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Der Welt-Detektiv Band 6

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Turnier- und Ritterbuch – Teil 6

Heinrich Döring
Turnier- und Ritterbuch
Verlag von E. F. Schmidt, Leipzig
Sitten und Gebräuche des Rittertums im Mittelalter

Sechstes Kapitel

Das Femgericht

Mit diesem Namen bezeichnete das Mittelalter eines der furchtbarsten Rechtsmittel. Die Einrichtung des Femgerichts, auch heimliches Gericht oder Stillgericht geheißen, änderte sich mehrfach im Laufe der Zeit, doch war sie im 14. und 15. Jahr­hundert, wo jene Gerichte ihre größte Blüte erreicht hatte, etwa Folgende: Die Femgerichte bestanden aus Wissenden (Femgenossen). Diese mussten ehelicher christlicher Geburt sein und kein Makel irgendeiner Art durfte auf ihnen haften. Sie mussten sich durch einen feierlichen Eid ver­pflichten, das Geheimnis des Gerichts treu zu bewahren und alles, was ihnen von Verbrechen oder sonst für die Femgerichte Gehörigem bekannt würde, diesen anzuzeigen. Die Aufnahme dieser Wissenden sollte nur auf roter, das heißt westfälischer Erde geschehen. Der Wissende, der einen anderen vorschlug, musste für dessen Tüchtigkeit bürgen. Es vermehrten sich aber die Zahl dieser Wissenden allmählich in solchem Grad, dass sie sich bald über ganz Deutschland ausbreiteten. Sie erkannten sich an gewissen Zeichen und alle, angeblich über 100.000, waren verantwortlich für die Vollstreckung des Gerichtsspruchs.

Aus der Zahl der Wissenden wurden die eigentlichen Richter gewählt, Femschöppen, auch Freischöppen genannt. Sie saßen im Gericht im Kreise umher auf Bänken, und ihnen beigegeben war der Freibote. Der Vorsitzer des Gerichts hieß Freigraf. Er nahm einen erhöhten Platz ein, vor ihm lagen Dolch und Strick. Das Gericht eines Freigrafen hieß Freiding und der Ort desselben Freistuhl, der Sprengel der Gerichtsbarkeit Freieigenschaft. Mehrere Freigrafen standen unter dem Stuhlherrn. Das war aber meistens der Landesherr, in dessen Gebiet sich das Femgericht befand. Der oberste Stuhlherr war der Kaiser, der meist bei der Krönung zu Aachen auf­genommen wurde, oder wenn dieser nicht Wissender war, der Erzbischof von Köln, als Herzog von West­falen.

Die Femgerichte wurden besonders zu Dortmund gehalten, doch auch zu Arensberg und an anderen Orten. Eigentlich sollten sie nur in Westfalen gehegt werden, doch wären auch Freistühle in Niedersachsen und in anderen deutschen Gauen, zum Beispiel in Baden. Sie waren entweder öffentlich, offene Freigerichte, oder heimliche. Bei jenen, die am Tage unter freiem Himmel, in Gegenwart des ganzen Volks gehalten wurden, verhandelte man bürgerliche Streitigkeiten, Geld- und Schuldsachen, Grenzzwiste usw., die von keinem anderen Gericht hatten geschlichtet werden können. Auch andere schwerere Verbrechen eines Nichtwissenden kamen zuweilen mit vor das öffentliche Gericht. Verantwortete sich der Beklagte nicht oder wenigstens nicht genügend, so wurden sie erst vor die heimliche Acht oder das heimliche Gericht gebracht, bei dem anfangs sieben, später dreißig Schöppen gegenwärtig sein mussten. Dieses heimliche Gericht wurde zur Nachtzeit in Wäldern, Höhlen, Ruinen und an anderen abgelegenen Orten gehalten und urteilte bloß über schwere totwirkende Verbrechen, wie Ketzerei, Zauberei, Raub, Mord, Notzucht usw.

Alle zu einem Femgericht gehörige Sachen bezeichnete die Sprache des Mittelalters mit dem Namen Femwrogen. Die Richter trugen schwarze Mäntel und waren tief und unkenntlich vermummt. Der Verbrecher wurde in allen Fällen vorgeladen. War er ein Nichtwissender, so wurden ihm 6 Wochen und 3 Tage, war er aber ein Wissender, die dreifache Frist zur Verteidigung gestattet. Die Ladung erfolgte durch Anheften einer Schrift an seine Tür oder in die Nähe derselben. Der Wissende, der sie überbrachte, tat drei starke Schläge an die Pforte und hieb dann drei Späne ab, zum Zeichen, dass er dagewesen war. Der Geladene konnte sich selbst verteidigen und fand in bestimmten Nächten, auf bestimmten Kreuzwegen, Wissende, die ihn zum Gericht geleiteten. Reinigen konnte er sich dort durch einen Eid, den aber der Ankläger durch einen Eid mit Eideshelfern widerlegen konnte. Gegen diese verteidigte sich der Angeklagte mit sechs Eideshelfern oder übersiebente, wie es hieß, den Ankläger.

