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Des Totengräbers Töchterlein

Allmählich begab sich der Tag zur Ruhe. Hinter den Hügeln verabschiedeten sich die letzten Strahlen der Sonne und bald legte sich samtene Nacht gleich einem Trauerschleier über Felder und Wiesen. In der Stadt verfinsterten sich die Straßen und Gassen. Länger werdende Schatten liebkosten jedes Haus, bis sie finster genug waren, den zwielichtigen Gestalten Schutz zu bieten.

Um diese Zeit verabschiedete sich mein Vater von mir, da er seine Arbeit während der Nacht ausübte. Tagsüber würde er nur die Leute stören, die den ewigen Garten aufsuchten. Sie wollten in Ruhe um ihre Verstorbenen trauern und nicht einem Totengräber beim Ausheben einer neuen Grube über die Schulter blicken. Viele Menschen fürchteten sich vor entstehenden und leeren Gräbern mehr als vor denen, die bereits belegt waren.

Vielleicht wurden sie so gezwungen, über ihre eigene Sterblichkeit nachzudenken, und das gefiel niemandem. Dabei sind wir Menschen alle dem Tod geweiht. Dennoch versucht jeder, diese Zukunft zu verneinen.

Nun, mein Vater wollte die anderen Leute nicht stören und er liebte die nächtliche Ruhe.

Wie jeden Abend trug er seinen besten Anzug, der an vielen Stellen geflickt war. Er ging auch nie ohne seinen Zylinder und die gute Jacke aus dem Haus. Die Schaufel, die bereits sein Großvater benutzt hatte, stand in der Ecke des kleinen Zimmers an die Wand gelehnt. Jeden Tag sah ich sie und träumte davon, ebenfalls eines Tages in die Fußstapfen meines Vaters zu treten.

Doch der wollte nichts davon wissen.

»Eine Frau ist eine Frau und eine Frau gräbt keine tiefen Löcher für tote Menschen.«

Mit diesem Satz war die Sache für ihn stets erledigt. Er sah mich in allen möglichen Berufen und gesellschaftlichen Stellungen, aber Totengräberin durfte ich keinesfalls werden.

Bevor er zum Friedhof ging, gab er mir einen Kuss und setzte sich den hohen Zylinder auf den fast kahlen Kopf.

»Bei der Arbeit«, pflegte er stets zu sagen, »hat ein anständiger Mann auch anständig gekleidet zu sein. Staub und etwas Schmutz machen da gar nichts aus, Hauptsache, man ist anständig gekleidet. Dann kann man mit hoch erhobenem Haupt selbst den hohen Herren begegnen.«

Danach schulterte der hagere, hochgewachsene Mann mit dem strengen Gesicht eines verbitterten Schullehrers die alte Schaufel und verließ mich für die Nacht. Erst in den frühen Morgenstunden kam er zurück und wir aßen gemeinsam ein bescheidenes Frühstück.

 

Mein Vater versuchte stets genügend Geld zu verdienen, dass es seinem Töchterchen nicht an zu vielen Dingen fehlen sollte. Zwar waren wir arm im Vergleich zu den Handwerkern, bettelarm, wenn ich uns mit Ratsherren, Advokaten und Kaufleuten vergleichen wollte, aber immer noch besser gestellt als die Poeten und die Fabrikarbeiter.

Zum Glück waren wir nicht so arm wie die bedauernswerten Bettler, die sonntags vor der Kirche saßen oder standen und auf die Mildtätigkeit der Gottesfürchtigen hofften. Nebenbei sei erwähnt, dass diese Menschen in der Regel missachtet wurden. Hin und wieder kam sogar der Pastor nach draußen und verjagte sie.

Ob das tatsächlich in Gottes Sinn war?

Mein Vater hingegen schenkte jedem gerne eine kleine Münze, auch wenn das bedeutete, dass es bei uns in der Woche wieder einmal nur dünne Suppe und hartes Brot geben würde. Auf Spenden an die Kirche verzichtete er. Wenn ihn der Klingelbeutel erreichte, gab er ihn einfach weiter. Er tat nicht einmal so als würde er etwas hineinwerfen, ähnlich den Frauen der Fabrikbesitzer oder den Gepflogenheiten der Ratsherren entsprechend.

