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Fantomas – Kapitel 1-1

Fantômas – Kapitel 1-1

Das Genie des Verbrechens

»Fantômas.«
»Was haben Sie gesagt?«
»Ich sagte: Fantômas.«
»Und was bedeutet dies?«
»Nichts … Alles!«
»Aber was ist es?«
»Niemand … Jedoch, ja, es ist jemand!«
»Und was tut dieser jemand?«
»Terror verbreiten!«

Das Souper war gerade vorüber und die Gäste in den Salon gebeten worden.
Zum Kamin eilend nahm die Marquise de Langrune ein großes Holzscheit aus dem Korb und schleuderte es in die glühende Asche. Das Holz knisterte und brillante Funken stoben in den Raum. Magisch angezogen näherten sich die Gäste der Marquise dem Feuer.
Wie all die Jahre zuvor verbrachte die Marquise die kalte Jahreszeit im Château Beaulieu, am Stadtrand und in einem malerischen Viertel von Corrèze gelegen, welches durch die Dordogne begrenzt wird. Seit alters her ist es ein Brauch der Marquise de Langrune, in dieser Zeit jeden Mittwoch ein paar ihrer persönlichen Freunde aus der Nachbarschaft zum Abendessen einzuladen, um ein wenig Zerstreuung zu erfahren und bestehende Kontakte zu pflegen.
An diesen besonderen Winterabenden zählten neben den eingeladenen Damen einige Stammgäste: Präsident Bonnet, ein pensionierter Richter, der sich auf sein kleines Anwesen in Saint-Jaury, einem Vorort von Brives, zurückgezogen hatte, und Abbé Sicot, der Gemeindepfarrer war.
Eine gelegentliche Freundin war ebenfalls anwesend, Baronne de Vibray, eine junge und reiche Witwe, eine typische Frau von Welt, die den größten Teil ihres Lebens entweder mit Autofahren oder in den exklusivsten Pariser Salons oder angesagtesten Badeorten verbrachte. Auch wenn die Baronne de Vibray nicht vorhatte, aufs Land ziehen zu wollen, wie sie es frech formulierte, verbrachte sie ein paar Wochen auf Querelles, ihr Anwesen nahe dem Château Beaulieu, und war hoch erfreut darüber, dass sie wieder ihren Platz in der herrlichen Gesellschaft der Marquise de Langrune und ihren Freunden einnehmen konnte. Schließlich vertrat der charmante und ungefähr 18-jährige Charles Rambert vertreten, welcher einige Tage zuvor im Château angekommen war und von der Marquise und ihrer Enkelin Thérèse Auvernois, die seit dem Tod ihrer Eltern bei dieser wohnte, mit Zuneigung regelrecht überschüttet wurde, den jugendlichen Anteil der illustren Runde.
Die seltsamen und mysteriösen Worte des Präsidenten Bonnet kurz nach dem Essen und die Persönlichkeit dieses Fantômas erweckten die Neugier der anwesenden Gesellschaft. Während Thérèse Auvernois den Gästen ihrer Großmutter anmutig Kaffee reichte, wurden die aufgeworfenen Fragen mit Nachdruck erneut gestellt.
Dicht gedrängt um das Feuer, denn der Abend war sehr kalt, überhäuften Madam de Langrunes Freunde den alten Richter mit neuen Fragen, der heimlich das Interesse, was er entfacht hatte. Er warf einen ernsten Blick auf den Kreis seiner Zuhörer, zögerte bewusst mit der Beantwortung der Fragen, um mehr Aufmerksamkeit auf sich lenken zu können und begann zu sprechen.
»Statistisch gesehen, meine Damen, sind ein Drittel aller Todesfälle, die täglich registriert werden, durch Gewaltverbrechen verübt worden. Ohne Zweifel ist Ihnen bewusst, dass die Polizei rund die Hälfte der Verbrechen, die begangen worden sind, aufdeckt und kaum die Hälfte davon die Strafe der Justiz trifft. Dies erklärt, wie es ist, dass so viel Mysteriöses nie aufgeklärt wird und viele Fehler und Ungereimtheiten in den gerichtlichen Untersuchungen auftreten.«
Welche Schlussfolgerung ziehen Sie daraus?«, fragte die Marquise de Langrune mit sichtbarem Interesse.
