Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Im Gespräch mit Thomas Ziebula

Thomas Ziebula schreibt seit früher Jugend. Sein erstes Buch erschien 1996 bei Rowohlt. Darin erzählt er die Geschichte vom tyrannischen Nashornbullen Nero, der keine gefleckten und gestreiften Tiere in der Savanna dulden wollte und von einer Maus besiegt wurde. Unter dem Pseudonym Jo Zybell schrieb er später vor allem Fantasy – zuletzt den Roman Die Traummeister, erschienen 2011 bei Hoffmann und Campe. Seit 2012 schreibt der Autor unter seinem Klarnamen auch historische Romane, bei Bastei Lübbe erschienen Der Gaukler und Die Hure und der Spielmann.

Geisterspiegel: Hallo Thomas, ich freue mich, dass du Zeit und Lust hast, uns ein paar Fragen zu deiner Person und zu deinen Büchern zu beantworten.

Thomas Ziebula: Hallo, Anke. Mache ich gern. Du hast schließlich auch mein Buch gelesen und besprochen. Vielen Dank übrigens – dass du es als »intensiv« empfunden hast, habe ich als echtes Kompliment gelesen.

Geisterspiegel: Gerade erschienen ist dein zweiter historischer Roman Die Hure und der Spielmann, doch deine schriftstellerischen Tätigkeiten reichen ja viel weiter in andere Genres und bis zu Heftromanen.

Thomas Ziebula: Stimmt. Mein erstes richtiges Buch habe ich 1994 geschrieben. 20 Jahre her! Die Geschichte vom Nashornbullen Nero, damit hast Du mich oben ja schon vorgestellt. Neulich habe ich es mal wieder gelesen: tolle Geschichte, leider immer noch aktuell. Allerdings hab ich mich gewundert, dass Rowohlt eine derart offensichtliche Anfängerschreibe veröffentlicht hat. Glück gehabt. Inzwischen habe ich das gute Stück gründlich restauriert und als nun gut lesbares E-Book veröffentlicht. Titel: Nero Nashorn will bestimmen. Nachdem das Buch 1996 erschienen war, habe ich erst einmal Arztromane, Jerry-Cottons und solche Sachen geschrieben. Und Gedichte, aber dafür geben ja nur Exoten Geld aus.

Geisterspiegel: Wie sieht dein schriftstellerischer Werdegang bisher aus?

Thomas Ziebula: Von 1996 bis heute ungefähr 30.000 Seiten Heftromane, Jerry-Cotton-Taschenbücher, Maddrax, Ren Dhark und dergleichen. Man hört immer wieder den Spruch: »Wer Heftromane verfasst, verdirbt sich seine Schreibe.« Schon möglich – wenn man aufhört zu lernen. Doch dann verdirbt man sich Stil und Schreibe sowieso. Im Rückblick sage ich: Das waren 30.000 bezahlte Übungsseiten.

Geisterspiegel: Daraus folgt natürlich die Frage, wie du überhaupt entdeckt hast, dass Schreiben deine Passion ist …

Thomas Ziebula: Irgendwann ertappte ich mich halt beim Schreiben: Tagebuch, pubertäre Gefühlsergüsse, kleine Verse, Geschichten, und so weiter. Das Unsagbare irgendwie doch wenigstens annähernd zum Ausdruck bringen – ich schätze, das ist es, was mich am Schreiben fasziniert hat. »Passion« ist übrigens ein gutes Wort für das Phänomen »Schreiben« – dabei kann man sowohl an die Leidenschaft etwa für eine geliebte Frau denken, als auch an das schmerzhafte Leiden etwa unter einer Sucht. Und beides trifft ins Schwarze.

Geisterspiegel: Deine zweite Passion vermute ich im Studium der Geschichte. Die Hure und der Spielmann ist randvoll mit geschichtlichen Daten, Fakten und Namen aus dem 30-jährigen Krieg. Was fasziniert dich an dieser Zeit und wo verdammt hast du all diese Informationen zusammengetragen?

