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Die drei Musketiere 03

Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere
1. bis 3. Bändchen
Historischer Roman, aus dem Französischen von August Zoller, Stuttgart 1844, überarbeitet nach der neuen deutschen Rechtschreibung

III.

Die Audienz

Monsieur de Tréville war in diesem Augenblick in einer abscheulichen Laune. Nichtsdestoweniger grüßte er höflich den jungen Mann, der sich bis zur Erde vor ihm verbeugte, und nahm lächelnd sein Kompliment auf, dessen bearnesischer Ausdruck ihn zugleich an seine Jugend und an seine Heimaterinnerte – eine doppelte Erinnerung, welche den Menschen in jedem Alter zum Lächeln bewegt. Aber beinahe im selben Augenblick trat er, d’Artagnan mit der Hand ein Zeichen machend, als wolle er ihn um Erlaubnis bitten, die anderen abzufertigen, ehe er mit ihm anfinge, trat er, sagen wir, an die Tür und rief dreimal, jedes Mal die Stimme verstärkend, sodass er alle Intervalltöne zwischen dem befehlenden und dem aufgereizten Akzent durchlief: »Athos! Porthos! Aramis!«

Die uns bereits bekannten zwei Musketiere antworteten auf die zwei letzten von diesen drei Namen, verließen sogleich die Gruppen, unter denen sie standen, und gingen auf das Kabinett zu, dessen Tür sich hinter ihnen schloss, sobald sie die Schwelle überschritten hatten. Ihre Haltung erregte, obwohl sie nicht ganz ruhig war, durch ihre zugleich würdevolle und ehrerbietige Ungezwungenheit die Bewunderung d’Artagnans, der in diesen Menschen Halbgötter und in ihrem Anführer einen mit all seinen Blitzen bewaffneten Jupiter erblickte.

Als die Musketiere eingetreten waren, als die Tür hinter ihnen geschlossen war, als das Gemurmel im Vorzimmer, dem der Aufruf ohne Zweifel neue Nahrung gab, wieder angefangen und Monsieur de Tréville endlich drei- bis mehrmal sein Kabinett, schweigend und mit gefalteter Stirne immer an Porthos und Aramis vorübergehend, welche steif und stumm wie auf der Parade dastanden, der ganzen Länge nach durchschritten hatte, blieb er plötzlich vor ihnen stehen, maß sie von Kopf zu Fuß mit zornigen Blicken und rief: »Wisst Ihr, was mir der König gesagt hat, und zwar erst gestern Abend, wisst Ihr es, meine Messieurs?«

»Nein«, antworteten die zwei Musketiere nach kurzem Stillschweigen, »nein, gnädiger Monsieur, wir wissen es nicht.«

»Aber ich hoffe, Ihr werdet uns die Ehre erweisen, es uns zu sagen«, fügte Aramis in seinem höflichen Ton und mit der anmutigsten Verbeugung bei.

»Er hat mir gesagt, er werde in Zukunft seine Musketiere unter der Leibwache des Monsieur Kardinals rekrutieren.«

»Unter der Leibwache des Kardinals, und warum dies?«, fragte Porthos lebhaft.

»Weil er sah, dass sein trüber Wein durch eine Vermischung mit gutem Wein aufgefrischt werden muss.«

Die zwei Musketiere erröteten bis unter das Weiß ihrer Augen. D’Artagnan wusste nicht, wo er war, und wäre gern hundert Fuß unter der Erde gewesen.

