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Der Teufel auf Reisen 4

Carl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Erster Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Drittes Kapitel – Teil 2
Faust und Gretchen

Während beide Herren weiterliefen, schüttelte der Doktor noch immer einigermaßen missbilligend den Kopf.

»Lieber Freund«, rief sein Begleiter, »trotz Ihrer Philosophie scheinen Sie mir doch noch sehr kurzsichtig zu sein. In jeder Sache steckt eine gewisse Moral und auch der Dicke wird die Lehre, welche er erhalten hat, zeit seines Lebens nicht vergessen. Mit solchen Sentimentalitäten bleiben Sie mir vom Leibe. Wenn Sie etwas in meiner Gesellschaft lernen wollen, müssen Sie sich von ihrem alten wackligen Standpunkt lossagen.«

»Sie haben recht«, bemerkte Schwalbe, »als Philosoph habe ich gefehlt. Na, lassen Sie es nur gut sein, ich besitze den besten Willen und ein anderes Mal sollen Sie zufriedener mit mir sein.«

Inzwischen kehrten die beiden Spaziergänger zum »feurigen Drachen« zurück. Der Kellner überreichte zwei Karten und meldete, dass Herr Pilz vor einer halben Stunde vorgefahren sei und diese zurückgelassen habe. Es war eine Einladung für Herrn Berthold und Neffen, für morgen zum Diner.

»Ich führe Sie jetzt ins Leben ein«, bemerkte der falsche Herr von Schwefelkorn, »und Sie können sich immer auf die Abspulung eines längeren Familienromans gefasst machen. Ihre Gedanken und Handlungen gehören nunmehr mir an, das heißt, ich hauche sie Ihnen ein, denn in mancher Beziehung bleibt Ihr Menschen ewig Kinder und man muss Euch fortwährend am Gängelband führen, damit Ihr nicht stolpert und Euch durch Eure Ungeschicklichkeit verratet. Ihr dünkt Euch zwar gewaltig klug, aber dies redet Euch Eure Eitelkeit ein. Und wenn man Euch bei Euren Fehlern und Schwächen erfasst, ist es mit Eurer Weisheit vorbei und ihr rennt blind in die Netze, welche von mir und meinen Kollegen ausgespannt werden.«

»Aber der moralische Halt?«, wagte Schwalbe schüchtern einzuwerfen.

»Für Euren moralischen Halt gebe ich nicht so viel«, rief Berthold (wir nennen ihn von nun an bei seinem neuen Namen) wegwerfend, und schlug dabei ein Schnippchen. »Es geht, wie gesagt, alles gut, solange Ihr auf dem ebenen Weg des Lebens dahinrollt. Kommt aber einmal ein Hindernis, dann verliert Ihr den Kopf. Die mit so viel Mühe und häufig mit so vielen Kosten aufrechterhaltene Würde geht verloren, es entschlüpfen Euch die Stelzen, auf denen Ihr Euch mit so vieler Anstrengung bewegt, unter den Füßen und dann wälzt Ihr Euch im Staub und klagt das Schicksal an, während Ihr doch selbst Euer Schicksal nicht zu bestimmen verstandet.«

»Erlauben Sie«, entgegnete der Doktor, »im Interesse der Wissenschaft, welche durch das von mir herauszugebende Werk um ein Bedeutendes gefördert werden soll, habe ich mich Ihnen zwar für einige Zeit angeschlossen, aber deswegen bin ich doch nicht geneigt, meine selbstständige Meinung ganz aufzugeben. Das Edle und Gute, was im Menschen lebt, vermögen Sie von Ihrem Standpunkt aus freilich nicht anzuerkennen. Bei Ihrem Hang zu zerstören, ziehen Sie alles, was uns heilig und teuer ist, in den Dreck. Aber um mit den Worten eines unserer Dichter zu sprechen, die Tugend ist doch kein leerer Wahn und, gestehen Sie es nur, Sie sowohl wie viele andere Ihrer Kollegen, haben sich schon oft beschämt, gedemütigt und machtlos vor dieser zurückziehen müssen.«

Der Teufel verzog ein sehr verdrießliches Gesicht. »Verderben Sie mir den Appetit für morgen nicht, denn bei meinen Freund Pilz isst man sehr gut«, bemerkte er übel gelaunt. »Mit dieser sentimentalen Dame, genannt Tugend, will ich nichts zu schaffen haben. Mit zurückgeworfenem Kopf, in steifer Halskrause schreitet sie einher. Niemals ist sie zu einem Scherz aufgelegt. Sie sehen ja auch, wie wenige Anhänger sie hat. Wo sie erscheint, ist sie unbequem. In vielen Fällen wird ihr ganz offen ins Gesicht gelacht.