Ihn störten die anklagenden Blicke nicht, mit denen er daraufhin bedacht wurde. Am Ende waren alle gleich, wenn sie in Vaters Gruben fuhren.

»Gib denen, die es wirklich brauchen«, hatte er mir einmal gesagt. »Gib nicht denen, die sagen, sie würden es denen geben, die es brauchen. Meist behalten sie den größten Teil oder gar alles für sich.«

Mein Vater war ein kluger Mann gewesen, auch wenn er nie etwas studiert hatte.

Totengräber mussten keine Professoren sein, sie waren einfach Totengräber. Um ein Loch zu buddeln, brauchte es nur die Kenntnis, wie man das anstellte, damit das Loch auch ordentlich aussah. Länge, Breite und Tiefe waren immer gleich. Nur die Gräber für Kinder waren etwas kürzer zu halten. Aber ansonsten wusste man schnell, worauf es ankam. Und mit den Jahren entwickelte jeder ein gutes Augenmaß, sodass man keinen Zollstock mehr brauchte.

»Wenn man alles gut gemacht hat im Leben, dann kann man in gut gemachten Gräbern endlich ruhen.«

So die Worte meines Vaters. Seiner festen Überzeugung nach machten nur die wenigsten Leute alles gut, bevor sie der grimme Gevatter mit seiner Sense niedermähte. Meist waren sie faul oder ungerecht oder gemein. Oft sogar alles zusammen. Dann ruhten sie nicht friedlich, dann hatten sie kein reines Gewissen und die Seele blieb einfach auf Erden.

Gott vergibt, natürlich tut er das. Aber wer möchte schon wen im Himmel haben, der sich nicht einmal auf der Erde hatte benehmen können? Dabei glaubte ich nie daran, dass alle verlorene Seelen von schlechten Menschen stammten. Einige blieben auch, weil sie nicht anders konnten, weil sie noch etwas zu erledigen hatten. Oder sie steckten fest, weil ihnen ungesühntes Unrecht widerfahren war, das sie einfach nicht in Ruhe lassen wollte. Über den Tod hinaus.

»Eine Hölle gibt es nicht, es gibt nur den Himmel«, gab mir Vater zur Antwort, als ich ihn einmal fragte, ob die schlechten Menschen denn nicht in die Hölle geschickt würden. »Wer nicht in den Himmel kommt, bleibt halt auf der Erde gefangen. Wie lange … das kann niemand sagen, aber es dürfte einer Hölle wohl ein wenig nahe kommen. Immerhin kann man nichts mehr essen oder trinken, hat jedoch trotzdem Hunger und Durst. Außerdem – und das ist das Schlimmste daran – wird man von niemandem mehr liebevoll berührt. Man ist da und ist es doch nicht.«

Woher er das alles wisse, hakte ich nach.

Er sah mich nur an und lächelte sanft: »Das, mein Kind, wissen gute Totengräber eben. Immerhin sind die Toten unsere besten und einzigen Kunden. Da wäre es doch fatal, nichts über den Tod an sich zu wissen.«

Ich nickte, obwohl mich seine Antwort ganz und gar nicht zufriedenstellte.

 

Eines Tages, ich war gerade dabei, das Frühstück vorzubereiten, kam mein Vater freudestrahlend zur Tür herein und zeigte mir eine goldene, mit Diamanten besetzte Brosche. Der Anblick dieses Schatzes verschlug mir den Atem. Erst nach einigen Augenblicken fragte ich ihn: »Hast du das etwa gefunden? Wem sie wohl gehört?«

Seine Augen wurden ein wenig trüb und er seufzte kurz auf. »Mein liebstes Kind, für nur zwei Tage wird das gute Stück dir gehören. Dann muss ich sie wieder zurückgeben.«

»Von wem hast du sie denn? Wer um alles in der Welt verleiht denn einfach solche wertvollen Gegenstände?«

»Sie ist nicht geliehen«, entgegnete mein Vater. »Ich habe sie in einem ehrlichen Kartenspiel gewonnen. Trotzdem muss sie der Besitzerin wieder zurückgegeben werden, denn ohne ihre Brosche wäre sie …«

Er beendete seinen Satz nicht und ließ sich auch nicht erweichen, mir alles anzuvertrauen. Allzu sehr bedrängte ich meinen Vater nicht, da ich ihn liebte und ihm seine Freude nicht verderben wollte.