»Ja, ja«, fuhr Monsieur de Tréville hitziger werdend fort, »und Se. Majestät hat recht, denn, auf meine Ehre, die Musketiere spielen eine traurige Rolle bei Hof. Der Monsieur Kardinal erzählte gestern beim Spiel des Königs mit einer Miene des Bedauerns, die mir sehr missfiel, diese verdammten Musketiere, diese lebendigen Teufel, und er legte auf diese Worte einen ironischen Nachdruck, der mir noch mehr missfiel. Diese Kopfspalter, fügte er bei und schaute mich dabei mit seinem Tigerkatzenauge an, hätten sich gestern in der Rue Ferou in einer Schenke verspätet, und eine Runde von seiner Leibwache, ich glaubte, er wollte mir ins Gesicht lachen, sei genötigt gewesen, die Ruhestörer zu verhaften. Mord und Tod! Ihr müsst etwas davon wissen! Musketiere verhaften! Ihr wäret dabei, Ihr leugnet es nicht, man hat Euch erkannt, und der Kardinal hat Euch genannt. Es ist freilich mein Fehler, ja mein Fehler ist es, da ich mir meine Leute auswähle. Seht doch, Aramis, warum zum Teufel habt Ihr mich um die Kasake gebeten, da Ihr doch so gut unter der Sutane gewesen wäret? Und Ihr, Porthos, habt Ihr ein so schönes goldenes Wehrgehänge, nur um einen Strohdegen daran zu tragen! Und Athos, ich sehe Athos nicht. Wo ist er?«

»Gnädiger Monsieur«, antwortete Aramis traurig, »er ist krank, sehr krank.«

»Krank, sehr krank, sagt Ihr, und woran leidet er?«

»Man befürchtet an den Blattern, gnädiger Monsieur«, antwortete Porthos, der auch ein Wort mitsprechen wollte, »was sehr unangenehm wäre, denn es würde sicherlich sein Gesicht verderben.«

»Blattern! Abermals eine glorreiche Geschichte, die Ihr mir da erzählt. Porthos! In seinem Alter an den Pocken krank? Nein! … Aber verwundet ohne Zweifel, vielleicht getötet … Ah! wenn ich es wüsste … Gottesblut! Meine Messieurs Musketiere, ich dulde es nicht, dass man sich auf diese Art in schlechten Schenken umhertreibt, auf der Straße Händel anfängt und an jeder Ecke vom Leder zieht. Ich will nicht, dass man sich vor den Leibwachen des Monsieur Kardinals lächerlich macht, denn diese sind brave, ruhige, gewandte Leute, die sich nie der Verlegenheit aussetzen, verhaftet zu werden, und die sich überdies nicht verhaften lassen, gewiss nicht, ich bin es überzeugt! Sie würden eher auf dem Platz sterben, als einen Schritt zurückweichen. Sich flüchten, aus dem Staub machen, Fersengeld geben, das ist eine schöne Aufführung für die Musketiere des Königs, das!«

Porthos und Aramis bebten vor Wut. Sie würden gerne Monsieur de Tréville erwürgt haben, wenn sie nicht gefühlt hätten, dass ihn die große Liebe, welche er für sie hegte, zu dieser Sprache veranlasste. Sie stampften mit dem Fuß auf den Boden, bissen sich die Lippen blutig und pressten das Stichblatt ihres Degens mit aller Gewalt zusammen. Außen hatte man erwähntermaßen Athos, Porthos und Aramis rufen hören, und an dem Ton des Monsieur de Tréville hatte man erraten, dass er sehr zornig war. Zehn neugierige Köpfe lehnten an der Tapete und erbleichten vor Ingrimm; denn ihre fest an die Tür gehaltenen Ohren verloren kein Wort von dem, was gesprochen wurde, während ihr Mund die für das ganze Korps beleidigenden Reden des Capitaine, Silbe für Silbe, wiederholte. In einem Augenblick war das ganze Hotel von der Tür des Capitaine bis zu dem zur Straße führenden Tor in Gärung.

