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Der Welt-Detektiv Band 6

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Fantomas – Kapitel 8.1

Ein schreckliches Geständnis

Während sich Juve bei der Aufklärung des neuen Falls, mit welchem ihn die Kriminalpolizei von Paris betraut hatte, seinen erstaunlichen Fähigkeiten und unvergleichlichem Wagemut hingab, schritten die Dinge in Beaulieu voran, wo die gesamte Maschinerie der Rechtsprechung in Gang gesetzt worden war, um Charles Rambert zu finden und zu verhaften.

Mit großem Gerumpel und Getöse fuhr Bouzille den Abhang hinunter und kam an Mère Chiquards Hütte zum Halten. Er kam mit seiner eigenen Ausrüstung, und die war außergewöhnlich!

Bouzille thronte auf einem Dreirad in prähistorischer Anmutung mit zwei großen Hinterrädern, einem kleinen Steuerrad vorne und einer rostigen Lenkstange, von welcher die Metallfarbe schon gänzlich abgerieben war. Die massiven Gummireifen, die einstmals die Räder geschmückt hatten, waren längst abgenutzt und ersetzt durch Stofffetzen, die um die Felgen gewoben waren. Auch diese waren am Zerfransen und die Reifen umsäumt wie ein wahrhaftiges Werk aus Spitze. Dieses unmögliche Gerät musste Bouzille auf einem der umliegenden Märkte für einen Spottpreis ergattert haben, falls es ihm nicht von einer barmherzigen Person geschenkt worden war, die es einfach los werden wollte. Er modifizierte dieses Dreirad zu seiner Lokomotive und es war in jedem Falle das einzig Vollständige seiner Ausrüstung. An das Dreirad war mit einem kräftigen Seil ein alter weidengeflochtener Babykorb auf vier Rädern angebunden, den er seinen Schlafwagen nannte, denn darin bewahrte er all die Lumpenstücke auf, die er auf seinen Touren fand, wie auch sein sehr einfaches Bettzeug und das kleine Stück wasserfestes Tuch, unter welchem er oft unter freiem Himmel schlief. Hinter dem Schlafwagen befand sich ein dritter Wagen, der Speisewagen, bestehend aus einer alten Seifenkiste ausgerüstet mit vier massiven Holzrädern, welche mit riesigen konischen Bolzen an die Achsen montiert waren; in diesem Wagen deponierte er seine Vorräte, Klumpen aus Brot und Fett, Flaschen, Gemüse, alles einem angemessenen Durcheinander. Bouzille machte recht weite Ausflüge in diesem Aufzug und war damit bekannt im Südwesten Frankreichs. Oft sah ihn das verblüffte Landvolk über sein Dreirad gebeugt, mit seinem Bündel auf dem Rücken, in außerordentlicher Geschwindigkeit die Hügel hinunter rasen, während seine Wagen hinter ihm über die Unebenheiten der Straße polterten und sprangen, bis es unmöglich schien, dass sie noch ihr Gleichgewicht halten könnten.

Mère Chiquard hatte die Ursache für den Lärm erkannt. Das gesunde Landleben hatte die alte Frau trotz ihrer 83 Lebensjahre stark und beweglich gehalten und so kam sie mit einem Besen bewaffnet zur Tür und übergoss den Landstreicher mit wütenden und bedrohlichen Ausrufen.

»Du bist es also, du Dieb, du Armenräuber! Es ist empörend, wie du deine Zeit mit üblen Taten verbringst! Was willst du nun von mir, sag schon!«

Langsam und kleinlaut, mit gesenktem Kopf näherte sich Bouzille der Mère Chiquard, nervös darauf achtend, keinen Hieb mit dem Besen auf den Kopf zu bekommen, den die alte Dame hielt.

»Sei nicht böse«, schob er vor, als er zu Wort kam, »ich möchte dir ein Arrangement vorschlagen, Mère Chiquard, wenn du einverstanden bist.«

»Nun, ich höre es mir an«, sagte die alte Frau den Landstreicher mit Misstrauen beäugend, »ich habe nicht soviel Zutrauen in Arrangements mit dir. Gaunern wie dir gelingt es immer, ehrbare Leute übers Ohr zu hauen.«

Mère Chiquard ging zurück in ihre Hütte. Es war nicht ihr Wetter, um draußen stehen zu bleiben, denn ein starker Nordwind blies und der war unangenehm für ihr Rheuma. Bouzille folgte ihr vorsichtig hinein und schloss die Tür sorgsam hinter sich. Ohne Umschweife ging er zum Herd, in dem ein kärgliches Holzfeuer brannte, und legte sein Bündel ab, um sich die Hände besser reiben zu können.

»Grässliches Wetter, Mère Chiquard!«

Die unnachgiebige alte Dame blieb bei ihrer Meinung. »Wenn es nicht armselig ist, meinen Hasen zu stehlen, so ist dies das herrlichste Wetter, das ich je erlebte!«

»Du machst viel Aufhebens um eine Bagatelle«, protestierte der Landstreicher, »insbesondere, wo du dich viel besser stehen wirst mit dem Arrangement, das ich vorschlagen möchte.«

Diese Bemerkung beruhigte Mère Chiquard ein wenig und sie setzte sich auf eine kleine Bank, während Bouzille sich auf dem Tisch niederließ.

