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Westernkurier 05/2013

Auf ein Wort, Stranger!

Wenn von Recht und Gesetz im Wilden Westen die Rede ist, denkt fast jeder automatisch an einen Sheriff, einen Marshal oder die Texasranger. Fans der Szene bringen vielleicht noch Pinkerton, Wells Fargo Agenten oder Richter wie Roy Bean und Isaac Charles Parker ins Spiel, aber damit sind dann im Großen und Ganzen auch schon alle Populärbegriffe zu diesem Thema abgedeckt.

Es gab aber damals auch eine andere Seite von Recht und Gesetz. Kopfgeldjäger, Vigilanten oder Weidedetektive. Da der treue Leser weiß, dass der Westernkurier schon immer gerne über Dinge abseits vom Mainstream berichtet, ahnt der eine oder andere vielleicht, was jetzt kommt.

Richtig, wir wollen heute einmal die dunkle Seite von Recht und Ordnung ausleuchten, sozusagen vom Schatten des Gesetzes berichten.

Dazu muss man allerdings einige grundlegende Dinge wie den Aufbau der Gewaltenteilung, also Legislative, Exekutive und Judikative, geographische Begebenheiten sowie das Leben und Wirken der Menschen jener Zeit als solche vorausschicken.

Ein entscheidender Nachteil des staatlichen Gesetzessystems war ohne Zweifel seine geographische und kompetenzbedingte Beschränkung.

Marshals durften über die Grenzen ihrer Stadt hinaus nicht tätig werden, Sheriffs mussten ihre Pferde an der Countygrenze zügeln. Sogar US-Marshals hatten nicht das Recht, unautorisiert in den Amtsbereich kommunaler Beamten einzugreifen, selbst dann nicht, wenn ein Verstoß gegen die Bundesgesetzgebung vorlag.

In diesem Kompetenzgerangel blieben Straftätern zahlreiche Möglichkeiten, durch die Maschen der Justiz zu schlüpfen. Hinzu kam, was sich als ein noch gewichtigerer Nachteil herausstellte, dass aufgrund mangelnder Kommunikationsmöglichkeiten in den unwegsamen Regionen des Westens und auch wegen persönlicher Eifersüchteleien es keine zentrale Erfassung von Delikten und Tätern nebst einer allen Gesetzesbeamten zugänglichen Kartei gab.

Obwohl eine solche Einrichtung in vielen Fällen auch nichts genützt hätte. Durch die strenge juristische Abgrenzung zwischen den amerikanischen Bundesstaaten konnte sich ein Straftäter, der wegen eines Kapitalverbrechens in einem Staat gesucht wurde, sich unbehelligt in einem anderen bewegen.

Privatdetektive, Kopfgeldjäger und sogenannte Vieh- oder Weideinspektoren unterlagen in der Regel solchen Beschränkungen nicht. Sie kannten keine regionalen Begrenzungen. Sie mussten auf keine Kompetenzen Rücksicht nehmen und arbeiteten daher oft erfolgreicher als gewählte Beamte.

Allerdings trügt das Bild der stets erfolgreichen Privatdetektive, Kopfgeldjäger und Weideinspektoren, die, wie es die Sensationspresse auch heute noch immer gerne verbreitet, dem Gesetz stets einen Schritt voraus waren.

Es ist eine Tatsache, dass die Skandale, in welche das Gros dieser Männer in Verbindung gebracht wurde, erheblich zahlreicher waren als die spektakulären Erfolge einiger weniger dieses Berufsstandes.

Während der amerikanischen Pionierzeit gab es circa 60 000 sogenannte Privatdetektive. Sie arbeiteten in den unterschiedlichsten Regionen mit Zielsetzungen und in Aufgabenbereichen, die von den gewählten Gesetzesbeamten nicht oder nur zu einem gewissen Teil abgedeckt wurden. Trotz ihrer bisweilen menschenverachtenden Methoden bildeten sie ein essentielles Element in der Geschichte der Justiz im amerikanischen Westen.

Einer der bekanntesten Vertreter dieser Spezies war wohl ein Mann namens T. Horn.

Thomas Horn Jr. war Schwellenleger, Postkutschenbegleitmann, Pferdetreiber, Zivilscout, Dolmetscher zwischen den Apachen um Geronimo und der amerikanischen Armee, Deputy-Sheriff, Pinkertondetektiv, Rodeoreiter, »König der Cowboys« und Revolvermann.

Er war aber auch ein erfahrener Menschenjäger und ein professioneller Killer, der für finanzstarke Auftraggeber arbeitete.

Seine Einstellung dazu gibt wohl am besten ein Zitat von ihm aus dem Jahr 1903 wieder.

