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Das Mädchen mit der Maske

Bethany Griffin
Die Stadt des roten Todes 1
Das Mädchen mit der Maske
Masque of the Red Death, Greenwillow, USA, 2012

Dystopie, Paperback, Klappenbroschur, Goldmann, München, November 2012, 352 Seiten, 12,99 Euro, ISBN: 9783442478194, aus dem Amerikanischen von Andrea Brandl, Umschlagmotiv von Monalyn Gracia/Corbis Images; FinePic, München, Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, München

»Ich erhasche einen Blick in den Spiegel und lächle. Ich bin nicht derselbe Mensch wie heute Morgen. Ich bin schön, künstlich, geistlos und inkognito. Mein schwarzes Kleid reicht mir bis zu den Knöcheln und schmiegt sich um das Fischbeinkorsett aus dem Kleiderschrank meiner Mutter – ich würde zwar nicht so auf die Straße gehen, trotzdem gefällt mir mein Outfit. Es lässt mich unglaublich dünn und ein klein wenig geheimnisvoll aussehen.«

Während in der Stadt die Leichensammler mit ihren Handkarren unterwegs sind, um die Opfer der Seuche einzusammeln, lebt Araby Worth mit ihrer Familie ein weitestgehend privilegiertes Leben in den Akkadian Towers. Um nicht an der verseuchten Luft zu erkranken, tragen sie – wie alle, die es sich leisten können – die porzellanenen Atemmasken, die von Arabys Vater entwickelt wurden. Mit ihrer Freundin April, der Nichte des Prinzen Prospero, verbringt Araby ihre Abende und Nächte im Debauchery Club, der ebenfalls den Reichen vorbehalten ist. Dort lernt sie den Clubmanager William kennen, dessen regelmäßige Körperkontrollen sie stets herbeisehnt. Doch auch Aprils Bruder Elliott tritt an Araby heran. Er plant eine Revolution gegen seinen Onkel, wozu er allerdings die Pläne von Arabys Vater zur Maskenherstellung benötigt.

»Wir biegen um eine Ecke. Vor uns ragt das Schloss auf. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es so gewaltig sein würde. Wie eine riesige Kröte, die sich auf einer Halbinsel breitgemacht hat, kalt und bedrohlich und von ausnehmender Düsterkeit. […] Aus dieser Perspektive kann ich erkennen, dass es sich nicht nur um ein gewöhnliches mittelalterliches Schloss handelt, sondern um eine Kathedrale mit einer Abtei, zusammengefügt zu einem unheimlichen, geheimnisvollen Ganzen.«

Edgar Allan Poe hätte es sich wohl nie träumen lassen, dass eine amerikanische Highschoollehrerin aus seiner Kurzgeschichte Die Maske des roten Todes einen surreal gefärbten Romantasy-Schmöker (die Originalausgabe trägt sogar den gleichen Titel wie Poes Geschichte) für angehende Gothic-Lolitas stricken würde. Bethany Griffin verwendet die Grundbausteine von Poes Erzählung, weitet diese aus und bastelt eine Dreiecks-Liebesgeschichte hinein, die schließlich auf eine Revolution gegen den gewissen- und gnadenlosen Monarchen zusteuert.

In Araby Worths Heim herrscht nicht nur augenscheinlich emotionslose Gleichgültigkeit, es besteht auch ein lediglich fragiles Machtgleichgewicht zwischen Arabys Vater und dem Prinzen Prospero, der auf die Dienste des Wissenschaftlers angewiesen ist, jedoch keinerlei Sympathien für diesen hegt. In dieser Atmosphäre der latenten Bedrohlichkeit sich die junge Frau Ablenkung im dekadenten Debauchery-Club, den sie allabendlich mit ihrer Freundin April aufsucht. Plötzlich sieht sich Araby gleich zwei Männern gegenüber, die um ihre Gunst werben. Der männliche und gleichzeitig fürsorgliche Clubmanager William und Aprils hochnäsiger und berechnender Bruder Elliott, der sie zunächst abstößt, dann jedoch durch seinen Idealismus und seine unerwartete Offenheit einnimmt. (Eine Konstellation, die frappierend an den Megaseller Die Tribute von Panem erinnert). Durch Elliott wird Araby schließlich in ein Komplott hineingezogen, das nichts Geringeres als den Sturz des sadistischen Prinzen Prospero zum Ziel hat.

Unter diesen Vorzeichen sollte man annehmen, dass die Araby, immerhin die Identifikationsfigur des Romans, im Lauf der Geschichte ihr anfängliches lebensüberdrüssiges Phlegma überwindet und eine Gesinnungswandlung Richtung Kämpferin durchmacht. Stattdessen tritt Die Stadt des roten Todes in Sachen Charakterentwicklung empfindlich auf der Stelle. Wie eine Spielfigur ohne eigenen Willen hangelt sich Araby durch eine episodenhaft aufgebaute und schleppend dargebrachte Handlung, in der auch der rote Erzählfaden immer wieder verschwindet. Anfänglich verleiht dies der Handlung etwas angenehm Traumartiges – und spiegelt so die Stimmung von Poes »Original«geschichte wider –, über eine komplette Romanlänge macht sich die schlafwandlerische Eintönigkeit jedoch immer ermüdender bemerkbar. Gegen Ende besinnt bis sich die Autorin dann offenbar auf das nahende Buchende und schiebt ein unpassend actionreiches Finale ein, das in einen offenen Abschluss mündet. Teil zwei der Saga erscheint in Deutschland im März 2014 unter dem Titel Das Lied des roten Todes.

Die deutsche Ausgabe von Goldmann ziert ein schmuckes Cover, das durch die Verarbeitung als Klappenbroschur und teilweisen Glanzdruck aufgeedelt wird. Covermotiv und -layout sollte seine Wirkung auf das Zielpublikum nicht verfehlen.

Bethany Griffen bleibt Edgar Allan Poe auch nach diesem Zweiteiler treu. Ihr aktueller Roman trägt den Titel The Fall und bezieht sich auf Edgar Allan Poes The Fall of the House of Usher.

Fazit:
Bethany Griffin erweitert Edgar Allan Poes Parabel Die Maske des roten Todes zu einer Endzeit-Goth-Romanze mit einer Prise Steampunk. Das Experiment ist aufgrund der mangelnden Charakterentwicklung und der unfokussierten Erzählweise nur halbwegs gelungen.

(eh)