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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Marone – Der Fellahfürst

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 8
Der Fellahfürst

Auf dem Hinterdeck des Sklavenschiffes stand ein Mann von besonderem Aussehen, ganz verschieden nicht nur von den die Schiffsmannschaft bildenden Weißen, sondern auch von den die Ladung ausmachenden Schwarzen, Gelben und Braunen.

Sein Anzug, seine Haltung und manche andere geringere Umstände kündeten an, dass er weder zu den einen noch zu den anderen gehörte.

Er war gerade aus der Kajüte gekommen und begab sich zum Hinterdeck.

Da er aus der ersten Kajüte kam, konnte er keiner von den Ballen Menschenware sein. Und doch ließen sein Anzug und sein Gesicht nicht die Annahme zu, dass er zu der Mannschaft des Sklavenschiffes gehörte. Alles an ihm deutete afrikanischen Ursprung an, obgleich seine Gesichtszüge gerade keinen stark ausgeprägten afrikanischen Typus trugen. Viel eher wären sie wohl asiatisch oder richtiger noch arabisch gewesen. Fast waren sie ganz europäisch, aber die Gesichtsfarbe widersprach vollkommen jeder Annahme, dass dieser Mann irgendeiner europäischen Nationalität angehören könnte. Die Farbe seiner Haut war die einer hellen florentinischen Bronze mit einem Anflug von Kastanienbraun.

Er schien ungefähr achtzehn oder neunzehn Jahre alt zu sein, war hoch und wohl gewachsen und mit folgenden Merkmalen ausgestattet: schöne gewölbte Augenbrauen, frei sehende, seelenvolle, doch rundliche Augen, eine nur wenig adlerartig gekrümmte Nase, dünne, wohlgeformte Lippen, weiße Zähne – noch weißer durch den dunklen Schatten auf der Oberlippe, – und über alles ein prächtiger Kopfputz von schönen rabenschwarzen, leicht gelockten, aber in keiner Weise wolligen Haar.

In nichts unterschied er sich von den dunkelhäutigen Unglückseligen des Schiffsraumes als in seiner Kleidung. Während von diesen kein Einziger irgendeine Bedeckung seines Leibes besaß, war er dagegen prächtig gekleidet, und nur sein Gesicht, sein Hals, seine Arme und seine Beine vom Knie bis zum Knöchel waren unbedeckt. Eine Art ärmelloser Tunika von gelber Seide, mit einer Borte, die kurz unter seinen Knien aufhörte, war um seinen Leib mit einer Schärpe von karmesinrotem chinesischem Krepp gebunden, deren herunterhängende Enden mit goldenem Fransenwerk verziert waren.

Über die linke Schulter war leicht eine andere Schärpe von blauem Burnustuch geworfen, die den Arm, über welchen sie hing, verhüllte, während halb unter der Gewandung verborgen ein Scimitar in einer reich mit getriebener Arbeit versehenen Scheide und mit einem Griff von geschnitztem Elfenbein wahrgenommen wurde. Ein Turban auf dem Kopf und Sandalen aus Corduanleder an den Füßen vervollständigten seine Bekleidung. Ungeachtet des asiatischen Charakters seiner Gewandung und der Ähnlichkeit ihres Trägers mit den als Laskaren bekannten Ostinder war er doch ganz sicher ein Afrikaner, wenn auch nicht von jener Körperbildung, die wir gewöhnlich mit dem Worte verbinden. Er war von einem gänzlich von den Schwarzen verschiedenen Volk – von der großen Nation der Fellahs – einem Volk von kriegerischen Schäfern, deren Land sich von den Grenzen Darfurs bis an die Küsten des Atlantischen Meeres erstreckt – den Herren von Sockatu und Timbuktu – jenen fanatischen Anhängern des falschen Propheten, die den Tod Laings vollführten und Mungo Park auf der Quorra ermordeten. Von welchem Stamm war der Mann, der auf dem Hinterdeck des Sklavenschiffes stand?

