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John Tanner – Das Leben eines Jägers 7

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Siebtes Kapitel

Am Ufer des Assiniboine, höchstens ein paar Tagereisen über den Tragplatz der Prärie hinaus, liegt eine Stelle, die Ke-new-kau-nesche-way-boant heißt (d. h. der Ort, wo man den grauen Adler schießt). Dort machen die Indianer häufig Halt. Als wir vorüberkamen, bemerkten wir kleine, in die Erde gesteckte Pfähle, an denen wir Stückchen von Birkenrinde fanden. Auf zwei dieser Stücke waren die Gestalten von Bären abgebildet, und auf den übrigen Figuren, welche andere Tiere darstellten. Net-no-kwa erkannte auf den ersten Blick die Totems des Pe-schau-ba, Waus-so und ihrer Gefährten. Diese Zeichen waren dazu bestimmt, uns zu benachrichtigen, dass sie hier vorübergezogen wären, und deuteten zugleich an, wie und wo wir sie selbst finden würden. Wir trennten uns also von den Kaufleuten, schlugen die von Pe-schau-ba angedeutete Richtung ein, und fanden ihn zwei Tagesreisen weit vom Fluss entfernt.

Der Kriegszug, zu welchem die Mandan in so weiter Ferne Verbündete gesucht hatten, war aus Mangel an Einigkeit zwischen den verschiedenen Stämmen durchaus verunglückt, mehrere dieser lebten in Erbfeindschaft mit den anderen, und da bald Zwistigkeiten entstanden, so wurde der ganze Plan aufgegeben, und die A-gutsch-a-ninnes waren in ihrem Dorf von niemandem gestört worden. Unsere Krieger gingen unmittelbar zum Kontor am Moose River zurück, hatten dort ihre Kanus fertig gebaut, waren den Fluss bis zu der Stelle, wo wir ihre Totems fanden, hinuntergerudert, und hatten in dem trefflichen Jagdbezirk ihr Lager aufgeschlagen, wo wir mit ihnen zusammentrafen.

Wir fanden in ihrem Lager eine große Menge Wildbretfleisch. Sie hatten auch viele Biber getötet, und in der Umgebung waren während der Begattungszeit Elche sehr häufig anzutreffen. Eines Tages schickte mich Pe-schau-ba mit den beiden jungen Frauen weg, um einige Stücke von einem Elchtier herbeizuholen, das er getötet hatte. Da das Ganze für die Frauen zu viel und zu schwer war, so beschlossen sie, das Fleisch zu rösten und zu räuchern. Ich ging mit einem tüchtigen Stück frischen Fleisches zu unseren Hütten zurück. Ich hatte mein Gewehr bei mir, und da ich unterwegs eine große Menge Elche bemerkte, so machte ich mich schussfertig, versteckte mich in einem Gebüsch und ahmte das Geschrei der Weibchen nach. Da kam auf einmal ein mächtig großes Männchen so unbändig auf mich losgestürmt, dass ich, auf meine Sicherheit bedacht, die Flucht ergriff. Als mich so das Tier gewahrte, floh es ebenfalls in entgegengesetzter Richtung.

Da ich wohl wusste, dass die Indianer mich darüber verhöhnen würden, beschloss ich noch einen Versuch zu wagen, und diesmal mich nicht vom Kleinmut übermannen zu lassen. Also suchte ich mir einen besseren Platz aus, und machte so lange das Geschrei der Weibchen nach, bis endlich ein Männchen kam. Das schoss ich nieder. Da aber schon ein großer Teil des Tages verflossen war, hielt ich es für nötig, mein Fleisch zu nehmen und zu der Hütte zu eilen.

