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Mister FBI Teil 2

Das Leben des John Edgar Hoover – Legende und Wahrheit
Spione unter uns

Graue Nebelbänke schoben sich vom Meer herüber durch die Niederungen des New Yorker Hafens. Der Geruch von Seetang, modrigem Wasser, Schweröl und Rauch erfüllte die Straßen und Gassen in den Hafenanlagen auf der Black Tom Insel.
Als im Osten die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne durch den Frühnebel schimmerten, tauchten schattenhafte Gestalten im Hafen auf.
Männer in dunklen Kleidern, mit Kisten in den Händen.
Ein zufälliger Beobachter hätte bei besseren Lichtverhältnissen erkennen können, dass quer über jeder Kiste in roten Buchstaben das Wort »Dynamit« geschrieben stand.
Das Kalenderblatt zeigte den 30. Juli 1915.
Als die Sonne eine Handbreit über den östlichen Hafenanlagen stand, wurde New York von einer schrecklichen Explosion erschüttert, die bis nach Manhattan und New Jersey hinein zu spüren war. Deutsche Agenten hatten einen Anschlag auf einen der bedeutendsten Lagerplätze für Güter, die nach Europa gingen, verübt.
Das Ergebnis war verheerend.
Sämtliche Güter wurden vernichtet und die Hafenanlagen mitsamt der Black Tom Insel konnten jahrelang nicht mehr benützt werden. Aber noch verheerender war das Verhalten des FBI und vier weiterer, der Regierung unterstellter, Abwehrorganisationen. Sie gingen bei ihren Untersuchungen derart dilettantisch vor, dass die deutschen Agenten ohne Schwierigkeiten Dutzende von weiteren Sabotageakten planen und durchführen konnten.
Chemische Werke und Munitionsfabriken wurden durch mysteriöse Explosionen zerstört, amerikanische Schiffe, die Waffen und Lebensmittel nach England, Frankreich oder Russland brachten, fingen Feuer oder sanken aus unerklärlichen Umständen auf hoher See.
1917 wurde in Kingsland, Jersey City, eine Munitionsfabrik in die Luft gesprengt. Der Schaden betrug nach heutigem Wert über einhundert Millionen Dollar.
Einige Monate später flog in Vanceboro, im Bundesstaat Maine, die Brücke in die Luft, die Kanada mit den USA verband. Der Täter Werner Horn, ein ehemaliger deutscher Soldat, der in Amerika lebte, klebte sich eine deutsche Fahne an den Ärmel, als er kurz danach verhaftet wurde. Danach erklärte er seine Kleidung dadurch zur Uniform, weshalb er als Kriegsgefangener zu behandeln war. In Ermangelung eines Bundesgesetzes gegen Sabotage wurde er daraufhin nur wegen Sprengstofftransport in öffentlichen Verkehrsmitteln zu einer lächerlich geringen Haftstrafe verurteilt.
Besonders raffiniert ging der deutsche Top-Agent Dr. Albert vor.
Er gründete die Bridgeport Incorporated, eine Rüstungsfirma, und verstand es mit geschickten Manövern die Auslieferung von Kriegsmaterial zu verhindern. Er erwirkte von der amerikanischen Regierung einen Auftrag für Sprengstoff über 1,1 Millionen Dollar und einen Auftrag für Schiffsgeschütze, der sich über 1,3 Millionen Dollar belief. Heutzutage Peanuts, aber man muss diese Summen in ihrer damaligen Zeit sehen, wo sich in Europa zum Beispiel ein Arbeiter mit 3 bis 4 Euro Tagesverdienst begnügen musste. Übrigens wurde keiner dieser Aufträge jemals erfüllt.
Als nach und nach das Ausmaß der feindlichen Spionage- und Sabotageaktivitäten bekannt wurde, ging ein Sturm der Entrüstung durch Amerika und Präsident Wilson beauftragte das FBI mit der Überwachung von Einwanderern aus Ländern, mit denen sich Amerika im Kriegszustand befand.
Justizminister Gregory bestellte John Lord O´Brian zu seinem persönlichen Mitarbeiter und damit kam Hoover ins Spiel, der als fähigster Mann von O´Brians Mitarbeiterstab galt.
Im Alter von 22 Jahren erhielt Hoover die Leitung für die Abteilung Ausländerüberwachung.

