Die Geheimnisse der Inquisition – Band 1- Kapitel 1
Victor de Féréal
Die Geheimnisse der Inquisition
Band 1
Aus dem Französischen von Dr. L. Meyer
Leipzig, 1845
1.
El Barrio de Triana
Gegen Mitte des 16. Jahrhunderts, während der Regierung Karls V., war die Bevölkerung von Sevilla, der heiteren, lebenslustigen Hauptstadt Andalusiens, nach und nach düster, schweigsam und trübselig geworden. Vergeblich entfaltete die Maurenstadt in den Strahlen einer glänzenden Sonne ihre weiten, mit Gesträuchen und Blumen bedeckten Terrassen, ihre zierlichen Balkons, an denen sich wie Spitzengewebe grüne, blühende Lianen, die rote Passionsblume und der virginische Jasmin mit seinen großen goldenen Kelchen hinaufrankten.
Man hörte nicht mehr des Abends unter den Balkonen die Stimme verliebter Kavaliere sich mit den zarten Tönen der Mandoline mischen; und wenn sich in den köstlichen Stunden der Nacht schüchterne junge Mädchen noch auf ihren Terrassen zu zeigen und die frische mit Düften erfüllte Luft zu atmen wagten, die sich von den Ufern des Guadalquivir erhob, gingen sie schweigend und ernst wie Schatten vorüber. Aus ihren stummen Lippen entschlüpften nur erstickte Seufzer, statt jenes heiteren, frischen Gelächters, jener harmonischen Melodie der Sprache, die in dem Munde der Frauen die spanische Sprache einer lieblichen Musik gleichen lässt.
Überall hatte das Entsetzen sein finsteres Panier erhoben; kein freundliches Kosen mehr im Schoß der Familie, keine patriarchalische Vereinigungen mehr; Misstrauen und Furcht drückten die süßesten Empfindungen der Seele nieder. Der Vater fürchtete den Sohn, der Bruder den Bruder, der Freund seinen Freund, denn zu jener Zeit schwebte man stets in Angst, in dem Wesen, dass man am meisten liebte, einen Spion oder einen Angeber zu finden. Niemand war seines Vermögens, seines Lebens sicher; man lebte nur von einem Tag zum anderen, wagte sich an nichts anzuschließen, drängte jeden Aufschwung des Edelmuts, der Zärtlichkeit in den tiefsten Grund seines Herzens zurück und fand selbst bei Gott, dem Urquell des Trostes in jedem Unglück, keinen Trost, keine Hoffnung mehr, denn man wagte nicht mehr, ihn in der Freiheit seines Gewissens anzurufen, weil man ungewiss war, ob der Ausdruck des Gebets oder die Manifestation des Glaubens auch der gesetzliche, von dem obersten Tribunal der Inquisition gebilligte Ausdruck sei, von jenem geheiligten Usurpator, der verlangte, man solle Gott nur auf seine Weise anbeten, oder vielmehr der sich selbst zum Gott machte, sich unendliche Rechte und eine verderbenbringende Macht über Leib und Seele anmaßte; ein unerbittlicher Tyrann, der durch alle möglichen Mittel sein einziges Ziel, die Herrschaft, zu erreichen suchte. Die Inquisition stand damals auf dem furchtbaren Gipfel ihrer Macht. Ihr Haupt war der Kardinal Alfonso Manrique de Lara y Solís, Erzbischof von Sevilla.
Dieser kurze Überblick war zum Verständnis der folgenden Kapitel notwendig. Nun kehren wir zum 15. Februar des Jahres 1534 zurück.
***
Es konnte 7 Uhr des Abends sein. Die Straßen von Sevilla, sonst geräuschvoll und belebt, waren dunkel und schweigsam, obwohl man in der Zeit des Karnevals lebte. Nur von Zeit zu Zeit gingen Mönche von schmutzigem Äußeren und herumschweifende Gitanos in den Straßen aneinander vorüber. Familiaren des heiligen Gerichts, wachsame Spione, begrüßten sich im Vorbeigehen mit einem geheimen Zeichen1, und die Bewohner des Barrio de Triana2 drängten sich an die Zugänge zur Schiffbrücke, welche, über den Guadalquivir geschlagen, die Stadt mit dieser ungeheuren Vorstadt vereinigt, dem unsauberen Sammelplatz, wo noch in unseren Tagen der Auswurf der Bevölkerung von Sevilla zusammenströmt.
Unter den Personen, die um diese Zeit die Brücke von Triana überschritten, bemerkte man einen Mann von hohem Wuchs, in die Kutte eines Predigermönchs gekleidet. Seine breite, ernste Stirn war mehr ruhig als streng, seine großen schwarzen Augen voll Sanftmut, obwohl Begeisterung und Gedanke darin Flammen blitzen ließen. Auf seine geschlossenen Lippen war das Siegel der Beredsamkeit und Poesie geprägt. In dieser strahlenden Physiognomie lag die Energie St. Pauli und die Sanftmut des Lieblingsjüngers.
