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Susanne Goga – Die Tote von Charlottenburg

Susanne Goga – Die Tote von Charlottenburg

Leo Wechsler, Kommissar bei der Mordkommission im Berlin des Jahres 1923 und seine Freundin Clara Bleibtreu, schuldig geschiedene Leiterin einer Leihbücherei, verbringen im Sommer des genannten Jahres einen Urlaub auf Hiddensee. Clara lernt dabei eine ausgesprochen interessante Frau kennen, nämlich die Ärztin und Frauenrechtlerin Dr. Henriette Jette Strauss. Die charismatische Ärztin übt auf Clara einen großen Einfluss aus, und diese fühlt sich sofort zu ihr hingezogen.

Freundschaftsbande können die beiden Frauen jedoch nicht knüpfen, ja, nicht einmal ihre Bekanntschaft vertiefen – Henriette Strauss hatte Clara dazu eingeladen – denn die Ärztin stirbt schon im Herbst des Jahres völlig unerwartet in ihrer Wohnung in Berlin-Charlottenburg.

Adrian Lehnhardt, Sohn der Schwester von Henriette und eines Fabrikanten, seines Zeichens Geigenkünstler mit großem Potential, stand seiner Tante sehr nahe. Er glaubt nicht, dass sie so plötzlich tatsächlich an einem Lungenödem infolge einer akuten Lungenentzündung gestorben ist, wie es ihr Arzt, Dr. Behnke, festgestellt hat. Vielmehr vermutet der Neffe Mord, denn der Arzt, der sich sogar deswegen an die Polizei wenden wollte, hat Unstimmigkeiten beim Tod der Ärztin festgestellt.

Also wendet sich Adrian Lehnhardt an Kommissar Leo Wechsler und bittet ihn, im Fall seiner Tante zu ermitteln, die seiner Ansicht nach viel zu gesund lebte, um auf die beschriebene Art zu sterben.

Leo Wechsler jedoch ist das bisher Bekannte zu dünn, um Mordermittlungen einzuleiten, und so ruft er zunächst den Hausarzt der Toten, Dr. Behnke, persönlich an, um ihn zu dem Fall zu befragen. Der alte Arzt gesteht, dass er den Totenschein, der auf natürlichen Tod lautete, trotz großer Zweifel ausgestellt habe, weil er es nicht übers Herz brachte, der trauernden Schwester seinen Verdacht mitzuteilen. Er habe sich aber nach zwei Tagen dazu durchgerungen, die Polizei zu verständigen. Er könne zwar nicht mit Sicherheit sagen, dass es sich im Fall von Henriette Strauss nicht um natürlichen Tod gehandelt habe, habe aber Zweifel daran, dass dabei alles mit rechten Dingen zugegangen sei.

Der Kommissar ist nun hellhörig geworden und veranlasst eine Sektion der Leiche. Der Rechtsmediziner findet schließlich Anzeichen dafür, dass die Ärztin vergiftet worden sein könnte, weiß aber zunächst nicht, um welches Gift es sich handeln könnte, da alle ihm bekannten Gifte andere Symptome hervorgerufen haben müssten, als sie im Fall der Toten zutage getreten sind.

Leo Wechsler und sein Team beginnen also mit den Ermittlungen, wobei sie zunächst im toxikologischen Institut nachfragen, welches Gift infrage kommen könnte. Es dauert nicht sehr lange, bis sie herausbekommen, dass es sich um das Gift einer Pflanze handeln muss, die in Indien vorkommt, das die Tote vor längerer Zeit bereist hat. Wer aber kann in diesem Fall der Täter sein, der doch sehr gute Kenntnisse von Medizin, Chemie und Botanik gehabt haben muss? 