***

Sie nannte sich die Internationale der Werktätigen.
Diese Organisation, teils pazifistischer, teils marxistischer Natur, war im Gefolge der Ereignisse in Russland, der Abdankung des Zaren, der Revolution und des Zusammenbruchs der durch Meuterei und Aufruhr erschütterten russischen Armee entstanden. Schon bald wurde sie zu einem Sammelbecken von Extremisten, ehemaligen Spionen und bolschewistischen Fanatikern, die versuchten, durch Infiltrierung der Gewerkschaft und des Regierungsapparates Einfluss auf die Geschicke Amerikas zu gewinnen, um so den Kommunismus an die Macht im Land zu bringen.
Im Jahr 1917 war die Arbeiterschaft in Amerika von einer tiefen Unruhe erfüllt.
Ein Großteil der Beschäftigten waren Einwanderer, welche die Sprache nicht kannten, mit Gesetzen und Vorschriften nicht zurecht kamen und in den Städten in wahren Gettos lebten.
Sie waren für die Ideologie der Internationale der Werktätigen besonders anfällig und traten der Organisation zu Tausenden bei.
Schon bald fanden Hoover und seine Männer heraus, dass die Internationale ihre Ziele nicht alleine mit politischer Propaganda durchsetzen wollte, sondern auch mit Gewalt und zu diesem Zweck mit Geldern aus dem Ausland finanziert wurde.
Am 5. September 1917 wurde in New York das Hauptbüro der Organisation besetzt, Dokumente beschlagnahmt und der Leiter des Büros, W. D. Haywood und Dutzende seiner Mitarbeiter verhaftet und angeklagt. Als man ihnen im Prozess den Plan nachweisen konnte, die gesamte Regierungsautorität der Vereinigten Staaten zerstören zu wollen wurden Haywood und 98 Mitangeklagte zu schweren Kerkerstrafen verurteilt.
Aber das war erst der Beginn des Feldzuges gegen die Internationale.
Justizminister Gregory ordnete eine Razzia an, die das gesamte Land umfasste und an der auch Hoover beteiligt war. 40 000 verdächtige Personen wurden dabei überprüft, 15 000 davon, Kommunisten und Sympathisanten, verhaftet und verurteilt.
Im Gegensatz zu seinen Kollegen, die ihre Arbeit gelangweilt und routinemäßig versahen, versuchte Hoover die Beweggründe dieser Menschen herauszufinden, was sie dazu gebracht hatte, sich gegen jene Ideale zu erheben, die ihm heilig und ewig erschienen: Ehrfurcht vor Gott und den Vereinigten Staaten.
Aber wie so viele vor und nach ihm erhielt auch Hoover auf seine Fragen keine Antworten, die ihn befriedigten. Umso empörter war er und betrachtete von Stund an den Kommunismus als den ärgsten Feind Amerikas. Bis zu seinem Tod verfolgte er ihn mit einer derartigen Unerbittlichkeit, dass er von Freund und Feind mit dem Namen belegt wurde: der Wachhund Amerikas.
Das Kriegsende bescherte ihm die erste bedeutende Beförderung.
Mit erst 24 Jahren wurde er zum Chef des Ermittlungsdienstes ernannt und sämtliche FBI Akten gingen von nun an erst durch seine Hände.