Er war nicht allein. Drei oder vier andere waren bei ihm, die auch sehr verschieden von den elenden und bemitleidungswürdigen Geschöpfen im Schiffsraum sich ausnahmen. Indes zeigten ihre Kleider von gewöhnlicheren Stoffen sowie andere Merkmale, dass sie niedriger im Rang und seine Diener waren.

Die unterwürfige Miene, mit der sie auf ihn sahen und die wachsame Aufmerksamkeit auf jeden Blick und jede Bewegung verrieten den steten Gehorsam, an den sie gewöhnt waren. Während die Turbane, die sie trugen, so wie die Art und Weise der Begrüßung orientalischen und sklavischen Gehorsam bezeugten.

Zu der vornehmen Kleidung des jungen Mannes kam noch ein gewisser Stolz in seinen Gesichtszügen hinzu, die deutlich sagten, dass er eine Person von hohem Rang, vielleicht der Häuptling eines afrikanischen Stammes war.

Und so war es auch in der Tat. Er war ein Fellahfürst von den Ufern des Senegal. Dort freilich würde weder seine Gegenwart noch sein Äußeres mehr als eine vorübergehende Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, aber auf der anderen Seite des Atlantischen Ozeans, an Bord eines Sklavenschiffes, forderte er die lebhafteste Neugierde heraus.

Soviel war klar, er gehörte nicht in dieselbe Kategorie wie seine unglücklichen, zu ewiger Gefangenschaft verdammten Landsleute in den Zwischendecks. Keine Zeichen verrieten, dass er als Gefangener behandelt wurde.

Was war es dann, was ihn an Bord des Sklavenschiffes geführt hatte? War er ein Reisender? Und in welcher Beziehung stand er zu dem ihn umgebenden Volk?

Solcher Art, obgleich wohl anders ausgedrückt, waren die dringenden Fragen des Sklavenhändlers, als er vom Vorderdeck zurückkehrte, wo er die Fracht vollständig besichtigt hatte, und seinen Blick zum ersten Mal auf den jungen Fulani fiel.

»Hilf meinen Augen, Captin Showler!«, schrie er, beide Hände aufhebend und versteinert vor Verwunderung auf die beturbanten Männer auf dem Hinterdeck blickend. »Hilf meinen Augen!«, wiederholte er; »was ist das alles? Hilf mir Gott! Die Kerle sind keine Sklaven, nicht wahr?«

»Nein, Herr Jessuron, nein, sind keine Sklaven, ganz und gar nicht. Sind schöne, hübsche Leute in Samt und Seide, ist selbst Eigentümer von Sklaven. Das da ist ein Fürst.«

»Was sagt Ihr da, Captin Showler? Ein Fürst?«

»Ihr wundert Euch darüber, nicht wahr? Meint Ihr, es wäre das erste Mal, dass ich einen afrikanischen Fürsten als Passagier habe? Das da ist Seine Königliche Hoheit der Fürst Cingues, Sohn des Großsultans von Foutatoro. Die anderen Burschen, die Ihr da bei ihm seht, sind seine Diener, diensttuende Höflinge. Der da mit dem gelben Turban führt den goldenen Stab, der da in Blau den Silberstab, und die anderen Burschen sind Kammerdiener, glaub’ ich.«

»Sultan von Foutatoro!«, rief der Sklavenhändler aus, indem er verwundert seinen blauen Regenschirm in die Höhe hielt. »König der Kannibaleninseln! Wahrhaftig, ein guter Spaß, Captin Showler! Aber, ernsthaft nun, Freundchen, weshalb habt Ihr all’ das Fleisch so herausgeputzt? Wollt kein schwarzes Haar mehr auf dem Markt kaufen, könnt ich das da haben.«

»Aber im Ernst, Freund Jessuron, die sind nicht für den Markt, ich schwör’ Euch, es ist ein wahrhaftiger afrikanischer Prinz.«

»Afrikanische Possen!«, spottete der Sklavenhändler mit ungläubigem Achselzucken. »Kommt, werter Captin, wozu nur all’ die Maskerade?«

»Nichts von dem, alter Freund! Der junge Herr ist wirklich ein Fürst und mein Passagier – nichts mehr und nichts weniger.«