»Das Töten von Männern ist meine Spezialität. Für mich ist das ein Geschäft wie jedes andere, und ich denke, ich habe meinen Platz in diesem Geschäft.«

Es ist bewiesen, dass er für Geld zum Mordschützen wurde. Daher mutet es im Nachhinein beinahe wie eine bittere Ironie des Schicksals an, dass er tatsächlich unschuldig war, als man ihn als Mörder des Schafzüchters Kels Nickells und seines vierzehnjährigen Sohnes William verurteilte und am 20. November 1903 zum Galgen führte.

Horn hätte einen Tag später seinen 43. Geburtstag feiern können.

Aber er war ein Relikt aus den Tagen der Pionierzeit und damit im ausklingenden Wilden Westen nicht mehr willkommen.

Seine Auftraggeber ließen ihn wie eine heiße Kartoffel fallen, obwohl er diese selbst unter dem Galgen nicht verriet.

Das Gegenstück dazu war Charles Angelo Siringo.

Der Sohn europäischer Einwanderer, seine Mutter kam aus Irland, sein Vater war Italiener, wurde im Februar 1855 im Matagorda County in Texas geboren.

Im Gegensatz zu Horn begann er seine Karriere erst als Verbrecher und wurde dann zum Gesetzesbeamten.

Aus einem Ladendieb und Pferdestehler wurde rasch ein Privatdetektiv und Menschenjäger, der im Auftrag von Pinkerton zwei Jahrzehnte lang flüchtige Verbrecher durch fast ganz Amerika jagte. Er arbeitete beinahe immer auf eigene Faust und erwies sich als ein Spürhund, der kaum abzuschütteln war. Er verfolgte Billy the Kid durch halb Neu Mexiko und musste die Verfolgung nur deshalb aufgeben, weil er seine Reisekasse am Spieltisch verlor. Charles blieb vier Jahre lang Butch Cassidy und der Wild Bunch auf den Fersen. Er gab die Jagd erst auf, als der Bandit nach Südamerika floh.

Außer der Menschenjagd hatte der notorische Einzelgänger nur noch ein Hobby, nämlich das Schreiben.

Er verfasste über sein Leben im Wilden Westen insgesamt sieben Bücher.

Ein weiterer Name in dieser illustren Runde ist Jack Stapp Dunlay.

Er hat zwar nie die Berühmtheit seiner Kollegen erlangt, für die sich später Romanautoren und sogar Hollywood interessiert haben, aber gerade sein Leben ist beispielhaft für das der vielen namenlosen Detektive, die tagtäglich ihre Gesundheit und vieles mehr aufs Spiel setzten, um überhaupt über die Runden zu kommen.

Sein Leben und Wirken kann man getrost als ein Stück lebendiger Wilder Westen betrachten. Ein Stück reale Pioniergeschichte, an der damals nicht wenige zu kauen hatten.

Jack wurde am 23. Oktober 1855 in der Nähe von Gainsville, Texas, geboren. Seine Eltern besaßen eine kleine Ranch, auf welcher Jack früher reiten als laufen lernte.

Bereits als Zehnjähriger konnte er perfekt mit Pferden und Revolvern umgehen.

1870 geriet sein Vater in Streit mit einer Eisenbahngesellschaft, die ihren Schienenstrang durch das Gebiet der Dunlay-Ranch bauen wollte.

Eines Nachts stand das Ranchhaus in Flammen und Jacks Vater kam im Feuer um, als er das Vieh aus den brennenden Ställen retten wollte. Die Brandstifter wurden nie gestellt, aber Jack wusste, dass er die Täter bei den Angestellten der Eisenbahn zu suchen hatte. In einem der Saloons von Gainsville stellte er einen Vorarbeiter der Eisenbahn zur Rede und schlug ihn nach seinem Geständnis beinahe tot.

Er wurde dafür vor Gericht gestellt und für zwei Jahre ins Zuchthaus von Huntsville geschickt. In dieser Zeit erkrankte seine Mutter, die sich inzwischen als Näherin verdingte, an Schwindsucht und starb.

Jack war 18 und Waise, als er aus dem Gefängnis entlassen wurde.

Er arbeitete danach als Cowboy, leitete einige Rindertrails nach Dodge City und Wichita und heiratete 1882 eine ehemalige Saloonsängerin. Mit ihren Ersparnissen erwarben sie eine kleine Ranch in der Nähe der Stadt Waco. Zwei Jahre später zog eine fremde Rinderherde über ihr Land. Bald darauf musste Dunlay feststellen, das sein Vieh von der gefürchteten Zeckenpest infiziert war. Die Tiere mussten sofort geschlachtet werden, und damit waren die Dunlays ruiniert. Sie zogen nach Waco, wo Jack zunächst als Schmied und dann als Postkutscher arbeitete. Als er dabei einen Überfall vereitelte, erhielt er 1885 das Angebot, Deputy-Sheriff des Mc Lennan Countys zu werden. Ein halbes Jahr später geriet er bei der Ausübung seines Amtes in eine Schießerei mit einer betrunkenen Cowboymannschaft und bekam eine Kugel verpasst, die unmittelbar neben den Hauptnervenbahnen seiner Wirbelsäule stecken blieb.