Thomas Ziebula: Was du da sagst, erschreckt mich fast ein wenig. Ehrlich gesagt, ich will in einer Erzählung gar keine Fakten zusammentragen; ich will beim Erzählen allerdings größtmögliche Authentizität und eine möglichst dichte (intensive!) Atmosphäre für meine Leser erreichen. Wenn sie beim Nachwort ankommen, sollen sie eine Ahnung von der Zeit haben, in die ich sie entführt hatte, und vor allem das Gefühl, ein paar Stunden mit wirklichen Menschen dieser Zeit verbracht zu haben. Das erreicht man nur durch gründliche Recherche, bilde ich mir ein. Kurz: Dieses »Geschichtsstudium« ist bei mir ganz der Leidenschaft des Schreibens unterworfen. Wenn du allerdings den Eindruck hattest, von Fakten erschlagen worden zu sein, habe ich etwas falsch gemacht und muss in mich gehen.
An der Zeit des 30-jährigen Krieges interessiert mich das Chaos, die Unsicherheit, der Wahnsinn. Diese unfassbare Epoche kommt mir vor, wie ein Feuerofen, in den geworfen der Mensch seinen wirklichen Charakter offenbart – seine Güte und Liebesfähigkeit, oder eben seine Bosheit, Wildheit und Grausamkeit.

Geisterspiegel: Nein, »erschlagen« haben mich die Fakten nicht, ich fand es nur erstaunlich, wie viel geschichtliches Wissen in einem Roman widergespiegelt werden kann. Und das war durchaus positiv gemeint.

Thomas Ziebula: Dann bin ich erleichtert. Danke.

Geisterspiegel: Das Wo hätten wir also geklärt, aber wie bringt man all diese Fakten zusammen? Sich alles zu merken ist meines Erachtens kaum möglich, aber beim Schreiben immer wieder irgendwo nachschlagen, stelle ich mir auch nicht einfach vor …

Thomas Ziebula: Klar, ist ein Kraftakt, aber welche gute Arbeit ist das nicht? Ich verbringe viel Zeit im Netz und in der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe (einer meiner Lieblingsorte inzwischen). Natürlich führe ich Datenblätter u.ä., schreibe auch hin und wieder Exzerpte von Buchkapiteln, die mir wichtig erscheinen. Doch tatsächlich gibt es immer wieder Abschnitte, wo ich ständig nachschlagen muss.
Stimulierender als Fakten sind für meinen Schreibprozess allerdings Bilder – und vor allem das Eigenleben meiner Figuren.
Das »Zusammenbringen« – in diesem Fall von Fiction und Wirklichkeit – ist im Grunde gar nicht so schwer. Der Hirnforscher Gerhard Roth schrieb mal: »Das Gehirn ist ein großer Sinn-Generator.« Alles will es zu jeder Zeit in einen einleuchtenden Zusammenhang bringen. Fakten, Plot, Charaktere und Gefühl fügt es beim Schreiben von ganz allein zu einem großen Ganzen. Man muss ihm nur Zeit lassen, sich viel bewegen, ausreichend schlafen und neben der Fleißarbeit die nach meiner Erfahrung wichtigste kreative Phase durchstehen: Die, in der einem scheinbar nichts mehr einfällt; ich nenne sie »Wüstenphase«. Da schuftet das Hirn des Schreibers, ohne dass er es groß merkt (er spürt höchstens eine gewisse Verzweiflung hin und wieder), also auch nachts und beim Feiern oder Sport. Selbst die Dinge, die man scheinbar vergessen hat, sind ja irgendwo gegenwärtig, und das Hirn fügt alles zu einem Guss zusammen. Und dann ist die Geschichte fertig, und wenn sie gut geworden ist, fragt der Schreiber sich verwundert, wer das eigentlich geschrieben hat.

Geisterspiegel: Fiel es dir schwer, die Grenze zwischen Wahrheit und Fiktion einzuhalten? Oder gibt es doch mehr eigene Interpretationen als Wahrheit?

