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Der Welt-Detektiv Band 6

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Nick Carter – Das Opfer eines Giftmischers – Kapitel 6

Nick Carter
Amerikas größter Detektiv
Das Opfer eines Giftmischers
Ein Detektivroman

Ein folgenschweres Gespräch

Wieder auf der Straße angelangt, nahm der Detektiv seine Gehilfen beiseite.

»Boys, die Sache ist so klar wie dicke Tinte«, meinte er gutgelaunt. »Diese Annie Gallagher hat Mrs. Thompson und Mary Bryan in die Karten geschaut, sich ihren Liebhaber genommen, und diese haben nun beschlossen, aus dem ganzen Handel Geld herauszuschlagen. Zunächst müssen wir die Fährte dieses Barney Tobin ausfindig machen, denn wenn der Kerl nicht die Seele des ganzen Unternehmens bildet, dann hänge ich meinen Beruf an den Nagel!«

Rasch bestiegen die drei Männer an der 3rd Avenue eine zu dem unteren Stadtteil fahrende Car.

»Patsy, du begibst dich nach dem Athersonschen Hause und machst ausfindig, ob Annie Gallagher dort ist oder nicht. Dann komme nach der Ecke der 3rd Avenue und 53th Street zurück.«

An der 53th Street angelangt, begaben sich Nick Carter und Chick ohne Weiteres zu dem ihnen von Mary Bryan bezeichneten Haus, wussten sich unter irgendeinem glaubhaften Vorwand Zutritt in die Gallaghersche Wohnung zu verschaffen und ohne Weiteres herauszubekommen, dass sich in dieser Myrtle Copeland nicht aufhielt.

Die nächste Tätigkeit der beiden bestand darin, auszukundschaften, ob in der Nachbarschaft ein Barney Tobin bekannt war. Sie erfuhren alsbald, dass es sich um einen übel beleumundeten Burschen handelte, der mit der Arbeit auf höchst gespanntem Fuß stand, dessen ungeachtet aber stets über reichliche Geldmittel verfügte. Sein Umgang bestand aus gleichgesinnten Burschen, welche den Schrecken der ganzen Umgegend bildeten. Allgemein bekannt war es, dass Annie Gallagher mit Tobin ging und die beiden sich schon in Bälde zu heiraten gedachten.

Umso fruchtloser verliefen dagegen die Bemühungen der Detektive, den augenblicklichen Aufenthaltsort des von ihnen gesuchten Mannes ausfindig zu machen.

Unverrichteter Dinge begaben sie sich schließlich zur Ecke der dritten Avenue, genau im selben Augenblick, als Patsy von einer Straßencar sprang und sich ihnen zugesellte.

Derselbe machte ihnen schon von Weitem durch Zeichen verständlich, dass sie ihre Aufmerksamkeit einem stämmigen Menschen zuwenden sollten, der unmittelbar vor ihm selbst die Car verlassen hatte und nun die 53rd Street entlangeilte.

»Patsy scheint unserm Mann auf den Fersen zu sein«, versetzte Chick, als er wahrnahm, wie sein junger Genosse dem Fremden unmerklich, aber beschleunigt folgte.

»Scheint mir auch so«, entgegnete Nick. »Jener Mann ist zweifellos Tobin.«

»Wollen wir Patsy folgen?«

»Das magst du tun, Chick, nachdem ich bereits einen Blick auf den Burschen geworfen habe, will ich selbst einen anderen Fischzug tun!«

Damit trennten sie sich. Chick folgte schnell seinem jungen Kollegen, während der Meisterdetektiv selbst die nächste Car bestieg und sich in raschester Weise zum Athersonschen Wohnhause begab.

Als ihm dort die Tür geöffnet wurde, bemerkte er mit sehr lauter Stimme – in der Hoffnung, von Ida gehört zu werden, die bereits dort ihren Dienst angetreten hatte –, dass er Nick Carter sei und unverzüglich Mr. Atherson zu sprechen wünsche.

»Mr. Atherson ist ausgegangen, kommt aber bald zurück. Fragen Sie etwa in einer halben Stunde wieder nach!«, beschied ihn der Diener.

»Nein, ich werde auf Mr. Athersons Rückkunft hier warten«, erklärte Nick, so laut wie vorher. »Führen Sie mich in den Parlor!«

»Aber Mr. Atherson hat ausdrücklich verboten, dass …«

»Schweigen Sie! Ich werde im Parlor warten!«

Wie ein begossener Pudel zog sich der Diener zurück, während Nick Carter mit gelassenem Lächeln in das Empfangszimmer eintrat. Er fand sich in seiner Erwartung nicht getäuscht, denn kaum eine Minute verstrich, als auch schon Ida vom Hinterzimmer her auftauchte und sich derart hinter die halb offene Schiebetür stellte, dass sie nicht gesehen werden konnte.