»Helf Euch Gott, ist es wirklich so?«

»Helf mir der Teufel!«, erwiderte der Schiffer nachdrücklich. »Es ist alles, wie ich gesagt habe, Jessuron!«

»Sei meiner Seele gnädig – ein Passagier, sagt Ihr?«

»Ja, und er hat sein Passagegeld gezahlt, auch wie ein Fürst.«

»Was ist denn sein Geschäft? Was will er auf Jamaika?«

»Ah! Das ist eine merkwürdige Geschichte, Freund Jessuron. Ihr werdet sein Geschäft schwerlich ahnen, darauf wett’ ich.«

»Nun, lasst mal hören, Freund Showler.«

»Wohl denn, die Geschichte ist so: Ungefähr vor zwölf Monaten griff eine Armee von Mandingos die Hauptstadt des alten Foutatoro an und führte mit anderem Plunder auch eine von seinen Töchtern fort – die eigene Schwester von dem jungen Burschen da. Sie verkauften sie an einen westindischen Händler, der das Mädchen hier nach einer der Inseln brachte, nach welcher, ist nicht bekannt. Der alte Foutatoro meint, die Sklaven kämen alle zu einem Ort, und da er halb närrisch über den Verlust seiner Tochter ist – sie war sein Liebling und eine Art von Hofschönheit – so hat er den Bruder ausgesandt, um sie aufzusuchen und sie zurückzubringen, wer sie auch hier gekauft haben mag. Das ist die ganze Geschichte.«

Der Ausdruck, der sich in der ganzen Haltung des Jessuron während dieser Erzählung zeigte, bewies etwas mehr als ein gewöhnliches Interesse an der Erzählung – etwas mehr als eine bloße Neugierde, obgleich er versuchte, dadurch, dass er so viel wie möglich die Strenge seiner Züge bewahrte, jedes äußere Zeichen von Bewegung zu verhehlen.

»Hilf meiner Seele!«, rief er aus, als der Schiffer zu reden aufgehört. »Wie ich lebe, eine wunderbare Geschichte! Aber wie will er je seine Schwester finden? Eben so gut möchte er eine Nadel in einem Heuschober suchen.«

»Ja, das ist wahr genug«, erwiderte der Sklavenschiffer. »Aber das«, fügte er mit einer Miene stoischer Gleichgültigkeit hinzu, »das ist nicht meine Sache. Mein Geschäft war, den jungen Mann über das Atlantische Meer zu bringen, und ich will ihn wieder mitnehmen in derselben Weise und zum selben Preis, wenn er zahlen kann.«

»Hat er auch einen guten Preis gezahlt?«, forschte Jessuron mit augenscheinlicher Gier auf die Antwort.

»Er zahlte wie ein Fürst, wie ich schon gesagt habe. Seht Ihr da den gelben Mandingoburschen bei der Winde?«

»Ja, ja, ganz wohl.«

»So sind vierzig da, alle gezählt.«

»Ist dies möglich!«

»Zwanzig von ihnen soll ich haben, um ihn über das Meer zu bringen. Preiswert genug, was meint Ihr?«

»Den Teufel, fast geschenkt, Freund Showler. Nun, und die anderen zwanzig?«

»Die sind seine! Die hat er mitgenommen, um sie für die Schwester zu zahlen, wenn er sie findet.«

»Ja, ja, wenn er das Mädchen findet.«

»O, die wird er schon finden.«

»Ah«, rief Jessuron mit einem bedeutungsvollen Schulterzucken aus, »das ist kein leichtes Geschäft, Captin Showler.«

»Beim Christoph Columbus, alter Knabe!«, sagte der Schiffer, offenbar von einem besondern Gedanken ergriffen. »Nun denk’ ich daran, Ihr könntet ihm vielleicht helfen, sie aufzufinden! Ich wüsste keinen, der mehr geschickt wäre, als Ihr, ihn zu steuern, denn Ihr kennt jeden auf der ganzen Insel, so rechne ich. Unbezweifelt, er wird Euch gut für Eure Mühe belohnen. Ich wünsche, dass seine Reise erfolgreich ist. Der alte Foutatoro ist eine meiner besten Vorratsquellen, und wenn das Mädchen aufgefunden und zurückgebracht werden könnte, da weiß ich wohl, dass er beim nächsten Ausflug an die Küste dort alles tun würde, was nur in seinen Kräften steht.«