Thomas Ziebula: Meine Phantasie ist wie ein junger Hund, will immer spielen und losstürmen. Mit der Zeit hab ich gelernt, wie viel Leine ich ihr geben darf, und wann ich sie eng bei Fuß führen muss (nach 30.000 Seiten hat man, was das reine Handwerk betrifft, doch eine gewisse Routine gewonnen). Aber es stimmt schon: Je weniger Fakten mich an die sog. Wahrheit binden, um so freier fühle ich mich beim Schreiben. In Die Hure und der Spielmann etwa kam es meiner Phantasie entgegen, dass vom Dichter Johann Steinmann, einer wichtigen Nebenfigur, nur ein paar Verse und der Ort seiner ersten Veröffentlichung bekannt sind; oder dass man eigentlich nicht genau weiß, woran Christian von Halberstadt wirklich gestorben ist. Wenn ich mich mal nicht an die sogenannte Wahrheit halte, dann gebe ich das im Nachwort zu.

Geisterspiegel: Die Story baut auf Daten und Fakten aus dem 30-jährigen Krieg auf. Die Geschichte der beiden Hauptprotagonisten Kristina und Tonda spielt sich vor der Kulisse des Krieges ab und scheint irgendwie immer zweitrangig zu bleiben. Das verleiht der Geschichte teilweise eine gewisse Abstraktheit, in meiner Rezension schrieb ich von »eher wenig emotional dargestellten Kriegshandlungen«. Für mich der gravierende Unterschied zu diversen anderen »Huren- und Hebammenromanen«. Wie siehst du das selbst?

Thomas Ziebula: Verstehe ich dich richtig? Die Geschichte der Hauptfiguren kam dir zweitrangig vor? Das sehe ich ganz anders. Oder kamen dir die Kriegshandlungen zweitrangig vor? Wie auch immer: Strenger als im Gaukler, meinem ersten historischen Roman, habe ich darauf geachtet, Kriegshandlungen möglichst nicht allzu direkt zu schildern. Die Entwicklung der Figuren und ihre Erfahrungen in dieser entsetzlichen Zeit sollten im Vordergrund stehen. Ich glaube, Krieg und Gräuel sollte man eher indirekt schildern, um sie für den Leser einigermaßen erfahrbar zu machen: durch die Schicksale und Entwicklung der Figuren, durch ihre Sinne, durch Geräusche, Gerüche, Reaktionen, etc.
Kristina, meine weibliche Hauptfigur, sitzt zum Beispiel in einer okkupierten Bauernküche und hört die Leute über das Essen plaudern, weiß aber, dass vor dem Haus gerade ein Mann aufgehängt wird. Sie hört ihn schreien, sieht ihn aber nicht, und plötzlich hört er auf zu schreien, und in der Küche kneift ein Mann einer Frau in den Hintern. Oder Kristina blickt in die kranken Gesichter fiebernder Flüchtlingsmädchen und niemand muss ihr und dem Leser erklären, was den Bedauernswerten widerfahren ist. Oder Tonda, meine männliche Hauptfigur, führt in einer nächtlichen Mühle einigen damals für ihre Grausamkeit berüchtigten Kroaten Puppentheater auf. Plötzlich hört er aus einer dunklen Ecke das Stöhnen und Jammern der gefangenen und geschundenen Müllersleute. Deutlicher muss ein Erzähler eigentlich nicht werden, das Entsetzen kriecht dem Leser auch ohne die Schilderung sog. Fakten ins Hirn – falls er seine Sache gut gemacht hat.
Nackte Fakten wie bekannte historische Ereignisse, Jahreszahlen, Schlachten etc. muss ein Autor natürlich auch bieten, damit der Leser sich orientieren kann. Etwa in Form von Flugblättern, Zeitungssängern, Briefen o.ä.

