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Die Flusspiraten des Mississippi 9.1

die-flusspiraten-des-mississippiFriedrich Gerstäcker
Die Flusspiraten des Mississippi
Aus dem Waldleben Amerikas

9. Alte Bekannte treffen sich
Teil 1

Mrs. Dayton hatte, ihr am vorigen Abend gegebenes Versprechen zu erfüllen, alle nötigen Anstalten getroffen, ein paar Tage auf dem Land bleiben zu können. Es war auch, als Mr. Dayton spät am Morgen und ziemlich erschöpft von dem langen Ritt zurückkehrte, beschlossen worden, gleich nach Tisch aufzubrechen und Livelys zu besuchen, mit denen Mrs. Dayton schon früher in Indiana befreundet gewesen war.

Die kleine Familie hatte noch nicht lange ihr einfaches Mittagsmahl beendet und der erst vor einigen Stunden zurückgekehrte Squire eben zwei wiederum für ihn eingetroffene Briefe gelesen und in die Brusttasche geschoben, als Pferdegetrappel vor der Tür zu hören war und Adele ans Fenster sprang, um zu sehen, wer es wäre, der vor ihrem Haus anhielt.

Kaum hatte sie aber einen Blick hinuntergeworfen, als sie überrascht ausrief: »Mr. Hawes – bei allem, was da lebendig auf der Erde herumläuft! Nein, so etwas ist noch gar nicht dagewesen!«

»Und wer ist denn Mr. Hawes?«, fragte Squire Dayton lächelnd. »Der ist wirklich noch nicht dagewesen. Da du übrigens den Gentleman so gut zu kennen scheinst, so bist du es auch vielleicht, derentwegen er uns hier aufsucht.«

»Das ist sehr leicht möglich«, erwiderte Adele unbefangen. »Seine Frau war meine beste Freundin, du musst sie noch von früher her kennen, Hedwig: Marie Morris – des alten reichen Morris’ Tochter. Wissen möchte ich aber, was Mr. Hawes nach Arkansas bringt. Ich glaubte, er wäre schon lange in Louisiana auf seiner Plantage.«

»Nun, da kommt er selbst und wird dir das Rätsel wohl lösen«, sagte Squire Dayton. Wirklich wurden auch im nächsten Augenblick schnelle Schritte auf der Treppe hörbar, und gleich darauf trat nach kurzem Anklopfen und fast ohne das einladende »Herein« zu erwarten, derselbe junge Mann in die Stube, dem wir schon heute Morgen, freilich unter einem anderen Namen, auf seinem Ritt begegnet sind.

»Miss Adele!«, rief er und schritt schnell und die Hand ihr entgegenstreckend auf das junge Mädchen zu. »Es freut mich herzlich, Sie so wohl und munter zu finden. Wahrscheinlich habe ich die Ehre, Mr. und Mrs. Dayton hier vor mir zu sehen?«

Squire Dayton und Frau verneigten sich, und der Erstere sagte freundlich: »Unsere kleine Freundin hier hat Sie schon draußen gesehen – Mr. Hawes, wenn ich nicht irre, sie erkannte in Ihnen einen alten Bekannten.«

»Dann hätte ich ja kaum der kalten Einführung dieses Briefes bedurft«, sagte der Betrüger mit einer leichten Verbeugung gegen die junge Dame. »Von Mr. Porrel, jetzigem Staatsanwalt in Sinkville, der so gütig war, nebst einem freundlichen Gruß Ihnen die Meldung zu machen, dass eine so unbedeutende Person wie ich überhaupt existiere.«

»Ach, von Porrel – haben Sie ihn erst kürzlich verlassen?«, fragte der Squire und nahm den Brief an sich. »Es ist manches Jahr vergangen, dass wir einander nicht gesehen haben.«

