mit holden Worten an um ein Stück von dem kräftigen Schwarzbrot, das er in den Händen hielt.

Der Mann war aber roh und karg dabei, lachte höhnisch und sprach: »Das Brot verdiente ich ehrlich mit saurem Tagewerk. Willst Du essen, so arbeite gleich mir. Für träge, fahrende Dirnen ist meine Speise nicht feil.«

Da hob die Göttin zürnend eine Rute empor, welche sie in den Händen trug, und berührte damit Schäfer, Hund und Herde, die nun, in rauen Stein verwandelt, droben liegen bleiben mussten. Frau Holle badet meist allein, zuweilen aber auch in Gesellschaft geisterhafter Wesen, die ihr gleich an Schönheit sind. Manch’ Glücklicher, dem sie begegnet, sah sie zwischen elf und zwölf Uhr mittags zum Main hinunterwandeln oder belauschte sie, ehe die Sonne sich erhob. Langes, goldgelbes Haar überflutete ihren schimmernd weißen Leib, wenn sie aus dem Wasser hervortauchte. Ein Bursche, der zwischen den Weidenstämmen am Ufer seine Mittagsruhe hielt, vernahm leises Rauschen, wie wenn ein Schwan die Flügel hebt. Als er sich aufrichtete, schwammen drei wunderschöne Frauen vor seinen Blicken, nur die eine war halb verdeckt von dem Gesträuch. Vorsichtig schlich der Jüngling näher hinzu, um besser sehen können. Da fiel ein Zweig zu Boden, und die holden Gestalten verschwanden wie ein Hauch.

Wenn der Mond die Wellen bestrahlte, erklangen durch die Nacht oft seltsam schöne Weisen. Die tönten von der Felsenklippe, die am Karthäuserberg zum Main hinunter schaut. Dort saß Frau Holle im silbernen Mondlicht, umduftet von der Rebenblüte und sang. Wer dem Lied Ohr und Herz zu öffnen wagte, den ergriff es mit sehnsuchtsvollem Weh, dass er nicht mehr widerstehen konnte und in den Zauberkreis der Göttin trat. Wem es aber angetan worden war, der starb in wenigen Tagen und musste nächtlich durch den Wald brausen in Frau Holles wütendem Heer. Manche sahen dem Zug nach, der oft gar wunderbar schön sich ausnahm, denn nicht immer war es der Toten unheimlicher Schwarm, den sie führte. Wo die Sage sie als Elbenkönigin nennt, verlieh sie ihr auch ein herrliches weißes Ross mit silbernen Glöckchen an Sattelzeug und Zaum. Der Schimmel berührte mit seinen Hufen die Erde nicht, sondern schwebte über den Waldboden dahin mit lieblichem Klingen. In den Abendstunden lauschte mancher verspätete Wanderer dem harmonischen Geläut, das bald nah, bald fern erklang, mal hoch droben in den Lüften verhallte, dann wieder mit vollen kräftigen Tönen herabsank. Im Sporkertswald lagerten einst Russen, die gen Frankreich zogen. Sie hatten einen Feldprobst bei ihrem Regiment, der sich auf allerlei Künste verstand und das Luftgeläut zu bannen wusste. Als er mit den Truppen wieder von dannen zog, musste Frau Holdas Schimmel ihm folgen und nun schwebt er nächtlich über den russischen Steppen.

Wem Frau Holda günstig war, dem begegnete sie im Wald, anzusehen wie eine überaus schöne geisterhafte Frau, das Haupt von einem langen niederwallenden Schleier umgeben. Müden Frauen nahm sie oft mit ihren zarten, weißen Händen die schwere Bütte vom Rücken oder sie trug ihnen das Holzbündel, Gras und Heu den Berg hinauf. Am Frauhullistein ruhte sie dann, und man sieht noch heute zwei Löcher, welche die Stäbe der Bütten und Körbe in den harten Felsen eingedrückt haben. Wer in der Dunkelheit vom Weg irrte, dem half sie freundlich zurecht, indem sie vor ihm herging, dabei leuchtete ihre ganze Gestalt in goldenem Licht. Das tat sie auch dem Röttbacher Bauern, als er trunken durch den Wald heimwärts stolperte. Aber der Tor nahm das gewaltig übel und rief der Nachtfrau zu: »Fort, du Hexe! Habe ich dich gerufen, mir zu leuchten?« Da wurde es plötzlich stockdunkel um ihn her, er kam vom Weg ab und taumelte schon dem Abhang zu, als es dicht hinter ihm so furchtbar krachte, als ob der ganze Berg in sich zusammenbräche. Der Schreck ernüchterte den Mann schnell genug und zu seinem Glück, denn er befand sich gerade auf dem Frauhullistein, von dem der nächste Schritt ihn in den Abgrund stürzen musste. Da sank ihm der Mut, weiter zu gehen, er kehrte zu dem nächstgelegenen Dorf zurück und bat, ihm jemand mitzugeben, der ihn sicher nach Hause geleite. Das geschah freilich, allein der Bauer wurde bald darauf schwer krank und starb.

Wer von Brantenberg in Tirol nach Tiersee wandern will, der muss über den Nachtberg steigen. Dort sind die Wälder so dicht und schließen die Bäume ihre himmelhohen Wipfel so eng zusammen, dass es auf den schmalen Pfaden, welche den Forst durchkreuzen, fast dunkel ist, wenn die Sonne leuchtend im Mittag steht. In jenen Wäldern gab es reiche Beute für den Jäger: Hirsche, Rehe und Gämsen fanden sich auf der steilen Höhe im Überfluss. Das lockte auch die Wilderer in Scharen herbei, die alles, was ihnen vor die Flinte kam, erlegten. Bald war der Nachtberg fast entblößt von Wild, selten nur ließ sich noch ein Stück in dem unsicheren Revier blicken. Ganz droben in einer Sennhütte hauste im Sommer ein junger Hirte, der Butter und Käse bereiten und zu bestimmter Zeit ins Tal hinuntertragen musste. Der Bursch war groß und schlank gewachsen und dabei voll Kern und Mark. Die schwere Last, welche er auf dem Haupt trug, drückte ihn nicht mehr als der Hut, der keck auf seinem Ohr saß. Wie er einst nun des Weges zog, stand vor ihm eine Frau im dunklen, faltenreichen Jagdgewand stolz und hoch aufgerichtet wie eine Königin. Freundlich winkte sie dem Senner und sprach: »In diesen Wäldern jagten dereinst Könige und Fürsten, heute aber schleicht durch die öden Gründe nur der Räuber, der mordgierig seine Büchse auf Mensch und Tier richtet. Meine Augen sahen das Blut so manches wackeren Jägersmannes den Waldboden färben. Dich habe ich ausersehen, dass es hier anders werde. Du sollst mir die Tiere des Walds hegen und den Wilderern ein Schrecken sein.«

Dem Senner graute vor der geisterhaften Frau, so schön sie auch war, und er entgegnete stockend, dass er kein guter Schütze sei und nur verstehe, das Vieh in den Bergen zu hüten.

