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Sagen- und Märchengestalten – Die Hölle

Sagen- und Märchengestalten sowie Geister-, Wunder- und Aberglauben des deutschen Volkes
Mit Erzählungen von Begebenheiten der Vorzeit, die den Glauben an eine Geisterwelt förderten, Berlin, Verlag von Burmester & Stempell,1874
Die Hölle

Schwer lastet der Druck des Todes auf den wechselnden Geschlechtern der Menschen. Über des Lebens Freud und Leid streckt er die nimmersatten Hände aus, winkt den Müden und Elenden zur stillen Ruhe unter dem grünen Rasen, entreißt die Fröhlichen mit unbarmherzigem Griff dem Arm der Liebe, wie dem Schoß des Glücks und schließt dennoch den unermesslichen Abgrund seiner Begierden niemals.

Wer dürfte sagen, dass ihm des Todes gespenstiger Schatten nicht furchtbar sei? Und wen fasst nicht kaltes, starkes Grauen bei dem plötzlichen Anblick des harten Gläubigers, wenn er die Rechnung abschließt mit dem trostlosen Wort: »Du bist von Staub und wirst zu Staub!« Fast unerträglich wäre so das Dasein, nichts als ein mühseliges Ringen nach der Höhe, von welcher dann der jähe Sturz uns wieder hinabreißt in die schreckensvolle Finsternis, wenn nicht Hoffnung und Glaube unseren ermatteten Blick emporrichteten zu den Verheißungen einer Fortdauer nach dem Tod.

Sobald ein Volk die Idee eines höchsten Wesens in sich ausgebildet hatte, schloss an diesen ersten Gedanken sich die Vorstellung von einem Fortleben des Individuums an, und gleichzeitig musste die Frage sich regen: Wo nehmen die entfesselten Seelen ihren Aufenthalt?

Uralt ist der Begriff des Schattenreichs. Anfänglich wurde kein Unterschied gemacht, Gute und Böse vereinigten sich nach dem Tod in einem weiten, unermesslich großen Raum. Später erst begann man eine gerechte Verurteilung beider vorauszusetzen, sich die Tugendhaften in einem seligen Gefilde, die Lasterhaften hingegen an finsterem wüsten Orten zu denken, wo sie den ihren Taten gebührenden Lohn empfingen.

Schon die alten Griechen und Römer nahmen an, dass sich in der Unterwelt ein gesonderter Raum für die Bösen und ein ebensolcher für die Guten befinden. Unerbittliche Richter saßen zu beiden Seiten des Eingangs und verwiesen die strafbaren Seelen nach dem Tartarus, wo sie von den Qualen der Furien oder Rachegeister ergriffen wurden. Auch die Deutschen glaubten in den frühesten Zeiten an ein Reich der Gestorbenen; es lag gegen Norden, tief im Schoß der Erde unter einer Wurzel des Weltbaumes Yggdrasil. Dieses Land der abgeschiedenen Seelen hieß Niflheim oder Niebelheim d. i. kaltes Schattenland, aus welchen keine Wiederkehr stattfindet. Dort thronte Hel, die furchtbare Todesgöttin. Ihre Schüssel hieß Hunger, ihr Messer Sultr. Beide Namen bezeichnen die unersättliche Gier, denn was der finsteren Göttin einmal verfallen war, hielt sie unerbittlich fest. Sie wird uns halb schwarz, halb menschenfarbig geschildert, doch niemals Menschen mordend. Auf dem Todeswagen heranbrausend, nimmt sie nur, was ihr mit Recht gebührt, und zwar diejenigen, welche dem Alter oder einer Krankheit erlegen sind; denn die Seelen der Krieger ziehen hinauf nach Walhalla, wo der Göttervater Odin sie empfängt.