»Und doch spricht er noch mit viel Freundlichkeit und Anhänglichkeit von Ihnen. Er ist vor wenigen Wochen Staatsanwalt geworden und steht sich jetzt ziemlich gut, bekleidet auf jeden Fall einen ganz einträglichen und höchst achtbaren Posten.«

»Aber wie geht es Mrs. Hawes, Sir? Was macht Marie und wo ist sie?«, unterbrach ihn hier Adele. »Sie erwähnen ja kein Wort von ihr und ihren Eltern. Ich glaubte Sie auf Ihrer Plantage in Louisiana.«

»Könnte ich dann schon wieder hier sein?«, fragte Hawes. »Nein, die Pflanzung in Louisiana haben wir nicht gekauft, denn in Memphis, wo wir glücklicherweise einen Tag liegen blieben, kamen uns so böse und ungünstige Berichte über jene Gegend zu Ohren, dass wir lieber beschlossen, das geringe Draufgeld im Stich zu lassen, als so bedeutende Kapitalien an ein später fast wertloses Grundstück zu wenden. Da hörten wir von dem Verkauf einer Pflanzung in Sinkville in Mississippi – landeten dort, fanden die Bedingungen mäßig, Land und Gebäude trefflich und wurden noch in derselben Woche handelseinig.«

»Und bei Sinkville wohnt jetzt Marie?«, rief Adele freudig überrascht. »O wie herrlich! Das liegt ja kaum sechs Meilen von Helena entfernt – ach, da besuche ich sie in den nächsten Tagen.«

»Sie darum zu bitten, ist eigentlich der Zweck meines Hierseins«, erwiderte Hawes. »Nur machen Sie sich dann auf einen etwas längeren Aufenthalt gefasst, denn so schnell lässt Sie Marie gewiss nicht wieder fort. Mir ist sogar der dringende Auftrag geworden, Sie – wenn das irgend möglich wäre – gleich mitzubringen. Drüben am anderen Ufer steht mein Wagen, und ich habe das Pferd nur deshalb mit herübergebracht, weil ich nicht genau wusste, ob Sie in oder bei Helena Ihren Wohnsitz haben.«

»Ei, wie wird es dann mit dem Besuch bei Livelys werden?«, fragte Mr. Dayton, »den wirst du am Ende gar aufschieben müssen.«

Adele sah die Schwester an, und ein leichtes Rot färbte ihre Wangen. »Nein, das geht unmöglich«, warf Mrs. Dayton ein. »Wir haben erst gestern Abend durch den jungen Lively unser Kommen auf heute bestimmt ansagen lassen. Mrs. Lively hat sich auch gewiss eine Menge von Umständen gemacht und würde es nun mit Recht sehr übel nehmen, wenn wir nicht kämen. Wie wäre es aber, wenn uns Mr. Hawes dorthin begleitete? Geschieht das, so kann Adele ganz gut morgen früh gleich von dort aus mit Ihnen aufbrechen, und Sie haben doch wenigstens den Weg nicht vergebens gemacht.«

»Sie machen mir durch diese Erlaubnis eine große Freude«, erwiderte Hawes. »Zwar rufen mich eigentlich bei einem so neuen Besitztum wohl leicht erklärliche Geschäfte schnell zurück, doch mag Vater einmal auf einen Tag länger meine Stelle versehen. Er ist jetzt, Gott sei Dank, recht kräftig und wohl, und da wird es ihm nicht gleich schaden. Überdies habe ich seit langer Zeit gewünscht, Squire Dayton näher kennenzulernen, von dem ich schon so viel Gutes in Sinkville gehört habe.«

»Um so mehr muss ich dann bedauern, das Vergnügen Ihrer Gesellschaft, wenigstens für heute, zu entbehren«, entgegnete der Richter verbindlich. »Meine Geschäfte erlauben mir nicht, Helena für mehrere Tage zu verlassen. Ich hoffe Sie jedoch recht bald einmal und zwar dann für einen längeren Aufenthalt bei uns zu sehen. Aber da kommen die Pferde«, unterbrach er sich plötzlich. »Nun, Mr. Hawes, jetzt werden Sie gleich das Amt eines Ritters und Beschützers übernehmen können, das sonst mein alter Cäsar hätte ausüben müssen.«