»Wehe Dir!«, rief die Erscheinung ihm drohend zu, »wenn du meinem Willen nicht gehorsam bist. Ich will die Matten (Bergwiesen) zerstören und deine Kühe in den Abgrund stürzen. Glück und Segen, die ich dir bescherte, sollen von dir weichen, ja, ich will deines eigenen Leibes in meinem Zorn nicht schonen.«

Da ergab sich der Senner, schonungslos strafte er die Wilderer, die in seinen Berg stiegen, und wer des Schützen Kugel etwa trotzen mochte, den vertrieb Frau Holda, wenn sie vor ihm emporstieg aus des Waldes Dunkel. Noch heute weisen sich die Spuren ihrer Füße im harten Stein, wo sie einst vor dem Senner, Gehorsam fordernd, stand. Seitdem wurden Berg und Wald so reich an Tieren aller Art wie nie zuvor, und es schien fast, als stiegen sie empor aus unterirdischen Weideplätzen, die kein Schütze je betrat.

Im Norden geht die Sage von einer Waldfrau, Hulla oder Huldra. Sie erscheint in himmelblauem Gewand, mit wehendem Schleier, bald jung und schön, bald alt und hässlich. Wie sie sich aber auch zeigen mag, ihr fehlt die seltsame Beigabe eines langen Schwanzes nicht, den sie sorglich zu verbergen trachtet. Er ist das geisterhafte, elbische Attribut, dessen sie sich nicht entäußern kann, gleich der Schwanfrau, die nur bedingungsweise unter sterblichen Menschen weilen darf, oder wie die Nixen, die am Gewand ein feuchter Saum verrät, das äußere Zeichen ihrer Fischgestalt, die sich völlig offenbart, wenn der Leib sein heimisches Element berührt. Sorgfältig bergen auch die kleinen Leute, Zwerge und Waldweiblein, ihre Elbenfüße unter langen, schleppenden Gewändern. Wer der nordischen Huldra ins Antlitz schaut, dem zeigt sie sich in holder Schöne. Doch wer ihr nachzublicken wagt, entdeckt die hässliche Zierde, deren Besitz die Waldfrau auf immer von den Menschen scheidet. Die Lieder, welche sie im Wald singt, fliegen wie eine traurig klagende Melodie, denn sie sehnt sich nach endlicher Erlösung. Dieser Drang der elbischen Wesen nach dem Besitz eines warm empfindenden, von sündiger Regung unberührten Menschenherzens verleitet auch die Huldra, die noch ungetauften Kleinen zu entführen, die ihr folgen müssen, wenn sie als eine grau gekleidete alte Frau mit ihrer Herde durch die Wälder zieht.

Dämonischer als Huldra, welche gewissermaßen das Mittelglied bildet, den Übergang von Frau Holles göttergleichem Wesen auf die zauberisch wilde Gestalt der nordischen Sage, zieht Reisarova oder Gurorysse durch den Wald. Wer durch seine Taten zu gering für den Himmel, doch nicht reif genug zur Hölle sich erwies, musste in dem wütenden Heere Gurorysses reiten bis zum Jüngsten Tag. Kohlschwarz sind die Rosse, aus Eisen Sattelzeug und Zaum, und klirrend braust der wilde Zug dahin, bald hoch droben in der Luft, bald der Erde nahe. Doch die Hufe der gespenstischen Pferde berühren den Boden nicht. Wo ein Gewässer ihrem Lauf entgegentritt, reiten sie darüber hin wie über trockene Heide und bedürfen keines Fährmanns. Allen voraus tobt die wilde Reisarova, an ihrem langen Schwanz erkennbar; ihr nach Herren und Frauen auf stattlichen Rappen, welche Feuer und Flammen sprühen und deren Zaumzeug von dem scharfen Ritt in Glut geraten. Wer es wagen würde, dem tobenden Heer nachzuschauen, würde nichts davon erblicken als Gurorysses langen Schweif. Bösewichte ergreift die Menge und führt sie mit sich fort auf Nimmerwiedersehen. Guten Menschen vermag der nächtliche Schwarm nichts anzuhaben, besonders wenn sie sich mit dem Angesicht platt auf den Boden niederwerfen. Wo Guros Heer sich naht und Unheil stiften will, da schleudert einer aus dem Haufen seinen Sattel auf das Dach und in solchem Haus stirbt dann ein Mensch ganz plötzlich. Zur Julzeit, um Weihnachten, wo Reich und Arm zu prassen pflegen und bei den Schmausereien sich leicht zu sündigen Handlungen hinreißen lassen, zieht das wütende Heer durchs Land. Schatten gleich hocken die unheimlichen Gestalten über der Pforte, und wo ein Streit in Schlägerei ausartet oder gar zu Blutvergießen führt, da jauchzen die bösen Geister in dämonischer Freude und rasseln mit ihren Eisenstangen, als wollten sie die trunkenen Begierden noch höher anfachen. Der Landmann kennt die Fahrenden und ihre schlimmen Absichten, er bekreuzt darum während der Julnächte die Türen an Stall und Haus, damit das heilige Zeichen die Unholde fernhält.

Die Sagen von Hulda oder Frau Holle finden sich nur in bestimmten Ländern, besonders in Hessen und Thüringen, im Vogtland und zurück über die Rhön hinaus, bis zum Westerwald und Niedersachsen, je näher ihre Kunde dem Süden Deutschlands dringt, desto häufiger taucht neben und mit ihr Frau Berchta, Perachta oder Perchta auf. In Bayern, Österreich und in der Schweiz führt sie allein die Herrschaft. Perchta war einst die leuchtende Göttin, aber sie verfiel früher noch als Holda dem Verteufelungsprinzip der Menschen. Sie wurde zu einem tobenden, fratzenhaften Weib, zur kinderraubenden Hexe, zu einem Schreckbild für Kinder. Frau Perchta mit der langen Nase und dem borstigen, verworrenen Haar führt überall, wo sie erscheint, ein scharfes Regiment. Wer am letzten Tag im Jahr nicht Brei und Fische isst, dem schneidet sie nachts den Bauch auf, füllt ihn mit Heckerling und Steinen und näht den Riss mit einer Pflugschar und eiserner Kette wieder zu. Wie der Alb tritt sie dem Schlummernden auf Brust und Magen, wenn er am Abend zuvor nicht alle Speise, die auf seinem Teller lag, verzehrt hat.