Sie selbst, mein Lieber, scheinen noch so ein Stück von tugendhaftem Hanswurst zu sein. Aber ich habe Ihnen nun einmal meine Freundschaft zugewendet, und so will ich denn auch dafür sorgen, dass Sie solchen Kindereien entsagen und dass etwas Tüchtiges aus Ihnen wird.«

»Der Doktor, welchem doch von seinem philosophischen Standpunkt aus der Ausdruck »tugendhafter Hanswurst« sehr verdross, wollte eine geharnischte Antwort geben. Aber das Wort erstarb ihm auf der Zunge und demütig senkte er das Haupt, denn Berthold hatte ihn mit einem Blick angesehen, der ihn nicht allein völlig beherrschte, sondern der ihn auch bis tief in das Innere drang und eine vollkommene Umwandlung bei ihm hervorbrachte. Vergebens versuchte er, an seinen noch eben ausgesprochenen Grundsätzen festzuhalten, sie entschlüpften ihm sozusagen unter den Händen und statt dessen war er nahe daran, seinen Gesellschafter förmlich um Verzeihung zu bitten.

»Ha, ha«, lachte dieser, »haben Sie schwaches gebrechliches Menschenkind einmal den Versuch gemacht, Ihre Kräfte zu probieren? … Nun, lassen Sie es gut sein«, fügte er in bester Laune hinzu, »es sind Ihnen von mir in der uneigennützigsten Weise meine Dienste angeboten worden. Aber der Lehrling darf den Meister nicht zurechtweisen wollen und jetzt werden Sie wohl mein Übergewicht fühlen?«

»Es kribbelt mir bereits in allen zehn Fingern«, rief Schwalbe, mit dessen Natur eine völlige Veränderung vorgegangen war. »Das mir innewohnende Gewissen habe ich soeben exmittiert und Dame Tugend hat von mir einen moralischen Fußtritt erhalten, auf die Gefahr hin, überall als ein gemeiner, roher Mensch ausgeschrien zu werden.«

»So ist es recht, mein Sohn«, bemerkte Herr Berthold sehr befriedigt, »fort mit all dem Plunder. In meiner Gesellschaft lebt es sich leicht. Lustig machen wollen wir uns über die eitlen aufgeblasenen Narren, des erborgten Flittergoldes wollen wir sie entkleiden. Finden wir auf unseren Wanderungen hier und da ein paar arme Menschenkinder, die es wirklich verdienen, dass ihnen geholfen wird, nun, dann wollen wir nicht teilnahmslos an ihnen vorübergehen, denn ich habe Ihnen ja bereits gesagt, ich gehöre zur Klasse der gutmütigen Teufel und ganz ohne Empfindung ist mein Herz keineswegs.«

»Diese Erklärung beruhigt mich sehr«, bemerkte unser Philosoph, »denn wenn das ehrgeizige Streben, durch meine ›psychologischen Studien‹ zu literarischer Berühmtheit zu gelangen, mich auch bestimmte, mich von Ihnen etwas anhauchen zu lassen, so möchte ich schließlich, ungeachtet ich als starker Geist über jedes Vorurteil erhaben bin, doch nicht völlig geschwächt und vielleicht noch mit Hörnern und Pferdefuß ausgestattet, in die Heimat zurückkehren.«

Der Teufel lachte. »Was die Farbe anbelangt, so ist dies lediglich eine Sache des Geschmacks, und ob einer einen Schwanz oder einen Zopf trägt, dies wird wohl ziemlich auf eins herauskommen. Auf keinen Fall will ich Ihnen aber irgendeinen Zwang antun, und somit denke ich, haben wir uns verständigt, und wissen gegenseitig, wie wir miteinander dran sind.«