Mit dem Begriff dieses Schattenlandes verband sich jedoch keinerlei Vorstellung von Qual oder Strafe. Noch im 12. Jahrhundert findet sich in einem Lied der Ausdruck »zur Hölle fahren« für »sterben.« In einzelnen Gegenden behielt die Hölle ihre alte Bedeutung bis in spätere Zeiten. In Westfalen gibt es noch sogenannte Hellwege, d. h. breite Wege, auf denen die Toten zum Gottesacker gefahren wurden. Namen wie Helldorf, Hellmut, Hellmann, Hellriegel entstanden keineswegs aus der Zusammensetzung von hell – licht, sondern aus dem Namen Hel oder Helle. Deutlich genug weist Hellriegel auf die durch Riegel verschlossenen Pforten des Todes, nämlich der Hel, hin.

Anstelle dieser bleichen, schattenhaften Nebelwelt brachte der christliche Volksglaube des Mittelalters einen finsteren und doch gluterfüllten Raum, brennend von Pech und Schwefel, die Hölle. In ihr leiden die Sünder unerträgliche, zuweilen sogar ewige Pein. Dort sitzt der Oberste der Teufel auf glühendem Thron. Er hat sieben Kämme und sieben Hörner auf dem Haupt.

Die Spitze jedes dieser Hörner ziert ein Turm, Feuer sprüht ihm aus Mund, Nase, Augen und Ohren.

Auch die Hölle dachte man sich durch Pforten verschlossen. Die Schriftsteller, welche dieses interessante Thema behandeln, sind nicht alle gleicher Meinung über den Ort, wo die Hölle zu suchen sei. Der eine verlegt sie in die Sonne, der andere in den Mond, ein Dritter lässt sie in den Nebeln des Meeresstrandes, ein Vierter hoch oben in den Lüften sein. Der heilige Patrik, der Schutzpatron Irlands, versichert, dass er die Teufel in den Höhlen der Felsen gesehen habe. Nach anderen Nachrichten soll die Hölle schlechtweg ein großes Loch sein, etwa zwei Meilen breit.

Ein englischer Schiffskapitän ließ einst zufällig auf der Insel Stromboli, Sizilien gegenüber, Anker werfen. Da ertönte aus dem Vulkan dieses Eilands plötzlich eine mächtige Stimme, welche rief: »Gebt Raum! Der reiche Antonius kommt!« Gleichzeitig schwebten von der italienischen Küste zwei Männer in Sturmeseile daher und verschwanden in der Öffnung des Kraters, in welchem sich ein gewaltiges Brausen erhob. Diese Erscheinung kam dem Seemann so merkwürdig vor, dass er sie niederschrieb. Viele Jahre später ereignete sich Ähnliches. Man sah genau, dass der eine der beiden Männer grau, der andere schwarz gekleidet war, und in dem Ersteren erkannte der Kapitän seinen Londoner Nachbar, einen ausgedienten Offizier. Bei seiner Rückkehr in die Heimat erfuhr er, dass der Mann genau um dieselbe Zeit, in der man ihn oberhalb des Kraters schweben sah, gestorben war, und die Witwe des Offiziers strebte sogar eine Klage gegen den Kapitän an, weil er so schlimme Nachrichten über ihren verstorbenen Mann verbreitet hatte.

Von den Getreuen des Teufels dürfen nur die Auserlesenen bei ihm in der Hölle weilen. Die anderen sind zerstreut durch den Weltenraum und leben je nach ihrer Natur in den verschiedenen Elementen. Von Zeit zu Zeit erscheinen sie vor ihrem Oberherrn und statten Bericht ab von den bösen Taten, welche sie vollbracht haben. An fünf Freitagen jedoch müssen alle Teufel in der Hölle sein: am Karfreitag, an den Freitagen nach Ostern, Pfingsten, Solstitio und nach Simon und Judä.

Die Öffnung der Hölle heißt Rachen, zum besseren Vergleich mit einem Ungeheuer. Man sagte, dass sie zwar nur den Seelen der Verstorbenen zugänglich wäre, dass jedoch einzelne, besonders bevorzugte Personen noch in ihrem Leben im Geist dorthin entrückt worden seien, zur Warnung und zur vorläufigen Buße, oder auch, um aus eigener Anschauung ihren sündenvollen Zeitgenossen ein treues Bild des unseligsten Zustandes entwerfen zu können.