Darum ermahnten Väter und Mütter wählerische Kinder, alles rein aufzuessen, »sonst tritt euch die Stempe.« Stempe, Stampa oder Trampe galten als volkstümliche Bezeichnungen des Albs.

Stampa zeigte sich um die Weihnachtszeit, wo sie mit ihrem Rosskopf den Leuten abends in die Fenster schaute. In der Nacht vor dem Dreikönigstag zieht sie durch alle Spinnstuben im ganzen Land.

In Steiermark bezeichnet der Bauer während der Zwölften alle Türen mit einem Kreuz und sucht das unheimliche Wesen, welches oft als kopfloser, polternder Nachtgeist oder auch mit grünlich leuchtenden Augen, groß wie eine Fensterscheibe erscheint, durch den Dampf geweihter Kräuter zu verscheuchen. Vermag Perchta ins Haus zu dringen, so verschwindet ein Mensch aus demselben, den sie morgens als Leiche wiederbringt. Um sie günstig zu stimmen, beschenkten sie die Talbewohner mit Speck und Wurst, hoben auch wohl einen Teil des Nachtessens für sie auf, das sie in das Vorhaus stellten. Verzehrte sie das Aufgestellte oder wurde es wenigstens von ihr berührt, so galt dies den Ackerbauern als Zeichen für eine gesegnete Ernte im kommenden Jahr. Noch heute ziehen in jenen Gegenden vor und nach dem Neujahrstag alte Weiber von Haus zu Haus, sprechen einen Spruch und lassen sich bewirten, mäkeln dabei auch der Frau Perchta zu Ehren hin und wieder an Speisen und Hausgerät.

Wo der Weg unterhalb der Feste Kufstein vorübergeht, saß die Göttin oft zur Nachtzeit als ein kleines, in schlechte Kleider gehülltes altes Weib. Mit ihren klug blickenden glänzenden Augen spähte sie über die gewaltige Nase hin nach Wanderern, welche etwa aus dem Tal heraufkommen mochten. Mit freundlichem Nicken hielt sie ihnen ein schwarzes Tuch zur Gabe hin. Wer es nahm, der starb binnen Jahresfrist. Rief man ihr aber zu »Percht, Percht, über’n Weg, wirf’s schwarze Tüchel weg!«, so brachte die Begegnung dem Wanderer Glück.

Im Salzburgischen wird der Perchtel zu Ehren das Perchtenlaufen gehalten. Die Burschen ziehen am hellen Tage in allerlei garstigen Vermummungen von Ort zu Ort, läuten mit Kuhglocken und knallen mit langen Peitschen. Im Gasteiner Tal findet man noch heute das Perchtelspringen. Das Perchtelspiel war ein Fastnachtsscherz in Österreich, auf dem das junge Volk mit wilden Perchteln allerlei Unfug trieb, sodass es von Obrigkeitswegen verboten wurde. Schweizer feiern am 2. Januar oder, wenn der Zweite auf einen Sonntag fällt, am Dritten, mit Gesang und Tanz den Berchtelstag, ehedem pflegten die Männer einander auf der Gasse aufzulauern, um in einem Weinhaus zu »berchteln«. Wer nicht gutwillig mitging, der wurde von der lustigen Schar mit Gewalt gepresst und zum Berchtold geführt. In Schwaben gingen Knaben und Handwerksgesellen zur Weihnachtszeit »bechten«, d. h., sie zogen mit Geschrei und unter Verübung von allerlei Unfug von einem Haus ins andere.

Am Vorabend des Dreikönigstages streift Frau Perchte um die Häuser und zerreißt böse Kinder. Da ist es geraten, recht viele fette Kuchen, besonders Pfannenkuchen, zu verspeisen, weil sie an dem Fett mit ihrem Messer abgleitet. Perchta empfing im Volksmund ein besonderes Fest, den Perchtentag, das ist der Dreizehnte nach Weihnachten, das Fest der Erscheinung Christi. Der Abend vorher heißt nach dem himmlischen Licht, welches die Hirten aus dem Feld überstrahlte, die leuchtende Nacht, Perchtenacht.

Die Sage der Perchte verknüpft sich mit der von den weißen Frauen, deren jede zwar einem bestimmten Geschlecht zu eigen gegeben wurde, welche in der Gesamtheit aber den Namen Berta festhalten. Sie erscheint als Ahnmutter, durchwandert nächtlich die bekannten Räume, den spätesten Enkeln Glück oder Unglück vorherverkündend. Die französische Sage greift weit zurück in die fabelhafte Zeit der alten Helden, wenn sie spricht: »In jener Zeit, da Berta spann.« Königin Berta, die Gemahlin des mächtigen Pipin, war entsprossen aus dem Bund des Königs Fleur (Blume) und seiner holden Blanch Fleur (weiße Blume). Sie war die Mutter des großen Karl. Böse Zungen wussten viel von den Füßen der Königin Berta zu erzählen, welche in garstiger Unbildung die elbische Natur Weißblumes verraten sollten. Andere Sagen berichten, dass nur ein Fuß Bertas von dem Treten des Spinnrades ungewöhnlich dick geworden sei, sie heißt deshalb Berta mit dem Plattfuß.

Zuweilen nennt das Volk sie die Frau des Pilatus und erzählt, sie müsse durch rastloses Wandern die sträfliche Nachgiebigkeit des Landpflegers gegen die meuterischen Juden büßen.