Als ich aus einem kleinen Gehölz, das mitten in der Prärie lag, herauskam, sah ich, dass ein Bär auf mich zukam. Anfangs glaubte ich, es sei ein gewöhnlicher schwarzer Bär und beschloss, ihn zu erschießen. Allein er konnte mich sehen, und ich wusste doch gewiss, dass er davongelaufen sein würde, wenn er jener Art angehört hätte. Da er nun mir immer näher kam, schloss ich daraus, dass er ein grauer Bär sei, und fing an, wegzulaufen. Je schneller ich aber lief, um so stärker verfolgte er mich. Doch erinnerte ich mich, alles meines Schreckens ungeachtet, an einen Rat, den Pe-schau-ba mir gegeben hatte, nie auf einen grauen Bären zu schießen, wenn ich nicht in einem Gehölz Zuflucht suchen könnte, und nie anders Feuer auf ihn zu geben, wenn es nicht platterdings unmöglich sei, ihn zu verfehlen. Dreimal wandte ich mich um und schlug an. Da er aber noch zu weit entfernt war, so fing ich wieder zu laufen an, und endlich kam ich eine bedeutende Strecke vorwärts. Plötzlich hörte ich Wa-me-gon-a-biews Stimme hinter mir. Der Bär war verschwunden und nun sagte mir mein Bruder, er selbst habe durch eine Vermummung Anlass zu meinem Schrecken gegeben.

Net-no-kwa nämlich, die Besorgnis wegen meines langen Ausbleibens schöpfte, hatte ihn ausgeschickt, um mir entgegenzukommen. Er hatte mich aus dem kleinen Gehölz heraustreten sehen, und da war es ihm in den Sinn gekommen, ein altes schwarzes Kleid über den Kopf zu ziehen und einen Bären vorzutäuschen. Ohne Zweifel hatte mich die Furcht blind gemacht, denn es war leicht die Vermummung zu erkennen. Als dieses

Abenteuer den Ältesten unserer Familie erzählt wurde, tadelten sie Wa-me-gon-a-biew sehr, und seine Mutter sagte, dass es ganz recht gewesen wäre, wenn ich ihn totgeschossen hätte, und dass sie mir, dem indianischen Brauch zufolge, auch nicht einmal einen Vorwurf darüber hätte machen dürfen.

Wir fuhren so lange fort, Biber zu jagen und deren eine große Anzahl zu töten, bis endlich das Eis zu dick wurde. Danach verfolgten wir die Bisons auf den Prärien. Als der Schnee eine harte Kruste bekam, sagten die Männer, sie wollten mich nun mit den Frauen allein lassen, am Klarwasser-See Kanus bauen, und auf der Reise dorthin Biber fangen und vor ihrem Abzug uns mit einigen Lebensmitteln versorgen. Waus-so ging allein aus und tötete einen Bison. In der Nacht aber wurde das Wetter kalt und stürmisch und die Bisons suchten Schutz in dem Wald, wo wir unseren Lagerplatz hatten. Ganz früh am Morgen weckte uns Net-no-kwa und rief, es befinde sich eine ganze Herde nahe der Hütte. Die vier Krieger und Wa-me-gon-a-biew gingen geräuschlos hinaus, und stellten sich so auf, dass sie die Herde umzingelt hielten. Sie lachten sehr, als sie sahen, dass ich mein Gewehr instand setzte, und wollten mir nicht erlauben, mitzugehen. Als sie aber fort waren, erlaubte mir die Alte, die mich immer nach Kräften begünstigte, dass ich mich auf den Anstand stellen durfte, und zwar dicht neben der Hütte, auf einer Stelle, an welcher, wie sie scharfsinnig im Voraus berechnete, die Herde vorbeikommen würde. Die Indianer gaben Feuer, verfehlten aber alle, die Bisons kamen mir in den Schuss, und ich war so glücklich, ein großes Weibchen zu töten. Es war mein erster Bison und meine Mutter freute sich sehr.