Kein Arzt wagte eine Operation. Von da an war für Dunlay jegliche körperliche Arbeit unmöglich. Jede Anstrengung, so hatten ihm die Ärzte gesagt, konnte das Geschoss in seinem Rücken aus der Verkapselung lösen, was eine völlige Lähmung zur Folge haben würde. Um nicht zu verhungern, erinnerte sich Dunlay an das, was er besonders gut konnte. Es war nicht besonders viel, er hatte lediglich gelernt mit Rindern umzugehen und konnte gut schießen.

Als seine Frau ein Kind von ihm unter dem Herzen trug, sattelte er sein Pferd und machte sich auf, um mit Steckbriefen sein Geld zu verdienen.

13 Jahre lang jagte Dunlay Postkutschenräuber, Strauchdiebe, Mörder und Betrüger. Die Prämien, die er für die Ergreifung der Verbrecher erhielt, bewegten sich in der Regel zwischen 50 und 200 Dollar. Er stellte in dieser Zeit etwa 50 Verbrecher, tötete dabei 8 Männer und wurde selbst mehrfach schwer verwundet.

1898 verübte ein Mann namens Henry Stafford einen Mordanschlag auf die Familie Dunlay, nachdem Jack kurz zuvor dessen Bruder Andrew, einen gesuchten Raubmörder, getötet hatte. Dunlays Frau starb bei dem Anschlag, er selber bekam eine Kugel in den Leib. Als er nach Monaten abgemagert, grauhaarig und gebrochen das Hospital verließ, saß er im Rollstuhl.

Jack Dunlay starb, von der Öffentlichkeit vergessen, 1908 in einem Altersheim in Kalifornien an Herzschwäche.

Er hatte es nicht verstanden, ähnlich Männern wie Siringo, Wyatt Earp, Buffalo Bill Cody oder Wild Bill Hickok den Ruhm der wilden Jahre der Pionierzeit für sich zu nutzen und zu vermarkten. Er hatte nicht für Schlagzeilen gesorgt, obwohl sein Leben keineswegs weniger abenteuerlicher verlaufen war wie das seiner berühmten Zeitgenossen. Jack Stapp Dunlay war und blieb ein einfacher Mann, der zwar Geschichte geschrieben, aber niemals Berühmtheit erlangt hatte. So wie viele vor und nach ihm tauchte er in dem unendlichen Meer der namenlosen Helden der Pioniergeschichte Amerikas unter.

Vielleicht lag es auch daran, dass die Kopfgeldjagd bis heute weitgehend aus dem Bewusstsein der amerikanischen Bevölkerung verdrängt wird.

Trotzdem sollte man Männer wie Jack Dunlay nicht verachten. Um zu begreifen, was sie getan haben, muss man die Zeit kennen, in der sie gelebt haben.

Besonders deutlich wird das in einer Textpassage aus dem Buch The Story of a Menhunter:

»Ich habe Menschen gejagt. Davon habe ich gelebt. Es war ein harter Job. Ich habe Kopf und Kragen dabei riskiert. Wer mir nicht glaubt, soll sich die Narben an meinem Körper ansehen. Ich habe nie aus dem Hinterhalt geschossen. Bei mir hatte jeder Mann eine faire Chance.

Man hat mich dafür verachtet.

Warum?

Weil ich auf eigene Faust auf Verbrecherjagd gegangen bin, ohne durch ein Abzeichen an meinem Hemd dadurch legitimiert zu sein, oder weil ich Geld damit verdient habe?

Das sei unmoralisch hat man mir gesagt.

Ihr verdammten Heuchler, sind dann die, die die Steckbriefe und die Kopfprämien erfunden haben, nicht auch unmoralisch?

Was ich getan habe, mag vielen Leuten nicht gefallen, für mich aber war es eine Arbeit, die notwendig war. Ich glaube nicht, dass ich mich für meinen Job, Verbrecher zu jagen, entschuldigen muss.«

Der Autor des Buches, das um 1909 in kleiner Auflage erschien, war übrigens niemand anderes als Jack Stapp Dunlay.

In diesem Sinne, bis zum nächsten Mal

Euer Slaterman

Copyright © 2013 by Slaterman