Erschien der Angeklagte nicht oder wurde er überwiesen, so verurteilte oder verfemte ihn das Ge­richt. Er war dann allen Wissenden preisgegeben, und diese hatten die Verpflichtung auf sich, wo sie ihn auch finden mochten, das Urteil an ihm zu voll­strecken. Wer von den Wissenden dem Verurteilten einen Wink seiner Verurteilung gab, wurde mit dem Tode bestraft. Der Wissende, der den Verurteilten traf, knüpfte ihn an einen Baum, nicht an einen Galgen auf, oder ermordete ihn, wenn er sich zur Wehr setzte, und legte das Mordinstrument, meistens einen eigens bezeichneten Dolch, neben den Leichnam, um dadurch anzudeuten, dass die Feme seinen Tod bewirkte. Drei oder vier Freischöppen konnten, wenn sie einen Verbrecher bei der Tat ertappten, ihn sogleich selbst richten, ohne Urteil und Rechtsspruch. In der letzten Zeit des Femgerichts konnte der Verurteilte auf mehrfache Art dem ihm zugedachten Urteil entgehen. Er suchte bei dem Stuhlherrn um Gehör nach oder er appellierte an den Kaiser, der Geleit gegen das Femgericht gab oder das Urteil oft auf viele Jahre hinausschob. Geistliche, reichs­unmittelbare Personen, welche die vollkommene Landes­hoheit besaßen, nach einigen auch Juden und Frauen, konnten vor dem Femgericht nicht verklagt werden. Auch war nur dann vor demselben zu klagen erlaubt, wenn vor einem anderen Gericht kein Recht zu erlangen stand.

Dunkel ist der Ursprung des Femgerichts. Einige haben denselben bis auf Karl den Großen zurückführen wollen, der dadurch den Rückfall der Sachsen zum Heidentum habe verhindern wollen. In der Geschichte findet sich hiervon keine Spur. Wahrscheinlicher ist, dass die Feme bei dem Sturz Heinrichs des Löwen 1182 entstanden sei, wo ein Teil von dessen Ländern, Engarn und Westfalen an Köln kam. Der Erzbischof fand die Rechtspflege dort, wie in allen deutschen Gauen, in traurigem Zustand und versuchte sie durch das Femgericht wieder zu heben. Mit diesen Umständen stimmt die Sage überein, dass der Erzbischof Engelbert von Köln in den Jahren 1216 bis 1225 der erste Freigraf gewesen war. Später bedienten sich die Kaiser der Femgerichte, um mächtige und übermütige Große zu erschrecken. Die Einrichtung in der vorhin beschriebenen Gestalt entstand wahrscheinlich nach und nach aus älteren Formen und hatte keinen bestimmten Urheber. Während der allgemeinen Anarchie in Deutschland mochte es den Femgerichten leicht werden, sich großes Ansehen und Gewicht zu verschaffen. In ihrer Eigenschaft als kaiserliche Gerichte machten sie selbst Ansprüche, ihre Gerichtsbarkeit über ganz Deutschland auszudehnen. Im 14. und 15. Jahrhundert war ihre Macht am höchsten gestiegen und ihre Wirkung war bei der äußerst ungeregelten Rechtspflege in allen deutschen Gauen oft wohltätig. Aber die Femgerichte arteten allmählich aus und gaben zu großen Missbräuchen Anlass. So geschah es, dass sich viele Stimmen gegen sie erhoben. Einzelne Städte und Fürsten errichteten um das Jahr 1460 Vereine, nach denen das Femgericht in dem Gebiet der Verbundenen keine Macht haben sollte. Auch die Kaiser dachten auf die Verbesserung der Femgerichte und veranlassten die Abfassung von Gesetzen über ihr Verfahren. So entstanden die Femgerichtsordnungen. Es ereignete sich aber oft, dass die Feme sich dem Kaiser widersetzte, besonders wenn derselbe nicht Wissender war. Einmal luden die Femgerichte sogar Kaiser Friedrich III. vor ihren Stuhl, weil er sie mehrfach zu beschränken gesucht hatte. Eine ausdrückliche Aufhebung der Femgerichte fand nie statt. Aber ihr Wirkungskreis wurde durch die Verwandlung in bloße Landgerichte nach und nach kleiner. Die Einführung des allgemeinen Landfriedens verwischte endlich die letzten Spuren jenes eigentümlichen Gerichtsverfahrens. Im Jahr 1568 wurde bei Celle das letzte Femgericht gehalten.