»Was meinst du damit!«, wollte die alte Frau wissen.

»Nun«, antworte Bouzille, »ich vermute, dein Hase hätte ein paar Louis d’or auf dem Markt gebracht. Ich habe dir zwei Federviecher mitgebracht, jedes gut 18 Centimes wert, und wenn du mir etwas Mittagessen um 12 Uhr abgibst, werde ich den ganzen Morgen für dich arbeiten.«

Mère Chiquard sah nach der Uhr an der Wand, es war 8 Uhr morgens. Der Vorschlag des Landstreichers war vier Stunden Arbeit wert, was nicht zu verachten war. Aber bevor sie auf den Handel einging, wollte sie das Federvieh sehen. Er packte es aus dem Bündel. An den Füßen zusammengebunden und halb erstickt waren die unglücklichen Tiere nicht sonderlich ansehnlich, aber sie waren günstig, was wert war, es in Betracht zu ziehen.

»Woher hast du das Vieh?«, fragte ihn Mère Chiquard, eher als Formsache, denn sie war sich ziemlich sicher, dass sie nicht auf ehrbarem Wege erstanden waren.

Bouzille legte sich einen Finger auf den Mund.

»Psst«, wisperte er sanft, »das ist ein Geheimnis zwischen mir und den Hühnern. Also gilt es?« Und hielt der alten Dame seine Hand hin.

Sie zögerte noch einen Moment und kam zu einem Entschluss.

»Es gilt«, antworte sie mit ihren knochigen Fingern in seine feste Hand einschlagend. »Du hackst erstmal etwas Holz und gehst dann hinunter zum Fluss, um dort die eingeweichten Binsen zu holen. Sie sollten inzwischen gut aufgequollen sein.«

Bouzille war erleichtert über die Einigung mit Mère Chiquard und freute sich über den Ausblick auf ein warmes Mittagessen. Er öffnete die Tür der Hütte und stellte ohne Eile ein paar Holzscheite in Reichweite der Axt auf, mit welcher er diese bearbeiten wollte. Mère Chiquard warf den dürren und verhungerten Hühnern, die um sie flatterten, einige Körner zu.

»Ich dachte, du wärst im Gefängnis, Bouzille«, sagte sie, »weil du meinen Hasen gestohlen hattest und auch wegen der Sache im Schloss von Beaulieu.«

»Ach, das sind zwei ganz unterschiedliche Geschichten«, antwortete Bouzille, »das darfst du nicht zusammen mengen. Wegen der Sache im Schloss wurde jeder Landstreicher im Bezirk gefasst und befragt. Mich hatte Monsieur Morand am Morgen nach dem Mord geschnappt. Er brachte mich in die Schlossküche und Madame Louise gab mir etwas zu essen. Da war noch ein anderer Kerl mit mir, ein Mann namens François Paul, der nicht aus der Gegend ist. Ganz unter uns, ich dachte, das ist ein ganz gemein aussehender Charakter, der leicht als Mörder durchgehen könnte, aber es gehört sich nicht, so was zu sagen und ich bin froh, dass ich meine Klappe gehalten habe, denn sie haben ihn ziehen lassen. Ich habe nichts mehr davon gehört und fünf Tage später ging ich zurück nach Brives, um das Begräbnis der Marquise de Langrune zu besuchen. Das war eine Zeremonie, kann ich sagen! Die Kirche hell erleuchtet und die ganze noble Gesellschaft der Gegend war anwesend. Ich habe meine Zeit nicht verschwendet, denn ich kannte alle Damen und Herren und habe annähernd 16 Louis d’or gemacht, wobei der blinde Bettler, der auf den Stufen der Kirche sitzt, mir alle Schimpfworte hinterhergeworfen hat, die er nur kannte.«

Die Erzählung des Landstreichers interessierte Mère Chiquard sehr, aber ihre ursprünglich gefasste Meinung war immer noch in ihren Gedanken. »Also haben sie dich für den Diebstahl meines Hasen gar nicht bestraft?«

»Naja, sie haben und auch wieder nicht«, antwortete Bouzille mit einem Kratzen an seinem Kopf. »Monsieur Morand, der mir ein alter Kumpel ist, lieferte mich im Gefängnis von Saint-Jaury ein und am nächsten Tag sollte ich zum Gericht von Brives gebracht werden, wo wie ich weiß der Diebstahl von Haustieren mit drei Wochen Arrest bestraft wird. Das hätte mir gerade gut gepasst, das Gefängnis von Brives ist neu und sehr komfortabel. Aber in der gleichen Nacht lieferte Sergent Doucet einen wilden Verrückten ein, der alles zerschmiss und mir die Augen rausreißen wollte. Natürlich habe ich ihm es so gut ich konnte zurückgeben und der Höllenlärm, den wir machten, rief den Sergent auf den Plan. Ich sagte ihm, der Kerl wollte mich erdrosseln und er war verblüfft, denn er konnte mit dem Mann nichts anderes machen, der wirklich verrückt war. Aber er konnte mich auch nicht mit ihm allein lassen. Schließlich nahm mich der Sergent zur Seite und sagte mir, ich solle das abhaken und mich nie wieder bei ihm blicken lassen. So war das.«