»Ich muss schnell machen, um keinen Verdacht zu erregen, Nick«, flüsterte Ida dem Detektiv zu. »Nach Mrs. Thompson ist plötzlich geschickt worden, sie verließ kurz vorher das Haus in großer Eile. Auch Mr. Atherson ist ausgegangen. Die Dienstboten hier im Haus sind dagegen offenbar glücklich, dass das junge Mädchen geflüchtet ist. Einstimmig sind sie der Ansicht, dass Mary Bryan hinter der Flucht steckt, besonders das Küchenmädchen Annie Gallagher behauptet das steif und fest – sie ist übrigens die Einzige, welche schlecht über Mary Bryan spricht. Sie meint, hinter der Geschichte stecke ein ganz gewöhnlicher Erpressungsversuch.«

»Einerlei, was sie meint«, unterbrach der Detektiv seine Cousine. »War diese Annie Gallagher heute ausgegangen, und befindet sie sich überhaupt jetzt im Haus?«

»Sie ist unten in der Küche, aber heute Nachmittag war sie lange aus und kam erst vor einer Stunde wieder zurück.«

»Hat jemand nach ihr gefragt, seitdem sie zurückgekommen ist?«

»Allerdings, vielleicht vor einer halben Stunde klingelte unten an der Souterraintür ein Mann, welchen die übrigen Dienstboten als Annies Schatz bezeichnen. Sie tuschelten eine ganze Weile miteinander, und dann eilte der Mann wieder fort. Ich konnte deutlich sehen, wie Patsy hinter ihm her war.«

Der Detektiv nickte nur zufriedengestellt; dann, ehe er eine andere Frage stellen konnte, klingelte es draußen an der Haustür, und Ida huschte schleunigst fort. In der Minute darauf hörte der ruhig im Parlor sitzengebliebene Detektiv die laute Stimme Athersons, der ärgerlich ausrief: »Habe ich nicht ausdrücklich verboten, jemanden in den Parlor zu führen?«

Damit riss er auch schon die Zimmertür auf und schleuderte dem Detektiv einen wütenden Blick zu.

»Es ist nicht recht von Ihnen, Mr. Carter, meine Dienstboten in Ungelegenheiten zu bringen!«, schnaubte er den gelassen Lächelnden an. »Ich habe jetzt keine Zeit für Sie, kommen Sie ein anderes Mal!«

»Mr. Atherson, Ihr Ton ist eines Gentlemans wenig würdig«, unterbrach ihn der Detektiv in gemessenem Ton. »Treten Sie ein, denn die Dienstboten brauchen nicht Zeuge meiner Mitteilungen zu werden – diese betreffen Ihre Schwester Myrtle.«

Mit ersichtlichem Widerstreben folgte der Aufgebrachte dem Detektiv in den Parlor.

»Well«, stieß er ungebärdig, neben der Tür stehenbleibend, hervor. »Was haben Sie mir zu sagen? Aber machen Sie es kurz, denn ich erwarte Besuch, und …«

»Ich denke, Sie empfangen niemals Besuch?«, unterbrach ihn Nick Carter spöttisch. »Um jedoch zu meiner Mitteilung zu kommen, so lautet sie klipp und klar: Sie sind ein verruchter Schurke, Atherson!«

Der so plötzlich und unerwartet Geschmähte stand wie versteinert; er rang nach Atem und starrte den Detektiv verständnislos an. Als er dann Miene machte, sich wie ein gereizter Tiger auf den Detektiv zu stürzen, wehrte dieser nur kühl mit der Hand ab.

»Kein Komödienspiel, wenn es gefällig ist«, sagte er mit vernichtendem Hohn. »Setzen Sie sich ruhig hin und hören Sie geduldig, was ich zu sagen habe, denn ich bin der Mann dazu, meine Behauptungen auch zu beweisen!«

Statt einer Antwort hatte Atherson mit wütender Gebärde nach der Gesäßtasche gegriffen, und gleich darauf blinkte ein Revolver in seiner Hand. Doch Nick Carter war noch schneller als er. Mit einem mächtigen Sprung war er auch schon bei dem vor Wut kaum Zurechnungsfähigen und hatte dessen Handgelenk mit solcher Kraft nach innen gedreht, dass Atherson einen lauten Schmerzensschrei nicht zurückhalten konnte und die Schusswaffe fallenließ.

