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Der Welt-Detektiv Nr. 8 – 7. Kapitel

Der Welt-Detektiv Nr. 8
Der Mann im Nebel
Verlagshaus für Volksliteratur und Kunst GmbH Berlin

7. Kapitel

Sherlock Holmes Meisterstück

Es waren furchtbare Stunden, die Sherlock Hol­mes auf dem Grund der Schlucht verbrachte. Der herabsausende Steinblock hatte ihm klar und deutlich gezeigt, dass der Todfeind auf der Lauer lag. Zähne­knirschend musste er erkennen, dass er wie eine Maus in der Falle saß. Kaum wagte er sich einen Schritt vor, sauste auch schon ein neuer Steinregen auf ihn nieder.

Zum Glück schien Ian Payne keine Schusswaffe mehr zu besitzen, oder aber er hatte seine Munition bereits verschossen. Sherlock Holmes Gehirn arbei­tete fieberhaft. Die Schlucht ohne Seil zu verlassen, schien unmöglich zu sein. Gelang es ihm aber nicht, aus der Falle zu entkommen, würde Pay­ne neue Mittel ersinnen, ihn zu vernichten.

Aber so sehr auch auf eine Möglichkeit sann, den schrecklichen Ort zu verlassen, so klar wurde es ihm immer mehr, dass all sein Grübeln hoffnungslos war.

Hatte das Schicksal beschlossen, ihm in dieser grauenvollen Schlucht ein Grab zu bereiten? Nein, es durfte nicht sein! Payne sollte nicht triumphieren! Und seine Gedanken suchten weiter nach einer Mög­lichkeit, die auch nur einige Chancen auf Erfolg bot. An den steilen Felswänden emporzuklettern, war ein aussichtsloses Beginnen. Er wäre nach Überwindung einiger Meter unwiderruflich an dem glatten Ge­stein ausgerutscht und wieder in die Tiefe gestürzt. Überdies hätte Payne ein solches Beginnen bestimmt zu verhindern gewusst. Der Bursche lag oben am Rand des Abgrunds wie eine Katze auf der Lauer und beobachtete jede Bewegung des Eingeschlosse­nen. Höchstens in der Nacht, wenn Dunkelheit die Schlucht erfüllte, bot dieser verzweifelte Fluchtweg einige Aussicht, aber die Gefahr des Absturzes konn­te durch die Finsternis nur erhöht werden.

Plötzlich machte Sherlock Holmes eine Entde­ckung. Rückten dort hinten, etwa dreißig Meter ent­fernt, die Felswände nicht dichter zusammen? Ja, er täuschte sich nicht! Zum Teufel, reichte ihm hier das Schicksal die Hand? Sollte es möglich sein, durch diesen schornsteinähnlichen Schacht wieder an die Oberfläche zu gelangen? Des Weltdetektivs Bli­cke saugten sich an jener Stelle fest. Ausgeschlossen war es nicht. Die Wände rückten dort dicht zusammen, sodass es unter günstigen Umständen möglich war, sich – mit dem Rücken an die gegenü­berliegende Wand stemmend – in die Höhe zu zie­hen.

Dass diese gefährliche Klettertour nur während der Nacht erfolgen konnte, stand für Sherlock Holmes fest, denn bei vollem Tageslicht hätte er wahrhaftig eine geradezu ideale Zielscheibe für Ian Payne abge­geben. So erwartete er sehnsüchtig die kommende Nacht. Die Minuten wurden zur Qual, die Stunden zur Ewigkeit. Ein hervorspringendes Felsdach, unter das er sich duckte, schützte ihn vor Paynes gefährli­chen Steinwürfen.

So kam endlich die Dunkelheit heran. Nebel hüllte die Schlucht ein und erschwerte so des Meisterdetektivs tollkühnes Unternehmen. Schritt für Schritt ar­beitete er sich durch die Finsternis. Total durchnässt und seit Stunden ohne jede Nahrung, fror er unge­mein, aber der Trieb, die Freiheit wieder zu erlangen, ließ ihn diese Qualen vergessen.

Mit eiserner Energie begann er im Schornstein­schacht den Aufstieg, um aber nur allzu bald zu er­kennen, dass sein Beginnen nahezu aussichtslos war. Immerfort glitt sein Fuß an dem spiegelglatten Ge­stein aus, und hätte er nicht durch die gegenüberlie­gende Wand Rückendeckung gehabt, wäre er längst schon herabgestürzt. Einmal löste sich ein Teil des morschen Gesteins und prasselte in die Tiefe.

Zähneknirschend kehrte Sherlock Hohnes auf den Grund zurück, einen neuen Angriff Ian Paynes er­wartend, dem das donnernde Getöse unmöglich ent­gangen sein konnte. Aber nichts dergleichen ge­schah. Über eine Stunde verharrte der Weltdetektiv unbeweglich in Erwartung des Angriffs. Doch immer noch blieb alles still. Hatte sich Payne zurückgezo­gen? Schlief er? Neue Entschlossenheit erwachte in Sherlock Holmes.