»Ich bin stolz auf das Vertrauen, das Sie schon nach so kurzer Bekanntschaft in mich setzen, und werde versuchen, mich dessen würdig zu zeigen«, sagte Hawes. »Nur eins macht mich besorgt. Der Weg zur Familie Lively ist mir fremd – ich weiß nicht …«

»Den werde ich Ihnen zeigen«, rief Adele schnell und errötete dann, als sie der Schwester Lächeln bemerkte, über den vielleicht zu großen Eifer, den sie hierbei verraten hatte.

»Einer so schönen Führerin würde ich folgen, und wenn ich wüsste, das Ziel wäre der Tod!«, rief Mr. Hawes rasch.

»Ei, ei, Sir«, warnte der Richter, »das sind gefährliche Äußerungen für einen jungen Ehemann. Wenn das die Frau hörte!«

»Marie und ich wissen, wie es gemeint ist«, sagte Adele freundlich und unbefangen. »Mr. Hawes macht auch manchmal Verse, und den Poeten darf man schon ein wenig Übertreibung gestatten. Doch die Pferde warten; also, Herr Ritter, ich werde Eure Führerin sein.«

Mit diesen Worten und während Hawes noch von Squire Dayton Abschied nahm, ergriff das schöne Mädchen den Arm der Schwester und zog sie lachend die Treppe hinab. Cäsar führte dort Mrs. Daytons Pferd vor, Adele aber lenkte, ehe Hawes imstande war, ihr zu helfen, ein kleines munteres Pony an einen zu diesem Zweck dort hingewälzten Stamm und sprang leicht und sicher in den Sattel. Der vermeintliche Eduard Hawes konnte ihr nur noch den kleinen rotledernen Pantoffel, der den Steighügel bildete, unter die zierliche Fußspitze schieben. Dann schwang er sich ebenfalls auf den Rücken seines ungeduldig scharrenden Pferdes, und fort sprengte die kleine Gesellschaft den schmalen Waldweg entlang, der, am Fuß der Hügel hin, zu der etwa sechs bis sieben englische Meilen entfernten Farm des alten Lively führte.

 

Zu derselben Zeit, als die beiden Damen und ihre Begleiter in den dichten Büschen der Waldung verschwanden, kam eines jener mächtigen Flatboote mit der Strömung den Mississippi herab und beabsichtigte allem Anschein nach, in Helena zu landen. Außer den fünf Bootsleuten, die mit äußerster Anstrengung die langen, schweren Pinnen handhabten, um das Fahrzeug an das Ufer zu steuern, standen noch zwei Männer am Hinterruder, und zwar recht gute Bekannte von uns, nämlich der alte Edgeworth und sein Begleiter Tom Barnwell. Dicht hei ihnen aber saß der alte graue Schweißhund und betrachtete mit Interesse das Ufer, das er, wie das kluge Tier recht gut merkte, jetzt nach langer Wasserfahrt betreten sollte.

Eine Person an Bord zeigte sich jedoch mit dieser Maßregel keineswegs zufrieden, der Steuermann. Vorher schon hatte er eine Menge von Gründen gegen das Landen vorgebracht, war aber doch zuletzt gezwungen, zu gehorchen, und stand nun in mürrischem Schweigen beiseite. Endlich brach aber sein verhaltener Ingrimm noch einmal hervor, und er sagte:

»Ich will verdammt sein, wenn es nicht barer Unsinn ist, hier in dem Nest anzulaufen. Arbeiten müssen wir wie das Vieh, um nur wieder aus der Gegenströmung herauszukommen, und nicht die Hälfte von dem bekommen wir hier, was sie uns in Vicksburg oder selbst in Montgomerys Point dafür bezahlen würden.«