Wunderlieblich ist die Sage von Frau Perchtas Umzug im Geleit der Heimchen oder der kleinen Kinder. Wo zwischen Bucha und Wilhelmsdorf fruchtbare Niederungen längs der Saale sich erstrecken, wohnte im Schoß der Erde Perchta mit den kleinsten der Zwerge, den Heimchen. Den fleißigen Landmann mit reichem Erntesegen zu lohnen, führte sie selbst den unterirdischen Pflug mit ihren Götterhänden, lockerte den Boden und pflegte der Saat, während die Heimchen wie emsige Bienlein Wasser herbeitrugen, um Feld und Flur von unten her mit milder Feuchtigkeit zu durchnetzen. Das war eine goldene Zeit für das Thüringer Land und es gediehen Obst, Korn und Wein in Fülle. Aber das spöttische Geschlecht der Menschen erkannte nicht die segnende Göttin im Walten der fruchtbringenden Natur. Unruhige Tage begannen für das kleine Volk, überallhin drängten sich die lärmenden Vorboten einer Tätigkeit, die den Unterirdischen lästig und verhasst werden musste. Da weckte einst spät in der Nacht vor Perchtentag eine Stimme den Fährmann beim Dorf Altar, der, solcher Störung unfroh, mit mürrischem Antlitz an das jenseitige Ufer der Saale ruderte. Dort stand eine hehre Frau, von weinenden Zwerglein umgeben, die für diese und für sich gebieterisch Überfahrt heischte. Die kleinen Leute trugen den segenbringenden Pflug der Göttin und alle Gerätschaften, deren sie sich zur Bewässerung und Pflege des Bodens bedient hatten, in die Fähre, die bald bis zum Rand gefüllt war. Der Schiffer musste abstoßen. Als sie das jenseitige Ufer erreicht hatten, hieß ihn Perchta noch einmal zurückrudern, und abermals füllte sich die Fähre mit dem kleinen Volk. Als er sie alle glücklich ans Land gesetzt hatte, deutete die Göttin, welche nicht müßig gewesen war, auf eine Menge Holzspäne, die rund um ihren Pflug die Erde bedeckten, und sprach: »Nimm zum Lohn für deine Mühe, was von meinem Holz hier liegen bleibt.«

Der Mann, der sich viel mehr versprochen hatte, nahm verdrossen aber nur drei der Späne auf und schritt damit in sein Haus, während die Göttin weiterzog, gefolgt von ihren jammernden und wehklagenden Heimchen, die die traute Heimat verlassen mussten, weil die bösen Menschen, denen sie doch so gern Liebes erwiesen hatten, sie daraus vertrieben. Als der Fährmann in seine Kammer trat, warf er die Späne auf den Fenstersims und begab sich zur Ruhe. Am anderen Morgen glänzten ihm dafür drei Goldmünzen entgegen.

Oft genug traf dieser oder jener am Perchtenabend die umziehende Göttin mit zerbrochenem Pflug an und musste Wagnerdienste gegen scheinbar geringen Lohn verrichten. Immer aber wandelte die Gabe sich in leuchtendes Gold. Das verleitete einstmals des Wagnermeisters Knecht zu Kolba, sich nachts am Orlaflüsschen herumzutreiben und der Göttin in den Weg zu treten.

Doch zürnend herrschte sie ihn an: »Was tust du hier um diese Zeit?«

Und da er erschrocken stammelte, er habe gedacht, sie könne seiner vielleicht bedürfen, erwiderte sie: »Ich bin mit Handwerkszeug gut genug versehen! Hier nimm, was dir gebührt.« Dabei schwang sie eine Axt und hieb den Mann tief in die rechte Schulter, dass er sein Leben lang an Perchta zu denken hatte.

Wie dem wilden Heer niemand mit dreisten Blicken folgen durfte, so strafte auch die Göttin jede Neugier, schlimmer aber noch Spott und Gelächter. Eine fleißige Spinnerin hatte das Jahr hindurch wacker geschafft und ging nun in stolzem Selbstbewusstsein heim, die Straße entlang, welche vom Neidenberg her ins Tal hinunterführt. Da kam ihr eine hohe Frau, begleitet von einer zahllosen Kinderschar entgegen. Die Spinnerin trat näher heran, um den seltsamen Aufzug zu beschauen. Als sie die Zwerghäupter auf den kleinen Gestalten erblickte, die sich jammernd abmühten, Pflug und Feldgerät den steilen Weg emporzuschleppen, brach sie in ein lautes, höhnisches Gelächter aus.

Blitzenden Auges stand plötzlich die zürnende Perchta vor ihr, hauchte sie an und schloss ihr damit den spottenden Blick für immer.

Nun tastete die Erblindete wehklagend den Weg hinab, den sie nicht mehr sehen konnte. Ihr sonst so flinkes Rädchen stand von nun an unberührt in der staubigen Ecke. Wochen und Monate sah man sie an der Straße, die nach Neidenberg führt, einsam sitzen und die Vorübergehenden um eine Gabe ansprechen. Als ein Jahr verstrichen war, zog Perchta wieder durch das Land, und das Weib am Weg, das ja nicht sehen konnte, sprach die Hohe um ein Scherflein an.

»Im vorigen Jahr«, entgegnete die Göttin, »blies ich hier die Lichtlein aus, so will ich heuer sie wieder anblasen.« Hauchte ihr ins Angesicht und öffnete die lange verschlossenen Augen wieder.

Auch Perchta fuhr zuweilen in einem Wagen, den die Heimchen oder die Seelen ungetauft verstorbener Kinder mit ihr teilten. Wenn das wilde Heer seinen Umzug hält und an Wotans Stelle Frigga – Unhold genug, nennt spätere Sage sie die alte Frick, des Teufels Großmutter – durch die Wälder braust, folgt ganz zuletzt Perchta im Geleit kleiner Elben oder toter Kinder.

Oft sahen verborgene Lauscher, dass eines oder das andere dem wilden Tross nicht folgen konnte. Das sind die Kleinen, welche zufällig von einem Tröpfchen des Taufwassers berührt worden sind und dadurch zurückgehalten werden.

Eine Sage erzählt:

Einem jungen Weib war das erste und einzige Kind gestorben. Verzweifelt raufte sie ihr Haar, jammerte Tag und Nacht und lag oft viele Stunden schmerzversunken draußen an dem kleinen Hügel, der ihres Kindes Leiche deckte. Tief in der Nacht, als die Sterne matt durch die Wolken blinkten, konnte man ihre vom Kummer gebeugte Gestalt noch auf dem Kirchhof sehen, und oft trafen sie dort noch die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne. So kniete sie auch am Perchtenabend dort, wo ihr Teuerstes in der Erde ruhte. Die Stirn auf den kleinen Hügel gelehnt, rannen heiße Tränen über ihre vergrämten Züge. Da hörte sie hoch über sich ein Brausen in der stillen Nachtluft, das sich mehr und mehr auf den Gottesacker herabsenkte, und endlich über die grünen Friedensstätten dahinwallte. Erschrocken richtete sie sich auf, ihr umflorter Blick fällt auf einen langen Zug lieblicher Kindergestalten, in dessen Mitte ein göttliches Frauenbild dahinschwebt. Einige Schritte hinter dem Zug erblickt sie ein liebes kleines Wesen, das matt und müde, einen Krug in der Hand tragend, nicht so eilen kann wie die anderen und stolpernd seine Bahn verfolgt. Die Führerin gleitet über die niedrige Hecke des Friedhofs, ihr nach klettern die Kleinen, als aber das Letzte mit dem Krug der Hecke naht und vergebens sich abmüht, darüber hinwegzukommen, da schneidet es dem Weib in das Mutterherz und sie springt auf und breitet ihre Arme weit nach ihm aus. »O, wie warm sind Mutterhände«, flüstert es, indem es sein bleiches Totenangesicht zu ihr emporhebt, »aber«, setzt es leise flehend hinzu, »weine nicht so sehr, du weinst mir den Krug zu voll und schwer, da sieh, ich habe mein Hemdchen schon ganz damit beschüttet.« Wie ein Duft schwand das Kind aus ihren Armen. Da sank das Weib auf ihre Knie und weinte zum letzten Mal das bittere Weh in heißen Zähren aus. Dann stand sie auf und kehrte heim, mit Mutterliebe den Mutterschmerz bezwingend, damit ihr Kind Ruhe finde im Grab.