Wie man die Teufel klassifizierte, so ist auch die Hölle mit ihren Qualen in eine bestimmte Einteilung gebracht worden. Sie enthält sieben Wohnungen: die Hölle, die Pforten des Todes, die Schatten des Todes, den Hafen des Untergangs, den Tod des Lumpenpacks, das Verderben und den Abgrund. Noch mannigfaltiger sind die Qualen. Da gibt es: das Gefängnis, die Grube ohne Wasser, den ewigen Tod, das Gericht, den Zorn Gottes, die Verstoßung von Gottes Angesicht, die Höllenqual und die Höllenangst.

Zu Anfang war Satan der Beherrscher dieses unterirdischen Reiches. Gegen ihn erhob sich Beelzebub, stieß ihn vom Thron und ließ ihm nichts als den Namen des Abtrünnigen, der ihm geblieben ist. Der höllische Staat wird als vollkommen gegliedert dargestellt. Es gibt in ihm Ober- und Unterteufel, Auszeichnungen und Belohnungen, Verbannungen und Strafen.

Nach und nach begannen die Völker, die noch aus der Heidenzeit ihnen anhaftenden rohen Vorstellungen abzustreifen, und ein Gefühl der Humanität regte sich für die Seelen der ungetauft gestorbenen Kinder, denen eine Art Paradies eingeräumt wurde.

Allein die Seligkeit dieser unschuldigen Wesen war immer nur ein mattes Schattenbild des wirklichen Himmels, um so mehr, als man den Kleinen die Fähigkeit absprach, Gott zu loben und zu preisen. Dieses unvollkommene, ewig lautlose Kinderparadies verlegte man neben die Hölle und berichtet: Während der ersten viertausend Jahre nach der Schöpfung mussten die Frommen nach ihrem Tod in dem Kinderhimmel von den Schlacken ihrer irdischen Natur gesäubert werden, ehe sie in die Seligkeit eingehen durften. Indessen mag der einmal angeknüpfte nachbarliche Verkehr mit der Hölle dadurch nicht abgebrochen worden sein, wie ja die Erzählung von dem bösen Reichen beweist, der den armen Lazarus in Abrahams Schoß sehen konnte und mit dem der Erzvater sprach, obwohl sich eine große Kluft zwischen ihnen befand. Später dachte man sich an der anderen Seite der Hölle das Fegefeuer, in welchem die Reinigung der abgeschiedenen Seelen vollzogen wird. Märtyrer und Heilige bedürfen ihrer nicht. Gebet und Seelenmessen verkürzen die Dauer derselben und helfen die vollständige Erlösung herbeizuführen.

Einst gelangte ein Mönch durch die Beihilfe des heiligen Nikolaus an den Ort der Qual. Der Weg, den sie zusammen einschlugen, war ziemlich eben und führte zu einem weiten und schrecklichen Raum, wo die Seelen auf jede nur erdenkliche Weise gemartert wurden. Das war das Fegefeuer. Der Mönch schildert es jedoch keineswegs, wie andere Berichterstatter taten, als einen ruhigen und stillen Ort, vielmehr sagte er, dass die Gequälten jammerten und heiße Tränen vergossen. Hier brannten einige im heftigsten Feuer, dort badeten andere in Kesseln, die mit siedendem Schwefel, Pech und Blei gefüllt waren. Diese wurden von den Teufeln in einer Pfanne gebraten, jene von giftigen Schlangen genagt. »Ich weiß wohl«, sagte er in seinem Bericht, »dass, wenn ich irgendwelche Verwandte im Fegefeuer hätte, ich mein Hemd verkaufen würde, um Seelenmessen für sie lesen zu lassen.«