»Ah! Die Musketiere des Königs lassen sich von der Leibwache des Monsieur Kardinals verhaften!«, fuhr Monsieur de Tréville fort, der in seinem Inneren ebenso wütend war, wie seine Soldaten, aber seine Worte nur so herausstieß und gleichsam eines nach dem anderen wie Dolchstiche in die Brust seiner Zuhörer bohrte. »Ah! Sechs Leibwachen Sr. Eminenz arretieren sechs Musketiere Seiner Majestät! Mord Element! Ich weiß, was ich tue. Ich begebe mich auf der Stelle zum Louvre. Ich nehme meine Entlassung als Capitaine des Königs und bewerbe mich um eine Lieutenantstelle bei den Garden des Kardinals, und wenn er es mir abschlägt, Mord Element! So werde ich Abbé.«

Bei diesen Worten kam es von dem Gemurmel außen zu einem völligen Ausbruch. Überall hörte man nur Schwüre und Flüche. Mord Element! Gottesblut! Tod und Teufel! durchkreuzten sich in der Luft. D’Artagnan schaute sich nach einer Tapete um, um sich dahinter zu verbergen, und hatte sehr große Lust, unter den Tisch zu kriechen.

»Wohl, mein Capitaine«, sprach Porthos außer sich, »wir waren allerdings sechs gegen sechs, aber wir wurden verräterischerweise überfallen, und ehe wir Zeit hatten, den Degen zu ziehen, stürzten zwei von uns tot nieder, und Athos war, als schwer verwundet, nichts mehr wert. Denn Ihr kennt Athos, Capitaine; nun zweimal versuchte er es, sich zu erheben, aber zweimal fiel er wieder zu Boden. Wir haben uns indessen nicht ergeben; nein, man hat uns mit Gewalt fortgeschleppt. Auf dem Weg flüchteten wir. Athos hielt man für tot; man ließ ihn ruhig auf dem Schlachtfeld liegen und achtete es nicht der Mühe wert, ihn wegzuschaffen. Das ist die ganze Geschichte. Was den Teufel! Capitaine, man gewinnt nicht alle Schlachten, der große Pompejus hat die von Pharsalos verloren, und Franz I. der, wie ich sagen hörte, seinen Mann stellte, unterlag in der Schlacht bei Pavia.«

»Und ich habe die Ehre, Euch zu versichern, dass ich einen mit seinem eigenen Degen tötete«, sagte Aramis, »denn der meine war bei der ersten Parade zerbrochen. Getötet oder erdolcht, gnädiger Monsieur, wie es Euch gefällig ist.«

»Ich wusste das nicht«, erwiderte Monsieur de Tréville mit etwas sanfterem Ton, »der Monsieur Kardinal hat, wie es scheint, übertrieben.«

»Aber halten zu Gnaden, Monsieur Capitaine«, sprach Aramis, der, da er Monsieur de Tréville etwas besänftigt sah, eine Bitte vorzubringen wagte. »Sagt nicht, gnädiger Monsieur, dass Athos verwundet ist. Er wäre in Verzweiflung, wenn dies zu den Ohren des Königs käme, und da die Wunde sehr bedeutend zu sein scheint, insofern sie durch die Schulter tief in die Brust eingedrungen ist, so wäre zu befürchten …«

Im selben Augenblick hob sich der Türvorhang, und ein edler, schöner, aber furchtbar bleicher Kopf erschien unter der Franse.

»Athos!«, riefen die zwei Musketiere.

»Ihr habt nach mir verlangt, gnädiger Monsieur«, sprach Athos mit einer schwachen, aber vollkommen ruhigen Stimme. »Ihr habt nach mir verlangt, wie mir meine Kameraden sagen, und ich beeile mich, Eurem Befehl nachzukommen. Hier bin ich, gnädiger Monsieur, was steht zu Diensten?«

Mit diesen Worten trat der Musketier festen Schrittes, in tadelloser Haltung, gegürtet wie gewöhnlich, in das Kabinett. Im Innersten seines Herzens durch diesen Beweis von Mut gerührt, eilte ihm Monsieur de Tréville entgegen.

»Ich war eben im Zuge, diesen Messieurs zu bemerken«, fügte er bei, »dass ich meinen Musketieren verbiete, ihr Leben unnötig auszusetzen, denn brave Leute sind dem Könige sehr teuer, und der König weiß, dass seine Musketiere die bravsten Leute dieser Erde sind. Eure Hand, Athos.«

Und ohne eine Antwort des soeben Angekommenen auf diesen Beweis von Zuneigung abzuwarten, fasste Monsieur de Tréville seine rechte Hand und drückte sie mit aller Kraft, wobei er nicht gewahr wurde, dass Athos, wie groß auch seine Selbstbeherrschung war, eine Bewegung des Schmerzes nicht zu bewältigen vermochte und noch bleicher wurde, was man kaum hätte für möglich halten sollen.

