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Die Trapper in Arkansas – Band 1.1

Gustave Aimard (Olivier Gloux)
Die Trapper in Arkansas Band 1
Vorspiel – Der Ausgestoßene
Kapitel 1 – Hermosillo

Den Reisenden, der sich zum ersten Mal zu den südlicheren Teilen Amerikas einschifft, befällt unwillkürlich ein Gefühl unerklärlicher Trauer. In Wirklichkeit ist auch die Geschichte der Neuen Welt eine beklagenswerte Märtyrergeschichte, in welcher unablässig Fanatismus und Habgier Hand in Hand gehen. Das Suchen nach Gold gab die Veranlassung zur Entdeckung von Amerika, und der glückliche Erfolg wandelte das neue Land zu einem Schauplatz um, nach welchem habsüchtige Abenteurer mit dem Dolch in der einen und dem Kreuz in der andern Hand kamen, um Haufen des so heiß ersehnten Metalls zu sammeln, dann aber wieder in die Heimat zurückzukehren, wo sie den gewonnenen Reichtum zur Schau stellten und durch ihren zügellosen Luxus zu neuen Wanderzügen anreizten. Diesem unsteten Zustand ist es zuzuschreiben, dass man in Amerika nichts von jenen großartigen Denkmälern sozusagen den Grundmauern jeder Kolonie findet, die sich in einem neuen Land fortpflanzen will. Wenn man jenen ungeheuren Kontinent, der sich dreihundert Jahre hindurch im friedlichen Besitz der Spanier befunden hat, heute durchwandert, so trifft man kaum da und dort irgendeine namenlose Ruine, während die Monumente, welche vielleicht Jahrhunderte vor seiner Entdeckung durch die Azteken und die Inkas errichtet wurden, noch immer in ihrer majestätischen Einfachheit dastehen, um Zeugnis von dem früheren Vorhandensein ihrer Erbauer und von ihren Anstrengungen zu Förderung der Zivilisation abzulegen. Ach, was ist aus jenen ruhmvollen, von ganz Europa beneideten Eroberungen geworden, in welchen das Blut der Henker mit dem ihrer Opfer zum Besten einer Nation sich mischte, welche einst so stolz war auf ihre tapferen Capitaine, auf ihr fruchtbares Land und ihren die ganze Welt umfassenden Handel.

Die Zeit ist fortgeschritten und das südliche Amerika büßt eben die Verbrechen, die auf seinem Boden begangen wurden. Zerrissen von Parteien, die sich um die Macht der Stunde streiten, von Verderben bringenden Staatsformen unterdrückt und von den Fremden verlassen, die sich von seinem Reichtum mästeten, bricht es allmählich unter der Last seiner Trägheit zusammen, die außerstande ist, den bleiernen Sargdeckel, der es erstickt, zu lüften, und wird sich erst wieder aufraffen, wenn einst ein neuer Menschenschlag, die rein ist von Menschenmord und das göttliche Gesetz zu ihrer Richtschnur nimmt, ihm Arbeit und Freiheit, diese Lebenselemente der Völker, bringen wird. Mit einem Wort, die spanisch-amerikanische Rasse ist in dem Besitztum geblieben, das sie von ihren Vorfahren erbte, ohne seine Grenzen zu erweitern. Ihr Heldenmut liegt im Sarg Karls V. begraben, und vom Mutterland hat sie nichts beibehalten, als die Gastlichkeit, die religiöse Unduldsamkeit, die Mönche, die Gitarreros und die bettelnde Soldateska mit ihren Stutzbüchsen.

Unter allen Staaten des großen mexikanischen Bundes ist Sonora der Einzige, welcher sich infolge seiner Fehden mit den benachbarten Indianerstämmen und der beharrlichen Reibung unter der Bevölkerung selbst teilweise eine charakteristische Physiognomie erhalten hat. Die Sitten seiner Bewohner verraten eine gewisse Wildheit, welche beim Vergleich mit denen der inneren Provinzen auf den ersten Blick auffällt.

Der Rio Gila kann als die Nordgrenze des Staates betrachtet werden, der im Osten und Westen von der Sierra Madre und dem kalifornischen Meerbusen eingeschlossen wird.