Ein wenig weiter hin, fährt er in seinem Bericht fort, rauschte ein gewaltiger Feuerstrom, der ungeheure Wellen schlug, an dessen Ufern jedoch eine durchdringende Kälte herrschte. Dann gelangten wir in die Hölle selbst. Sie bot einen düsteren Anblick dar: eine dürre Fläche, auf der ewige Finsternis ruht. Diese abscheuliche Ebene wird durchschnitten von brennenden Schwefelbächen. Zahllose scheußliche Insekten krochen oder hüpften auf dem Boden umher, sodass man den Fuß nicht aufsetzen konnte, ohne sie zu berühren, und diese hässlichen Geschöpfe spien sämtlich Feuer. Die Teufel ergriffen die Seelen vermittelst glühender Haken und warfen sie in siedende Kessel, wo sie sich in Flüssigkeit auflösten, doch nur um darauf zu größerer Qual in ihrer ursprünglichen Form wieder hergestellt zu werden. Jeder wurde an dem gestraft, womit er gesündigt hatte. Unter den armen Seelen befand sich auch die jene eines großen und mächtigen Königs und die eines frommen Erzbischofs, dessen Reliquien auf Erden Wunder taten. Nachdem der Mönch noch verschiedene Schrecknisse angeschaut hatte, begab er sich auf den Rückweg.

Ein gewisser Berthold durfte ebenfalls die Hölle besuchen. Dort sah er Karl den Kahlen, dessen Seele von Würmern zerfressen wurde. Der König bat ihn, den Bischof Hinkmar zu Gebeten für ihn aufzufordern, damit er früher erlöst werde.

Eine englische Sage erzählt von dem heiligen Patrik, dass er bei den hartköpfigen Irländern weder durch seine Predigten, noch durch die Wunder, welche er tat, etwas auszurichten vermochte. Sie blieben verstockte Heiden und antworteten auf seine Ermahnungen mit Frechheit: »Zeige uns die Strafen der Hölle und die Seligkeit des Himmels, unseren eigenen Augen wollen wir dann glauben.« Gott kam endlich dem Heiligen zu Hilfe und wies ihm eine Öffnung, durch welche man zur Hölle hinabsteigen konnte. Einige der lautesten Schreier waren in der Tat kühn genug, den Versuch zu wagen. Darüber berichtet hat aber nur ein Soldat. Als er sich in die Hölle begab, wollten die Teufel ihn in das ewige Feuer werfen, und nur dadurch, dass er rasch ein Kreuz schlug, vermochte er sich zu retten. Darauf führten sie den Eindringling in das Tal des Elends, das mit den entblößten Leibern von Männern und Frauen wie gepflastert erschien. Jeder einzelne Körper war vermittelst eines großen Nagels an den Boden festgeheftet und darüber liefen die Teufel hin und züchtigten sie scharf mit Ruten.

In einem anderen Tal, noch schrecklicher als das erste, wurden die Sünder von großen Drachen verzehrt, doch ersetzte sich das von den Körpern abgerissene Fleisch sogleich wieder, sodass die Pein unendlich wurde. Anderen geschah dies ebenso von großen Schlangen. Grausig nahm sich eine ungeheure Kröte aus, welche auf dem Schattenleib einer armen Seele saß und diese zu verschlingen drohte. Die Seele schrie vor Schrecken und heulte vor Schmerz, als die Kröte das Vorderteil hinabzuschlucken suchte. Plötzlich stand der Irländer vor einem breiten Feuerstrom, über den eine kristallene Brücke führte, so schmal wie die Schneide eines Schwertes. Nachdem er ein Kreuz geschlagen, wagte er sich darauf. Da wurde die Brücke zusehends breiter, und als er an dem jenseitigen Ufer angekommen war, befand er sich im Aufenthalt der Seligen. Was er dort gesehen und erlebt, hat er verschwiegen. Er kehrte, von seinen Sünden geläutert, auf die Oberwelt zurück, ließ sich taufen und führte von nun ab ein gottseliges Leben.

So brachten die Höllenfahrten einen Rapport zwischen Ober- und Unterwelt zustande, und die Angehörigen bereits Verstorbener suchten auf diesem Wege zu erforschen, welches Schicksal nach dem Tod denjenigen zugefallen sei, welche sich einst am Leben ihrer zärtlichsten Teilnahme zu erfreuen gehabt.