Wie in Tirol das Perchtenlaufen noch heute die junge Welt ergötzt, hat sich im Entlebuch, in der Schweiz, eine Posterlijagd eingebürgert, die regelmäßig am letzten Donnerstag vor Weihnachten stattfindet. Man denkt sich das Posterli als eine meckernde, gespenstische Ziege oder als ein altes, seltsames Weiblein, welches nachts umherschweift. Irgendein lustiger Bursche übernimmt die Rolle der Nachtwandlerin, steigt in einen Schlitten, der pfeilgeschwind über den weißen, glitzernden Schnee dahinfliegt, und ihm nach tobt eine lachende, ausgelassene Schar junger Leute dem nächsten Dorf zu, wo sie von einem Trupp anderer Burschen mit Peitschengeknall und Schellengeklingel empfangen werden und allesamt nun mit Alphörnern, Schellen und Blechplatten, die aneinander geschlagen werden, einen wahren Höllenlärm veranstalten.

In der Prignitz gilt die Sage von der Frau Gauden und ihren Töchtern, und die Kinder singen dort: »Fru Gauden hett mi’n Lämmken geven, darmitt sall ik in Freuden leben.« Frau Gauden und ihre 24 schönen Töchter liebten die Jagd über alles. Von des Morgenrots erstem Strahl bis in die späten Abendstunden tummelten sie sich in Wald und Feld und riefen dann wohl in kecker Waidmannsart: »Die Jagd ist besser denn das Himmelreich.« Einst läuteten alle Glocken zur Sabbatruhe. Jung und Alt legte die Arbeit beiseite und pilgerte froh zum Gotteshaus. Frau Gauden und ihre Töchter aber ritten aus zur Jagd. Wie sie in wilder Lust dahintobten mit Peitschenknall und Hörnerklang, ertönte die gottlose Rede wieder von ihren Lippen. Da wandelten die grünen, flatternden Gewänder der Mädchen sich in raue Zotten, alle 24 wurden zu Hündinnen, welche heulend am Wagen der ruchlosen Mutter emporsprangen. Der Zug erhob sich in die Wolken, und dort müssen sie in alle Ewigkeit jagen. Man hört Frau Gaudens Jagd das ganze Jahr hindurch toben, sehen kann man sie aber nur während der Zwölften, denn alsdann naht sie den Wohnungen der Menschen und tobt durch die Dorfgassen. Wo eine Haustür offen steht, läuft ein Hund hinein, legt sich am Herd nieder und winselt in einer unerträglichen Weise. Bestürzt blicken sich dann die Hausbewohner an, denn der heulende Gast bringt Unglück: Krankheit unter Menschen und Vieh und Feuersnot. Es ist unmöglich, das Tier zu beruhigen, auch lässt es sich durch kein Mittel aus dem Haus schaffen. Wird es erschlagen, so wandelt es sich in einen Stein, der, und wenn man ihn hundert Mal hinauswirft, immer zur Nacht wiederkehrt. Niemand im Haus vermag auf die Dauer dem Unwesen Stand zu halten. Erst die nächsten Zwölften bringen den Geplagten Erlösung. Einst war ein solcher Hund Leuten zu Semmerin als Neujahrsgeschenk in die offene Haustür gelaufen und sie wussten sich keinen Rat vor dem ununterbrochenen Geheul des unbegehrten Gastes. Endlich riet ihnen eine kluge Frau, sie sollten das Bier durch einen »Eierdopp« brauen. In das Zapfloch des Kübels wurde also eine Eierschale gesteckt und das angegorene Bier musste hindurchlaufen. Frau Gaudens Hund sah die Sache verwundert mit an, dann stand er auf von dem Fleck, auf dem er viele Tage lang winselnd gelegen hatte und sprach: »Ick bün so old as Böhmen Gold, äwerst dat hefs ick min Leven nich trut, wenn man’t Bier dörch’n Eierdopp brut.« Damit verschwand er auf Nimmerwiedersehen und auch Frau Gauden mied seitdem das Mecklenburgerland, in dem das geschah.

Hexen und Elben sahen wir im Wirbelwind von Land zu Land fahren, die wilde Jagd braust im Sturm daher, schwedischen Waldfrauen zieht ein tosendes Schütteln und Krachen der Bäume in ihren Wipfeln voraus. Inniger verbunden ist jedoch keine der Sagengestalten mit dem Wind, als Herodias oder Pharaildis, des Herodes Tochter. St. Johannes, der Vorläufer Christi, dem es vergönnt war, das heiligste Haupt mit dem Taufwasser zu berühren, hatte, ohne es zu wissen, in dem Herzen der schönen Herodias die Glut unreiner Leidenschaft entzündet. Streng und kalt von ihm zurückgewiesen, sann sie auf Rache und wusste ihrem Vater im Weinrausch einst das Versprechen abzugewinnen, dass er ihr jede Bitte, die sie an ihn richten würde, gewähren wolle. Da forderte sie des Täufers Haupt, und Herodes, den sein Fürstenwort band, war gezwungen, den Heiligen den Tod erleiden zu lassen. Eine andere Sage erzählt, Herodes habe Salomes, seiner Tochter, Leidenschaft erkannt und darauf des Täufers Untergang beschlossen.

Als die blutige Tat vollendet war und das bleiche Haupt dem Fürsten auf einer Schüssel dargebracht wurde, ergreifen Reue und Schmerz das Herz der Mörderin, aus ihren Augen brechen Tränen und sie bedeckt das teure Angesicht mit glühenden Küssen. Da öffnen sich die bleichen Lippen des Toten, ein leiser Hauch, ein lindes Wehen dringt daraus hervor, das sich allmählich zum Wind, zum Sturm verstärkte und Herodias in schauerlichem Reigen in die Lüfte treibt. Ruhelos wirbelt die Unselige dahin, bald allein, bald mit der wilden Jagd vereint. Nur die Zeit von Mitternacht bis zum ersten Hahnenschrei ist ihr zur Rast vergönnt.

