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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Gespenster – Vierter Teil – 2. Erzählung

Die Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit von Samuel Christoph Wagener
Allen guten Schwärmern, welchen es mit dem Bekämpfen und Ablegen beunruhigender Vorurteile in Absicht des Geisterwesens ernst ist, liebevoll gewidmet von dem Erzähler Friedrich Maurer aus dem Jahr 1798
Vierter Teil

Zweite Erzählung

Der Geist eines plötzlich Gestorbenen versucht unsichtbar, dem schwedischen Botschafter an der Pforte, Herrn von Funk, Aufträge an seine hinterlassene Witwe zu geben

Vorerinnerung des Herausgebers

Dieser, wegen seines ganz eigenen Aufschlusses und auch in psychologischer Hinsicht äußerst merkwürdige Beitrag zur Gespensterkunde ist mir von einem Mann zugesandt worden, dessen mir mitgeteilten Gründe, warum ich ihn – den Bürgen für ihre Glaubwürdigkeit – dem Publikum nicht nennen dürfe, mir als wichtig einleuchten. Aber auch wenn dies nicht der Fall gewesen wäre, würde doch mein am Ende der zweiten Erzählung des ersten Teils der Gespenster hierüber gegebenes Wort mir heilig, und schon der leiseste Wunsch des Einsenders ein strenger Befehl für mich gewesen sein.

 

»Ich war anfangs Willens«, schreibt mir der Herr Erzähler, »Ihnen diese Beiträge (dem gegenwärtigen war noch ein zweiter, ebenfalls in diesem vierten Teil enthaltener Beitrag, dessen Erzähler durchaus nicht öffentlich genannt werden durfte, beigefügt) anonym zu übersenden; aber ich glaubte, dass wenigstens der Herausgeber derselben einen Bürgen für ihre Glaubwürdigkeit haben müsse, und ich vertraue mich gern Ihrer Diskretion an. In diesem Betracht füge ich daher hier auch noch einige nähere Umstände – jedoch ebenfalls bloß für Sie – bei etc.«

Die Glaubwürdigkeit dieser Tatsache ist aber auch schon darum nicht dem geringsten Zweifel unter­worfen, weil einige von denen, welchen – besonders in Kursachsen – mein Buch in die Hände fallen möchte, sich sogleich erinnern müssen, sie aus dem Mund der Seitenverwandten des Helden dieser ersten Erzählung genauso vernommen zu haben, wie sie sie hier wiederfinden werden.

Herr von Funk bekleidete, nach der Schlacht von Poltawa, den Posten eines schwedischen Botschafters bei der Pforte. Die unglücklichen Verhältnisse und der seltsame Eigensinn seines Kö­nigs machten ihm die Ausübung seiner Pflichten sehr beschwerlich, und er sah sich oft genötigt, im Geheimen nach Demotica zu gehen, um Carls mündliche Verhaltungsbefehle einzuholen. Auf einer dieser Reisen, die er, um unerkannt zu bleiben, und weil die traurigen Umstände der Schweden ihm allen Aufwand untersagten, zu Pferde, und bloß in Begleitung eines Kammerdieners und eines Reitknechts, unternommen hatte, überfiel ihn die Nacht in dem unwirtlichen Gebirge zwischen Rodosto und Adrianopel. Er hatte sich auf seinem Weg verirrt, sein Pferd war lahm geworden und es schien ihm gleich gefährlich, auf unbekannte Wohnungen zu stoßen oder die Nacht im Wald zu verbringen. Sein Kammerdiener, der der Landessprache mächtig war, erbot sich endlich, vorauszureiten, um sich nach der Gegend zu erkundigen und womöglich Anstalten zu einem Nachtlager zu machen, indessen sein Herr mit dem Reitknecht seitwärts von der Straße unter dem Schutz der Bäume ausruhen würde.

Sie hatten hier kaum eine halbe Stunde gewartet, als das Pferd des Kammerdieners schnaubend und in vollem Galopp zurückkam; aber zu ihrem Schrecken ohne Reiter. Ohne an seine eigene Gefahr zu denken oder lange Überlegungen anzustellen, bestieg Herr von Funk dieses Pferd, nahm ein Pistol in die Hand und befahl dem Reitknecht, ihm zu folgen, um von dem Schicksal eines treuen Dieners, der sich unmöglich weit entfernt haben konnte, Nachricht einzuziehen. Sie fanden ihn, nachdem sie eine kurze Strecke geritten waren, quer über den Weg hingestreckt liegen. Er war tot; bei genauer Besichtigung, so viel die Dunkelheit erlaubte, ließen jedoch die Verletzungen, die sie an ihm fanden, nicht auf einen mörderischen Überfall schließen. Wahrscheinlich musste er bei seiner Eile im Finstern und auf ungebahntem Weg gestürzt sein und den Hals gebrochen haben.