Landgraf Ludwig von Thüringen erließ nach erfolgter Beisetzung seines Vaters ein Rundschreiben, in welchem demjenigen ein hübsches Gütchen versprochen wurde, der den gefährlichen Versuch wagen und sichere Kunde von dem Seelenzustand des dahingeschiedenen Fürsten bringen würde. Dies vernahm ein armer Soldat, ging zu seinem Bruder, der ein kluger Mann und Teufelsbeschwörer war, und versprach ihm die Hälfte der Belohnung, welche er zu erringen hoffte, wenn er ihm beistehen wolle, die Sache auszuführen.

»Ich habe den Teufel zuweilen herzitiert«, erwiderte der Bruder, »erhielt auch von ihm, was ich wünschte. Allein es ist immer eine gefährliche Sache und ich habe das längst aufgegeben.«

Indes wirkte die Aussicht, sich ein kleines Vermögen zu erwerben, doch so viel bei ihm, dass er sich endlich entschloss, noch einmal den magischen Kreis zu ziehen. Der Böse erschien und in der Minute, nachdem er ihm die lange Vernachlässigung demütig abgebeten, fragte nach dem gegenwärtigen Aufenthalt und dem Zustand seines gnädigsten Herren.

»Komm mit mir«, sprach der Teufel, »ich will ihn dir zeigen.«

»Ich wollte wohl«, entgegnete der Teufelsbeschwörer, »allein ich fürchte, nicht zurückzukehren.«

Da gelobte ihm der Teufel bei dem Höchsten und bei seinen furchtbaren Gesetzen, dass er ihn sicher hinführen und ohne Schaden an Leib oder Seele wieder zurückbringen werde. Nun stieg der Beschwörer auf die Schultern des bösen Geistes, der ihn im Flug bis an das Höllentor brachte. Weil der Mann sich aber fürchtete, hineinzugehen, schaute er bloß durch eine Öffnung hinab und gewahrte einen großen ungemein grimmig aussehenden Teufel, der auf einem mit einem Deckel verschlossenen Brunnen saß. Als der Große den Gesellen auf den Schultern des anderen Teufels erblickte, rief er dem Letzteren zu: »Was hast du da auf dem Rücken? Komm her, ich will es dir abnehmen!« Der Andere entgegnete aber: »Ich darf nicht, denn ich habe bei dir geschworen, dass ihm kein Leid geschehen soll. Er ist einer von unseren Freunden und will Nachricht haben von dem Zustand, in welchem sich die Seele des Landgrafen von Thüringen befindet. Lass es ihn sehen, ich bitte dich, damit er bei seiner Rückkehr auf die Oberwelt deine große Macht verkünde.«

Alsbald erhob sich der große Teufel, öffnete den Brunnen und blies mit einem Horn hinein, dass es schallte, als wenn Himmel und Erde zusammenstürzen sollten. Darauf wälzten sich, wohl eine Stunde lang, ungeheure Schwefelmassen heraus. Endlich erschien die Seele des Landgrafen, er hob nur das Haupt über den Rand des Brunnens und sprach: »Ich bin dieser unglückselige Fürst, der ehemals dein Herr war, – ich wollte, dass ich nie geboren wäre.«

Der Mann entgegnete hierauf: »Euer Sohn verlangt zu wissen, wo Ihr seid, und ob er euch in etwas zu helfen vermöge.«

»Du siehst, wie es mir ergeht«, versetzte der Landgraf. »Ich habe keine Hoffnung, aus diesem Ort der Qual erlöst zu werden. Doch wenn meine Söhne gewisse Besitzungen, die ich der Kirche mit Unrecht entzog, herausgeben wollten, so würden sie mein Schicksal sehr erleichtern.«

»Herr«, erwiderte der andere, »Eure Söhne werden mir nicht glauben.« Da offenbarte der Landgraf ihm ein Geheimnis, von dem nur er und seine Kinder wussten, nannte ihm die Besitzungen, welche er zurückgegeben wissen wollte, und versank wieder in den Brunnen.

