Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

John Tanner – Das Leben eines Jägers Anhang V

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Anhang
5. Musik und Poesie der Indianer

Wir betreten nun ein sehr unfruchtbares Feld, das für Untersuchungen geringe Ausbeute gibt. Die Indianer haben keine Schriftsprache, damit also auch keine Bibliotheken und Archive. Sie haben niemals, wie doch die Araber es getan haben, daran gedacht, dass der Anbau der Nationalsprache ein sehr wichtiger Gegenstand sei. Wenn ihre Redner auch zuweilen Gelegenheit hatten, sich davon zu überzeugen, welchen Eindruck eine glückliche Wahl des Ausdrucks macht, so mussten sie sich doch im Allgemeinen stets ihrem Zuhörerkreise anbequemen. Sie suchten deshalb auch stets mehr durch Ausdruck der Bewegung und Wärme des Tones zu wirken als durch gewählte und elegante Sprache.

Ihre religiösen und kriegerischen Gesänge bestehen fast ohne Ausnahme aus einer Anzahl von Worten oder kurzen Redensarten, welche stets wiederholt werden. In ihren Anreden entwickeln sie weitläufig ein und denselben Gedanken, welchen sie häufig wiederholen. Wer einen indianischen Redner sprechen hört, ohne die Sprache zu verstehen, wird natürlich annehmen, seine Rede sei voll Sinn und Verstand. Aber sie sind, gleich den langweiligen und über alle Maßen eintönigen Gesängen, so dürftig und arm, dass ein weißer Mann sie nur mit Überdruss anzuhören vermag. Indessen sind sie für den Charakter des Volkes bezeichnend und liefern manchmal eine nicht uninteressante historische Nachricht.

(Der amerikanische Verfasser spricht hier die Ansicht aus, dass die Indianer, gleich allen übrigen Völkern, aus Asien abstammen, ohne jedoch Gründe für dieselbe beizubringen. Er gibt aber zu, dass man wohl schwerlich jemals dahin gelangen werde, auf eine unwiderlegbare Weise den Zug, welchen die Auswanderung aus Asien nach Amerika genommen habe, nachweisen zu können. Dann fährt er fort:)

Es ist wahrscheinlich genügende Evidenz vorhanden, um die meisten Menschen zu überzeugen, dass die Eingeborenen der Zentralgegenden Nordamerikas, wie verschieden auch gegenwärtig ihre Mundarten sein mögen, wirklich von ein und demselben Stamm sind mit den Peruanern, den Mexikanern und den Natchez. Zwischen diesen und den alten Bewohnern Griechenlands und Italiens sowie einem Teil der jetzigen Bevölkerung Ostindiens, welche sich zum Brahmanismus bekennt, ist auf unwiderlegbare Weise schon eine Verwandtschaft dargetan worden.

Die indianischen Sagen sprechen von Verwandlungen vieler Bäume, Pflanzen überhaupt, Tiere und anderer Gegenstände, welche mit dem Aberglauben, von welchem wir bei den römischen Dichtern so viele Spuren finden, große Ähnlichkeit haben. Es kommen zum Beispiel bei den Amerikanern Anspielungen auf eine allgemeine Überschwemmung vor und manches andere, dessen in den mosaischen Urkunden gleichfalls erwähnt wird. Aber daraus darf man nicht schließen wollen, dass die Indianer von den Juden abstammen.

Die Poesie der Indianer, wenn man überhaupt das Vorhandensein einer solchen annehmen darf, ist eine Sprache der Seele und ein Ausdruck der Leidenschaft. Wenn alles, was diese Merkmale darbietet, wenn man Sprache, die sich über den gewöhnlichen Unterhaltungston erhebt, wenn alles, was gesungen wird und gesungen werden kann, Poesie ist, dann lässt sich nicht in Abrede stellen, dass die Indianer Dichtkunst und Dichter in Menge haben. Aber von Silbenmaß und Tonfall, Kunst und Eleganz, Verhältnis und Harmonie der Perioden haben sie keine Ahnung. Sie begleiten ihre Poesie mit einer Art von Modulation der Stimme, die man im Notfall als Gesang betrachten kann.

Bei allen Festen und bei religiösen Feierlichkeiten werden ihre Hymnen und Gebete an die Gottheiten stets abgesungen. In Zeiten der Gefahr und des Elends , wenn Hunger drohte, wenn der Tod unter einer schrecklichen Gestalt nahte, dann drückt der Indianer seine Angst und überhaupt alle Gefühle, welche ihn bewegen, in einem langsamen, eintönigen Gesang aus, in welchem die häufige Wiederholung ein und desselben Wortes vorkommt. Aber auch die Liebe, Triumph über den Feind, Zorn, Hoffnung, Trunkenheit treiben ihn zum Gesang. Bei einigen Stämmen lassen die Männer, und noch mehr die Frauen, wenn sie berauscht sind, die ganze Nacht Klagegesänge über den Tod ihrer Eltern oder andere Unglücksfälle ertönen. Hört man diese Lamentationen, wenn Dunkelheit die Sängerinnen dem Blick entzieht, und Entfernung die rauen und kunstlosen Töne etwas mildert, dann findet man etwas Rührendes in diesen improvisierten Klagen. Die Stimmen sind nicht selten sehr schön, die Worte stets wahr, ausdrucksvoll und natürlich. Aus der großen Anzahl ihrer Klagegesänge und den Tränenergießungen, welche bei den Indianern eine Folge des Rausches sind, könnte man schließen, dass ihr Dasein mit mehr Leiden und Entbehrungen verbunden ist, als das bei anderen Völkern, oder dass der übermäßige Genuss starker Getränke auf sie in ganz anderer Weise wirkt.