»Dieses«, fuhr der Richter fort, »ist nichtsdestoweniger offensichtlich, da diese Verbrechen begangen worden sind, obwohl viele von ihnen unerwartet stattfanden. Während einige ganz gewöhnliche Kriminelle sind, muss sich die Polizei mit rätselhaften Erscheinungen beschäftigen, die schwer aufzuspüren und intelligent genug agieren, um sich nicht festnehmen zu lassen. Die Geschichte ist voll von Storys über solche mysteriösen Charaktere wie die Eiserne Maske oder Alessandro Cagliostro zum Beispiel. In jedem Zeitalter gab es Gruppen von gefährlichen Geschöpfen, die von Männern wie Cartouche, Vidocq oder Rocambole angeführt wurden. Nun, warum sollten wir annehmen, dass in unserer Zeit niemand existiert, der die Taten jener mächtigen Kriminellen nachahmt?«
Abbé Sicot erhob aus den Tiefen eines bequemen Lehnstuhls, worin er friedlich das Abendessen verdaute, seine sanfte Stimme. »In unserer Zeit macht die Polizei ihre Arbeit besser als je zuvor.«
»Das ist vollkommen richtig«, gab der Präsident zu, »aber ihre Arbeit ist auch schwieriger geworden als zur damaligen Zeit. Verbrecher, die im großen Stil agieren, haben heutzutage alle möglichen Dinge zur Verfügung. Die Wissenschaft hat viel für den modernen Fortschritt getan, aber leider kann dies zuweilen auch eine unschätzbare Hilfe für die Verbrecher sein. Die Übeltäter verfügen über Telegrafen und Autos. Eines Tages werden sie auch Flugzeuge besitzen.«
Der junge Charles Rambert hatte die Ausführungen des Präsidenten mit größtem Interesse verfolgt. Plötzlich brach es aus ihm mit leicht zitternder Stimme heraus: »Sie sprachen gerade über Fantômas, Sir …?«
Der Präsident warf einen geheimnisvollen Blick auf den Knaben und antwortete ihm nicht direkt.
»Das ist es, was ich meine. Sie haben mich verstanden, meine Damen. In diesen Tagen sind wir durch die stetige Zunahme krimineller Aktivitäten regelrecht beunruhigt worden. Und von nun an gibt es ein geheimnisvolles und sehr gefährliches Wesen unter den Reichen, welches seit einiger Zeit im Allgemeinen laut den Behörden und öffentlichem Gerücht als Fantômas bekannt ist. Es ist unmöglich, genau zu sagen oder zu genau wissen, wer Fantômas ist. Er nimmt oft das Aussehen einiger bestimmter und sogar bekannter Persönlichkeiten an, manchmal von zwei Menschen in ein und derselben Zeit. Manchmal arbeitet er allein, manchmal mit Komplizen, manchmal kann er als solche und solche Person identifiziert werden, aber niemand hat jemals feststellen können, dass Fantômas sich selbst darstellte. Dass er eine lebende Person ist, ist sicher und unbestreitbar, doch ist er unmöglich zu fangen oder zu identifizieren. Er ist überall und nirgends zugleich, sein Schatten schwebt über den seltsamsten Geheimnissen und seine Spuren sind in der Nähe der meisten unerklärlichen Verbrechen zu finden, und doch …«
»Sie wollen uns Angst einjagen«, rief die Baronne de Vibray mit einem gezwungenen Lachen, welches nicht echt klang.
Und der Marquise de Langrune, welche in den letzten paar Minuten darüber beunruhigt war, da die Kinder das Gespräch mit anhörten, behagte das Ganze nicht. Die Unterbrechung gab ihr eine Chance, und sie wandte sich an Charles Rambert und Thérèse.
»Du musst es hier sehr langweilig mit uns Erwachsenen finden und möchtest einfach nur wegrennen, Thérèse«, sprach sie zu ihrer Enkelin, die gehorsam aufgestanden war. »In der Bibliothek gibt es ein neues herrliches Puzzle. Du solltest mit Charles versuchen, es zu lösen«, fügte sie noch hinzu.
Der junge Mann begriff, dass er den Wunsch der Marquise erfüllen musste, obwohl ihm das Gespräch höchst interessierte. Er war zu gut erzogen, um seine Gedanken zu verraten. Einen Augenblick später saß er im Nebenraum dem Mädchen gegenüber, mit den Feinheiten des neuen modernen Spiels beschäftigt.

Fortsetzung folgt …

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