»Gut«, sagte der Doktor, »ich erkenne die zarten Rücksichten an, welche Sie gegen mich nehmen und eine Liebe ist der anderen wert. Also frisch hinein ins Leben, gibt es doch sehr verständige Leute, welche erklären, dass die Welt eigentlich nur ein großes Narrenhaus sei«,

»Oder ein großes Hospital«, setzte Berthold hinzu, »dessen Bewohner an allen möglichen Gebrechen leiden. Zum Beispiel an der Krankheit des Stolzes, der Eitelkeit, der Aufgeblasenheit, des Hochmuts, der Selbstsucht und wie alle diese Fehler sonst noch heißen.«

»Gut, aber nun lassen Sie uns auf ein anderes Thema kommen. Wir können doch nicht den ganzen Abend im Hotel sitzen. Womit amüsieren wir uns?«

»Nichts leichter als das«, erwiderte Berthold, »die Schaubühne des Lebens ist nie geschlossen und Platz finden wir immer im Zuschauerraum. Wie wäre es, wenn wir uns heute mit ein paar leichten Possen begnügten, ebenso aus dem Stegreif zusammengeflickt, trivial, mit möglichst viel Blödsinn, wie es gerade der jetzigen Generation zusagt, die darin ein treues Spiegelbild ihrer eigenen Zustände erblickt.«

»Ist mir ganz recht. Sie werden dabei doch auch das Ihre tun?«

»Nun«, antwortete Schwalbes Gesellschafter lächelnd, »wo ich erscheine, da spiele ich allerdings auch mit. Nur merkt es das Völkchen nicht und ist stolz auf seinen Witz, während es doch eigentlich von mir an der Nase herumgeführt wird.«

»Wohin begeben wir uns also?«

»In das erste beste Restaurant. Dort werden wir Stoff zur Unterhaltung genug finden«, ^

»So kommen Sie.«

Die beiden Herren begaben sich auf den Weg. Es mochte etwa neun Uhr sein. Sie steuerten auf ein Lokal zu, dessen lange Front hell erleuchtet war, welches also wahrscheinlich auch stark besucht wurde. Es herrschte bereits ein reges Leben, als unsere Bekannten eintraten und an einem Tisch Platz nahmen, von wo aus sie das Ganze ziemlich gut übersehen konnten. Studenten, Gelehrte, Künstler, Bürger, alles saß bunt durcheinander und opferte dem Gott Gambrinus, oder machte gastronomische Studien. Hier und da blitzte das Auge einer biertrinkenden Jungfrau auf und sie begann hinter dem Rücken des Herrn Papa oder wohl auch hinter dem Rücken ihres allzu vertrauensseligen Verehrers ein kleines Tirailleurgefecht von Blicken mit ihrem vis-á-vis, oder sie schlug bei solchen stillen Begegnungen wohl auch schüchtern die Augen nieder, oder nimmt die Miene der Erzürnten an, während sie doch in Wahrheit dem kühnen Jüngling, der ihr heimlich zutrinkt und sich dabei unternehmend den Schnurrbart dreht, nicht im Geringsten böse ist. Der hungrige Pudel eines Philologen hatte bereits an allen Tischen die Runde gemacht und wurde, je nachdem er mitleidigen oder mitleidslosen Herzen begegnet, hier mit einem fetten Bissen regaliert, dort unter rauen Worten als zudringlicher Bettler abgewiesen. Die Zeitungsleser hatten sich bereits der unentbehrlichen Lektüre bemächtigt und vertieften sich in eine der schwebenden politischen oder sozialen Fragen.

»Es sind von mir bereits einigermaßen die Karten gemischt worden«, flüsterte Berthold unserem Bekannten zu, »und in einem Weilchen kann es losgehen. Inzwischen haben wir aber noch so viel Zeit, dass ich Sie mit den Mitspielenden etwas näher bekannt machen kann.«

»Sehr liebenswürdig von Ihnen, ich bin ganz Ohr.«

»Nun, betrachten Sie sich zunächst einmal dort jenen Herrn in der Ecke.«

»Der macht ja ein Gesicht, als wenn er der gesamten Menschheit den Handschuh hinwerfen wollte. Das scheint mir ein eingefleischter Misanthrop zu sein.«