Unter Italiens blauem Himmel verschmilzt die Tochter des Herodes mit der garstigen, schwarzen Fee Befana, deren Bild aus Lumpen gefertigt durchs Fenster schaut und die Kinder schreckt. In Deutschland feierten sie mittelalterliche Dichter als Führerin des wilden Heeres, der ein Drittel der Welt zu Diensten ist. Vieles ging auf sie über, was den leuchtenden Gestalten der deutschen Holda als auch der römischen Diana eigen war.

Zur Seite des jüdischen Fürstenkindes durchstreift die deutschen Wälder Diana, die jagende Göttin der alten Römer, mit Pfeil und Bogen oder mit dem Spieß bewehrt. Auf ihren Locken schimmert die schmale Mondsichel zum Zeichen, dass die hehre Frau durch das dunkle Blau des nächtigen Himmels des Mondes silbernes Schifflein lenkt. Von den Römern drang die Kunde ihres Dienstes zu den Germanen, ihr zu Ehren erhoben sich Tempel und heilige Haine, erst als das Morgenrot der neujüdischen Lehre in die Nacht des Heidentums drang, die Tempel gebrochen, die Haine ausgerottet wurden, sank die gefeierte Göttin von ihrem Altar herab zur Nachtfrau in des wilden Heeres Geleit. Wo sie verehrt worden war, besonders in den heutigen Niederlanden, wurden am Himmelfahrtsfest von den Türmen zwei, auch drei lebende Katzen herabgeworfen. Diese Tiere zogen einst den Wagen Frauvas, der huldreichen, erfreuenden Göttin, welche später, wie alles im Heidentum Erhabene, Leuchtende und Schöne, durch die Bekenner der strengen Lehre absichtlich herabgewürdigt wurde, und zur Begleiterin der Nachtunholde und Hexen herunterstieg. Damit das Volk dem Götzendienst völlig absage, misshandelten und töteten die Apostel der neuen Verkündigung nicht selten vor den Augen der erstaunten Menge die im Tempel der Göttin gehegten Katzen. Unwiderlegbar verbindet dieses Katzenwerfen Frauva mit Diana, denn es fand an jenen Orten statt, wo der letzteren Dienst gefeiert wurde.

Die Herrin der Nachtfahrenden hieß auch Abundia, der Überfluss, die Fülle, in Frankreich dame Haboude. Sie durchzog mit Feen und Hexen das Land und drang in die Häuser. Auch ihr gebührte der dritte Teil von allem, was da lebt. Abundia reitet durch die Nacht als Königin der Elben, ihr sind alle jene Wesen untertan, welche schlummernde Menschen und Tiere quälen, von den Bäumen, auf denen sie leben, herabsteigen oder auf Eierschalen, in Muscheln und Kähnen über das Wasser segeln.

Weiß gekleidete Mädchen und Frauen bilden ihr Geleit. Der hehren Göttermutter Frigga war in der alten, deutschen Sage eine schwesterliche Gefährtin beigegeben: Fella, die Erde, welche in treuem Dienst die Schmuckkästen der Göttlichen hütet, aus denen sie auf Friggas Geheiß den Menschen Segen spendet. Auch sie ist die Fülle, der Überfluss, gleichbedeutend mit Abundia.

Mit flatterndem Haar und mit einem breiten Gürtel geschmückt, zieht manchmal auch Frau Welle dem Nachtheer voraus, die verfolgten Waldleute vor dem drohenden Verderben schützend. Harmlos, wie sie, ist das Rockertweible, das in seinem Wald jagt und den Wanderern Schrecken einflößt, ohne ihnen Böses anzutun. Auf dem Rockert strichen einst zwei Wilderer umher und erlegten ein Tier, welches der eine zubereitete, während der andere ein loderndes Feuer schürte. Mitten in ihrer Arbeit wurden sie durch Jagdruf und Hundegebell aufgestört, und ehe sie sich versahen, stand das Rockertweible mit seinen drei Hunden, denen die blutgierigen Zungen feurig aus dem Rachen hingen, vor ihnen. Eine Weile schaute sie die bestürzten Diebe mit ihren großen, ernst blickenden Augen an, schritt dann laut auflachend über das Feuer hinweg und verschwand unter den Bäumen. Zu anderer Zeit saß ein Mann abends am geöffneten Fenster und bereitete Weidenschösslinge zu Körben vor. Zufällig aufblickend sah er das Rockertweible mit seinen Hunden über den Weg daherkommen. Es blieb dem Fenster gegenüber stehen und schaute unverwandt hinein. Endlich wurde das dem Mann zu arg und er warf ihr eine Weidenrute zu, die sie aufnahm und fröhlich damit weiterging. Das Rockertweible klappert zuweilen laut wie eine Mühle, und wer es hört, der freut sich darüber, denn solches Treiben deutet auf Fruchtbarkeit und eine gute Ernte. Eigentlich ist der Nachtgeist eine verwünschte Frau, eine Gräfin von Eberstein, die schnöden Vorteils wegen falsch geschworen hatte und nun klagend umgehen muss, bis die Erlösungsstunde schlägt. Weniger harmlos ist die mère Harpine im Norden Frankreichs. Ein kecker Bauernbursche sah sie einst vorüberziehen und rief ihr spottend nach: »Part en la chasse!« (Meinen Teil an der Jagd!) Als die Sonne aufging, hing der halbe Körper irgendeines Galgenvogels, den mère Harpine zerrissen hatte, an seiner Tür.

Wenden und Polen wissen von einer Jägerin, die nicht allein in stiller Nacht, wenn der Mond am Himmel steht, sondern auch im hellen Sonnenglanz des mittags den Wald durchstreift. Wer zu dieser Zeit durchs Dickicht wandert oder sich im Schatten eines Baumes auf das weiche Moos hinstreckt, den schrecken plötzlich Jagdruf und Gebell auf. Das ist Dziewanna, die mit großen, starken Hunden am Mittag ihre Forsten heimsucht, Mensch und Tier darin zu jagen. Einst eine schöne junge Edelfrau, deren höchste Lust es war, mit der Zylba (Geschoss) durch Wald und Feld zu streifen, irrt sie jetzt, verwünscht, dieselben Wege, die sie ehemals dahinjagte. Wer von ihr überrascht wird, muss raschen Geistes sein und schnell zu antworten wissen, wenn er sich vor ihr retten will. Sie schleicht sich unter die Schnitter auf dem Feld und unter die Frauen während der Flachsernte, um ihnen Schaden anzutun. Auch raubt sie wie das Kornwif (Kornweib) und die Tremsenmutter (ein Korndämon) Kinder, welche zu weit in die wogenden Ährenfelder dringen, um Feuermohn und blaue Tremsen zu einem Kranz zu pflücken. Säuglinge nimmt sie liebreich an ihre schwarze, eiserne Brust, doch bringt ihnen das den Tod.