Während er so vor sich hinschwatzte, hatte Bouzille die ihm von Mère Chiquard übertragene Aufgabe abgeschlossen. Diese hatte zwischenzeitlich ein paar Kartoffeln geschält und Suppe über das Brot gegossen. Er wischte sich die Stirn und beim Anblick des randvollen Topfes machte er eine unmissverständliche Geste und leckte sich die Lippen.

»Ich mache das Feuer an, Mère Chiquard. Ich bin ganz schön hungrig.«

»Das solltest du auch sein, es ist schon halb elf«, erwiderte die alte Frau. »Ja, wir essen erstmal zu Mittag, die Binsen kannst du danach holen gehen.«

Mère Chiquard war die stolze freie Eignerin einer kleinen Hütte, welche von den Ufern der Dordogne durch die Schnellstraße zwischen Martel und Montvalet getrennt wurde. Rund um die Hütte hatte sie einen kleinen Obstgarten und gegenüber, durch die Lücke zwischen den Bäumen, hatte man einen Blick auf das gelbe Gewässer der Dordogne und die Hügelkette auf der anderen Seite des Flusses. Mère Chiquard lebte hier sommers wie winters mit ihren Hasen und Hühnern und verdiente sich etwas mit Korbflechten hinzu. Aber das Rheuma quälte sie sehr und sie war jedes Mal unglücklich, wenn sie zum Fluss hinuntergehen musste, um die Bündel mit Binsen einzuholen, welche sie dort zum Wässern eingelegt hatte. Die Arbeit selbst war kaum eine Stunde durch den bis an die Knie reichenden Schlamm zu waten, aber dann in der Nacht ein Todeskampf, gegen den sie Medizin für mindestens einen Louis d’or benötigte. Wer also auch immer sich die alte Frau zur Freundin gewinnen wollte, der brauchte nur freiwillig für sie die Binsen aus dem Wasser holen.

Beim Essen erzählte Bouzille Mère Chiquard von seinen Plänen für den kommenden Frühling.

»Ja«, sprach er, »da ich diesen Winter keine Aufgabe habe, werde ich eine lange Reise unternehmen.« Er hörte für einen Augenblick zu kauen auf und für den Effekt legte er eine Pause ein. »Ich reise nach Paris, Mère Chiquard.« Dann, als er sah, dass die alte Dame von seiner Ankündigung höchst verblüfft war, lehnte er sich auf den Tisch und blickte sie über seinen leeren Teller hinweg an. »Ich hatte immer einen größten Wunsch – den Eiffelturm zu sehen. Diese Idee geht mir schon seit den letzten 15 Jahren im Kopf um. Und nun erfülle ich mir diesen Wunsch. Ich habe gehört, man kann in Paris ein Zimmer für wenige Centimes die Nacht bekommen, und das kriege ich hin.«

»Wie lange wirst du brauchen, um dort anzukommen«, wollte die alte Frau wissen, die von Bouzilles abenteuerlichem Plan immens beeindruckt war.

»Das hängt davon ab«, antwortete der Landstreicher, »ich gebe mir drei Monate mit meinem Zug. Natürlich, wenn ich wegen Diebstahls geschnappt werde oder als Spitzbube und Vagabund, kann ich nicht sagen, wie lange es wohl dauert.«

Das Mittagessen war beendet und die alte Frau spülte ruhig das wenige Geschirr ab, als Bouzille, der unten am Fluss die Binsen einsammelte, plötzlich gellend nach Mère Chiquard rief. »Mère Chiquard! Mère Chiquard! Komm und schau! Ich glaube, ich habe 25 Francs gewonnen!«

Der Ruf war so dringend und die Neuigkeiten so erfreulich, dass die alte Frau ihre Hütte verließ und über die Straße zum Ufer eilte. Sie fand den Landstreicher bis zur Taille im Wasser stehend vor, der mit einem Stock versuchte, etwas Großes, auf den ersten Blick nicht Erkennbares aus dem Fluss zu ziehen. Auf all ihre Frage antwortete Bouzille mit dem gleichen Freudenruf »Ich habe 25 Francs gewonnen« noch viel zu beschäftigt, seinen Fischzug erfolgreich zu beenden, um sich zu umzudrehen. Wenige Minuten später tauchte er triefend aus dem Wasser und zog ein großes Bündel an das sichere Ufer. Mère Chiquard näherte sich mit großer Neugierde, um kurz darauf mit einem Schreckensschrei zurückzufahren.

Bouzille hatte einen Leichnam herausgefischt!