Die Tür war halb offen geblieben, so sehr hatte die Ankunft von Athos, dessen Verwundung, trotz des Geheimnisses, allen bekannt war, Aufsehen erregt. Ein Freudengeschrei war das Echo der letzten Worte des Capitaine und von der Begeisterung hingerissen, zeigten sich einige Köpfe durch die Öffnungen der Tapete. Ohne Zweifel war Monsieur de Tréville im Begriff, durch kräftige Worte diesen Verstoß gegen die Gesetze der Etikette zurückzudrängen, als er fühlte, dass sich die Hand von Athos krampfhaft in der seinen zusammenzog. Bei genauerer Betrachtung bemerkte er, dass derselbe einer Ohnmacht nahe war. Im gleichen Augenblick fiel Athos, der alle seine Kräfte zusammengerafft hatte, um den Schmerz zu bekämpfen, wie tot auf den Boden nieder.

»Einen Wundarzt!«, rief Monsieur de Tréville. »Den meinen, den des Königs, den nächsten Besten! Einen Wundarzt! Oder Gottesblut! Mein braver Athos verscheidet!«

Aus das Geschrei des Monsieur de Tréville stürzte alles in sein Kabinett, ohne dass er daran dachte, die Tür irgendjemand zu verschließen, und alle Anwesenden drängten sich um den Verwundeten. Aber dieser Eifer wäre fruchtlos gewesen, wenn sich der geforderte Arzt nicht im Hotel selbst befunden hätte. Er durchschritt die Menge, näherte sich dem immer noch ohnmächtigen Athos, und da ihn das Geräusch und Gedränge in seiner Tätigkeit hemmten, so verlangte er als Erstes und Wesentlichstes, dass man den Musketier in ein angrenzendes Zimmer bringe. Sogleich öffnete Monsieur de Tréville eine Tür und zeigte Porthos und Aramis, welche ihren Kameraden auf den Armen trugen, den Weg. Hinter dieser Gruppe ging der Wundarzt und hinter dem Wundarzt schloss sich die Tür. Nun wurde das Kabinett des Monsieur de Tréville, dieser sonst so geachtete Ort, ein zweites Vorzimmer. Jedermann schwatzte, sprach, deklamierte, schwur, fluchte ganz laut und wünschte den Kardinal und seine Leibwachen zu allen Teufeln.

Nach einem Augenblick kehrten Porthos und Aramis zurück. Der Chirurg und Monsieur de Tréville waren allein bei dem Verwundeten geblieben.

Endlich kam auch Monsieur de Tréville in sein Kabinett zurück. Der Verwundete hatte das Bewusstsein wieder erlangt und der Wundarzt erklärte, der Zustand des Musketiers dürfe seine Freunde durchaus nicht beunruhigen, da seine Schwäche einzig und allein durch den Blutverlust veranlasst worden sei.

Monsieur de Tréville gab nun ein Zeichen mit der Hand, und jedermann entfernte sich, mit Ausnahme d’Artagnans, der durchaus nicht vergaß, dass er Audienz hatte, und mit der Hartnäckigkeit eines Gascogners an derselben Stelle geblieben war.

Als sich alle entfernt hatten und die Tür wieder verschlossen war, wandte sich Monsieur de Tréville um und fand sich allein mit dem jungen Mann. Durch das vorhergehende Ereignis hatte er einigermaßen den Faden seiner Gedanken verloren. Er fragte daher den hartnäckigen Bittsteller nach seinem Verlangen. D’Artagnan nannte seinen Namen. Rasch tauchten in Monsieur de Tréville alle Erinnerungen an Gegenwart und Vergangenheit wieder auf und er war im Laufenden über seine Stellung.