Bald danach ließen mich die Indianer mit Net-no-kwa, einer der jungen Frauen und drei Kindern zurück. Sie hatten kurz vor ihrer Abreise eine große Menge Bisons getötet, und wir räucherten viel Fleisch. Doch reichte der Vorrat nur einige Zeit. Ich sah aber bald, dass ich der Bisonjagd ebenfalls gewachsen sei, und so hatten wir hinlängliche Lebensmittel. Eines Tages kam ein altes Weibchen, das ich angeschossen, obwohl es kein Junges hatte, auf mich losgerannt, und mir blieb kaum noch Zeit, auf einen Baum zu klettern, und mich so zu retten. Das Tier war weniger wütend über die erhaltene Wunde, als über das ewige Kläffen der Hunde. Ich glaube, es kommt wohl selten vor, dass ein Weibchen einen Menschen verfolgt, wenn es nicht zuvor durch die Hunde recht wild gemacht worden ist.

Als der Frühling kam, machten wir Ahornzucker etwa zehn Meilen oberhalb des Forts am Moose River. Das Wetter wurde milder, und die Biber ließen sich zuweilen nicht nur auf dem Eis, sondern auch am Ufer blicken. Ich stellte mich häufig auf den Anstand und schoss auf sie, sobald sie aus ihrem Bau hervorkamen. Eines Tages hatte ich eben einen getötet, und lief schnell über das Eis, um ihn aufzunehmen. Dabei verhedderten sich aber meine Schneeschuhe in altem Wurzelwerk, und ich wäre beinahe damals umgekommen. Durch eine verzweifelte Kraftanstrengung befreite ich mich aus dieser Gefahr. Die Bisons waren in jener Gegend so häufig, dass ich oft ganz allein, bloß von meinen gut abgerichteten Hunden unterstützt, sie mit Pfeilen erlegte.

Als die Bäume wieder grün wurden, kam Pe-schau-ba mit den anderen Männern in Kanus aus Birkenrinde zurück. Sie hatten viele Biberhäute und anderes Pelzwerk von großem Wert bei sich. Oie alte Net-no-kwa wünschte sehr zum Huronsee zurückzukehren, und das war auch Pe-schau-bas Wille. Aber Waus-so und Sa-ning-wub wollten nicht dorthin reisen, und Pe-schau-ba mochte sich nicht von ihnen trennen. Sag-git-to war seit einiger Zeit recht krank und litt sehr an einem großen Geschwür in der Gegend des Nabels. Als er einst mehrere Tage hintereinander sich betrunken hatte, bekam er heftiges Leibweh und das Geschwür ging auf. Pe-schau-ba sagte zu der Alten: »Es ist nicht gut, dass Sag-git-to hier, entfernt von allen seinen Freunden, stirbt. Da wir doch sehen, dass er nicht lange mehr leben kann, so ist es am Besten, dass du mit ihm und den kleinen Kindern dich zum Huronsee auf den Weg machst. Ihr müsst die Stromschnellen, den Saut de Sainte Marie, erreichen, ehe Sag-git-to stirbt.«

Unsere Familie trennte sich also demgemäß, und Net-no-kwa reiste mit Sag-git-to, Wa-me-gon-a-biew, mir, den beiden jungen Frauen, einem jungen Mädchen, das sie gekauft hatte, und drei Kindern zum Huronsee ab.

Dieses kleine Mädchen war aus dem Land Bahwetego-Weninnewug, oder jenem der Falls, durch Chippewakrieger entführt worden, die es an Net-no-kwa verkauft hatten. Die Falls leben an den Felsengebirgen, und ihre Sprache ist sowohl von jener der Sioux als auch der Chippewa verschieden. Diese Letzteren und die Cree haben mehr Verwandtschaft mit den Schwarzfüßen als den Falls. Das kleine Mädchen, Bahwetig, welches Net-no-kwa gekauft hatte, war damals zehn Jahre alt und redete die Sprache der Chippewa, unter denen sie einige Zeit gelebt hatte.