»Morgen findet ein Ball statt. Wir haben noch genügend Geld übrig, dass ich dir eine Kutsche kommen lassen kann, die dich dorthin bringt. Du kannst dein Sonntagskleid tragen und dich mit dieser Brosche schmücken. Vielleicht kann ich dir bis morgen sogar noch einen Haarreif, eine Kette und Ringe besorgen. Aber übermorgen müsste ich alles wieder hergeben.«

Worauf er hinaus wollte, wusste ich nicht. Ich, auf einem Ball. Natürlich, wenn ich mit teurem Schmuck am Leib dort auftauchte, würde niemand nach einer Einladung fragen. So waren die reichen Leute eben. Aber was sollte ich dort?

Mein Vater fasste mich bei den Schultern und beantwortete diese nicht laut ausgesprochene Frage: »Dort kannst du dann einen reichen Mann kennenlernen, den du gewiss verzauberst. Und wenn nicht morgen, dann auf einem nächsten Ball. Aber es wird eines Tages der Fall sein, und solange ich lebe, arbeiten und Karten spielen kann, sollst du zu Bällen gehen können und dabei aussehen wie eine Fürstin.«

»Aber … Vater!« Ich war entrüstet, da ich meinen Vater nicht als Spieler kannte. Er musste doch wissen, wie schnell einen das Glück verlassen konnte.

»Du spielst um Geld und Wertsachen? Vater, das darfst du nicht. Wir sind doch zufrieden mit dem, was wir haben. Ich bin zufrieden. Hör damit auf, sonst verlieren wir am Ende noch alles.«

Er lachte nur: »Keine Bange, mein Glück wird mich schon nicht verlassen. Und meine Mitspieler sind nicht gierig. Sie verlangen wenig an Einsatz, geben selbst aber sehr viel. Was glaubst du, mein Kind, wie wir uns sonst über Wasser halten könnten? Wir haben immerhin ein eigenes Haus. Klein und etwas schäbig, aber es gehört uns. Und manchmal können wir uns an Sonntagen sogar einen richtig guten Braten leisten. Wäre nicht das Spiel, so müssten wir auch sonntags Suppe essen. In Wahrheit verdient heutzutage ein Totengräber nicht genug für zwei.«

Plötzlich wurde mein Vater wieder ernst und unterbrach seinen euphorischen Redefluss. Seine Stimme wurde leiser, fast verschwörerisch: »Nur in diesem einen Fall muss ich die Dinge wieder zurückgeben.«

Ich wehrte mich noch eine Weile, redete auf ihn ein, doch schließlich gab ich diesem Mann nach, der seit dem Tod seiner Frau und meiner Mutter alles getan hatte, um mir ein gutes Leben zu ermöglichen. Wie konnte ich ihm da seine Bitte ausschlagen, mich auf einem Ball sehen zu lassen. Natürlich freute ich mich auch darauf, denn nie zuvor hatte ich ein solches Fest besucht, das nur den Reichen vorbehalten war.

 

Alles geschah so, wie es sich mein Vater vorgestellt hatte. Es war ein berauschender Abend gewesen und mehr als ein feiner Herr hatte mir seine Aufwartung gemacht, doch ich hatte sie alle abgewiesen. So sehr sie sich auch anstrengten, mir war bewusst, dass ich nicht zu ihrem Gehabe passte und niemals in diese Welt hinein wollte.

Nur eine Sache war nicht so, wie sie hätte sein sollen. Irgendwann hatte ich, unbemerkt von mir selbst, einen der goldenen Ringe verloren, da er mir ein wenig zu groß gewesen war.

Zuhause erst fiel mir auf, dass an meinem Ringfinger der rechten Hand dieses fast unscheinbare Schmuckstück fehlte. Sofort gestand ich meinem Vater den Verlust und er wurde für einen kurzen Augenblick kreidebleich. Doch dann lächelte er mich an, nahm mich in die Arme und sagte: »Sorge dich nicht. Ich werde das schon erklären können und vielleicht wird man mir verzeihen.«

In jener Nacht folgte ich meinem Vater heimlich zu seiner Arbeit. Er schien gebeugter zu gehen als sonst, ließ Kopf und Schultern hängen.