Als der Höllenfahrer wieder auf die Oberwelt zurückgekehrt war, erkannte ihn keiner seiner Freunde mehr, so hatte das Entsetzen ihn verändert. Graf Ludwig und dessen Bruder Hermann aber wollten, obgleich er ihnen die Botschaft ihres Vaters überbrachte, die Güter nicht herausgeben. Die Meierei wies ihm Ludwig zu, weil er wahrhaft berichtet. »Behaltet Euer Gut«, antwortete ihm aber der Mann, »ich bedarf dessen nicht mehr.« Er ließ sich in einen der strengsten Mönchsorden aufnehmen und beschloss sein Leben im Kloster.

Alles, was man von der Hölle und ihren Qualen erzählt, wird übertroffen durch den Bericht eines Augenzeugen, des Soldaten Tondal, der die unterirdische Reise in Begleitung eines Engels unternahm und sein Abenteuer mit echt französischer Lebendigkeit erzählt. Dieser Engel war nach Tondals Erzählung bei allem Glanz seiner himmlischen Eigenschaften doch ein wenig boshaft, wie sich sogleich erweisen wird.

Nachdem der gute Tondal viele Dinge gesehen hatte, die zu den schon bekannten gehören, befand er sich plötzlich vor einem furchtbaren Ungeheuer, dem Acheron, welches Flammen spie und übel roch. Aus seinem Riesenbauch ertönte dumpfes Jammergeschrei von Männern und Frauen. Der Engel war, von Tondal unbemerkt, zur Seite getreten, und als dieser nun allein dastand und große Augen machte, ergriffen ihn plötzlich die Teufel und warfen ihn in den offenen Rachen des Ungetüms, das ihn sofort verschlang. Eine abscheuliche Gesellschaft empfing ihn dort. Alle wurden gebissen und gestochen von Hunden, Bären, Löwen und Schlangen, von denen es dort wimmelte. Tondal litt mit ihnen unerhörte Pein. Endlich befreite ihn der Engel aus diesem schrecklichen Aufenthalt und gab ihm die tröstliche Versicherung, dass er nunmehr alle seine kleinen Gewohnheitssünden abgebüßt habe. Nur noch eine Übeltat sei auszugleichen. »Erkennst du jene Kuh dort?«, fuhr der strenge Führer fort. »Einst stahlst du sie einem armen Bauersmann, der noch obendrein dein Gevatter war. Jetzt musst du sie auf die andere Seite dieses Sees führen.«

Tondal befand sich am Rand eines schlammigen Teiches, über den eine so schmale Brücke führte, dass kaum ein einzelner Mann diese überschreiten konnte. Und die Kuh, welche er hinüberzuführen hatte, sah äußerst ungebärdig aus.

»O, lieber Gott«, sagte Tondal, »da kann ich allein kaum hinüberkommen, geschweige denn mit einer Kuh wie diese.«

»Du musst«, sagte der Engel.

Tondal wollte nun das Tier ergreifen, aber es kostete ihm viel Mühe und Schweiß, es auch nur einzufangen. Endlich schleppte er es an den Hörnern bis zur Brücke. Schadenfrohe Teufel hatten sich dort versammelt und ergötzten sich an den vergeblichen Anstrengungen des armen Tondal, das widerspenstige Tier auf die Brücke zu treiben. Fast bei jedem Schritt, den er tat, fiel die Kuh in den Morast hinab, und wenn es ihm nach unsäglichen Anstrengungen wieder gelang, sie empor zu bringen, so glitten dann seine eigenen Füße unter ihm aus und er musste alle Kräfte, die ihm noch geblieben waren, aufbieten, um nur wieder festen Halt zu gewinnen. Auf diese Weise kam er endlich bis zur Mitte des Übergangs, als sich ihm ein neues Hindernis in den Weg stellte. Ein Mann, der verurteilt war, ein großes Bündel Ähren, welches er seinem Pfarrer gestohlen hatte, von der anderen Seite des Sees auf diese hinüberzutragen, stand plötzlich vor ihm und flehte ihn an, ihn vorüberzulassen, damit er endlich erlöst werde. Tondal seinerseits bat, ihm Platz zu machen, weil er mit der Kuh nicht auszuweichen vermöge, und so baten, drohten und stritten sie geraume Zeit, als sie sich plötzlich jeder nach der Seite des Sees entrückt sahen, die sie erreichen mussten. Nachdem Tondal seiner Strafe ledig, wurde er von dem Engel in sein Bett zurückgebracht. Er lebte von jener Zeit an fromm und gottselig bis an sein Ende.