»Ich möchte nur wissen, was Ihr fortwährend mit Montgomerys Point habt«, erwiderte der alte Edgeworth, »das muss ja ein wahres Muster von Handelsplatz sein, ein Ideal für alle Flatboote.«

»Wo liegt es denn eigentlich?«, fragte Tom, »ich hin doch auch früher am Mississippi gewesen, kenne aber den Ort gar nicht.«

»Es wird manchen Ort hier gehen, den Ihr nicht kennt«, brummte der Lotse. »In einem Jahr verändert sich hier verdammt viel. Seht einmal da drüben Helena – das waren nur ein paar Häuser, als ich zuerst an den Mississippi kam, und jetzt ist es eine ordentliche Stadt. Montgomery baute vor etwa vier Jahren die erste Hütte, und jetzt ist dieser Ort der Schlüssel zum ganzen Westen, denn alle stromab fahrenden Dampfboote nehmen natürlich den näheren Weg, durch den White River in den Arkansas, und passieren dort nie, ohne anzulegen. Da leben auch Kaufleute, vor denen man Respekt haben muss. Uns hat einmal einer – ein Einziger – eine ganze Flatbootladung Mehl abgenommen, und der war noch nicht einmal der Reichste.«

»Nun meinetwegen«, sagte der alte Edgewerth, »wenn Ihr solch unmenschliches Vertrauen zu dem Nest habt, so wollen wir da anlegen, aber erst will ich sehen, wie der Markt hier steht. Ich habe nun einmal meinerseits Vertrauen zu Helena und sehe gar nicht ein, weshalb wir es nicht wenigstens versuchen sollten, unsere Ladung hier loszuwerden. Also greift aus, meine Burschen, greift aus – in ein paar Minuten seid ihr am Ufer, und dann mögt ihr euch heute einen vergnügten Abend machen.«

Die Männer legten sich denn auch gegen die schweren Finnen. So erreichten sie endlich die stillere, dicht vor der Stadt befindliche Stromfläche.

Tem ergriff jetzt das lange Bugtau und trat vorn auf die Spitze des Bootes, von dem er, als sie jetzt dicht an den übrigen dort befestigten Fahrzeugen vorbeitrieben, auf das ihm nächste sprang. Auf diesem lief er hin und ans Ufer und befestigte dort das Tau in einem der zu diesem Zweck angebrachten eisernen Ringe.

Zwei der Flatbootleute blieben als Wachen zurück, und die Übrigen, der alte Edgeworth und Tom mit dem grauen Schweißhund an der Spitze, schritten in die Stadt hinauf, um das Terrain zu erkunden, die Preise der nördlichen Produkte zu erfahren und überhaupt herauszufinden, ob und in welcher Art sich hier ein Geschäft anknüpfen lasse.

Nur Bill, der Steuermann, ging nicht mit den Übrigen, sondern schlenderte erst, scheinbar ziellos, am Ufer hin, bis er die Kameraden aus den Augen verloren hatte. Dann bog er rechts ab, schritt schnell die zum Wasser führende Walnutstreet hinauf und klopfte gleich darauf an ein niederes alleinstehendes Haus, in dessen oberem Fenster im nächsten Augenblick das liebenswürdige Gesicht der Mrs. Breidelford sichtbar wurde. Diese hatte aber kaum einen Blick auf die Straße geworfen und den Besuch erkannt, als sie auch schon wieder mit einem Schrei des Erstaunens, vielleicht auch der Freude, zurückfuhr. Gleich darauf wurden ihre schnellen Schritte laut, wie sie die Treppe in fast jugendlicher Eile herabsprang, den willkommenen Gast einzulassen.