»Ich sagte Ihnen doch schon einmal, Sie sollten derartige Dummheiten unterlassen«, erklärte der Detektiv spöttisch, indem er zugleich auf einen Sessel deutete. »Setzen Sie sich, Sie glauben doch nicht etwa gar, sich mit mir messen zu können? Nein, nein, das gelingt Ihnen weder körperlich noch geistig! Seit wir uns heute Morgen miteinander ausgesprochen haben, brachte ich in Erfahrung, was für ein dunkler Ehrenmann Sie sind, Alfred Copeland, und in meinen Augen erscheinen Sie als einer der kaltblütigsten Schurken, mit denen ich je zu tun gehabt habe. Nun beantworten Sie mir eine Frage – Sie sind drei- oder vierfacher Millionär. Ist die Goldgier in Ihnen wirklich so unersättlich, dass Sie Ihr Mündel Myrtle Copeland mit teuflischer Bosheit körperlich und geistig zu vernichten beabsichtigen?«

»Ich glaube, Sie sind dem Tollhaus entsprungen!«, brauste der derart Angegriffene auf. »Ich hätte große Lust, Sie aus dem Haus zu werfen!«

»Ein solches Vergnügen käme Sie teuer zu stehen«, antwortete der Detektiv, ohne sich aus seiner Ruhe bringen zu lassen. »Hören Sie lieber an, was ich Ihnen zu sagen habe. Sie haben schon seit Jahren mit Vorsatz und Vorbedacht an dem frühzeitigen Ende der Ihrer Ehre, Ihrem männlichen Schutz vom Gesetz Anvertrauten gearbeitet. Heuchlerisch haben Sie Ihre junge Stiefschwester anscheinend mit aller nur erdenklichen Pflege und Komfort umgeben, Sie haben den berühmtesten und teuersten Nervenarzt berufen, Sie haben ehrliche und gut meinende Wärterinnen bestellt – und nicht zum Geringsten haben Sie, Alfred Copeland, mit meisterhaftem Geschick die Rolle eines liebenden Bruders zu spielen vermocht.

Doch ich wiederhole es, das war alles nur Heuchelei. In Wahrheit haben Sie Ihre chemischen Kenntnisse in verruchtester Weise dazu benutzt, ein Ihnen nur zu wohl bekanntes Pflanzengift von Fall zu Fall frisch zu bereiten, um mit der wasserhellen Flüssigkeit, die zugleich geruchs- und geschmacklos ist, Ihrer unglücklichen Schwester Getränke und Speisen zu präparieren.«

»Das ist eine Lüge – eine nichtswürdige Verleumdung!«

»Nein, es ist die Wahrheit, Alfred Copeland«, unterbrach ihn der Detektiv mit erbarmungsloser Härte. »Dieses Ihrer unglücklichen Schwester verabreichte Pflanzengift hatte die Doppelwirkung, einmal die Behandlungsweise des Dr. Rullmann zunichtezumachen, zum anderen aber, Körper und Geist Ihres Mündels langsam und sicher zu vernichten – und zwar auf eine Art und Weise, welche Sie vor dem Strafrichter bewahren musste, denn Sie wissen nur zu gut, dass ein derartiges Pflanzengift nicht im Körper nachgewiesen werden kann.«

»Sind Sie nun bald zu Ende?«, zischte Alfred Copeland, der vor Wut und Entsetzen am ganzen Körper zitterte. »Gesetzt den Fall, mein überschlauer Herr Detektiv, Sie hätten die Wahrheit erraten, wie wollen Sie mir diese jemals nachweisen können?«

»Das lassen Sie meine Sache sein«, entgegnete Nick Carter ohne Besinnen, indem er ihm scharf und verächtlich ins Gesicht sah.

»Mag sein, dieser Beweis ist nur schwierig zu erbringen, jedenfalls aber dürfte es mir leichter fallen, als Ihnen etwa nachzuweisen, dass Sie Ihre Stiefmutter vorsätzlich und mit Vorbedacht vergiftet haben!«

Alfred Copeland fuhr zurück, als ob er einen Schlag ins Gesicht erhalten habe. Mit verglasten Augen starrte er den Detektiv an, und es war augenscheinlich, dass dessen Persönlichkeit ihm Furcht einflößte. Dann fasste er sich wieder notdürftig und stieß lallend hervor: »Pah, das sind lauter Schreckschüsse – ich fürchte Sie nicht – ich verlache Sie!«