Man kann wenigstens aus diesem Umstand den Schluss ziehen, dass sie im Zustand der Nüchternheit sich nicht ganz offen geben, dass sie eine Maske tragen. Wer genauer mit den Indianern bekannt ist, weiß gar wohl, wie sie sich bemühen, ihre inneren Regungen zu verbergen, und wie erfahren sie in der Verstellungskunst sind. Ihr Schluchzen und Toben während des Rausches aber wird selbst ihr eifrigster Bewunderer nicht für Poesie ausgeben wollen. Wenn etwas bei ihnen diese Benennung verdient, so sind es die Sagen enthaltenden Gesänge, welche der Sohn vom Vater lernt, die von einem Mann dem anderen mitgeteilt und oft gegen Pelzwerk verkauft werden. Diese singt man bei festlichen Gelegenheiten ab. Wir bezweifeln nicht, dass manche dieser Gesänge, so wie viele andere, welche sich auf Jagdmedizin und Krankenheilung beziehen, aus sehr fernen Zeiten stammen. Aber ihr poetischer Wert ist nichtdestoweniger ein sehr geringer.

Die Art und Weise, womit sie durch Zeichnungen ihrem Gedächtnis zu Hilfe kommen und allerlei bildliche Zusammenstellungen machen, kann man vielleicht als einen, freilich sehr entfernten Versuch betrachten, eine Schriftsprache zu bilden. Man darf aber aus dem Umstand, dass sie unter der gegenwärtigen Gestalt überhaupt vorhanden ist, noch nicht schließen wollen, dass, wenn sie niemals mit einem anderen Menschenstamm in Berührung gekommen wären, Wissenschaften oder Künste jemals bei ihnen hätten gedeihen können.

Es lässt sich durchaus nicht ableugnen, dass die Eingeborenen Amerikas entweder wegen ihres Temperaments oder aus irgendeiner anderen physischen Ursache oder aus natürlichem Hang ein weit weniger rühriger und regsamer Menschenschlag sind als die Europäer. Sie können also nur sehr langsam in ihrer Entwicklung fortschreiten oder sind vielmehr, gleich manchen Asiaten, dazu bestimmt, Jahrhunderte lang stationär auf ihrer Zivilisationsstufe zu verharren oder wohl gar rückwärts zu schreiten.

Damit wollen wir nicht geradezu behauptet haben, dass die Amerikaner eine tieferstehende Rasse sind. Als Haupthindernis, weshalb sie nicht fortschreiten, muss man wohl die ihnen geistig wie körperlich zur Gewohnheit gewordene Indolenz betrachten. Sie ist Ursache, dass sie weder zu augenblicklicher Inspiration aufgeregt werden, noch sich zu einem fortgesetzten, anhaltenden Nachdenken bequemen. Zuweilen überwindet der Hunger diese körperliche Indolenz, sie verschwindet wenigstens manchmal auf einige Zeit. Im Allgemeinen aber liegt im Charakter des Indianers ein Streben nach Ruhe. Beispiele von beweglichen Geistern fehlen freilich nicht durchaus, sind und bleiben aber doch sehr selten.

Die Geschichte der Indianer liefert das deutlichste Zeugnis von dieser Disposition zur Indolenz. Sie ist Ursache, dass, trotz aller Bemühungen von Seiten der Europäer, Kenntnisse, Gewerbe und Zivilisation unter den Rothäuten keinen Fuß fassen konnten. Die Jesuiten und Herrnhuter mögen bei ihren Versuchen, die Indianer zu bekehren und zu zivilisieren manches verkehrt angefangen, und vielleicht mit dem angefangen haben, womit sie eigentlich hatten aufhören sollen. Nichtsdestoweniger haben sich die Missionare mit den Indianern so große Mühe gegeben, dass bei größerer Fassungskraft dieser Letzteren gewiss die Zivilisationsbestrebungen hätten Früchte tragen müssen, was keineswegs der Fall gewesen ist. Wir wollen keineswegs durch diese Bemerkungen wohlmeinende Männer, welche damit umgehen, das Christentum unter den Rothäuten zu verbreiten, entmutigen. Im Gegenteil, wir sind überzeugt, dass solche Bemühungen den Indianern stets einigen Nutzen bringen werden. Auch erfordert es die Gerechtigkeit, dass man sich ihrer nun endlich einmal mit Ernst annehme.

Das Beispiel der Cherokee und einiger anderer Stämme im Süden beweist hinlänglich, dass unter dem Einfluss eines milden Klimas und auf einem fruchtbaren Boden, diese Völker doch an regelmäßige, wenn nicht auch ein geistiger Fortschritt unter ihnen nicht außer dem Bereich der Möglichkeit liege. Denn unter ähnlichen Verhältnissen wie jenen der Cherokee würden auch andere Stämme zu einer ähnlichen Gesittungsstufe gelangen.

Die Sprachforscher und spekulativen Theoretiker mögen nach Belieben klassifizieren und abteilen. Der ausdauernde und aufmerksame Beobachter, welcher in engem und vielfachem Verkehr mit den Indianern in den fruchtbaren Niederungen am Mississippi, auf den weiten , lieblichen Flächen am Arkansas und dem Red River, in den Wäldern am oberen Mississippi, und unter den Fichtengehölzen am Oberen See gelebt hat, ist überzeugt, dass die Urbewohner auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten alle zu derselben Familie gehören. Das geht nicht nur aus ihrer physischen Konstitution, sondern aus der Disposition ihres Geistes, aus ihrer Art und Weise zu denken und zu handeln, aus so vielen anderen Einzelheiten und Eigentümlichkeiten hervor, welche man nur bei ihnen findet und wodurch sie sich von den übrigen Menschen unterscheiden.

3 Antworten auf John Tanner – Das Leben eines Jägers Anhang V