Die Sierra Madre teilt sich in zwei Gebirgszüge, von denen der Hauptzug die Richtung von Norden nach Süden beibehält, der Ausläufer aber gegen Westen umbiegt und sich hinter den am Pazifik liegenden Städte Durango und Xalisco hinzieht. Dieser Zweig der Kordilleren bildet die südliche Grenze von Sonora.

Die Natur scheint gleichsam zum Vergnügen mit vollen Händen ihre Vorzüge in diesem Land ausgestreut zu haben. Das Klima ist freundlich, gemäßigt, gesund. Der Boden birgt Schätze von Gold und Silber, bringt köstliche Früchte hervor, und auch an Arzneipflanzen ist ein Überfluss vorhanden. Man findet hier die heilkräftigsten Balsame, die für die Färberei so wichtige Cochenille, besten Marmor, kostbare Edelsteine, Wild und Fische aller Art. Doch haben in den weiten Einöden des Rio Gila und der Sierra Madre die unabhängigen Indianer, die Comanchen, Pawnee, Pima, Opata und Apachen den Weißen einen blutigen Krieg erklärt und machen sich auf ihren unablässigen und unversöhnlichen Streifzügen teuer bezahlt für das Abhandenkommen jener Reichtümer, die ihren Vorfahren geraubt wurden und die sie ohne Unterlass als ihr Eigentum zurückfordern.

Die drei Hauptstädte der Sonora sind Guaymas, Hermosillo und Arispa. Hermosillo, früher Pitic genannt und berühmt durch die Expedition des Grafen de Raoussel-Boulbon, ist die mexikanische Handelsniederlage für den Pazifik und hat mehr als neuntausend Einwohner. Die Stadt liegt auf einer gegen Nordwesten sanft seewärts sich abdachenden Ebene und lehnt sich an einen gegen frostige Winde Schutz verleihenden Berg, El cerro de la Campana, Glockenberg genannt, dessen Gipfel aus ungeheuren Steinblöcken besteht, die beim Anschlag einen klaren metallischen Ton von sich geben. Im Übrigen ist diese Stadt, wie die anderen Städte des spanischen Amerikas, schmutzig, aus gestampfter Erde gebaut und rollt vor den erstaunten Augen des Reisenden ein Bild von Trümmern, Sorglosigkeit und Verödung auf, das die Seele mit Trauer erfüllt.

***

An dem Tage, wo unsere Erzählung beginnt, nämlich am 17. Januar 1817, zwischen drei und vier Uhr nachmittags, zu der Zeit, wo die Einwohner sich in das Innere ihrer Wohnungen zurückziehen und ihre Siesta zu halten pflegen, bot die Stadt Hermosillo, welche gewöhnlich so still und ruhig ist, einen sonderbaren Anblick.

Eine Menge Leperos, Gambusinos, Schmuggler und besonders Rateros drängte sich unter Geschrei, Drohungen und namenlosem Geheul in der Calle del Rosario durcheinander. Einige spanische Soldaten – zu jener Zeit hatte Mexiko das Joch des Mutterlandes noch nicht abgeschüttelt, – bemühten sich vergeblich, die Ordnung wieder herzustellen und die Menge zu zerstreuen, indem sie aufs Geratewohl derbe Schläge mit dem hölzernen Schaft ihrer Lanzen unter den ihnen am Nächsten Stehenden austeilten.

Aber der Aufruhr, weit entfernt, sich zu legen, stieg im Gegenteil immer höher. Besonders schrien und gestikulierten die unter dem Volk befindlichen Hiaqui auf eine wahrhaft fürchterliche Weise.

Die Fenster sämtlicher Häuser waren dicht von Männern und Frauen besetzt, welche ihre Blicke in Richtung des Cerro de la Campana richteten, von dessen Fuß dichte Rauchwolken in die Höhe wirbelten, und ein außerordentliches Ereignis zu erwarten schienen.

Plötzlich erhob sich lautes Geschrei. Die Menge verteilte sich wie eine explodierende Granate. Jeder warf sich mit den Anzeichen höchsten Schreckens auf die Seite. Ein junger Mann oder vielmehr ein Kind, denn er war kaum sechzehn Jahre alt, erschien, wie im Sturm vom rasenden Galopp eines halbwilden Pferdes davongetragen.

»Haltet ihn auf!«, schrien einige.

»Fangt ihn mit dem Lasso«, heulten andere.

