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Der Marone – Die Berufung Accompongs

Der-Marone-Zweites-BuchThomas Mayne Reid
Der Marone – Zweites Buch
Kapitel 31

Die Berufung Accompongs

Der Nachen war bald in Bewegung gesetzt und kehrte mit Cynthya, im Vorderteil sitzend, zurück. Sie hatte, wie früher, einen Korb bei sich, der mit Esswaren und der nicht vergessenen köstlichen Rumflasche gefüllt war.

Wie früher auch, folgte sie dem Myalmann in seine Hütte, trat aber diesmal mit etwas mehr Selbstvertrauen ein und setzte sich unaufgefordert auf die Bambusbettstelle hin.

Dennoch war sie keineswegs ganz ohne Furchtgefühl, wie sich an einem leichten Zittern bemerken ließ, das sie ergriff, als ihre Augen sich auf die erst kürzlich gefüllte Flasche wandten, die so hingestellt war, dass sie dieselbe gleich sehen musste. Die auf sie gerichteten Blicke verrieten, dass sie wohl schon vorher einiges über ihren Inhalt wusste, auf alle Fälle aber ahnte.

»Das ist die Flasche für dich«, sagte der Myalmann, der ihren Blick bemerkte, »und diese hier«, fuhr er fort und zog die Flasche aus Cynthyas Korb hervor, »diese ist gewiss für …«

»Mich«, wollte er gewiss sagen, doch bevor er dies Wort herausbrachte, hatte er schon den Hals der Rumflasche in den Mund gesteckt und das Gluckgluck der verschluckten Flüssigkeit wurde anstatt des mich vernommen.

Das gewöhnliche Humm beendete diese wichtige Verrichtung und öffnete seinen Schlund wieder. Dann gab er Cynthya durch eine Handbewegung zu verstehen, dass er nun bereit sei, das ernsthaftere eigentliche Geschäft der Zusammenkunft zu beginnen.

»Die Flasche da«, sagte er und zeigte dabei auf die, welche sein Gekochtes enthielt, »das ist der Obiahzauber. Er bewirkt, dass Cubina dich liebt, solange auf seinem Kopf noch ein Schopf Haare sind, und das, denke ich, wird lange genug für dich sein.«

»Ist das wirklich der Liebeszauber, von dem Ihr gesprochen habt?«, fragte die Mulattin mit einem Gesicht, in welchem sich Hoffnung im Kampf mit Zweifeln abspiegelte.

»Der Liebeszauber? Nein – das gerade nicht. Der Liebeszauber ist etwas ganz anderes, der ist in der Form einer Salbe. Hier! Ich habe ihn in eine Kokosnussschale getan.«

Dies sagend, erhob Chakra seine Hand und zog aus einer Spalte im Stroh des Daches eine Kokosnussschale hervor, in der sich anstatt ihres weißen geronnenen Saftes ein rötlicher Teig befand, der einem Brei aus der Frucht des Mammaibaumes glich, der es auch wirklich war.

»Das ist der Liebeszauber!«, fuhr der Obiahmann mit triumphierendem Ton fort. »Das ist für Cubina!«

»Ah, das soll Cubina nehmen?«

»Gewiss soll er es, er muss es nehmen, ich will es ihm selbst geben und dann wird er in dich wie vernarrt sein. Du liebst ihn und er liebt dich wieder, gerade wie zwei Turteltauben im Frühjahr! Humm!«

»Guter Chakra, seid Ihr auch gewiss, dass es Cubina keinen Schaden tut?«

Diese Frage zeigte deutlich, dass die Eifersucht der Mulattin noch nicht den Höhepunkt blinder und wahnsinniger Rachsucht erreicht hatte.

»Nein«, antwortete der Myalmann, »es tut ihm gut, es tut ihm gewiss gut, wie sonst nichts auf der Welt. Nun aber höre, Cynthy. Mädchen«, fuhr er fort und richtete die Augen auf die Flasche. »Das hier ist für den alten Custos zu Willkommenberg, nimm es und lege die Flasche in deinen Korb.«

Das Mädchen gehorchte, obwohl ihre Finger zitterten, als sie die Flasche berührten, die den geheimnisvollen Zaubertrank enthielt.

»Und was soll ich nun damit tun, Chakra?«, fragte sie unschlüssig.

»Was damit zu tun ist? Das habe ich dir eigentlich schon gesagt. Du gibst es deinem Herrn, deinem und meinem Feind.«

»Aber was ist es?«

»Warum fragst du danach? Ich sagte dir ja schon, es sei der Totenzauber.«

»O, Chakra! Ist es Gift?«

»Nein, du Närrin! Wenn es Gift wäre, würde es den Buckra geradezu töten. Es tötet ihn aber nicht, es macht ihn nur krank, und freilich, dann kann er vielleicht sterben. Das ist kein Gift! Willst du es ihm nicht geben?«

Das Mädchen schien zu zögern, als ob noch einige Funken einer besseren Natur in ihrer Seele aufblitzten. Waren solche wirklich noch vorhanden, so erloschen sie doch bald.