»Nun, Bill, das ist prächtig, dass Ihr kommt«, waren die ersten Worte, mit denen sie ihn begrüßte und die allerdings verrieten, dass sie schon früher auf einem, wenn auch nicht gerade vertrauten, doch sicherlich bekannten Fuße gestanden hatten. »Seit drei Tagen guck ich mir nach Euch schon fast die Augen aus dem Kopf, und immer vergebens. Mein lieber seliger Mann hatte aber ganz recht. ›Louise‹, sagte er immer, ›Louise‹ …«

»O, geht mit Eurem verdammten Geschwätz zum Teufel«, brummte der keineswegs so gesprächige Gast, ohne zu berücksichtigen, dass er sich mit einer Dame unterhielt. »Sagt lieber, wie es mit der Insel steht und ob ich irgendwen von den Unseren hier in Helena finden kann.«

»Nu – nu, Meister Brummbär«, rief die Witwe beleidigt, »ich dächte doch, man hätte oben im Norden nicht alle Artigkeiten verlieren sollen und könnte wenigstens Guten Tag sagen, wenn man zu anderen Leuten ins Haus kommt. Ich bin auch mein Leben lang in der Welt herumgekommen und kein Gelbschnabel mehr, dass ich mich von jedem hergelaufenen Narren brauche anfahren zu lassen. Aber ich weiß schon, mein Seliger hatte recht. ›Louise‹, sagte er. ›Du bist …‹«

»… eine liebe, prächtige Frau«, unterbrach sie, ihr freundlich die Hand entgegenstreckend, Bill, denn er kannte Mrs. Breidelford zu gut, um nicht zu wissen, dass er eben im Begriff gewesen war, es auf immer mit ihr zu verderben. »Ich sollte doch denken, Ihr hättet Zeit genug gehabt, den rauen Bill kennenzulernen. Er gehört allerdings nicht zu den Feinsten, aber er meint’s nicht so böse. Also, meine schöne Mrs. Breidelford. wie steht’s hier im Territorium? Was machen der Captain und die Bande, und könnte ich ein paar der Burschen hier in Helena finden, wenn ich ihre Hilfe brauchen sollte?«

»Zehn für einen, Bill«, rief da plötzlich eine Stimme vom oberen Rand der Treppe, »zehn für einen – wie geht’s, alter Junge? Bringst du Beute? Nun, die kommt uns gelegen, besonders wenn sie der Mühe wert ist.«

»Blackfoot – so wahr ich lebe«, jubelte der Steuermann und sprang fröhlich zur Treppe. »Du kommst wie gerufen und kannst mir helfen, einen alten Narren von Helena wegzubringen, der es sich nun einmal in den Kopf gesetzt zu haben scheint, hier zu verkaufen. Die Ladung ist nicht bedeutend, aber er führt mindestens zehntausend Dollar in barem Gold bei sich und geht, wenn er seinen Kram hier losschlägt, auf das erste beste Dampfboot und uns aus dem Netz.«

»Alle Wetter, das soll er bleiben lassen«, rief Blackfoot. »Aber komm herauf, das besprechen wir oben besser.«

»Ja – ich weiß nicht, ob ich’s wagen darf«, sagte lächelnd der Steuermann und blickte sich nach Mrs. Breidelford um, »unsere liebenswürdige Wirtin …«

»Ach, geht zum Teufel mit Eurer Liebenswürdigkeit«, zürnte diese noch immer. »Hinterher könnt Ihr schöne Worte machen. Doch geht hinauf, Blackfoot weiß oben Bescheid. Er mag Euch bedienen. Ich habe hier unten noch zu tun.«

»Nun sag mir nur vor allen Dingen. Wie steht’s mit der Insel«, fragte Bill, als sie bei einer Flasche Rum und einem Körbchen voll braun gebackener Cracker beisammensaßen. »Noch alles in Ordnung?«