»Valgame Dios!«, murmelten die Frauen, sich bekreuzigend, »es ist der Teufel selbst.«

Aber statt ihn aufzuhalten, wich ihm jeder schleunigst aus. Der kühne Junge setzte mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen, glühendem Antlitz und blitzenden Augen seinen raschen Lauf fort, in dem er rechts und links unter diejenigen, welche sich zu nahe an ihn heranwagten oder von ihrem Missgeschick verhindert wurden, sich schnell genug zu entfernen, derbe Schläge mit der Peitsche austeilte.

»Nun, nun, Caramba!«, sagte ein Vaquero mit brutalem Gesicht und athletischem Körper, als ihn der Junge streifte, »zum Teufel mit dem Narren, der mich beinahe umgerannt hätte! Aber«, fügte er, nachdem er einen Blick auf den jungen Mann geworfen hatte, hinzu, »ich täusche mich nicht, Es ist Rafael, der Sohn meines Gevatters! Warte ein wenig, Piecro!«

Indem er dieses Selbstgespräch zwischen den Zähnen murmelte, entrollte der Vaquero das Lasso, welchen er am Gürtel befestigt trug, und fing an in die Richtung, welche der Reiter eingeschlagen hatte, diesem nachzulaufen.

Die Menge begriff seine Absicht und klatschte enthusiastisch Beifall.

»Bravo! Bravo!«, schrie sie.

»Verfehle ihn nicht, Cornejo!«, riefen bekräftigend mehrere Vaqueros und klatschten in die Hände.

Cornejo, da uns der Name dieser interessanten Persönlichkeit bekannt ist, näherte sich allmählich dem jungen Burschen, vor welchem sich die Hindernisse mehr und mehr häuften.

Der Reiter, den das Geschrei der Anwesenden von der drohenden Gefahr unterrichtete, wandte den Kopf. Er erblickte den Vaquero. Leichenblässe bedeckte sein Gesicht, als er einsah, dass er verloren sei.

»Lass mich laufen, Cornejo«, rief er ihm mit tränenerstickter Stimme zu.

»Nein, nein!«, heulte die Menge, »fange ihn, fange ihn!«

Der Pöbel fand Geschmack an dieser Menschenjagd. Er fürchtete, sich um das Schauspiel, welches ihn in so hohem Grad interessierte, betrogen zu sehen.

»Ergib dich!«, antwortete der Riese, »sonst packe ich dich mit dem Lasso wie einen Cibolo.«

»Ich werde mich nicht ergeben«, sagte der Knabe mit Entschlossenheit.

Die beiden Sprechenden eilten fortwährend vorwärts, der eine zu Pferde, der andere zu Fuß.

Die Menge folgte ihnen, vor Vergnügen heulend. Der Pöbel ist überall gleich, grausam und ohne Erbarmen.

»Lass mich, sage ich dir«, fuhr der Junge fort, »oder ich schwöre bei den armen Seelen im Fegefeuer, dass dir ein Unglück begegnen wird.«

Der Vaquero lachte höhnisch und schwang das Lasso um seinen Kopf.

»Nimm dich in acht, Rafael«, sagte er, »ich frage dich zum letzten Mal. Willst du dich ergeben?«

»Nein! Tausend Mal Nein!«, schrie der Knabe errötend.

»Nun dann, gnade dir Gott!«, sagte der Vaquero. Das Lasso pfiff und flog davon.

Aber es ereignete sich etwas Seltsames.

Rafael hielt sein Pferd plötzlich an, als ob es in einen Granitblock verwandelt worden wäre, schwang sich aus dem Sattel, sprang wie ein Jaguar auf den Riesen, welchen der Aufprall zu Boden warf, und stieß ihn, ehe es jemand verhindern konnte, das Messer, welches die Mexikaner stets am Gürtel tragen, in die Kehle.

Ein starker Blutstrom spritzte dem Knaben in das Gesicht, der Vaquero quälte sich noch einige Sekunden und blieb dann regungslos liegen.

Er war tot!

Die Menge stieß einen Schrei voller Abscheu und Entsetzen aus.

Der Knabe hatte sich in Blitzesschnelle wieder in den Sattel geschwungen und seinen rasenden Lauf von Neuem begonnen, indem er sein Messer mit satanischem Lachen schwang.

Als der erste Augenblick des Schreckens vorüber war und man den Mörder verfolgen wollte, war er verschwunden.