»Well, mit dem Lachen fangen meine Gegner in der Regel an, und sie enden mit der Beichte zu den Füßen des Priesters, der sie zum elektrischen Stuhl geleitet«, erklärte Nick Carter trocken. »Im Übrigen habe ich keine Zeit, mich weiter mit Ihnen zu unterhalten. Ich wiederhole es, der Nachweis Ihrer Verbrechen mag schwer zu beschaffen sein, obwohl das absichtlich von Ihnen aus der Westentasche verlorene Fläschchen mit Wasser eher gegen als für Sie spricht. Sie müssen nämlich wissen, dass zuvor schon der Inhalt einer anderen Phiole untersucht worden ist – ja, das erstaunt Sie?«, setzte er mit erhobener Stimme hinzu. »Nun werden Sie blass und starren mich entsetzt an? Wissen Sie nicht, dass jeder Schurke eine Dummheit begeht? Die Art des von Ihnen angewendeten Giftes ist uns genau bekannt – und ich glaube, den Geschworenen würde auch der von uns erbrachte Nachweis genügen, dass Sie ein solches Gift nicht nur erzeugt, sondern es auch Ihrer Schwester beigebracht haben!«

Natürlich hatte der Detektiv nur auf den Busch geschlagen, und er war über die Wirkung seiner Worte auf den plötzlich wie gelähmt sitzenden Mann innerlich selbst erstaunt.

Jedenfalls aber war das ganze Gebaren des Schurken für ihn genügend, um ihn erkennen zu lassen, dass alle aufgestellten Vermutungen der Wirklichkeit entsprachen.

»Nun zum Geschäft«, versetzte Nick Carter trocken. »Ich habe ermittelt, dass Ihre Schwester in die Hände von Personen geraten ist, welche ein Lösegeld beanspruchen. Es liegt sowohl in Ihrem Interesse als in demjenigen der hoch angesehen Familie, dass von der ganzen Angelegenheit nichts an die große Glocke kommt. Verhalten Sie sich loyal, so wird wahrscheinlich Ihre Familie von gesetzlichen Schritten gegen Sie absehen. Ich verlange jetzt von Ihnen die Vollmacht, in Ihrem Namen mit den Entführern Ihrer Schwester zu verhandeln und das geforderte Lösegeld in Ihrem Auftrag zusichern zu dürfen. Schreiben Sie mir zwei solche Vollmachten und unterzeichnen Sie die eine mit Ihrem jetzigen, die andere mit Ihrem wirklichen Namen!«

In der ehernen Stimme des Detektivs lag eine solche unerbittliche Härte, dass Alfred Copeland, der sicherlich sonst kein Feigling war, sich wie ein geschlagener Hund duckte und die verlangten Vollmachten ausstellte.

Jedoch entging es dem Detektiv nicht, wie dabei um die verkniffenen Lippen des Mannes ein seltsam zynisches Lächeln spielte.

Nick Carter ließ sich indessen nichts anmerken, sondern nahm die Vollmachten in Empfang und steckte sie in die Tasche.

»Ich werde die ganze Nacht aufbleiben und warten, bis Sie meine Schwester zurückbringen«, versetzte Atherson, sich mühsam sammelnd.

»Ich werde Ihre Schwester niemals mehr zu diesem Haus zurückbringen!«

»Wie, Sie wagen es …«

»Keine überflüssigen Worte!«, schnitt ihm der Detektiv kaltblütig das Wort ab. »Sie werden Ihre Einwilligung dazu geben, dass Ihre Schwester einem Sanatorium überwiesen wird. Ferner werden Sie ihre Vormundschaft niederlegen und zu Gunsten von Mrs. Boughton auf alle Vormundsrechte dauernd verzichten.«

»Das werde ich niemals tun!«, schrie Atherson.

»Überlegen Sie sich lieber die Sache«, meinte der Detektiv, seinen Hut ergreifend. »Sie werden alsdann einsehen, dass Ihre Unterwürfigkeit Ihnen das einzige Rettungsmittel darbietet – im anderen Fall werden Sie dem Strafrichter überantwortet werden, und es genüge Ihnen mein Wort, dass ich mein ganzes Können aufbieten werde, um Sie dahin zu bringen, wohin Sie gehören – nämlich auf den elektrischen Stuhl!«

Damit ließ ihn Nick Carter stehen und begab sich aus dem Haus.

Doch als er die Straße wieder erreicht hatte, verrieten seine intelligenten Züge lebhafte Unruhe.

»Dieser Schurke plant irgendeine neue Schlechtigkeit«, flüsterte er vor sich hin. »Mag sein, der von ihm erwartete Besucher – von dem zu sprechen er unvorsichtig genug war – gehört zu der Sippe, welche das Mädchen entführt hat. Alfred Copeland wird alles aufbieten, um seine Schwester wieder in seine Gewalt zurückzubekommen und mit ihr den Staat New York zu verlassen. Well, wir werden ihn daran hindern müssen!«