»In bester – die Sachen stehen vortrefflich«, erwiderte Blackfoot. »Aber es ist gut, dass du heute kommst. Morgen Abend haben wir, wie du weißt, unsere regelmäßige Versammlung. Und es sollen gar wichtige Dinge verhandelt werden. Kelly fürchtet, dass wir über kurz oder lang einmal verraten werden, und will uns dagegen durch den Ankauf eines Dampfbootes gesichert wissen. Es kommen auch sonst andere interessante Sachen vor. Du wirst übrigens noch eine Stunde wenigstens liegen bleiben müssen, sonst kommst du zu früh an. Es dunkelt jetzt sehr spät.«

»Ich weiß wohl«, sagte ärgerlich der Steuermann. »Fürchte aber, ich kriege den alten Starrkopf gar nicht mehr von hier fort. Er hofft große Geschäfte hier zu machen.«

»Hm – wie wäre es denn«, meinte Blackfoot sinnend, »wie wäre es denn da, wenn ich ihm den Bettel abkaufte?«

»Wer, du? Na, weiter fehlte nichts mehr«, rief Bill lachend. »Jemanden, der kauft, brauchen wir gar nicht. Überreden müssen wir ihn, dass er weiter unten einen besseren Markt für seine Ware treffen wird, das Übrige findet sich von selbst.«

»Bill«, sagte Blackfoot und tippte sich mit der Spitze seines rechten Zeigefingers bedeutsam gegen die Stirn. »Bill, bist du denn ganz vernagelt? Hältst du mich denn für so dumm? Wenn ich das Boot oder die Ladung kaufe, so versteht sich’s doch von selbst, dass ich nicht hier wohne und dass ich es notwendigerweise nach Montgomerys Point oder sonst wohin geschafft haben muss.«

»Bei Gott – ein kapitaler Gedanke!«, schrie Bill und schlug mit der Faust auf den Tisch, dass die Gläser klirrten. »So soll’s sein: Du spielst den Kaufmann, gehst mit an Bord, und ich renne uns dann zusammen ganz vergnügt unterhalb der Insel auf den Sand. Halt – da fällt mir aber etwas ein, einen Spaß wollen wir uns noch machen. Du sagst, du wärst von Victoria. Das gibt mir auch eine Entschuldigung, ›Nummer Einundsechzig‹ rechts liegen zu lassen, anstatt links, wie es in der Flusskarte steht – und du kannst meinetwegen auf Montgomerys Point und den jetzigen Handel dort schimpfen. Das wird dem Alten guttun, dann glaubt er, ich habe unrecht gehabt, und geht desto eher in die Falle. Er hat überdies irgendetwas gegen mich, es ist so eine Art Instinkt, glaub’ ich. Nun, ich bin nicht böse darüber. Er hat alle Ursache dazu und wird, ehe zweimal vierundzwanzig Stunden vergehen, noch mehr bekommen.«

»Was für Ursachen?«, fragte Blackfoot.

»Lass gut sein«, wehrte Bill ab und leerte das vor ihm stehende Glas mit einem Zug. »Das sind Dinge, über die ein alter Praktikus nicht gern spricht. Schweigen über eine Sache hat noch keinem geschadet, Plaudern aber schon manchem Unheil gebracht. Doch da kommt Mrs. Breidelford – nun, Frauchen, noch böse? Ich hatte gerade den Kopf voll, als ich ins Haus trat. Blackfoot hier hat aber alles wieder in Ordnung gebracht.«

Mrs. Breidelford war keineswegs die Person, die lange mit jemandem gegrollt hätte, der, wie sie wusste, ihr manchen Nutzen bringen konnte und auch schon manchen gebracht hatte. Sie zeigte sich denn auch zur Versöhnung bereit und sagte nur: »’s ist schon gut, Bill, ich weiß ja, dass Ihr’s nicht böse meint. Aber was, um Gottes willen, habt Ihr Euch denn da für einen erschrecklichen Bart stehen lassen? Der sieht ja grausig aus, die Kinder müssen vor Euch davonlaufen. Nein, geht, Bill, den müsst Ihr Euch wieder abrasieren. Ihr seid ohnedies nicht so hübsch, dass Ihr einen Stock zu tragen brauchtet, die Mädchen abzuwehren. Dabei fällt mir ein, was mein seliger Mann immer sagte. ›Louise‹, sagte er, ›es gibt Gesichter in der Welt‹ …«