Der blutenden Hände nicht achtend, begann er von Neuem den gefährlichen Aufstieg, der endlich, nach vielen Stunden, von Erfolg gekrönt wurde.

Die furchtbare Kraftanstrengung hatte aber selbst seinen gestählten Körper zu sehr geschwächt. Er vermochte es nur, sich noch einige Meter von dem furchtbaren Abgrund fortzuschleppen, dann brach er bewusstlos zusammen. Von alledem ahnte Jonny Buston nichts. Reglos stand er auf seinem Beobach­tungsposten und erwartete den jungen Tag. Als es allmählich hell wurde und die Nebelschwaden langsam schwanden, sprang der Mann dort drüben auf die Füße. Es war Payne!

Jonny musste an sich halten, um den Halunken nicht einfach über Haufen zu schießen, und nur die Neugier, was der Verbrecher wohl planen mochte, hielt ihn vor einer Unbesonnenheit zurück. Payne trug ein Gewehr in der Hand, das er fraglos im Hau­s des Getreidehändlers erbeutet hatte. Was wollte er damit? Jonny ließ den Burschen nicht mehr aus den Augen. Er sah, wie Payne über die Lichtung schritt und sich hier plötzlich, das Gesicht nach unten ge­wandt, zu Boden warf. In diesem Augenblick ge­schah etwas Merkwürdiges. Ein dunkles Etwas, das mitten auf der Lichtung lag und das Jonny bisher für einen Stein gehalten hatte, regt sich. Richtete sich auf. Schaute um sich. Jonny war es, als griffe eine kalte Hand nach seinem Herzen. War das nicht … war das nicht …? Nein, war das möglich! Es war Sherlock Holmes!

Da hallte ein wilder Fluch über die Lichtung. Pay­ne hatte ihn ausgestoßen. Er war aufgesprungen und starrte mit verzerrtem Gesicht zu seinem Todfeind hinüber. Im nämlichen Augenblick brachte er aber auch schon mit einem kreischen Lachen das Gewehr in Anschlag, zielt und …

In diesem Moment krachte ein Schuss. Aber nicht Ian Payne, ein anderer hatte ihn abgefeuert: Jonny! Er hatte gut getroffen, denn Payne ließ aufschreiend das Gewehr fallen und floh in wilder Hast. Jonnys Kugel hatte ihm einen Finger von der linken Hand zerschmettert.

»Jonny!«, schrie Sherlock Holmes und glaubte nicht recht zu sehen. Glückstrahlend rannte Jonny herbei. Aber nun war keine Zeit, Erklärungen ab­zugeben.

»Der Bursche darf uns nicht entwischen!«, schrie der Weltdetektiv. »Ihm nach!«

Hals über Kopf jagten sie hinter dem Flüchtenden her. Sie sahen ihn nicht, erkannten aber in dem Kna­cken der Büsche und Zweige, welche Richtung er einschlug.

Als sich der Wald lichtete, erblickten sie den Flie­henden zum ersten Mal. Ian Payne schien ein ganz bestimmtes Ziel vor Augen zu haben, denn er rannte schnurstracks auf einen Damm zu, der sich durch die Ebene dahinzog und auf dessen südlichen Teil eine Rauchwolke zu entdecken war.

»Die Eisenbahn!«, durchzuckte es Sherlock Hol­mes.

Er verdoppelte die Geschwindigkeit seiner Schrit­te. Näher und näher rückte er den Verbrecher, aber dennoch gelang es Ian Payne, als Erster den Bahn­damm zu erreichen. Da kam auch schon der Zug heran. Tollkühn schwang er sich auf die Plattform des letzten Wagens. Da aber war auch schon Sher­lock Holmes zur Stelle und folge im Augenblick des Schurken Beispiel.

Aufbrüllend stürzte sich Payne auf den Weltdetek­tiv. Wenn er aber geglaubt hatte, ihn einfach wieder von der Plattform hinabstoßen zu können, so sah er sich getäuscht, denn Sherlock Holmes umspannte seinen Todfeind niederstürzend mit kräftigen Armen.

Ein furchtbarer Kampf entspann sich auf der Platt­form, dann aber gelang es Sherlock Holmes, Payne durch einen blitzschnell geführten Kinnhaken kampfunfähig zu machen.

Damit war Ian Paynes Schicksal besiegelt. Eine Stunde später befand er sich schon hinter Schloss und Riegel – und vierundzwanzig Stunden darauf leiste­ten ihm die Mörder Jim Whitmans Gesellschaft, die Sherlock Holmes Spürnase ein einem Keller auf Schloss Trampwell entdeckte.

Sie hatten ihr Oberhaupt getötet, um sich allein in den Besitz des hergestellten Falschgeldes zu setzen. Der Strang war sowohl für sie als auch für Ian Payne die Strafe für ihre Blutschuld.

Ende