»Um Vergebung«, sprach er lächelnd, »um Vergebung, mein lieber Landsmann, aber ich hatte Euch völlig vergessen. Was wollt Ihr! Ein Capitaine ist nur ein Familienvater, dem eine größere Verantwortlichkeit obliegt, als einem gewöhnlichen Familienvater. Die Soldaten sind große Kinder. Da ich aber darauf halte, dass die Befehle des Königs und besonders die des Monsieur Kardinals vollzogen werden …«

D’Artagnan konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Aus diesem Lächeln urteilte Monsieur de Tréville, dass er es mit keinem Dummkopf zu tun habe. Er ging daher gerade auf die Sache los, veränderte das Gespräch und sagte: »Ich habe Euren Vater sehr geliebt! Was kann ich für seinen Sohn tun? Beeilt Euch, meine Zeit gehört nicht mir.« »Gnädiger Monsieur«, sprach d’Artagnan, »als ich Tarbes verließ und hierher kam, hatte ich die Absicht, Euch in Erinnerung an diese Freundschaft, die Ihr nicht aus dem Gedächtnis verloren habt, um einen Musketiermantel zu bitten. Aber nach allem, was ich seit zwei Stunden gesehen, begreife ich, dass eine solche Gunst ungeheuer wäre, und ich zittere, sie nicht zu verdienen.«

»Es ist allerdings eine Gunst, junger Mann«, antwortete Monsieur de Tréville, »aber sie kann nicht so hoch über Euch stehen, als Ihr glaubt oder zu glauben Euch das Ansehen gebt. Indessen hat eine Entscheidung Sr. Majestät für diesen Fall vorgesehen, und ich sage Euch mit Bedauern, dass niemand unter die Musketiere aufgenommen wird, ohne sich vorher in einigen Feldzügen, durch gewisse Waffentaten oder einen zweijährigen Dienst in einem anderen Regiment, das weniger begünstigt ist, als das unsere, erprobt zu haben.«

D’Artagnan verbeugte sich, ohne zu antworten. Sein Verlangen nach der Musketieruniform wurde noch dringender, seit er bemerkte, dass man so viele Hindernisse zu überwinden hatte, um sie zu bekommen.

»Aber«, fuhr Tréville fort und heftete dabei auf seinen Landsmann einen so durchdringenden Blick, dass man hätte glauben sollen, er wolle im Grunde seines Herzens lesen, »aber Eurem Vater, meinem alten Landsmann, wie ich Euch gesagt habe, zu Liebe, will ich etwas für Euch tun, junger Mann. Unsere Söhne von Bearn sind gewöhnlich nicht reich, und ich zweifle, dass sich die Verhältnisse seit meiner Abreise aus der Provinz bedeutend verändert haben. Das Geld, das Ihr mitgebracht habt, wird also zum Leben nicht zu viel sein.«

D’Artagnan richtete sich mit einer stolzen Miene auf, welche wohl sagen wollte, er verlange von niemand ein Almosen.

»Schon gut, junger Mann, schon gut«, fuhr Tréville fort, »ich kenne diese Mienen, ich bin nach Paris mit vier Talern in der Tasche gekommen und hätte mich mit jedem geschlagen, der mir gesagt haben würde, ich sei nicht imstande, den Louvre zu kaufen.

D’Artagnan richtete sich noch höher auf. Infolge des Verkaufs seines Pferdes begann er seine Laufbahn mit vier Talern mehr, als Monsieur de Tréville die seine begonnen hatte.

»Ihr müsst also, wie ich sagte, Euer Eigentum zusammennehmen, so stark auch diese Summe sein mag. Aber ihr müsst Euch auch in den Übungen vervollkommnen, die einem Edelmann anstehen. Ich werde noch heute einen Brief an den Direktor der königlichen Akademie schreiben, und schon morgen seid ihr unentgeltlich aufgenommen, schlagt dieses kleine Geschenk nicht aus. Unsere höchst geborenen und reichsten Edelleute bewerben sich zuweilen um diese Gunst, ohne sie erlangen zu können. Ihr werdet reiten, fechten und tanzen lernen. Ihr werdet gute Kenntnisse erlangen, und von Zeit zu Zeit besucht Ihr mich, um mir zu sagen, wie weit Ihr seid und ob ich etwas für euch tun kann.«

So wenig d’Artagnan mit den Hofsitten bekannt war, so entging ihm doch die Kälte dieses Empfangs nicht.

