Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Brasada – Folge 15

Donnernde Hufe

Als Ben Allison sein Pferd in den neu gebauten Viehcorral treibt und anschließend das Gatter schließt, blickt er wehmütig auf den kleinen Hügel hinter dem Ranchhaus. Dort steckt im Schatten eines großen Palo Verde Baumes ein schlichtes Holzkreuz im Boden. Es ist das Grab des ersten und bisher einzigen Cowboys, der auf der Drei Balken angeheuert hat.

Sein Name war Andrew Peacock, ein kleiner, unscheinbarer Bursche, der kaum unter den Reitern der Brasada aufgefallen war, wäre da nicht seine fast schon legendäre Art gewesen, wie er mit Schnitzmesser, Axt und Hammer umgehen konnte.

Stall, Ranchhaus und Viehcorral der Drei Balken werden für immer stumme Zeugen seines Schaffens und Wirkens bleiben.

Ben Allison beginnt zu seufzen, weil er daran denkt, was Peacock hier noch alles hätte bewegen können. Keine zwei Jahre und ihre Ranch wäre wohl die schönste Ranch im ganzen County gewesen. So aber hat der Biss eines tollwütigen Stinktiers Andrews Leben und all ihren Träumen ein jähes Ende gesetzt.

In diesem Moment kommt donnernder Hufschlag auf und reißt den weißblonden Texaner jäh aus seinen Gedanken.

Ben Allison hebt den Kopf, und als er erkennt, dass Big Bill wie ein Verrückter auf die Ranch zugaloppiert, bildet sich auf seiner Nasenwurzel eine steile Zornesfalte.

Pferde sind in diesem Land ein kostbares Gut, von ihrem Wohlbefinden kann das Leben eines Mannes abhängen. Es ist noch gar nicht so lange her, da gab es selbst in einer Stadt wie Tascosa nur eine Handvoll von diesen Tieren, und sogar auf einer Ranch wie der Drei Balken befinden sich im Moment nur drei Reittiere und ein Packpferd. Entweder hat Big Bill also einen triftigen Grund, sein Pferd so zu Schande zu reiten oder aber Ben wird ihn jetzt gleich ziemlich scharf zurechtweisen.

Big Bill zügelt seinen Morgan im Hof der Ranch, gleitet ungestüm aus dem Sattel und fällt Ben praktisch vor die Füße.

»Lee hat eine Pferdebande entdeckt«, keucht der große Mann atemlos. »Direkt neben dem Eagle Rock, dort, wo wir unsere erste Brushrindherde in einen Blind Canyon getrieben haben.«

»Wie viele?«, fragt Allison nur. Vergessen ist der Tadel für Bill Baker. Die Nachricht von der Ankunft einer Wildpferdherde elektrisiert Allison förmlich. Bill hat die Tiere nämlich als Pferdebande bezeichnet. Das heißt, dass es sich hierbei nicht um eine Herde Mustangs handelt, die durch immerwährende Inzucht innerhalb der Herde nur schmalbrüstige Tiere mit leichtem Knochenbau und durchhängendem Rücken hervorbringt. Diese Pferde sind nämlich als Reittiere völlig ungeeignet. Nein, das hier sind anscheinend richtige Wildpferde, Tiere, welche die Merkmale der einst verwilderten arabisch-maurischen Vollblutpferde der spanischen Konquistadoren aufweisen.

»Vielleicht dreißig Tiere, dreiviertel davon sind Stuten. Mit dem Verkauf dieser Herde wären wir bis in den Winter hinein saniert.«

Ben spuckt zur Seite.

»Zur Hölle, auf was warten wir dann noch?«

***

Ein richtiges Wildpferd kann in offener Verfolgung niemals eingefangen werden. Man kann es höchstens müde machen, indem man rund um die Uhr hinter ihm herjagt, ständig die Pferde und die Reiter wechselt und so dem Wildpferd keine Pause gönnt. Aber das erfordert viel Zeit und noch viel mehr Pferde. Beides haben die Männer der Drei Balken nicht, also machen sie es so, wie es ihnen Lee Marlowe zeigt.

In diesem Monat ist das Wasser in der Brasada so knapp wie schon lange nicht mehr.

Auf ein paar verregnete Tage im April folgt seit Wochen nun schon ein heißer Tag nach dem anderen, und nur die ständig am Himmel kreisenden Zopilotes bekommen von der Hitze nicht genug. Sie können gar nicht so schnell fressen, wie es verendete Kadaver in der Brasada gibt. Es gibt deshalb nur noch wenige Wasserstellen, wo die Wildpferde ihren Durst löschen können.

Aus diesem Grund will Lee die Falle an einer der meist besuchten Wasserstellen der Umgebung bauen. Die Männer arbeiten einen ganzen Tag und eine ganze Nacht.

Dann gibt es am Zugang zum Wasserloch ein zweiflügeliges Tor und die restliche Umgebung an der Quelle ist mit Zäunen umschlossen, die mit Gestrüpp und Kakteen getarnt sind. Das Tor bleibt offen. Außer dem Wasser benutzt Lee noch ein paar Säcke mit Salz als Köder.

Sie brauchen dann nur noch bis zum Mittag des nächsten Tages zu warten.

Zuerst kommt der Leithengst, angelockt durch das sprudelnde Quellwasser, dessen Geruch der Wind über das Land getragen hat.