»Willst du es ihm nicht geben?«, wiederholte der Versucher und fuhr dann in drohendem Ton fort: »Wenn du es ihm nicht geben willst, wenn du dich weigerst, Mädchen, dann wende ich den Liebeszauber gar nicht auf Cubina an. Ja noch mehr, ich will den Obiahzauber auf dich hinlenken, auf dich selbst!«

»O nein, nein, Chakra!«, schrie sie, sank auf die Knie und wand sich flehend vor den Füßen des Koromantis. »Ich weigere mich nicht, ich will es ihm geben, ich will alles tun, was Ihr befehlt.«

»Ganz gut, das ist recht von dir, Cynthy! Nun will ich die Anweisung geben, wie du den Zauber anwenden sollst. Merke jetzt wohl auf und präge dir alles gut ein, was ich dir sage.«

Mit diesen Worten setzte sich der schreckliche Zauberer gerade vor seine folgsame Schülerin und heftete seine Augen fest auf die ihren, als wolle er ihr dadurch seine Worte besser ins Gedächtnis prägen.

»Nun sag’ mir zuerst, ob der Buckra von Willkommenberg nicht jede Nacht, bevor er zu Bett geht, ein Glas mit Rumpunsch zu sich nimmt? Ich glaube, er nimmt gewöhnlich eines, nicht wahr?«

»Ja, gewöhnlich«, antwortete die Mulattin mechanisch.

»Das ist eine von den Gewohnheiten, die weder ein Weißer noch ein Schwarzer so leicht aufgibt. Jede Nacht, sagst du?«

»Ja, jede Nacht. Ein Glas, zuweilen auch zwei.«

»Nun, das ist ganz gut. Und nun, Mädchen, sag’ mir, wer mischt gewöhnlich das Getränk? Tust du das nicht in der Regel, Cynthy?«

»Es ist stets meine Beschäftigung. Ich mache das Getränk jede Nacht für ihn.«

»Gut, das ist die Hauptsache. Humm! Nun weiß ich’s, wie wir ihm den Obiahzauber beibringen. Siehst du dies hier? Es ist die Schere eines Gebirgskrebses. Siehst du die Schramme da inwendig drin? Nun, bis zu diesem Zeichen, das ist gerade das rechte Maß. Jede Nacht, wenn du den Punsch machst, füllst du aus der Flasche so viel, bis dahin. Du nimmst wie gewöhnlich Zucker, Zitronen, Wasser und Rum, der viel stärker schmeckt als das Wassers aus dieser Flasche. Dann gießt du den Zauber dazu, so viel wie ich dir schon gesagt habe. Verstehst du mich und willst du alles merken, was ich dir gesagt habe?«

»Alles will ich gut im Gedächtnis behalten«, erwiderte das Mädchen mit großer Festigkeit in der Stimme, die größtenteils nur angenommen war, weil sie sich fürchtete, irgendeine Unentschlossenheit zu verraten.

»Wenn du nicht alles ordentlich machst, dann dreht sich der Zauber um und wirkt auf dich selbst. Wenn der Obi einmal in Wirksamkeit ist, so steht er nicht still und hört nicht eher auf, als bis er sein Opfer erfasst hat. Nun will ich Gott Accompong anrufen. Er kommt, wenn Chakra ihn ruft, und erscheint dann in dem Schaum des Wasserfalles dort. Aber es darf ihn kein Sterblicher rufen, wenn nicht einer als Opfer für ihn stirbt. Bleib du nur hier drinnen, der Gott will keine Frau sehen. Du hörst zu und wirst seine Stimme hören.«

Hierauf stand der Myalmann mit geheimnisvoller Miene auf, nahm eine alte Tasche aus Palmblättern vom Nagel, worin sich etwas Schweres zu befinden schien, ging aus der Hütte und schloss die Tür hinter sich zu, weil sonst, so sagte er der Mulattin mit leiser Stimme, der Gott sie sehen und darüber in Wut geraten könne.

Cynthya schien diese Vorsicht noch nicht für genügend zu halten, denn im selben Augenblick, wo die Tür geschlossen wurde, schlich sie sich zu dem Licht und löschte es aus, damit der eifrige und gestrenge Gott sie ganz gewiss nicht erblicken könne. Dann tappte sie zu der Bettstelle zurück, sank auf dieselbe hin und saß nun erwartungsvoll da, zitternd und schaudernd bei dem Gedanken an die unmittelbare Nähe des übernatürlichen Wesens.

Ganz, wie der Myalmann es ihr anbefohlen hatte, horchte sie und ganz, wie er es vorhersagte, hörte sie, wenn auch vielleicht nicht gerade die Stimme Accompongs, so doch jedenfalls Töne, die in Wahrheit würdig waren, aus dem Mund jener äthiopischen Gottheit hervorzukommen.