»Ach! Mein gnädiger Monsieur«, sagte er, »ich sehe, wie sehr der Empfehlungsbrief, den mir mein Vater eingehändigt hatte, mir heute fehlt.«

»In der Tat«, erwiderte Monsieur de Tréville, »ich wundere mich, dass Ihr eine weite Reise ohne dieses notwendige Viatikum, unser einziges Hilfsmittel, unternommen habt.«

»Ich hatte es, Gott sei Dank, in guter Form bei mir«, rief d’Artagnan, »aber es ist mir gestohlen worden.«

Und er erzählte die ganze Szene in Meung, zeichnete den Unbekannten in seinen geringfügigsten Einzelheiten, alles mit einer Wärme und Wahrheit, die Monsieur de Tréville entzückte.

»Das ist seltsam«, sprach der Letztere nachsinnend, »Ihr hattet also ganz laut von mir gesprochen?«

»Ja, gnädiger Monsieur, ich hatte allerdings diese Unklugheit begangen. Ein Name, wie der Eure, musste mir auf der Reise als Schild dienen. Ihr könnt Euch denken, dass ich mich oft unter den Schutz desselben gestellt habe.«

Schmeichelei war damals sehr in der Mode, und Monsieur de Tréville liebte den Weihrauch so gut wie ein König oder Kardinal.

Er konnte also nicht umhin, mit sichtbarer Befriedigung zu lächeln, aber dieses Lächeln verschwand bald wieder. Er kam selbst auf das Abenteuer in Meung zurück und fuhr fort: »Hatte dieser Edelmann nicht eine leichte Narbe an der Wange?«

»Ja, wie von dem Ritzen einer Kugel.«

»War er nicht ein Mann von schönem Gesicht?«

»Ja.«

»Von hoher Gestalt?«

»Ja.«

»Von bleicher Gesichtsfarbe und braunen Haaren?«

»Ja, ja, so ist es. Wie kommt es, gnädiger Monsieur, dass Ihr diesen Menschen kennt? Ach! Wenn ich ihn wiederfinde, und ich werde ihn wiederfinden, ich schwöre es Euch, und wäre es in der Hölle …«

»Er erwartete eine Frau?«, fuhr Tréville fort.

»Er ist wenigstens abgereist, nachdem er einen Augenblick mit der Erwarteten gesprochen hatte.«

»Ihr wisst nicht, was der Gegenstand ihres Gespräches war?«

»Er übergab ihr eine Kapsel, sagte, sie enthalte Instruktionen, und schärfte ihr ein, sie erst in London zu öffnen.«

»Diese Frau war eine Engländerin?«

»Er nannte sie Mylady.«

»Er ist es!«, murmelte Tréville, »er ist es! Ich glaubte, er wäre noch in Brüssel.«

»Oh! Gnädiger Monsieur, wenn Ihr diesen Menschen kennt«, rief d’Artagnan, »so sagt mir, wer er ist und wo er ist. Dann entbinde ich Euch von allem, selbst von Eurem Versprechen, mich unter die Musketiere aufzunehmen, denn vor allem will ich mich rächen.«

»Hütet Euch wohl, junger Mann«, rief Tréville, »wenn Ihr ihn auf der einen Seite der Straße kommen seht, so geht im Gegenteil auf die andere. Stoßt Euch nicht an einem solchen Felsen, er würde Euch wie Glas zerbrechen.«

»Wenn ich ihn je wiederfinde«, sprach d’Artagnan, »hält mich dies nicht ab …«

»Sucht ihn einstweilen nicht auf«, versetzte Tréville, »wenn ich Euch gut zurate sein soll.«