»Wohl, wohl, werter Captin, ich sehe da eigentlich keine Hilfe und wüsste nicht, was ich für Seine Königliche Hoheit den Fürsten tun kann. Ich bin nicht mehr so auf den Beinen wie früher, aber für Euch will ich tun, was in meinen Kräften steht. Wie Ihr sagt, vielleicht könnte ich was tun, um ihn auf den Weg zu bringen. Wohl, wohl, wir wollen das besprechen. Aber erst lasst uns unser anderes Geschäft besprechen, oder die werden bald alle hier an Bord sein. Zwanzig von ihnen, sagt Ihr, sind sein?«

»Zwanzig von ihnen sind Mandingos.«

»Hat er sonst noch was?«

»Bargeld? Nein, nicht einen roten Heller. Männer und Weiber sind die Taler seines Landes. Er hat die vier Diener, seht Ihr, die sind seine Sklaven wie die anderen.«

»Vierundzwanzig dann im Ganzen. Bei meiner Seele! Was für ein glücklicher Kerl ist dieser Fürst. Vielleicht kann ich doch was für ihn tun. Aber darüber könnten wir wohl in der Kajüte reden und ich möchte wirklich gern etwas trinken, werter Showler.«

»Ha!«, rief er aus, als er beim Umdrehen die vorher erwähnte Gruppe Mädchen erblickte. »Gott sei mir gnädig! Wahrhaftig, hübsche Dirnen sind das! Grade die Art für Kammermädchen.« Mit einem abscheulich gemeinen Blick fügte er hinzu: »Wie viele von der Art habt Ihr aufgegabelt, mein guter Showler?«

»Ungefähr ein Dutzend«, antwortete der Schiffer grinsend. »Einige prachtvolle Mütter unter ihnen, wenn Ihr sie brauchen könnt.«

»Wohl, wohl! – Großer Gott! Ist das eine wertvolle Ladung – eins wie das andere! Nun denn, lasst uns nach unten gehen,« setzte er hinzu, sich an seinen Gefährten wendend. »Was ist in Eurem Schrank? Ich muss was zu trinken haben, ehe ich Geschäfte mache. Hübsche Dirnen, wahrhaftig! Großer Gott, eine wertvolle Ladung, Freund Showler!«

Mit den Lippen schmatzend und mit den Fingern während des Redens schnalzend, stieg der alte Schurke die Treppe hinab, während der Captin des Sklavenschiffes dicht hinter ihm folgte.

Wir wissen nur aus den Folgen die Einzelheiten des Handels, der unten stattfand. Die Verhandlung war eine geheime, wie es ja auch nicht anders sein konnte zwischen zwei solchen verdächtigen Charakteren, einem Sklavenhehler und einem Sklavenstehler.

Das Endergebnis war in der Tat der Anlauf der ganzen Ladung und in so kurzer Zeit, dass, als die Sonne in die See sank, das Gig, der Kutter und das Langboot des Sklavenschiffs in das Wasser gelassen und die Ballen darauf unter der Dunkelheit der Nacht sämtlich ans Ufer gebracht und in der kleinen Bucht gelandet wurden, wo der Nachen des Sklavenhändlers ausgelaufen war.

Dieser Nachen kehrte zur Küste zurück, eine Kabellänge hinterm Kielwasser der anderen Boote. Darin war eine vierte Gestalt, die am Heck saß, dem Besitzer des Bootes dicht gegenüber. Die hellfarbige Kleidung, die selbst in der Dunkelheit über die ruhige, schattige Oberfläche der See leuchtete, machte es leicht, diese Gestalt als den Fellahfürsten wieder zu erkennen. Jessuron und Fürst Cingues – der Wolf und das Lamm fuhren in demselben Boot.