Dieser Mann schritt langsam hin, wie versunken in hohen Gedanken. Bei der großen Sorglosigkeit gegen irdische Dinge, die ihn erfasst hatte, bemerkte er die Vorübergehenden nicht, die sich neben ihn hindrängten, noch diejenigen, die von derselben Richtung herkommend wie er, ihn in der Dämmerung der Nacht anstoßen konnten.
Als er auf der anderen Seite der Brücke angekommen war, blieb er einen Augenblick stehen, ungewiss, ob er von den beiden Straßen, die sich vor ihm öffneten, die rechte oder die linke einschlagen sollte. Doch da sich in diese ihm nicht bewusste Unentschlossenheit noch andere Gedanken mischten, blieb der Mönch, wahrscheinlich in der Verfolgung einer Gedankenreihe versunken, nachdenkend und unbeweglich an demselben Platz. So glich er eher einem Menschen, der ein Rendezvous erwartet, als einem nachdenkenden Philosophen. Zu dieser Zeit besonders hätten wohl wenige Menschen, die den Mönch so unbeweglich sahen, geglaubt, er gehorche nur dem Zug seiner Gedanken.
In diesem Augenblick kam ein anständig gekleideter Mann aus der Straße zur Rechten, die damals La calle de los Gitanos, die Zigeunerstraße, hieß, blieb einige Augenblicke an der Ecke der Straße stehen, sah sich nach allen Seiten um, als ob er Jemand suche. Als er den Mönch erblickte, ging er langsam auf ihn zu. Einige Schritte von dem Predigermönch entfernt, blieb er wieder stehen. Der Mönch sah ihn noch nicht.
Der Laie trat einen Schritt näher und sprach mit leiser Stimme nur das Wort aus: »Hito!«3
Beim Ton dieser Stimme erhob der Franziskaner schnell den Kopf, blickte einen Augenblick lang den Mann an, der gesprochen hatte, und antwortete mit einem anderen Wort: »Coraza4!«
»Gott5 sendet mich«, fügte der Unbekannte hinzu.
»Gott hat alle Macht über die Menschen«, antwortete der Mönch.
»Eure Ehrwürden kann mir folgen«, sagte der Laie weiter.
Der Mönch gehorchte und begann neben seinem Führer hinzugehen, so ruhig und natürlich, als wäre dieser Vorfall ihm nicht unerwartet gekommen. Er ließ sich wie ein gelehriges Kind leiten und beobachtete streng das gewichtige Chiton6, das von dem Schrecken den die Inquisition einflößte, geboten war und noch heute bei den Spaniern wie ein unheimliches Sprichwort zurückgeblieben ist.
Der Unbekannte und der Franziskaner schritten zusammen die Calle de los Gitanos entlang, eine lange, finstere, verwinkelte Straße, wo man kein anderes Licht sah als das aus den zahlreichen Schankhäusern, die sich längs dieser hässlichen Straße zeigten, und aus denen ein verworrenes, schrilles Geschrei von disharmonischen, trunkenen Stimmen ertönte.
Das niedere Volk Sevillas, die schlechten Bewohner, Diebe und Gauner überließen sich in diesem Augenblick ihrer Lust und berauschten sich in Manzanilla und Pajarete, die sie in langen Zügen aus den Chiquitos, langen, schmalen Gläsern von viereckiger Form tranken, die noch heute in den andalusischen Schenken im Gebrauch sind.
Am Ende der Straße angekommen, blieb der Laie vor einer Schenkstube stehen, die weniger hell erleuchtet war als die anderen, zeigte seinem Begleiter die Tür und winkte ihm einzutreten.
Der Mönch überschritt ohne Zögern die Schwelle dieses schauderhaften Ortes, denn es war damals nichts Seltenes, Mönche in einer Schenke zu sehen. Man weiß ja, dass zu jeder Zeit in Spanien die Mönche sich mit allem Schmutz und aller Verworfenheit vermischt haben. Deshalb wahrscheinlich der Hass und die Verachtung, die sie verfolgt und vertrieben haben.
Der Predigermönch trat also in die Schenkstube.
Es war ein niedriger, langer und dunkler Saal, mit schwarzen, vom Rauch vergilbten Wänden, hie und da von breiten Spalten bedeckt, deren hellere Farbe, grell abstechend gegen den dunklen Ton der Mauer, auf dem schwarzen Grund ein Mosaik von Hieroglyphen bildete.
Rohe, wankende Bänke dehnten sich rings um diesen Saal vor langen schwarzen, schmierigen Tischen aus, denen die fortdauernde Berührung mit den Ellenbogen eine Art Glanz gegeben hatte.