Niemand konnte angeben, welche Richtung er eingeschlagen hatte.

Wie gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten erschien auch hier der Juez de Letras – der Kriminalrichter – von einer Schar zerlumpter Alguacils begleitet, auf den Schauplatz des Mordes, als es bereits zu spät war.

Der Juez de Letras, Don Inigo Tormentos Abaceyte war ein Mann von einigen fünfzig Jahren, klein und untersetzt, mit dickem Gesicht, welcher aus einer mit Diamanten besetzten goldenen Dose spanischen Tabak schnupfte und unter einer scheinbaren Gutmütigkeit einen eingefleischten Geiz, verbunden mit großer Schlauheit und einer unerschütterlichen Kaltblütigkeit, verbarg.

Der würdige Beamtete schien wider alle Erwartung von der Flucht des Mörders nicht im Geringsten überrascht zu sein. Er schüttelte zwei bis drei Mal den Kopf, warf einen Blick auf die Anwesenden und sagte, indem er mit den kleinen grauen Augen blinzelte und sich mit philosophischer Ruhe die Nase voll Tabak stopfte: »Der arme Cornejo, das musste ihm früher oder später passieren.«

»Ja«, sagte ein Lepero, »er ist recht hübsch getroffen.«

»Das habe ich auch gedacht«, erwiderte der Richter, »der Bursche muss Übung haben.«

»Ach! Das müsste sonderbar zugehen«, sagte der Lepero die Achseln zuckend, »es ist ein Kind.«

»Ach!«, sagte der Richter mit geheucheltem Erstaunen und warf seinem Berichterstatter einen versteckten Blick zu. »Ein Kind!«

»So ziemlich«, sagte der Lepero, welcher stolz darauf war, sich so beachtet zu sehen, »es ist Rafael, der älteste Sohn des Don Ramon.«

»Schau, schau, schau!«, sagte der Richter mit geheimer Genugtuung. »Aber nein«, fuhr er fort, »das kann nicht sein, Rafael ist höchstens sechszehn Jahre alt. Er hätte gewiss keinen Streit mit Cornejo angefangen, der ihn nur berühren brauchte, um mit ihm fertig zu werden.«

»Es ist aber wirklich so, Exzellenz. Wir haben es alle gesehen. Rafael hatte bei Don Aguilar gespielt. Es scheint, dass ihm das Glück nicht günstig gewesen war. Er hat sein ganzes Geld verloren. Da ist er vom Zorn übermannt worden und hat, um sich zu rächen, das Haus in Brand gesteckt.«

»Caramba!«, sagte der Richter.

»Es ist so, wie ich die Ehre habe, Ihnen dies mitzuteilen, Exzellenz. Sehen Sie, man sieht noch den Rauch, obgleich das Haus schon zu Asche verbrannt ist.«

»In der Tat«, antwortete der Richter und warf einen Blick in die Richtung, welche ihm der Lepero angegeben hatte. »Und weiter …«

»Dann«, fuhr der andere fort, »hat er natürlich flüchten wollen. Cornejo versuchte, ihn aufzuhalten.«

»Und er hatte recht.«

»Er hatte unrecht, da ihn Rafael erstochen hat.«

»Das ist richtig«, sagte der Richter, »aber, beruhigt Euch, meine Freunde, das Gesetz wird ihn rächen.«

»Hm!«, brummte ein Lepero mit mitleidigem Lächeln, »das wäre ein Unglück, der Bursche verspricht, meiner Treue, Gutes! Seine Cuchillada für Cornejo ist bewundernswert. Der arme Teufel ist regelrecht erdolcht worden.«

Indessen setzte der Richter seinen Ritt fort, wobei er mit der größten Pünktlichkeit die Grüße, mit denen man ihn auf seinem Wege überschüttete, erwiderte, und befand sich bald im Freien.

Er zog den Mantel fester zusammen und fragte: »Sind die Waffen geladen?«

»Ja, Exzellenz«, antwortete der Anführer der Alguacils.

»Gut! Auf zur Hazienda des Don Namon Garillas, und zwar im schnellen Schritt, wir müssen noch vor Anbruch der Nacht ankommen.«

Der Trupp ritt im Galopp davon.

Eine Antwort auf Die Trapper in Arkansas – Band 1.1