Als wir beim Regen-See ankamen, hatten wir zehn Ballen Biberhäute, jeden zu vierzig Stück gerechnet. Net-no-kwa tauschte gegen einiges andere Pelzwerk Rum ein und war ein Paar Tage hintereinander betrunken. Wir fanden dort mehrere Kanus, welche Handelsleuten gehörten, die zum Red River wollten. Wa-me-gon-a-biew, der damals achtzehn Jahre alt war, wollte nicht mit zum Huronsee gehen, und beschloss die günstige Gelegenheit zu benutzen, um nach Norden zu reisen. Die alte Frau gab sich viele Mühe, ihm diesen Entschluss auszureden, aber er sprang in eines der Kanus, das eben abfahren wollte, und ließ sich nicht wieder hinausbringen, so sehr sich auch die Handelsleute anstrengten, ihn auf Bitten der Mutter wieder ans Land zu schaffen. Net-no-kwa war sehr betrübt, und da sie sich nicht entschließen konnte, ihren einzigen Sohn zu verlieren, so kam es ihr in den Sinn, mit ihm zu reisen.

Da sie wenig Vertrauen auf die Redlichkeit der Handelsleute setzte, wollte sie ihnen ihre Biberfelle nicht überlassen. Wir trugen sie demnach an eine abgelegene Stelle im Wald, machten nach Indianersitte ein Sunjegwun oder Versteck und kehrten darauf zum Wälder-See zurück. Von diesem See ab ist den Indianern ein Weg zum Red River bekannt, den die Weißen niemals nehmen, nämlich über den Muskeek oder den Morast-Tragplatz. Wir ruderten mehrere Tage einen Fluss hinauf, den die Indianer Muskeego-ne-gum-me-wee-fee-be oder den Strom des Morastes nennen. Darauf zogen wir einen ganzen Tag lang unsere Kanus über oder durch ein sumpfiges Erdreich, dessen Wasser mit Moos und kleinem Strauchwerk bedeckt war. Der Boden erzitterte und erbebte einem da unter den Füßen. Alsdann gelangten wir mit unseren Kanus in einen kleinen Fluss, Begwionusk genannt. Dieses ist der indianische Name für Kuhpetersilie, welche dort in großer Menge wächst. Dieses Flüsschen führte uns bis zu einem kleinen Sahkiégun oder See desselben Namens, der nur zwei oder drei, an manchen Stellen gar nur einen Fuß Tiefe hat. Er war damals mit Gänsen, Enten, Schwänen und anderen Vögeln wie bedeckt. Dort blieben wir lange Zeit und sammelten vier Ballen Biberfelle.

Als die Blätter fielen, starb Sag-git-to, und wir waren nun ganz allein, denn vier bis fünf Tagesreisen von uns lebte kein einziger Indianer und eben so wenig ein weißer Mann. Ehe wir weiterzogen, mussten wir Anstalten treffen, unsere Ballen zu bergen. Der Erdboden war aber zu morastig, als dass wir sie hätten vergraben können. Dem Brauch gemäß machten wir also ein Sunjegwun aus Baumzweigen, die so dicht zusammen geflochten wurden, dass auch nicht einmal eine Maus hindurch konnte. Dort ließen wir nun unsere Felle und alle anderen Gegenstände, die wir nicht mitnehmen konnten. Wenn einige Indianer aus diesen entfernten Gegenden auch diese Sachen gefunden hätten, so würden sie das Sunjegwun doch nicht geöffnet haben. Und dass Handelsleute eine so armselige, abgelegene Gegend besuchen würden, das brauchten wir nicht zu befürchten.

Die Indianer, welche weit entfernt von den Weißen wohnten, hatten noch nicht gelernt, auf das Pelzwerk einen so hohen Wert zu legen, dass sie es einer dem anderen stehlen würden. Zu der Zeit, von welcher ich rede, und in der Gegend, wo ich mich damals befand, habe ich oft gesehen, dass Indianer ihre Fallen mehrere Tage lang im Wald liegen ließen, ohne nach diesen zu sehen. Sie waren nicht im Geringsten besorgt, dass diese abhandenkommen würden.

Es kam oft vor, dass ein Mann, der von der Jagd zurückkam, und seine Fallen hatte liegen lassen, von einem anderen gefragt wurde: »Ich will da oder dort jagen. Wo liegen deine Fallen?«

Und wenn er sie gebraucht hatte, so machten es noch vier oder fünf andere eben so. Die Fallen kamen aber jedes Mal ihrem Eigentümer wieder richtig zu Händen.