Als er auf dem Friedhof ankam, verbarg ich mich in den Schatten einiger großer Statuen. Auf keinen Fall durfte er mich entdecken. Leise schielte ich am Rand des Sockels vorbei und sah, wie mein Vater seine Schaufel ablegte und die Laterne daneben auf den Boden stellte. Nun suchte er etwas in seiner Jackentasche. Schließlich brachte er Spielkarten zum Vorschein, setzte sich und wartete. Es schien eine Ewigkeit zu dauern. Immer wieder fragte ich mich, wer ihn denn hier besuchen sollte.

Mit der Zeit überkam mich eine Müdigkeit, die ich nur mit Mühe zurückhalten konnte. Bald lehnte ich mich gegen den kalten Stein, blickte in den Sternenhimmel und lauschte nur noch. Kurz darauf schlief ich ein.

Seltsame Geräusche ließen mich aufschrecken. Zuerst wusste ich nicht, wo ich mich befand, doch meine Erinnerung kehrte schnell zurück.

Mein Vater sprach mit jemandem, ich hörte, wie Karten ausgespielt wurden, hörte jemanden schimpfen und fluchen, dann ein schreckliches Lachen. Ein Lachen, das mir durch Mark und Bein ging, so unnatürlich klang es.

Neugierig wagte ich einen Blick. Was ich sah, trieb mir alle Farbe aus dem Gesicht.

Dort, nahe eines mit Efeu überwucherten Mausoleums hockte mein geliebter Vater und spielte mit zwei Mitspielern Karten. Aber es waren keine Menschen. Nun, zumindest waren es jetzt keine Menschen mehr. Gnadenlos enthüllte das Mondlicht zwei Wesen, die schrecklicher nicht sein konnten. Eine Frau und ein Mann saßen dort, beide in feine Kleider gehüllt, die schon Löcher und Risse aufwiesen und an ihren dürren Leibern wie Lumpen wirkten. Dennoch war gut zu erkennen, dass es sich um exquisite Stoffe handeln musste. Die Gesichter der Gestalten waren in einem weit fortgeschrittenen Stadium der Verwesung. Dort, wo noch Haut übrig war, wirkte sie wie gegerbtes Leder, das mit einem schmierigen Film überzogen war. Die Frau hatte keine Lippen mehr und auch die Nase fehlte. Ihre leeren Augenhöhlen offenbarten die Finsternis der Hölle, aber offenbar erlaubte ihr eine finstere Macht zu sehen. Neben ihr saß ein Mann, dessen blanker Knochenschädel grotesk auf dem Kragen des Anzugs hin und her zu hüpfen schien.

Meine Knie wurden weich und hätte ich nicht auf meine Faust gebissen, so wäre mir sicherlich ein gellender Schrei über die Lippen gekommen.

Mein Vater warf die Spielkarten auf den Boden, senkte seinen Blick und schüttelte leicht den Kopf. Ein tiefer Seufzer mischte sich in das schreckliche Lachen der Geschöpfe, die nur einem Grab entstiegen sein konnten. Was immer ihn bedrückte, es musste schwer auf ihm lasten. Ganz so als trüge er die Welt auf seinen Schultern.

Er vergrub sein Gesicht in den Händen und begann zu schluchzen.

Seit Mutters Tod hatte ich ihn nie mehr weinen sehen. Mir wollte das Herz in der Brust zerspringen.

 

Ich fasste Mut, trat aus den Schatten und eilte zu meinem Vater, der sich trotz der Überraschung, mich hier zu sehen, in die Arme schließen ließ. Die beiden wandelnden Leichname waren mir gleich, ich wollte einfach nur dem gebrochenen Mann beistehen, der mich fest an sich drückte.

»Ach, mein geliebtes Töchterlein«, sagte er, während Tränen über die glatt rasierten Wangen rannen. »Nun bist du ganz allein und niemand wird dir mehr beistehen können. Die übrigen Schmuckstücke gehören nun dir. Verkaufe sie und versuche eine gute Anstellung zu finden.«

»Aber Vater«, brachte ich unter einem Weinkrampf hervor. »Was redest du denn da? Und wer sind diese grässlichen Wesen?«

In meinem Rücken erklang eine kratzige Stimme. Sie klang hohl und unnatürlich, drang nicht nur in meine Ohren, sondern auch geradewegs in meinen Kopf: »Dein Vater hat sein Versprechen nicht halten können. Uns bedeutete der Schmuck sehr viel und ohne ihn können wir nicht ruhen. Wir müssten Tag und Nacht in der Welt verbringen, nicht nur allein die Nächte. Er hatte die Stücke ehrlich gewonnen, doch erbaten wir, dass er sie uns wiedergibt. In der Welt der Toten herrschen nun einmal andere Regeln.«

Ich drehte mich um und blickte den Schreckgestalten in ihr scheußliches Antlitz. Verschwunden war meine Furcht und gab rasender Wut einen Raum in meinem Herzen.