Nicht immer diente der Besuch der Hölle als ein Mittel, arge Menschen zu bessern. Manche Sagen lassen die versteckten Bösewichter nur einen Vorschmack der sie erwartenden Pein empfinden, ohne Reue über das Vergangene in ihnen zu erwecken. So geschah es zur Zeit der ersten Kreuzzüge, dass eine päpstliche Bulle erschien, welche jedem, der verhindert war, sich dem Zug der Kreuzfahrer in Person anzuschließen, die Verpflichtung auferlegte, fünf Mark Silber zu zahlen. Doch sollte dabei eigene Schätzung nicht ausgeschlossen sein, auf dass der Reiche mehr, der Arme weniger zu dem frommen Opfer darbringe. Indessen verstand es ein hartherziger, wohlbegüterter Müller, von dem seine Nachbarn behaupteten, dass er, ohne sich wehe zu tun, wohl das Zehnfache der vorgeschriebenen Summe zu zahlen vermöge, durch allerhand Schliche die Sache so zu wenden, dass man sich bei ihm mit den üblichen fünf Mark begnügen musste. Es befriedigte ihn aber nicht, diese Tat schmutzigen Geizes nur ausgeführt zu haben, er musste sich derselben auch öffentlich rühmen, er verhöhnte auch die armen Pilger, denen er niemals auch nur die kleinste Spende reichen ließ.

Eines späten Abends, als er sich mit seinem Weib bereits zur Ruhe begeben hatte, hörte er plötzlich die Mühle gehen. Der Mühlknappe wurde hinaufgeschickt, um zu erforschen, was es gebe. Der Knappe kehrte voll Entsetzen, bleich und keines Wortes mächtig zurück. »Beim Teufel und seiner Großmutter«, rief der Müller zornig, »ich will wissen, wer meine Mühle dreht und will den, und wär’s der Satan in eigener Person, auch sehen!« Er fuhr in die Kleider und sprang die Treppe hinauf. Sowie er aber die Tür geöffnet und einen Blick in den Mühlenraum geworfen hatte, prallte er zurück. Zwei kohlschwarze, feurige Rosse, von einem grimmig blickenden Neger gebändigt, schnaubten ihm entgegen.

»Zieh dein Obergewand aus und folge mir!«, herrschte ihn der Schwarze sofort an, schwang sich auf eines der Tiere und wies dem Müller das andere zum Besteigen an. Dieser, dem Schreck und Angst alle Besinnung geraubt hatten, entledigte sich seines Obergewandes, ohne daran zu denken, dass er in dem Kreuz, welches auf demselben angeheftet war, den sichersten Schutz gegen alle Macht des Bösen besaß und diesen mit dem Kleid nun von sich gab, bestieg das andere Pferd und fort ging es, hinaus in die Nacht, dass Kies und Funken stoben.

Sie ritten geradewegs in die Hölle und der Teufel ließ den zitternden Sünder dort alle Qualen der Verdammten schauen.

Er zeigte ihm die eigenen Eltern in der Flammenglut, die den ungeratenen Sohn verfluchten, der aus schnödem Geiz keine Messen für ihr Seelenheil hatte lesen lassen. Daneben stand ein rot glühender Stuhl und der Teufel rief dem Müller zu: »In drei Tagen bist du tot. Dann kehrst du hierher zurück und nimmst diesen Stuhl für die Ewigkeit ein!«

Die Frau des Müllers, welche ihres Mannes Rückkehr vergeblich erwartete, erhob sich endlich, von Unruhe getrieben, von ihrem Lager, um nach ihm zu sehen und fand ihn, das wirrste Zeug von der Hölle, dem Fegefeuer und von einem glühenden Stuhle redend, lang ausgestreckt auf dem Boden liegend. Sie ließ einen Priester rufen, doch verweigerte der Unglückliche die Beichte, indem er fortwährend ausrief: »Mein Schicksal ist entschieden, in drei Tagen sterbe ich, der Teufel hat es mir gesagt.« In diesem bejammernswerten Zustand verbrachte er noch drei Tage und starb dann wirklich.

