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Der Welt-Detektiv Band 6

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Sagen und alte Geschichten der Mark Brandenburg 19

Die weiße Frau auf dem Berliner Schloss

An viele alte Schlösser der Mark sowie an Stätten, wo Burgen und Klöster gestanden haben und namentlich noch Ruinen vorhanden sind, knüpft sich die Sage, es ließe sich eine weiße Frau dort zu Zeiten sehen. Wo in Alt-Ruppin das Schloss war, da soll eine solche wanken, mit einem Schlüsselbund am Gürtel, ebenso auf dem Räuberberg bei Phöben im Havelland, wo ein Schloss der von Rochow gestanden hatte, desgleichen in Chorin, wo noch Ruinen vom alten Kloster vorhanden sind. So ist auch die Geschichte der weißen Frau auf dem Schloss zu Berlin ein altes Gespräch. Man hat sie aber hier für eine Art Hausgeist insbeson­dere der Hohenzoller Fürsten halten wollen und des­halb oft die Meinung aufgestellt, sie sei erst mit diesen aus Franken hier gleichsam eingewandert, da dieselbe Sage auch auf den alten fränkischen Schlössern der Familie vorkommt. Ja weil auch bei den von Rosenberg in Böhmen, die mit den Hohenzollern verschwägert waren, Ähnliches sich findet, wollte man die weiße Frau auch daher ableiten. Sie galt nämlich dort als ein Geist, der sich bei allen außerordentlichen Familienvorfällen sehen lassen sollte, bei Todesfällen, wie bei Geburten und Vermählungen. Oft wenn die Am­men, heißt es insbesondere, bei den fürstlichen Kindern einge­schlafen waren und plötzlich aufwachten, dann sahen sie die weiße Frau über der Wiege gebeugt stehen oder das Kind auf ihren Armen herumtragen und warten. Namentlich sollte aber ihr plötzliches Erscheinen einen bevorstehenden Todesfall ­verkünden. Ihre Tracht war ein langes, weißes Gewand und eine gleiche Haube mit langem, hinten zurückgeschlage­nem Witwenschleier. Einige behaupteten, dass, wenn ein Todesfall bevorstände, sie an beiden Händen schwarze Hand­schuhe trage. Auch in Berlin, wo namentlich die Ansicht überwog, dass sie einen Todesfall in der fürstlichen Familie verkünde, war man dieser Ansicht. Sonst tat sie, heißt es, niemandem, der ihr bescheiden aus dem Wege ging, etwas; überhaupt verschwinde sie meist ebenso plötzlich, wie sie un­erwartet erschienen war.

In Berlin, wird weiter berichtet, habe man zuerst von ihr bei dem Tod des Kurfürsten Johann Georg im Jahre 1598 gesprochen, wo sie sich acht Tage vor seinem Hinscheiden habe sehen lassen. Deshalb behaupteten auch einige, es sei der Geist der Anna Sydow, der weiland schönen Witwe des Stückgießers Dietrich, die deshalb auch die schöne Gießerin genannt wurde. Joachim II. hatte sie lieb gehabt und zu hohen Ehren gebracht; sein Sohn Johann Georg aber hatte bei des Vaters Tod, trotz des ihm gegebenen Versprechens, sie zu schonen, ein strenges Gericht über sie gehalten und sie nach Spandau in den Kerker geschickt. Daher meinte man, ginge sie um, und wollte das Gespenst demgemäß für eine Art Rachegeist halten. Doch drang diese Ansicht nicht recht durch, aber erscheinen tat die weiße Frau, das war sicher. So wollte man sie am Dezember 1619, dreiundzwanzig Tage vor dem Tod des Kurfürsten Johann Sigismund, gesehen haben, namentlich aber war unter der Regierung des Großen Kurfürsten öfters von ihrem Erscheinen die Rede. So im Jahre 1659, ohne dass frei­lich etwas darauf erfolgte, aber 1666 strafte sie bös einen, der ihrer gespottet hatte. Als nämlich einmal wieder viel Gerede von der weißen Frau war, hatte der Oberstallmeister des Großen Kurfürsten, von Burgsdorf, viel gehöhnt und gemeint, ihn gelüste es wohl, sie zu sehen. Wie er nun einmal aus den Gemächern des Großen Kurfürsten kam und die Stiege hinuntergehen wollte, da trat die weiße Frau ihm entgegen.