»Er hat den Ring nicht verloren«, schrie ich. »Ich war es. Und wenn ihr nun jemanden bestrafen wollt, dann bin ich diejenige!«

Neben dem Mausoleum schienen die Schatten zu wachsen. Nein, sie wuchsen nicht, aus ihnen schälte sich eine große Gestalt, in ein schwarzes Gewand gehüllt. Abermals ergriff mich ein grässlicher Schauder. Der Fremde, dessen Gesicht von einer Kapuze verdeckt wurde, näherte sich langsam, wobei keine Füße den Boden berührten. Erst als er sich unmittelbar hinter den lebenden Toten befand, blieb die Erscheinung stehen und aus der Schwärze, hinter der ein grauenvolles Gesicht stecken musste, erklang eine fremdartige, dunkle Stimme: »Dein Vater hat sein Leben angeboten, wenn er nicht allen Schmuck zurückbringt. Er hat ehrlich gespielt, ehrlich gewonnen – und nun, mein Kind, lasse ihn auch ehrlich verlieren.«

»Nein«, schrie ich, außer mir vor Zorn. »Nein! Nein! Nein!«

In blinder Raserei stürzte ich mich auf das schwarze Wesen und traf auf keinerlei Widerstand. Der Geist, denn es musste sich um einen handeln, drehte sich nicht zu mir um, sondern legte eine Hand, die weiß wie frisch gefallener Schnee schien, auf meines Vaters Schulter. Unter der Berührung brach er wieder in Tränen aus, dann trat alle Farbe aus seinem Gesicht und er fiel einfach zu Boden. Ein gefällter, dünner Baum, ausgezehrt und müde.

Auf Knien kroch ich zu meinem Vater und schüttelte ihn. Seine Haut war kalt und kein Atem drang aus Nase oder Mund. Kein Zweifel, der Geist hatte meinem Vater das Leben genommen.

Hilflos begann ich bitterlich zu weinen. Alles war mir gleich, der schwarze Geist, die Untoten – nichts in der Welt konnte meinen Schmerz übertreffen.

Nach einer Weile wandte ich mich an die finstere Gestalt. Erst jetzt bemerkte ich, dass die anderen Geschöpfe verschwunden waren. Vermutlich ruhten sie wieder in ihren Gräbern, wo sie auch hingehörten.

»Hier ist mein Handel«, sprach ich zu dem Todesengel. »Solange ich lebe, will ich die Arbeit meines Vaters fortführen und jede Nacht mit den Toten, die nicht ruhen wollen, Karten spielen. Auch wenn mir das Spiel nicht liegt, so werde ich dennoch versuchen, jedes Spiel einer Nacht zu gewinnen. Gelingt es mir, gibst du meinen Vater wieder frei.«

»Nein«, antwortete der Schatten, »diesen Handel nehme ich nicht an. Lass deinen Vater friedlich ruhen, denn er hat es sich verdient. Halte du sein Andenken in Ehren und sorge dafür, dass sich die ruhelosen Seelen nicht mehr einsam fühlen. Und eines fernen Tages werden wir uns wiedersehen. Sei gütig, dann führe ich dich zu deinem Vater und deiner Mutter.«

Gleich darauf verschwand die Gestalt als hätte sie nie dort gestanden.

Da ich alt genug war und ohnehin nicht wusste, wohin ich gehen sollte, ließ man mich nach einigem Betteln meinerseits die Arbeit meines Vaters weiterführen. Zwar bedachten mich die Leute anfangs mit seltsamen Blicken, doch bald gewöhnten sich alle an die Totengräberin, die in einem feinen Männeranzug zur Arbeit ging und dafür sorgte, dass die Toten Nacht für Nacht wieder in ihre Gräber zurückkehrten, nachdem ihnen ein wenig Zerstreuung geboten worden war.

Copyright © 2011 by Sven Später