Ihre Lage wurde dadurch nur noch bedenklicher. Sie entschlossen sich, die Leiche auf eins der Pferde zu heben und auf gutes Glück sich dem Weg zu überlassen. So kamen sie endlich an eine einsame Hütte, deren Bewohner, ein abgelebter Greis nebst ein paar Frauen, ihnen nicht verdächtig schienen. Das Versprechen einer angemessenen Belohnung machte den Alten so gefällig, dass er seinem Gast das elende Behältnis, welches ihm als Küche und Wohnzimmer diente, überließ und sich mit seiner Familie unter das Dach des Hauses bettete. Der Reitknecht blieb mit den Pferden in einem Schuppen und die Leiche des Kammerdieners wurde in der Nähe niedergelegt.

Herr von Funk hatte Gerätschaften zum Schreiben und für ein Nachtlicht bei sich, und da der Schrecken und die Gemütsbewegung ihn munter gemacht hatten, setzte er sich nieder, um noch einige Gedanken, die ihm unterwegs eingefallen waren, aufzuzeichnen. Bald aber fühlte er sich von einer Müdigkeit ergriffen, der er nicht länger wider­stehen zu können glaubte. Die Augen fielen ihm beim Schreiben zu, er legte die Feder auf das Papier nieder und warf sich angekleidet auf das für ihn bereitete Lager.

Er sank sogleich in einen unruhigen Schlummer, der von ängstlichen Träumen begleitet war. Das Bild des Kammerdieners, welches der Gefährte seiner Jugendjahre und zu allen Zeiten mehr der Vertraute als der Diener seines Gebieters gewesen war, schwebte unaufhörlich vor seiner Fantasie. Mehr als einmal kam es ihm vor, als ob der Verstorbene neben ihm kniete und ihn um Gottes willen bat, nur noch einen Auftrag an seine in Kurland zurückgelassene Frau anzuhören. Nie aber kam dieser Auftrag zur Sprache. So oft Herr von Funk ihn erfahren sollte, fuhr er mit einem Schrecken aus dem Schlummer auf; so oft er wie­der einschlief, träumte er denselben Traum.

In einem dieser Momente des halben Erwachens sah er von ungefähr auf den Tisch und erblickte mit Entsetzen bei dem Schimmer des Nacht­lichts die Feder, die er niedergelegt hatte, aufgerichtet und auf dem Papier schreibend. Seine Besinnung kehrte nun schnell zurück, er rieb sich die Augen, er war völlig wach, er richtete sich empor und sah deutlich dieselbe Erscheinung. Die Feder stand in die Höhe und schrieb, aber keine Hand, nichts, das sie hielt, war sichtbar.

Nun fiel ihm sein Traum ein, und nichts war ihm gewisser, als dass die Seele des Abgeschiedenen, von irgendeiner Erinnerung gequält, sich dieses Mittels bedienen wolle, ihm ihre Gedanken mitzuteilen. Mit kaltem Schauder legte er sich wieder zurück und versuchte die Augen zu schließen; aber umsonst, eine höhere Macht zwang ihn, sie unaufhörlich auf den Gegenstand seines Schreckens zu richten.

Von einem unwillkürlichen Grausen hingerissen, sprang er nun plötzlich auf, ergriff die Feder, warf sie, ohne den geringsten Widerstand zu finden, auf das Papier und stürzte sich auf sein Lager, wo er, in seinen Mantel gehüllt, nun die Augen nicht wieder aufschlug. Was die Feder geschrieben haben konnte, hatte er sich nicht die Zeit genommen, zu untersuchen.

Nach einem langen peinlichen Zustand fiel er in einen tiefen Schlaf, von dem er nicht eher als durch das Pochen seines Reitknechts an der von innen verrammelten Tür geweckt wurde. Es war Morgen, er sah um sich her, und die Feder, die wieder in die Höhe stand und zu schreiben schien, erinnerte ihn schnell an das nächtliche Gesicht. Aber wie sehr verändern nicht äußere Verhältnisse jeden Gegenstand! Dieselbe Erscheinung, die in der Nacht und in seinem fieberhaften Zustand zwischen Wachen und Schlummer, ihn so fürchterlich aufgeschreckt hatte, erregte nun, da es Tag war, und er von einem ruhigen Schlaf sich erquickt fühlte, nur noch seine Neugier. Er trat behutsam an den Tisch, und sah, dass eine große Spinne, die an der Decke des niedrigen Zimmers hauste, für gut befunden hatte, ihr Gespinst an der oberen Spitze der Feder zu befestigen. Natürlich hatte diese an dem straff gezogenen Faden sieh aufrichten müssen, doch nur so weit, dass sie mit dem unteren Ende auf dem Papier ruhen blieb, weil die Spinne wahrscheinlich nicht stark genug gewesen war, sie ganz in die Höhe zu ziehen. Der Luftzug oder die Einbildungskraft des Sehers konnten dann leicht die Bewegung des Schreibens hinzufügen.