Plötzlich hielt Tréville, von einem raschen Argwohn erfasst, inne. Der gewaltige Hass, den der junge Reisende so laut gegen diesen Menschen kundtat, der ihm, wie sehr wahrscheinlich war, den Brief seines Vaters entwendet hatte, verbarg er nicht etwa eine Treulosigkeit? War dieser junge Mann nicht von Seiner Eminenz abgesandt? Kam er nicht, um ihm eine Falle zu legen? War dieser angebliche d’Artagnan nicht ein Emissär des Kardinals, den man in sein Haus zu bringen versuchte, den man in seine Nähe gestellt hatte, um sein Vertrauen zu erschleichen und ihn später zu verderben, wie dies tausendmal geschehen war? Er schaute d’Artagnan das zweite Mal noch schärfer an als das erste Mal. Diese von schlauem Geist und geheuchelter Untertänigkeit gleichsam funkelnde Physiognomie vermochte ihn nur wenig zu beruhigen.

Ich weiß, dass er Gascogner ist, dachte Monsieur de Tréville, aber er kann es ebenso wohl für den Kardinal als für mich sein. Wir wollen ihn einmal auf die Probe stellen. »Mein Freund«, sprach er langsam, »ich will Euch als dem Sohn meines alten Freundes, denn ich halte die Geschichte dieses verlorenen Briefes für wahr, ich will Euch, sage ich, um die Kälte, die Ihr anfangs bei meinem Empfang bemerkt haben möget, wiedergutzumachen, die Geheimnisse unserer Politik offenbaren. Der König und der Kardinal sind die besten Freunde. Ihre scheinbaren Streitigkeiten sollen nur Dummköpfe täuschen. Ich will nicht, dass ein Landsmann, ein hübscher Kavalier, ein braver Bursche von diesen Fintenmachern betört werde und wie ein Einfaltspinsel hinter denen her, welche darin zugrunde gegangen sind, in das Garn gehe. Bedenkt wohl, dass ich diesen zwei allmächtigen Messieurs ergeben bin und dass ich nie einen anderen Zweck haben werde, als dem König und dem Kardinal, einem der erhabensten Geister, welche Frankreich hervorgebracht hat, zu dienen. Danach richtet Euch nun, junger Mann, und wenn Ihr, sei es Eurer Familie, sei es Eurer freundschaftlichen Verbindungen wegen oder aus Instinkt gegen den Kardinal einen Groll hegt, wie wir ihn oft bei unseren Edelleuten zum Vorschein kommen sehen, so sagt uns Lebewohl und verlasst uns. Ich werde Euch in tausenderlei Dingen unterstützen, aber ohne Euch eine nähere Verbindung mit meiner Person zu gestatten. Ich hoffe jedenfalls durch meine Freimütigkeit Euch zum Freund zu gewinnen, denn bis zu dieser Stunde seid Ihr der einzige junge Mensch, mit dem ich so gesprochen habe.«

Tréville sagte hiebei zu sich selbst: Wenn der Kardinal diesen jungen Fuchs an mich abgesandt hat, so wird er, der wohl weiß, wie sehr er mir verhasst ist, nicht verfehlt haben, seinem Spion kundzugeben, das beste Mittel, mir den Hof zu machen, bestehe darin, dass man das Schlimmste von ihm sage. Der listige Gevatter wird mir auch trotz meiner Versicherungen antworten, er verabscheue den Kardinal.

Es ging ganz anders, als Tréville erwartete. D’Artagnan antwortete mit der größten Einfachheit: »Mein gnädiger Monsieur, ich komme mit ähnlichen Ansichten und Absichten nach Paris. Mein Vater hat mir eingeschärft, von niemand als von dem König, dem Kardinal und von Euch, die er für die drei höchsten Männer von Frankreich hält, etwas zu dulden.«

D’Artagnan stellte, wie man hier bemerkt, Monsieur de Tréville zu den beiden anderen, aber er dachte, diese Zusammenstellung könne nichts schaden.