»Aber, gute Mrs. Breidelford«, unterbrach sie hier, freundlich ihren Arm ergreifend, Blackfoot. »Sie wissen, um was ich Sie gebeten habe, und ich sitze nun vergebens eine volle Stunde hier und warte darauf. Ich muss wahrhaftig fort, denn erstlich wird Kelly sonst ingrimmig böse, und dann haben wir beide hier ein Geschäft miteinander abzumachen, das ebenfalls keinen Aufschub leidet. Also – wenn es Ihnen möglich wäre …«

»Hat der Mensch eine Eile«, sagte die Dame und fing an, nach etwas zu suchen, das unter einer Unzahl geheimer Falten und Röcke entweder auf Nimmerwiedersehen versteckt oder verloren war. Mrs. Breidelford musste selbst eine solche Vermutung hegen, denn sie fing plötzlich an, sich schnell und ängstlich überall zu betasten. Erschrocken rief sie: »Na, das fehlte mir noch!« Endlich aber fand sie das Gesuchte – ihre Züge heiterten sich wieder auf, ein tiefer Seufzer hob ihre Brust, und sie brachte eine alte braunlederne Tasche mit Stahlbeschlägen zum Vorschein. Diese öffnete sie mit einem kleinen daran hängenden Schlüssel und nahm eine Anzahl Banknoten sowie sorgfältig in Papier gewickelte Geldstücke heraus. »So – hier. Ihr Vampir, der Ihr einer armen, alleinstehenden Witwe das Letzte abnehmt, was sie an barem Geld besitzt«, sagte sie dabei. »Hier, Ihr unersättlicher Kassierer, der so regelmäßig jeden Monat kommt wie Vollmond und Neumond und noch brummt, dass es nicht genug ist.«

»Ja, ja«, sagte Blackfoot lachend, »Euch wär’s schon recht, wir lieferten Euch bloß die Waren und bekümmerten uns weiter nicht darum, was wir dafür bekommen. Das glaub’ ich. Ihr solltet Euch aber wahrhaftig nicht beklagen, denn wenn irgendjemand Nutzen daran hat, so seid Ihr es, und sitzt noch dazu warm und sicher in Helena, während wir draußen in Nacht und Gefahr unser Leben einsetzen.«

»Warm und sicher?«, rief Mrs. Breidelford scharf. »Ihr schwatzt, wie Ihr’s versteht. Sicher! Als ob nicht gestern Abend so ein schlechtes Geschöpf versucht hätte, hier, während ich nur in die Nachbarschaft gegangen war, ein paar Freunde zu besuchen, die mich eingeladen hatten, bei mir mit Nachschlüsseln einzubrechen.«

»Was, bei Euch?«, fragte Blackfoot schnell. »Sollte das nur geschehen sein, um zu stehlen?«

»Nur um zu stehlen, Mr. Blackfoot? Ich dächte, das wäre für eine arme, alleinstehende Witwe genug. Nur um zu stehlen! Jetzt bitte ich Euch, was verlangt Ihr denn sonst noch von einem Dieb oder Einbrecher, Sir? Aber mein lieber seliger Mann hat mir das schon immer gesagt. ›Louise‹, sagte er, ›du hast zu viel Vertrauen, du bist zu gut. Du wirst noch teure Erfahrungen in deinem Leben machen, du wirst noch viel betrogen, noch viel gekränkt werden‹, sagte er, das liebe Herz, was jetzt in seinem kalten Grab liegt. Aber ich kenne das nichtsnutzige Weibsbild, das sich alle mögliche Mühe gibt, in fremder Leute Häuser hineinzukommen. Ich kenne die Landstreicherin, von der niemand weiß, wo sie herkommt und wo sie hingehört. Wenn sie mir nur einmal unter die Augen kommt, wenn sie nur wieder einmal die Frechheit hat, mit ihrer unschuldigen Schafsmiene zu sagen ›Guten Morgen, Mrs. Breidelford‹ dann will ich ihr doch …«