Geisterspiegel: Nun, ich schrieb, die Geschichte scheint zweitrangig zu bleiben. Ich gebe zu, ich hätte die Frage anders formulieren müssen gerade in Bezug auf andere Romane. Da steht die Lebensgeschichte der Hauptprotagonistin meist im Vordergrund und die Geschichte selbst bietet eine wunderbare Kulisse, um zu zeigen, mit welchen Schwierigkeiten die Frau in früherer Zeit zu kämpfen hatte. Du bettest diese Geschichte vollkommen in die Zeit ein.
Kristinas Geschichte rührt eine Leserin, auch Tondas Schicksal ist ziemlich ergreifend und beide sicher weitab von den Schicksalen, die die meisten Menschen zu jener Zeit ereilt haben. Gab es für die beiden reale Vorbilder, an denen du dich bei ihrer Charakterisierung und Entwicklung orientiert hast, oder sind sie das reine Produkt deiner Fantasie?

Thomas Ziebula: Nein. Weitab? Glaub ich nicht. Kristina lief mir im Gaukler über den Weg, und ich sah sie damals von fern mit den Augen meiner Hauptfiguren: als entwurzelte Frau, die sich als Soldatenhure durchschlägt. Später, für den neuen Roman, kamen biografische und charakterliche Facetten dazu, die ich irgendwo gelesen bzw. auf Gemälden jener Zeit gesehen habe. Ähnlich Tonda. Solche Figuren ergeben sich aus recherchierten Fakten, sind also in einem gewissen Sinne »wahrscheinliche« Figuren mit »wahrscheinlichen« Lebensläufen. Wobei der von den Jesuiten beschlagnahmte Tonda im vom Kaiser eroberten und der Gegenreformation drangsalierten Prag historisch wahrscheinlicher ist als die Schwedin Kristina, die vor einer Zwangsheirat flieht. Doch auch solche Frauen hat es gegeben.

Geisterspiegel: In einer E-Mail hast du beiläufig erwähnt, dass du vielleicht wieder das Genre wechseln würdest. Oben erwähnt und auf deiner Homepage www.thomas-ziebula.de kann man einen Eindruck davon bekommen, dass du schon in mehreren Genres geschrieben hast. Welches Genre reizt dich denn am meisten und warum?

Thomas Ziebula: Ach, das war mehr ein Seufzer als ein Plan. Mich reizt immer das Buch, das ich gerade schreibe. Doch manchmal, wenn das finanzielle Ergebnis der Arbeit an einem historischen Roman mir gar zu karg erscheinen will, schiele ich halt zu Krimis oder Thrillern hinüber. Ich neige zu einer gründlichen, vielleicht perfektionistischen Arbeitsweise, wenn ich über einem neuen Buch brüte. Und eigentlich kann man sich das als Autor, der vom Schreiben lebt, wirtschaftlich auf die Dauer nur leisten, wenn man mal einen Bestseller gelandet hat.

Geisterspiegel: Was macht eigentlich Jo Zybell? 😉

Thomas Ziebula: Der hat vor etwa einem Jahr seinen letzten Maddrax geschrieben (Band 350). Künftig werden auch meine Fantasyromane unter meinem Klarnamen erscheinen.

Geisterspiegel: Und wie sehen deine weiteren Pläne bezüglich des Schreibens aus?

Thomas Ziebula: Ich arbeite an einer Fantasy-Trilogie für Bastei-Lübbe und an einem Fantasy-Zyklus für GreenlightPress. Hier geht es vor allem um eine E-Book-Reihe. Daneben recherchiere ich bereits für den nächsten historischen Roman.

Geisterspiegel: Ich danke dir ganz herzlich für die Beantwortung meiner teils recht kritischen Fragen und hoffe, dass die Leser dadurch neugierig zumindest auf das Buch Die Hure und der Spielmann geworden sind. Auch wenn die Story den Leser fordert, denke ich, dass es eine unglaubliche Bereicherung gerade wegen der geschichtlichen Hintergründe für jeden Liebhaber historischer Romane ist.

Thomas Ziebula: Gern geschehen, und danke für die Blumen.

Quellenangaben:

Die Fragen stellte Anke Brandt.

 (ab)