»Ich hege also die größte Verehrung für den Monsieur Kardinal«, fuhr er fort, »und die tiefste Achtung vor seinen Handlungen. Desto besser für mich, gnädiger Monsieur, wenn Ihr, wie Ihr sagt, freimütig mit mir sprecht, denn Ihr werdet mir dann die Ehre erweisen, diesen Charakterzug auch an mir zu schätzen. Habt Ihr aber irgendeinen, allerdings sehr natürlichen Argwohn gehabt, so sehe ich wohl ein, dass ich mich zugrunde richte, indem ich die Wahrheit sage. Das wäre um so schlimmer, als ich Eure Wertschätzung verlieren würde, und gerade diese ist es, worauf ich in der Welt den höchsten Wert lege.«

Monsieur de Tréville war überrascht durch den letzten Punkt. So viel Offenherzigkeit, so viel Scharfsinn erregten seine Bewunderung, hoben aber seine Zweifel nicht gänzlich. Je höher dieser junge Mann über anderen jungen Leuten stand, desto mehr war er zu fürchten, wenn er sich täuschte.

Dessen ungeachtet drückte er d’Artagnan die Hand und sagte: »Ihr seid ein ehrlicher Bursche, aber in diesem Augenblick kann ich nicht mehr tun, als ich Euch soeben angeboten habe. Mein Hotel ist stets für Euch offen. Da Ihr zu jeder Stunde bei mir einsprechen und folglich jede Gelegenheit benutzen könnt, so werdet Ihr wahrscheinlich später erreichen, was Ihr zu erreichen wünscht.«

»Das heißt, gnädiger Monsieur«, erwiderte d’Artagnan, »Ihr werdet warten, bis ich mich dessen würdig gemacht habe. Nun gut!«, fügte er mit der Vertraulichkeit eines Gascogners bei, »Ihr sollt nicht lange zu warten haben.« Und er grüßte, um sich zu entfernen, als ob das Übrige nur ihn anginge.

»Aber wartet doch«, rief Monsieur de Tréville ihn zurückhaltend, »ich habe Euch einen Brief an den Vorstand der Akademie angeboten. Seid Ihr zu stolz, ihn anzunehmen, Junker?«

»Nein, gnädiger Monsieur«, entgegnete d’Artagnan, »ich stehe Euch dafür, dass es mit diesem nicht gehen soll wie mit dem anderen. Ich werde ihn so gut bewahren, dass er, ich schwöre es Euch, an seine Adresse gelangen soll, und wehe dem, der es versuchen würde, ihn mir zu rauben!«

Monsieur de Tréville lächelte bei dieser Großsprecherei, ließ seinen jungen Landsmann in der Fenstervertiefung zurück, wo die Unterredung stattgefunden hatte, setzte sich an einen Tisch und schrieb den versprochenen Empfehlungsbrief. Während dieser Zeit begann d’Artagnan, da er nichts Besseres zu tun hatte, einen Marsch auf den Fensterscheiben zu trommeln, beschaute die Musketiere, welche sich einer nach dem anderen entfernten, und folgte ihnen mit dem Blick, bis sie an der Wendung der Straße verschwanden.

Nachdem Monsieur de Tréville den Brief geschrieben hatte, versiegelte er ihn, stand auf und näherte sich dem jungen Mann, um ihm denselben auszuhändigen. Aber gerade in dem Augenblick, wo d’Artagnan die Hand ausstreckte, um ihn in Empfang zu nehmen, sah Monsieur de Tréville mit großem Staunen, wie sein Schützling einen Sprung machte, vor Zorn feuerrot wurde und aus dem Kabinett stürzte mit dem Ruf: »Ah! Gottesblut! Diesmal soll er mir nicht entkommen!«

»Wer denn?«, fragte Monsieur de Tréville.

»Er, mein Dieb«, antwortete d’Artagnan. »Ha, Verräter!«

Und er verschwand.

»Närrischer Teufel!«, murmelte Monsieur de Tréville. »Wenn das nicht eine geschickte Manier ist, sich davonzumachen, weil er gesehen hat, dass sein Stoß fehlgegangen ist.«