***

Man schrieb den 2. Juni 1919, als die Kommunisten zurückschlugen.
Es war eine schwüle Nacht.
Ein Gewitter lag in der Luft und vor dem Haus von Mitchell Palmer hatten sich über den Büschen im Garten unzählige Mücken zu dichten, zuckenden Wolken zusammengeballt.
Es war kurz nach 11, als in der Ferne erneut der Donner des sich rasch nähernden Gewitters rollte. Der neue Justizminister nickte seiner Frau zu und legte das Buch, in dem er bisher gelesen hatte, gähnend zur Seite. Gemeinsam verließen sie die ebenerdig gelegene Bibliothek ihres Hauses und suchten das im ersten Stock gelegene Schlafzimmer auf.
Eine halbe Stunde später wurde das Ehepaar durch ein seltsames Geräusch geweckt. Es klang, als habe man einen schweren Gegenstand gegen die Eingangstür geworfen. Bevor sie noch etwas unternehmen konnte, wurde das im Nordwesten von Washington gelegene Haus von einer Explosion erschüttert, die so heftig war das selbst zweihundert Meter entfernte Gebäude beschädigt wurden. Die Bibliothek des Justizministers wurde vollständig zerstört, Regale herausgerissen, Bilder von der Wand geschleudert, Außenmauern eingerissen.
Wie durch ein Wunder gab es keine Verletzte.
Aber vor der Eingangstür des schwerbeschädigten Hauses lagen die zerfetzten Leichen zweier Männer. Wie sich später herausstellte die Terroristen, die Opfer ihres eigenen Bombenanschlags geworden waren.
In der gleichen Nacht erschütterten acht weitere Explosionen die Wohnviertel von Philadelphia, New York, Boston, Cleveland, Newtonville und Patterson. In allen Fällen wurde am Tatort ein Zettel mit folgender Mitteilung gefunden:
»Höret wohl! Die Behörden machen keinen Hehl daraus, das Übergreifen der Weltrevolution auf die Vereinigten Staaten zu verhindern. Diesen Behörden wird hiermit der Kampf, den sie provoziert haben, angesagt. Die Stunde ist gekommen, der Klassenkampf hat begonnen.
Er kann nicht anders enden als mit dem totalen Sieg des internationalen Proletariates.«
Unterstützt durch den Justizminister ließ Hoovers Antwort nicht lange auf sich warten.
Im Zuge einer ersten Verhaftungswelle nahm das FBI 250 Funktionäre und wichtige Mitglieder der Kommunisten und der russischen Arbeitervereinigung fest. Die Verhafteten wurden in einem Schnellgerichtsverfahren ausgewiesen und mit der Budfort, einem Schiff der amerikanischen Marine, am 21. Dezember 1919 nach Russland gebracht.
Die amerikanische Presse betitelte das Schiff als die Arche der Sowjets.
Aber Hoover ließ nicht locker.
Auf sein Drängen hin unterzeichnete der Justizminister ein Memorandum in dessen Folge weitere 2500 Personen festgenommen wurden, von denen man 446 des Landes verwies. Als ihm auch noch zwei Bücher mit Mitgliederlisten sämtlicher in Amerika lebenden Kommunisten, Kremlabgesandte und Sympathisanten in die Hände fiel, gelang es ihm ihre Anzahl um das Sechsfache zu reduzieren und den Kommunismus in Amerika in den Untergrund zu zwingen.
Hoovers rigoroses Vorgehen und die damit verbundenen Übergriffe, übrigens alles von Palmer unterstützt wurde, sorgten landesweit für Proteste und gaben der Aktion den Namen Palmers Jagd auf Rote.
Hoover focht das alles nicht an. Er genoss seinen Sieg und arbeitete allen Anfeindungen zum Trotz verbissen weiter. Nachdem er mit seiner Zielstrebigkeit, seiner Unbestechlichkeit, seiner Intelligenz und seinem tadellosen Ruf als Patriot sogar die Ära des durch und durch korrupten Präsidenten Warren Harding und dessen Minister überstanden hatte, folgte am 10. Mai 1924 die Erfüllung seines Traums.
Harlan Fiske Stone, der Justizminister des neuen Präsidenten Coolidge, dem der Ruf makelloser Sauberkeit und außergewöhnlicher Zivilcourage vorauseilte, ernannte ihn an diesem Tag zum Leiter des Bureau of Investigation.
Bereits drei Tage nach seinem Amtsantritt begann er damit, das FBI nach seinen Wünschen zu formen und neu zu ordnen.
In Politikerkreisen war man ebenso entsetzt wie bei den Angestellten des FBI, als Hoover mit eisernem Besen anfing »seinen Laden« auszufegen. Aber Stone hielt seine Hand schützend über ihn und der Erfolg sollte ihm recht geben. Innerhalb weniger Jahre machte Hoover aus dem FBI, dessen Beamte seit der Bestechungsära Präsident Hardings vom Volksmund als Korruptionisten und Winkeldetektive bezeichnet wurden, einen Polizeiapparat, der in der Lage war jedwede Aufgabe, die ihm das Justizministerium übertrug, sofort zu erfüllen.
Es waren aber auch jene Jahre, in denen Amerika den wahren Hoover kennen lernen sollte.

Mehr dazu in Teil 3, wenn es heißt:

Der Perfektionist


Quellennachweise:

  • Ralph de Toledano: J. Edgar Hoover: The Man in His Time, Arlington House Pub, 1973
  • Norman Lewis: La Mafia, ed. Plon Paris
  • Thomas Plate: The Mafia at War, New York Magazine Press, 1972
  • Jean-Michel Charlier, Pierre Demaret: Der Bulle. Hoover vom FBI, Neff Verlag, Bayreuth, 1982
  • Historical Society Chicago, Time-Life Verlag, öffentliche Bibliothek von Brooklyn

Bildernachweis:

  • Service Iconographique Edition Robert Laffont, Paris 1976

Copyright © 2012 by Gerold Schulz