Susanne Goga beschreibt das Berlin der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts sehr authentisch. Die allgegenwärtige Inflation nimmt den Menschen die Luft zum Atmen, sogar Leuten aus der Mittelschicht, wie Kommissar Wechsler und seiner Familie. Auf diesem Nährboden gedeiht die Saat der auf der Straße gegen Juden hetzenden Nationalsozialisten, und es gelingt diesen sogar, Unruhen zu verursachen, in deren Verlauf Juden körperlich angegriffen, ihre Geschäfte verwüstet und geplündert und gar ihre bewaffneten Unterstützer von der Polizei verhaftet werden.

Die im Verlauf der Geschichte sehr intensiv beschriebene Ärztin Henriette Strauss ist eine absolute Ausnahmefrau in dieser noch ausgesprochen stark patriarchalisch beherrschten Gesellschaft des Jahres 1923. Sie studiert gegen alle Hindernisse, die ihr ihre männlichen Kommilitonen und späteren Kollegen in den Weg legen, wird Ärztin und berät die ungewollt Schwangeren. Zudem kämpft sie gegen das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs, das in ihrer Zeit für sehr viel soziales Elend bei Arbeiterfrauen und Alleinerziehenden sorgt.

Außerdem reist sie ins ferne Indien und wird dort zur Buddhistin, ein in jener Zeit ebenfalls – sogar für Männer und erst recht für Frauen – ungewöhnlicher Schritt.

Ihre Schwester, Fabrikantenwitwe, Dame der gehobenen Gesellschaft und Mutter, ist scheinbar das genaue Gegenteil von Henriette, die außerdem noch die Musikalischere der Schwestern ist, was Rose Lehnhardt gerne gewesen wäre, Henriette dagegen nicht viel bedeutete.

Meinen Beschreibungen ist schon zu entnehmen, dass das vorliegende Buch eine ausgezeichnete Studie der beschriebenen Zeit und eine kontrastreiche Schilderung ihrer Personen bietet. Die Charaktere sind sehr differenziert und glaubwürdig beschrieben und in keinster Weise überzeichnet. Die Autorin lässt ihre Personen genau so miteinander kommunizieren und handeln, wie es in diesen Zeiten und Kreisen üblich gewesen sein muss.

Die Art und Weise der Morde ist außergewöhnlich, und es gelingt der Erzählerin zudem, Spannung aufzubauen und den Leser bis zum Schluss zu fesseln.

Fazit:

Zusammenfassend ist über Die Tote von Charlottenburg von Susanne Goga zu sagen, dass hier das Zusammenspiel von historischen Ereignissen, psychologischen Gegebenheiten der beschriebenen Zeit und spannender Kriminalgeschichte, ebenfalls im Rahmen der damaligen kriminalistischen Möglichkeiten, gelungen ist, ja, meisterhaft betrieben wurde.

Eine Geschichte, die Hand und Fuß hat, gut recherchiert und toll erzählt. Ich möchte sie daher jedem Freund historischer Krimis wärmstens empfehlen.

Die Autorin:

Susanne Goga ist Autorin und Übersetzerin. Sie wurde 1967 in Mönchengladbach geboren, studierte in Düsseldorf das Übersetzen von Literatur und hat seit 1995 circa siebzig Bücher aus dem Englischen und Französischen übersetzt.

Seit 2001 schreibt sie historische Romane, darunter auch historische Krimis.

Sie erhielt diverse Auszeichnungen wie den DeLia-Literaturpreis für den besten deutschsprachigen Liebesroman und den Goldenen Homer für den besten historischen Kriminalroman.  Zudem war sie im Herbst 2007 Writer-in-residence an der Universität von Exeter und wurde 2013 an die Universität Breslau und 2014 an die Universität Zielona Góra in Polen eingeladen.

Die Schriftstellerin lebt mit ihrer Familie in Mönchengladbach.

Quellen:

Bilder:

  • Cover des Romans. Mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Taschenbuch Verlags.
  • Foto der Autorin. Copyright: Myriam Topel. Ebenfalls mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Taschenbuch Verlags.

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