»Und wer ist es? Wer glaubt Ihr denn, könnte irgendeine Absicht gehabt haben, Euer Haus zu durchsuchen?«, unterbrach Blackfoot den Wortschwall.

»Lasst’s nur gut sein«, erwiderte die immer noch gereizte Dame. »Ich weiß schon selbst, wo mich der Schuh drückt. Aber so viel ist gewiss, was ich in meiner Kiste habe, danach braucht niemand zu fragen. Ich bin eine ehrliche Frau und bezahle alles, was ich kaufe, mit barem Geld. Woher es die haben, von denen ich kaufe, das kann ich als Lady nicht wissen, das geht mich auch nichts an. ›Louise‹, sagte mein Seliger immer, ›kümmere dich um deine eigenen Angelegenheiten und nicht um die anderer Leute. Einer Frau ziemt es, häuslich und zurückgezogen zu sein. Das ist es, was uns das zarte Geschlecht so lieb macht‹, sagte mein Seliger, ›und wenn du die eine Schwäche nicht hättest‹ – und die hab’ ich, das weiß ich und halte sie auch für keinen so großen Fehler -, ›so wollte ich dich mancher Frau als Muster hinstellen.‹ Und ich denke, wenn das der eigene Ehemann zu seiner Frau sagt, und das noch dazu, wenn sie miteinander allein sind, da muss es wohl wahr sein und nicht bloß geschmeichelt.«

Blackfoot hatte indessen ruhig das ihm übergebene Geld gezählt und in seine Brieftasche gesteckt, während Bill aufgestanden und ans Fenster getreten war, von dem er einen Teil des Flusses übersehen konnte.

»Hol’s der Henker. Blackfoot«, rief er jetzt. »Wir müssen ans Werk gehen, sonst vertrödeln wir hier die Zeit. Wenn wir die Sache noch heute Abend abmachen wollen, so ist kein Augenblick zu verlieren. Es wäre aber auch vielleicht kein großes Unglück, wenn es morgen früh geschehen müsste. Zwischen der Insel und dem linken Ufer stört uns niemand, noch dazu, wenn Ihr selbst mit an Bord geht. Dann haben wir nicht viel Arbeit und können die Sache rasch und geräuschlos abmachen. Überhaupt will mir das Schießen bei Nacht nicht sonderlich gefallen. Am Tage kümmert sich niemand darum, nachts fragt aber ein jeder, der es hört. Was war das? Wo kam das her? Also, wie wär’s, wenn wir jetzt einmal zu dem Alten hinuntergingen und ihm auf den Zahn fühlten? Es sollte mich schändlich ärgern, wenn er hier einen Käufer fände und uns die ganze schöne Beute vor der Nase weggeschnappt würde.«

»Ich bin dabei«, sagte Blackfoot und stand auf. »Bei unserem Plan bleibt es also, und, Mrs. Breidelford, was unsere Verabredung betrifft, so führt das Boot, von dem ich vorher sprach, ein rot-grünes Fähnchen hinten auf dem Steuerruder. Das Übrige wisst Ihr. Guten Morgen.«

Die würdige Dame schien allerdings keineswegs damit zufrieden, ihre Gäste zu verlieren, ohne vorher genau zu wissen, was sie für Pläne hatten. Die beiden Verbündeten kümmerten sich aber nicht weiter um sie, verließen rasch das Haus und schritten dem Ufer zu.