»Das ist er auch. Ein alter Junggeselle der verbissensten Art, ein hinter seinem Schreibpult verknöcherter Bürokrat, der die ganze Welt hasst und nichts weiter als seinen Spitz liebt, für welchen er einen besonderen Stuhl in Anspruch genommen hat und der ein ebenso grämliches Gesicht wie er selbst macht. Die Gewohnheit führt ihn jeden Abend hierher und jetzt ist seine Galle besonders angeschwollen, denn fassen Sie nur einmal dort jenen Herrn ins Auge, welcher etwa drei Schritte von ihm entfernt an dem runden Tisch sitzt.«

»Was ist denn das für ein Subjekt?«, fragte Schwalbe lachend, »der hat sich ja mit einer ganzen Barrikade von Zeitungen umgeben. In der einen liest er, die andere hält er unter dem Arm, auf der dritten sitzt er und die vierte liegt auf seinem Schoß.«

»Das ist ein sogenannter Zeitungsmarder«, bemerkte Berthold, »der dem alten Registrator den Pfeil immer tiefer ins Herz treibt, denn gerade auf dem Blatt, welches dieser jeden Abend zu lesen pflegt, sitzt er so fest, als ob er noch ein Dutzend Exemplare davon nachträglich drucken wollte.«

In diesem Augenblick rannte einer der Aufwärter mit drei bis vier vollen Seidel vorüber.

»Kellner!«, rief der alte Bürokrat und zog dabei ein grimmiges Gesicht. »Kellner, das Tagesblatt!«

»Wird gelesen!«, antwortete dieser und verschwand mit seiner vollen Ladung.

»Das ist ja unerlaubt!«, brummte der Registrator und schoss dabei einen Giftblick auf den Zeitungsmarder, »in einem wohlgeordneten Staat … das grenzt ja fast an Anarchie … es ist der reine Kommunismus …«

Auch der alte Spitz neben ihm fing zu knurren an, denn der Pudel des Philologen hatte ihn in seiner Ruhe gestört. Der Zeitungsmarder aber tat so, als ob er taub wäre, und hielt seinen Raub nur um so krampfhafter fest.

»Ich habe den alten Burschen etwas angeblasen, damit seine Galle noch etwas mehr anschwillt«, flüsterte der Teufel, »inzwischen betrachten Sie sich einmal dort jenes Pärchen.«

»Hm, keine üble Blondine.«

»Sie fängt früh an, denn sie ist erst siebenzehn Jahre«, bemerkte Berthold, »aber sie wird es noch weit bringen. Vorläufig ist sie noch in ihren Ansprüchen bescheiden, denn sie begnügt sich damit, sich von dem Bruder Studio ausführen zu lassen. Aber ihre Zeit versteht sie doch zu benutzen. Sehen Sie nur, das ist bereits die dritte Portion. Aber als die Tochter einer armen Wäscherin gibt es zu Hause nur dünnen Kaffee und trockene Schrippen und was wollen Sie, mein Freund, der Appetit kommt mit dem Essen.«

Der Doktor musste herzlich über den Humor seines Gesellschafters lachen, bald aber wurde seine Aufmerksamkeit wieder zu einer anderen Seite hingezogen. Der Aufwärter kam nämlich abermals bierbeladen angerannt, und als ob er sich einer bösen Tat bewusst sei, versuchte er mittelst eines Halbkreises, den er umschrieb, an dem Misanthropen vorüberzuschlüpfen. Aber dieser hatte ihn bereits scharf ins Auge gefasst, ingrimmig leuchteten seine Blicke.

»Wo bleibt mein belegtes Butterbrot? Es ist unerhört, was man sich hier alles gefallen lassen muss!« Dies glitt wie Donnergepolter über seine Lippen, während der Ganimed mit dem zweifelhaften Frack mit einem »Sogleich!« an ihm vorübereilte, dabei jedoch ein Gesicht machte, als wenn er hätte sagen wollen: »Ich kenne dich, nie entglitt deiner Hand der sonst übliche Sechser!«

»Ende des ersten Aktes«, flüsterte Berthold, sich behaglich die Hände reibend, »jetzt kommt eine kleine Pause und dann folgt der Schlussakt, welcher sehr ergötzlich werden wird.«

Fortsetzung folgt …