Am Schluss dieses Kapitels möge hier noch die Geschichte des Abbé Morimond einen Platz finden. Dieser Abbé war als Schüler so einfältig, dass seine Dummheit sprichwörtlich wurde. Allein er besaß Verstand genug, sich darüber zu ärgern. Eines Tages, da er krank im Bett lag und über sein schlimmes Schicksal nachdachte, trat der Teufel an seine Lagerstätte und bot ihm an, ihn klüger als alle Professoren der Welt zu machen, wenn er ihn anbeten wolle. Der Abbé wies ihn mit Entrüstung zurück, der Teufel ließ sich aber nicht beirren, öffnete die matt herabhängende Hand des jungen Mannes, schob einen kleinen, wunderlich gestalteten Stein in dieselbe und sprach: »solange du diesen Stein in der Hand hältst, wirst du alles wissen, was ein Mensch wissen kann.« Damit verschwand er. Der Abbé schloss unwillkürlich die Hand und erstaunte, sich plötzlich als einen ganz anderen Menschen wiederzufinden. Die klügsten und geistreichsten Gedanken strömten ihm zu, ohne ihn zu verwirren, er wusste und verstand alles. Entzückt sprang er auf und ging zur Universität, wo er durch den Witz und die Kenntnis mit denen er auf einmal begabt war, allgemeines Staunen erregte.

Während dessen vermochte sein Körper die ungewohnte Last des Geistes nicht lange zu tragen und er erkrankte bedenklich. Dem Tod nahe, erwachte sein Gewissen und er beichtete einem Priester, der ihm gebot, den Wunderstein augenblicklich von sich zu werfen. Der Patient gehorchte und wurde wieder so dumm, wie er gewesen war, starb aber nichtsdestoweniger. Während man nun seinen Leib in die Kirche trug, um Psalmen an dem Sarg zu singen, kamen die Teufel und holten seine Seele. Diese Seele war, Morimons eigener Aussage nach, rund wie eine Kugel aus geschliffenem Glas, glänzend und ganz mit Augen bedeckt, was die Teufel verleiteten, Ball mit ihr zu spielen. Weil sie aber die arme Seele mit ihren langen, spitzigen Krallen auffingen und einander zuschleuderten, was ihr, wie der Abbé versicherte, sehr heftige, fast unerträgliche Schmerzen verursachte, erbarmte sich der Himmel ihrer Einfalt und schickte einen Engel ab, der sie den Teufeln entriss und wieder in den Leib zurückführte. Der junge Abbé wurde nun wieder lebendig, lebte fromm und starb endlich im Geruch der Heiligkeit.

Hinter dem Eingang zur Hölle, nahe der Pforte, lagern, wie die Sage berichtet, zwei furchtbare Wesen. Das eine, bis zur Hüfte hinab eine schöne, üppige Frauengestalt, endigt in einer ungeheuren Schlange, die schuppigen Glieder in gewaltiger Ausdehnung streckend, mit tödlichem Stachel bewehrt. Es ist die Sünde, Tochter ohne Mutter, aus dem Haupt Satans entsprungen. In ihren Händen ruhen die Schlüssel zur Hölle. Die andere Gestalt ist finster wie die Nacht, wild wie die Rachegöttin, schrecklich gleich der Hölle. Sie schwingt in ihren Händen das nimmer ruhende Schwert, ihr Haupt ist mit einer Krone geschmückt. Alles an ihr ist schattenhaft, unbestimmt, in wüsten, chaotischen Umrissen. Sie ist der Tod, das Kind des Teufels und der Sünde.