Dreist redete er sie an: »Du Alte! Hast du noch nicht Blut genug getrunken? Willst du noch mehr holen?«

Da kriegte sie, sagt ein alter Bericht, ihn beim Hals und warf ihn die Stiegen hinab, dass ihm sein Wams platzte und die Rippen krachten, doch ohne weiteren Schaden, Worauf der Kurfürst, das Poltern hörend und das Klagen, den Kammerpagen mit Licht sandte, um nach­sehen zu lassen, was es gäbe.

Ein Jahr später – also im Jahre 1667 – behauptete Luise Henriette, des Großen Kurfürsten erste Gemahlin, sie habe, wie sie in ihr Gemach getreten war, die weiße Frau an ihrem Sekretär sitzen sehen. Ihr bald darauf erfolgender Tod gab zur Vermehrung des Geredes von der weißen Frau Veranlassung. Die Folge­zeit bürgerte den Glauben an ihr Erscheinen nur immer fester ein. 1688 wollte man sie vor dem Tod des Großen Kurfürsten wieder gesehen haben. Sein Sohn und Nach­folger König Friedrich I. sah sie angeblich wieder selbst vor seinem Ende und auch beim Ableben seiner königlichen Nach­folger hat man meist immer von ihrem Erscheinen geredet. Namentlich wollte man vor dem Tod Friedrich Wilhelm III. im Jahre 1840 wissen, dass sie sich vielfach hätte sehen lassen. Lag doch schon in dem Jahre 1840 überhaupt etwas Geheimnisvolles für die Hohenzoller Fürsten, dass man seinem Verlauf mit Bangigkeit für den alten, geliebten Herrn folgte. Denn bis auf das Jahr 1540 war immer im Jahre 40 jedes Jahrhunderts ein Hohenzoller Fürst ge­storben: 1440 Friedrich I., 1640 Georg Wilhelm von Brandenburg, 1740 Friedrich Wilhelm I. So war die Stimmung überhaupt damals in Berlin eine erregte, und man erzählte sich auch noch von anderen Wunderdingen. Es sei nämlich, hieß es zum Beispiel einmal, in einer Nacht ein kleines, graues Männchen zu dem Nachtwächter am Königlichen Marstall in der Breiten Straße gekommen und habe ihn geheißen, einen der Prell­pfähle am Torweg aufzuheben. Zuerst hätte der Wächter nichts davon wissen wollen. Wie dasselbe aber immer mehr in ihn drang, hätte er es getan. Und siehe, es ging ganz leicht, und wie er in das Loch hineinsah, da sah er zuerst das Bild des Königs, dann viel Getreide und endlich lauter Blut. Da sagte das Männchen, das bedeute den Tod des Königs, dann würde teure Zeit kommen und viel Unruhe und Krieg. Das Letztere ging aber, meinten die Berliner später, auf das Notjahr 1847 und die Unruhen 1848. Auch 1850, in welchem Jahr bekanntlich ein Attentat auf das Leben Friedrich Wilhelm IV. gemacht wurde, woll­ten Schildwachen vorher die weiße Frau im Schweizersaal gesehen haben und, obwohl vergeblich, angerufen haben. Der Glaube lässt einmal ihr Erscheinen als möglich gelten, und die Umgebung mit ihren weiten, im Ganzen wenig erhellten Räumen, die in der Stille der Nacht leicht etwas Unheimliches bekommen, regt immer wieder die Einbildungskraft an.