Das stolze Leittier ist aber sehr misstrauisch. Zunächst schnuppert es nur, tritt schnaubend an die Quelle heran und jagt dann wieder davon. Doch der Hengst kommt immer wieder zurück, der Durst besitzt nämlich eine starke Kraft.

Bei der vierten Rückkehr an die Quelle folgen ihm dann die ersten Stuten, weil sie den Weg inzwischen für sicher halten. Sie halten am Wasser an, tauchen ihre Nüstern hinein und schnauben zufrieden. Dann drehen sie sich wieder um und galoppieren davon. Das nächste Mal ist es fast die komplette Herde, die auf die Quelle zukommt, also der Hengst, viele seiner Stuten und die Fohlen dazu.

Als sie sich am Rand der Quelle aufreihen und ihre Köpfe zum Wasser hinunter beugen, ist es für die Männer der Drei Balken Zeit zu reagieren.

Lee löst das Seil am zweiflügeligen Tor, welches so schließt, dass weitere Tiere zwar in die umzäunte Quelle hineinkönnen, aber nicht mehr heraus. Big Bill Baker und Ben Allison zeigen sich zu beiden Seiten der Umzäunung, schwenken die Hüte und wedeln mit den Armen. Dadurch werden die Tiere davon abgehalten, den Zaun zu überspringen oder niederzureißen, weil die eingepferchten Pferde jetzt vermuten, überall hinter dem Gatter auf Menschen zu stoßen. Noch bis in die Nacht hinein kommen immer wieder Nachzügler oder andere versprengte Pferde zum Wasser. Weil sie das Stampfen und Wiehern der anderen hören, haben sie das Gefühl, dass die Wasserstelle sicher ist. Auf diese Weise kommen die Männer der Drei Balken bis zum nächsten Morgen also in den Besitz von zweiunddreißig Tieren.

Aber weil sie diese Beute in der Brasada gemacht haben, bleibt ihr Treiben nicht lange unbeobachtet. In diesem harten Land ist man nie unbeobachtet und man bekommt auch nichts geschenkt. Hier muss man selbst um ein Stück Kakteenfleisch oder um einen Kieselstein kämpfen.

Lee Marlowe weiß das und deshalb wundert er sich auch nicht, als er erkennt, dass keine zwanzig Schritte von ihnen entfernt ein Mann auf einem Felsblock sitzt und sie beobachtet.

***

Das schwarze, fettige Haar des Indianers wird von einem Stirnband aus weißem Stoff gehalten. Sein Oberkörper ist nackt und er ist nur mit einem Lendenschurz und dicksohligen Mokassins bekleidet, die ihm bis zu den Knien reichen. Sein breites, ausdrucksloses Gesicht ist mit ockerfarbenen Kreidestreifen bemalt und seine dunklen Augen blicken ausdruckslos auf die Weißen und ihre Pferdefalle hinunter.

Als Lee seinen Blick weiter in der Runde schweifen lässt, erkennt er noch sechs Mimbrenjo-Apachen.

»Schätze, wir müssen unseren Fang wohl teilen.«

»Wie meinst du das?«, fragt Big Bill scharf und blickt sich rasch um.

Als seine Hand auf den Colt fällt, legt Ben Allison seine Rechte auf Bills Coltarm.

»Lass es, wir wissen nicht, wie viele von ihnen zwischen den Felsen stecken.«

Lee Marlowe indes geht nun auf den Krieger zu, den er zuerst entdeckt hat. Er hat die Arme ausgestreckt, und hält die Hände mit der Handfläche nach außen hoch. Der Mimbrenjo nickt und hebt seinerseits die Arme hoch.

Nach einer halben Stunde ziehen die Apachen ab.

Sie haben jetzt sechs Wildpferde dabei, ein Päckchen Tabak und eine Flasche Whisky, die Lee eigentlich zum desinfizieren von Wunden oder als Beimischung für den Kaffee am abendlichen Lagerfeuer gedacht hatte. Aber er kann diesen Verlust verschmerzen. Beide Parteien können mit der Beute zufrieden sein und haben dennoch ihr Gesicht nicht verloren. Gewiss hätten die drei Männer der Drei Balken um die Tiere kämpfen können, aber dabei hätte es sicherlich einige Tote auf beiden Seiten gegeben.

Das wissen die Apachen und das wissen auch die drei Cowboys.

Deshalb ist es nichts Ungewöhnliches, wenn man in diesem Land seine Beute mit dem Feind teilt. Die Brasada ist hart genug zu jeder Art von Lebewesen, da muss man sich nicht unbedingt auch noch untereinander bekriegen.

***

Im Corral der Ranch verbleiben sechs der Pferde, die anderen werden in der Stadt und an die Armee verkauft, nachdem man sie halbwegs zugeritten hat. Mit diesem Geld wird ein Windmühlenbrunnen bestellt, ein zweiter Schuppen errichtet und das Ranchhaus so ausgebaut, dass es auf der Drei Balken jetzt außer Küche, Schlafraum und Speisekammer auch ein richtiges Wohnzimmer gibt. Ein viereckiger Raum mit einem gemauerten Kamin, Büffelfellen auf dem festgestampften Lehmboden und indianische Waffen und bunten Decken an den Wänden. Als Lee Marlowe über dem Kamin dann noch einen gewaltigen Longhornschädel mit weit ausladenden Hörnern anbringt, bekommen die anderen beinahe feuchte Augen.

Yeah, so denken alle drei, genau so muss ein richtiges Zuhause aussehen.

Copyright © 2010 by Kendall Kane