Der polnischen Dziewanna gleich schleicht in Böhmen die Baba durch das Feld, und im Wendenland die in dichte Schleier gehüllte Pschipolnitza. Urplötzlich tritt sie aus dem Korn hervor, wo ein Einzelner schneidet, spricht den Betroffenen an und weiß ihn mit schlauen Fragen und Reden über Ackerbau und Flachsbereitung so zu verwirren, dass er ihr entweder in allem beistimmt oder gar nichts mehr zu erwidern weiß. Dann bemächtigt sie sich seiner und man findet ihn mit umgedrehtem Hals wieder, oder er ist überhaupt verschwunden. Wer ihr dagegen dreist antwortet und allem widerspricht, was sie sagt, der wendet die Gefahr von sich ab.

Wunderbar wie keine der anderen Göttinnen, alle Gegensätze von der höchsten Schönheit und dem süßesten Liebeszauber bis zur furchtbaren, menschenmörderischen Unholdin in sich vereinend, steht Frau Venus in der deutschen Sage da. Aus dem Silberschaum der Meeresflut geboren, welche die klassischen Felsen Griechenlands bespült, drangen ihr Dienst und ihre Verehrung vom Süden hinauf bis weit in den höchsten Norden. Ihr, der Liebesgöttin, die in den seltsamsten Gestaltungen ihr allherrschendes Zepter schwingt, neigt sich in Demut das ganze Erdenrund. Wer ihr naht, den fesselt sie durch die Zaubermacht, die ihrem Gürtel verliehen ist. Altnordische Dichtung schmückt sie mit einem wunderbaren Halsgeschmeide, Tauben oder Schwäne zogen im Süden ihren Wagen. Auf dem goldborstigen Eber ritt sie im Norden hinauf nach Valhöll, wo die Götter hausen, oder sie fliegt im Federgewand durch hohe Luft, und es rauscht beim Schlag ihrer Flügel. Noch heute pflücken spielende Kinder die Blüte des Fingerhutes, aus der sie zwei Blättlein raufen, um einen Venuswagen daraus zu machen. Allmählich vollzog sich im Schoß der christlichen Zeiten eine Trennung in ihrem Wesen. Die reine, selbstlose Neigung schied sich von der lodernden Flamme sinnlicher Liebe.

Die Seele der Liebesgöttin verschmolz sich mit dem Wesen der Himmelskönigin, und die lieblichen Bilder beider gingen ineinander über. Aber die äußere Hülle, der gröbere Stoff der Göttin sank zu verbotener Zauberei und einem nächtlich umherstreifenden bösen Geist herab. Da öffnen sich verborgene Pforten im Berg, aus denen Frau Venus hervorzieht und dem wilden Heer sich anschließt mit ihrem Gefolge. Der Elben lustige Schar umgibt die Herrliche, deren unwiderstehlicher Reiz manch tapferen Helden verlockt, zu ihr hinab zu steigen. Wer aber den Fuß in jenes unterirdische Zauberreich setzte und von dem schäumenden Goldpokal trank, den Frau Venus ihrem Gast mit holdem Lächeln kredenzte, der vergisst um ihretwillen Ehre und Seligkeit. So saß im Berg bei Ufhausen Schnewburger, ein wackerer Rittersmann, so im Hörselberg der edle Tannhäuser lange Jahre. Und als Letzterer wieder hinaufbegehrt und die Liebesgöttin widerstrebend ihn entlässt, ist sein Haar ergraut, sein Herz matt und lebenssatt, nur noch ringend um stille Ruhe im Grab und Versöhnung mit Gott. Nach Rom pilgert er, Buße zu tun für die Vergangenheit, doch so schwer wiegt seine Schuld, da er freiwillig in Frau Venus Reich hinabgestiegen war, dass selbst der heilige Vater nicht vergeben mag. »So wenig dieser dürre Stab«, entgegnet er dem Flehendem, »Blatt und Blüte tragen kann, so wenig darf dem vergeben werden, der freventlich mit der Heidengöttin Umgang pflegte.« So starb Tannhäuser unversöhnt, da in der gestrengen Lehre des Papstes die Frauen nur noch unterdrückt wurden. Doch wunderbar ist Liebe! Wer mag wissen und verstehen, wie die goldenen Fäden aus der Tiefe sündiger Leidenschaft hinauf sich ranken zu der höchsten Liebe Thron! Dem harten Spruch entgegen belebte sich der dürre Zweig, Blatt und Blüte grünten daran, und Gott selbst sprach durch das Wunder den toten Büßer frei von Schuld.

Auch der duftige Elfenreigen erblasste nach und nach, andere Zeiten kamen, Hexen und Unholde fuhren zum nächtlichen Gelage in Frau Venus Berg, die Zauberburg versank, ihre goldenen Zinnen stürzten in Schutt und Staub, und wo Tannhäuser einst den schimmernden Becher zum Mund geführt hatte, da zeigten sich spöttische Teufelsfratzen, ertönte des Hexensabbats hässliches Gekreisch, bis auch dieses endlich verstummte. Nur die Sage weilt noch auf den Trümmern, gedenkend der einstigen Herrlichkeit und ihres Zauberbuchs vergilbte Blätter demjenigen öffnend, dessen Herz nach dem längstverhallten Sange begehrt.