Zuerst vernahm sie eine Stimme, die sie als eine menschliche erkannte, da es die Stimme Chakras selbst war. Dennoch war auch diese schon sonderbar und fast übernatürlich tönend, da sie sich jeden Augenblick veränderte. Doch dann schallte es durch die Zwischenräume der Bambusstäbe wie eine Art langgezogenen und getragenen Gesanges, gleich als beginne der Myalmann seine Zeremonien mit den feierlichen Versen eines Psalms. Jetzt wurde der Gesang schneller und lebendiger, so wie er sich auch zu größerer Stärke erhob, fast nahm er hierbei die Weise eines begeisterten Rezitativs an. Doch gleich darauf erschallten wieder hier von gänzlich verschiedene Töne, die fast mehr dem dumpfen Brummen eines Kuhhorns oder einer Schneckenmuschel glichen und nach und nach in einem tiefen Bass verhallten, der dem Ächzen einer zerrissenen Posaune ähnlich war.

Nachdem dies einige Zeit fortgedauert hatte, folgte ein Zwiegespräch, in dem die Zuhörerin nur eine der Stimmen zu erkennen vermochte, nämlich die Chakras.

Wer mochte die andere Stimme sein? Nur die des Gottes Accompong. Der Gott war leibhaftig in ihrer Nähe.

Cynthya zitterte bei dem Gedanken, dass ihr der Gott jetzt so nahe sei. Wie glücklich schätzte sie sich, das Licht ausgeblasen zu haben! Wenn es noch brannte, wie leicht konnte sie gesehen werden, denn sowohl Chakra als auch der Gott standen außen vor der Tür, und zwar so nahe, dass sie nicht nur ihre Stimmen unterscheiden konnte, sondern sogar selbst die Worte, die gesprochen wurden.

Einige von diesen waren in einer ihr unbekannten Sprache und nicht zu verstehen. Andere waren englisch oder vielmehr größtenteils in halb verdorbenem Englisch, in der Negersprache. Diese verstand sie ganz wohl und ihr Sinn war keineswegs der Art, um sie zu beruhigen.

Chakra sang:

»Öffne die Flasche, gieß aus den Saft,
Der Zauber schafft mit aller Kraft,
Der Buckramann muss sterben!«

»Muss sterben!« wiederholte Accompong mit dumpf erschallender Stimme, als käme sie aus dem Innern eines großen Fasses.

»Das gelbe Mädchen ihm gibt den Trank,
Er macht ihn starr, er macht ihn krank,
Er sendet ihn bald in’s Grab!«

»Ins Grab!« ertönte die Antwort Accompongs.

»Und will es das gelbe Mädchen nicht tun,
So schreitet sie in des Buckras Schuhn,
Muss selber hinab in Buckras Grab!«

»Buckras Grab!« wiederholte es aus dem Munde des afrikanischen Gottes mit fester und nachdrücklicher Stimme, die deutlich verkündete, welches Geschick hier zur Macht stände.

Jetzt trat ein kurzer Augenblick des Schweigens ein und dann erschallte abermals ein dumpfer, aus einer Muschel kommender langgezogener Ton, gerade wie zuvor, der mit einem gellenden, kreischenden Pfiffe endete.

Mit diesen Tönen entfernte sich der Gott wieder, wie er früher, bei denselben Tönen angerufen, sich genähert hatte.

Hiermit war die große und feierliche Zeremonie beendet, denn gleich danach riss Chakra die Tür der Hütte auf und stand im Eingang.

»Cynthy, Mädchen!«, sagte er ernst und mit geheimnisvollem Blick. »Warum hast du das Licht ausgeblasen? Aber das ist ganz, gleich. Hast du den Gott reden hören?«

»Ja, ich habe«, murmelte die Mulattin leise, noch zitternd und erschüttert von dem, was sie gehört hatte.

»Hast du gehört, was der Gott sagte?«

»Ja, ja!«

»Er spricht die Wahrheit, die reine Wahrheit! Drum nimm dich in acht, ich rate es dir als Freund. Der Zauber ist jetzt gewoben und wenn du ihn nicht ausführst, so ist dein Leben nicht so viel wert wie ein Abfall vom Zuckerrohr. Mehr will ich nicht sagen. Jede Nacht ein Glas, die Krebsschere voll bis zum Zeichen. Nun, Mädchen, komm jetzt mit.«

Diese Aufforderung wurde umso schneller befolgt, als das Mädchen nur zu froh war, einen Platz verlassen zu dürfen, dessen Schrecken ihren Mut aufs Tiefste erschüttert hatte.

Sie nahm deshalb sofort den Korb, in welchen die das gefährliche und verhängnisvolle Getränk enthaltende Flasche schon längst hineingelegt war, verließ die Hütte und folgte abermals dem Koromantis zu seinem Nachen.

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