Von dem bunten Gewirr der deutschen Überlieferung hebt eine düstere Nachtgestalt sich ab. Das ist die Liebesgöttin der französischen Sage. Am Fuß der schneebedeckten Berge, welche Spanien und Frankreich voneinander trennen, liegt das Städtchen Ille-sur-Têt. Dort lebte einst ein Jüngling, der dem Kugelspiel mit Leidenschaft ergeben war und selbst an seinem Hochzeitsfest der alten Neigung nicht zu widerstehen vermochte. In dem lebhaften Eifer, sich als den Ersten und Geschicktesten der Spieler zu zeigen, zog er den goldenen Reif, mit dem der Priester kurz zuvor den Ehebund gesegnet hatte, vom Finger und steckte ihn, um ihn sicher zu bewahren, an die ausgestreckte Hand einer Statue der Liebesgöttin, welche im Garten aufgestellt war. Als die Nacht herabsank und die Gäste gingen, wollte der Neuvermählte den Ring von der Hand der Göttin ziehen, allein diese verweigerte die Rückgabe des Liebespfandes, indem sie den starren Finger bis zur Wurzel zurückkrümmte. Da eilte der Jüngling in das Haus, um Diener mit Fackeln herbeizurufen. Als er wieder im Garten erschien, hatte der gebogene Finger sich gestreckt, das erzene Bild stand so regungslos wie immer, der Ring aber war verschwunden. Betroffen über den Verlust, den er der Braut vorerst verschweigen musste, begab der Bräutigam sich nun zum Schlafgemach, doch ehe er noch die Hand nach der Tür desselben ausstrecken konnte, ergriffen ihn Geisterhände, die ihn rückwärts drängten, und eine Stimme flüsterte in sein Ohr: »Ich bin Venus, du hast dich mir vermählt.«

Dasselbe Spiel wiederholte sich von da ab, sobald er seinem Weib nahen wollte. Unsichtbare Hände legten sich um seinen Arm, sanft, aber unwiderstehlich ihn von ihr entfernend und immer flüsterte es dieselben Worte. Da erschloss der junge Ehemann sein Herz dem Priester, der den Bund gesegnet hatte und dieser versprach ihm Beistand gegen die Liebesgöttin, er schrieb einen Brief und verschloss diesen mit dem Kirchensiegel. »Diesen Brief«, sagte er, »musst du hinaustragen auf einen Scheideweg und dort harren, bis um Mitternacht das wilde Heer vorüberstürmt. Schweigend musst du gehen und schweigend, was auch geschehen möge, dort verharren. Männer und Frauen wirst du ziehen sehen, schreckliche Gestalten. Fürchte sie nicht, sie haben keine Macht über dich. Dem Letzten im Zug, einem bleichen, finsteren Mann auf einem Wagen, gibst du diesen Brief. Er wird es nimmer wagen, dem Befehl zu tragen.« Auch den Priestern offenbaren sich die germanischen Bräuche oder fragte der Mann einen Zauberer? Zur festgesetzten Zeit schritt der junge Mann zu dem Kreuzweg hinaus und stellte sich dort auf. Das leise Flüstern der Blätter in den Wipfeln der Bäume über ihm verstärkte sich bald zu einem mit jeder Sekunde an Heftigkeit zunehmenden Brausen. Ein unbeschreibliches Dröhnen und Rollen unterbrach die Stille der Nacht, da flog der gespenstische Zug an ihm vorüber: Gestalten mit zerschmettertem Schädel, klaffenden Brustwunden, Selbstmörder in der Stellung wie sie geendet, zuchtlose Weiber, und alles im tollsten Reigen. Auf einem Maultier ritt, in nebelhafte, duftige Gewänder gehüllt, ein wunderholdes Frauenbild, die langen, schwarzen Locken durch ein strahlendes Band um die Stirn gefesselt, einen Goldstab in den Händen. Darauf folgte eine wogende Schar lieblicher Kindergeister und unter ihnen eine hehre, stolze Frauengestalt. Endlich nahte der Letzte im Zug auf feurigem Wagen, der von funkenschnaubenden Rossen gezogen wurde.

»Was willst du?«, herrschte er den Jüngling an, der schweigend den Brief dem finster Dreinblickenden hinhielt. Zögernd ergriff dieser das Schreiben, löste das Siegel desselben und las, was der Priester von ihm heischte.

»O Gott!«, rief er dann, indem er seine Arme zum Himmel emporstreckte, »Gott, der du der Allgerechte bist, wie lange wirst du dieses Mannes Übermut noch dulden?«

Auf sein Gebot hielt der Geisterzug im Fluge inne und die Schatten, welche ihm zur Seite schwebten, wurden entsendet, den Ehering des Jünglings zurückzufordern. Vergebens sträubte sich die Göttin. Sie musste sich dem Machtgebot des Priesters fügen, und mit dem Ring gab sie auch dem jungen Mann die Freiheit wieder.

Eine andere Sage verhängt ein tragisches Geschick über denjenigen, der durch des Ringes Gabe der erzenen Göttin sich vermählte. Schon ruhte die Braut in ihrem Gemach, von den Jugendgespielinnen in seidene, duftige Kissen gebettet. Alle waren hinweggegangen. Matten Schimmer nur warf der silberne Mondenstrahl durch die umlaubten Fenster. Da öffnet sich lautlos die Tür, eine finstere Gestalt steht auf der Schwelle, unhörbar nähert sie sich dem Lager, und wie ein kaltes Steingebilde bettet es sich neben die zitternde, bange Braut, deren Sinne unter dem Eindruck einer furchtbaren Angst fast erliegen. Wie aus weiter Ferne nur hört sie den Schritt des jungen Gatten, hört die Tür sich öffnen, hört ihn sich dem Lager nahen. Da richtet es sich schwer und gigantisch neben ihr empor. Ein halberstickter Schreckensruf wird laut, dann ist alles still. Gleich Hammerschlägen tobt das Blut in den Schläfen der Geängstigten, ihre bebenden Glieder versagen ihr den Dienst, kalter Schweiß rinnt von ihrer Stirn.

Jetzt endlich hebt die Uhr des nahen Turmes aus und dumpf dröhnt der erste Glockenschlag durch die stille Nacht. Das Lager erzittert, die furchtbare Gestalt gleitet herab und schwebt schattengleich dem Ausgang zu. Da endlich, als die Tür hinter dem Schrecknis sich geschlossen hatte, vermag die Braut sich umzuschauen im Gemach. Vor ihr, an den Rand des Bettes gelehnt, kniet ein Mann, ihr Bräutigam, wenn das Mondenlicht sie nicht trügt.

Leise ruft sie seinen Namen, doch er antwortet nicht. Da hebt sie mit zitternder Hand das geliebte Haupt zu sich empor und ein furchtbarer, herzerschütternder Schrei entringt sich ihrer Brust.

Aus allen Gemächern eilen die ihren herbei, Kerzenglanz erfüllt das Zimmer, in ihren Armen hält die todesbleiche Braut den toten Gatten. Kaum vermag sie fliegenden Atems das furchtbare Ereignis den schaudernd Zuhörenden mitzuteilen, als tiefe Ohnmacht ihre Sinne gefangen nimmt. Als sie wieder erwacht, hat erbarmend sich ein Schleier um ihren Geist gelegt und aus ihren Blicken spricht der Wahnsinn. Im Garten aber, an der Stelle, wo die erzene Statue der Göttin stand, hatten über Nacht sich seltsam tiefe Spuren eingedrückt, als sei das Bild herabgestiegen. Vom Ring fand sich keine Spur.