An den Wänden, zwischen dem Fußboden, hatte man eine Menge roher Bilder angeklebt, die die zahlreichen Madonnen vorstellten, welche Spanien verehrt, oder auch grässliche Szenen vom Autodafé. Unter einem jedem dieser Bilder brannten zwei kleine Wachslichte in der Dicke einer Federspule oder eine rauchige stinkende Öllampe. Diese Lichter, welche fortdauernd brannten, waren während der Nacht die einzige Beleuchtung der Schenkstube.
An den Deckenbalken waren zahlreiche eiserne Haken mit mehreren Armen angeschraubt, die man Garabatos nannte und an denen im bunten Gemisch Schinken, geräucherter Speck, frisches Fleisch, Männerhüte und sogar Mäntel hingen.
Wer all diese Leute von wildem abschreckenden Anblick beim düsteren Schein dieser ärmlichen Beleuchtung an dem langen, schmutzigen Tisch vereinigt sah, diese Mönche, Wahrsagerinnen, Zigeuner, Familiaren der Inquisition – denn all diese Charaktere fanden ihre Vertreter in der Schenke – der musste glauben, eine Schar von Dämonen zu sehen, die sich unter einem Galgen versammelt hatte.
Der graue, feuchte Lehmboden ertönte unter den Sandalen der Mönche oder unter den nackten Füßen der Gitanos nicht. Das Gewirr der rauen Stimmen glich einem unheimlichen Gesang. Dieser unsaubere Ort flößte ebenso viel Schrecken wie Ekel ein. So waren damals die Schenkhäuser des Barrio oder der Vorstadt von Triana.7
Der Franziskaner setzte sich am Ende des Saales an einen Tisch, an dem niemand saß, und lud dann seine Gefährten ein, sich neben ihn zu setzen.
»Sogleich!«, sagte der Unbekannte, »erst muss ich mit der Chapa8 sprechen«. Und er deutete auf ein Mädchen, das einige Schritte von ihnen in der Tür eines engen Klosetts stand, das als Küche diente.
Die Chapa, Schwester des Schenkwirts, war eine junge, braune Andalusierin, halb Zigeunerin mit zierlichen, runden Füßen, die von einer kurzen roten Saya kaum bis zur Wade bedeckt waren. Lange, schwarze, etwas gelockte Haare fielen, in zwei Flechten geteilt, von beiden Seiten ihres Kopfes bis unter ihre schlanke Taille und eine breite Mona von orangegelbem Band war über ihren Nacken mit langen Nadeln mit Stahlköpfen befestigt, deren vielfache Facetten gleich Sternen glänzten.
Der Unbekannte redete sie vertraut an und fragte sie mit kurzem Ton halbleise: »Ist Frazco9 gekommen, Chapa?«
»Noch nicht«, antwortete die Andalusierin, »aber er muss bald kommen. Ich habe meinen Bruder Coco[10 Joachim] zu ihm geschickt, um ihm zu sagen, dass Señora Dolores um Mitternacht ihr Haus verlassen wird. Frazco soll hier mit uns zusammentreffen, so wie der heilige Mann, den Gott mit seinem Vertrauen beehrt.«
Zu gleicher Zeit warf die Chapa einen neugierigen Blick auf das schöne, imponierende Gesicht des Mönchs.
»Das ist er«, sagte der Unbekannte, »das ist der vertraute Günstling des erhabenen, hochwürdigen Vaters Pedro Arbues. Ich habe ihn an der Brücke von Triana getroffen, wie es mir Seine Eminenz gesagt hatte und wir warten zur Ausführung unseres Planes nur noch auf Frazco, wenn sonst Señora Dolores ihr Wort hält.«
»Sie kommt gewiss, Señor«, antwortete die Chapa, »ich habe ihr selbst einen Brief von ihrem Verlobten gebracht, den Seine Eminenz von Perez de Saavedra10 zum Zeitvertreib hat schreiben lassen.«
»Und das junge Mädchen hat auch eingewilligt zu einem Rendezvous?« fragte der Unbekannte, den wir zu größerer Bequemlichkeit in unserer Erzählung Enriquez nennen wollen.
»Sie weigerte sich anfangs«, sagte die Chapa, »doch der Brief war so dringend! Es handelte sich um das Leben ihres Verlobten, und das Fräulein hat versprochen, alles zu tun, was ich verlangte. Sie wird gewiss diesen Abend am bestimmten Ort sein. Ihr könnt wohl denken«, fügte Cocos Schwester hinzu, dass ich nicht wenig zu diesem Entschluss beitrug, ja dass ich nach Kräften ihn beförderte.«
»Gott sei gelobt«, rief Enriquez mit heuchlerischer Salbung. »Du bist eine wahre Here, Chapa, und bei meiner Seele, Seine Eminenz konnte keine bessere Wahl treffen als dich zum Werkzeug seines heiligen und unwandelbaren Willens. Du begreifst wohl, Chapa, dass unser heiliger Inquisitor keinen anderen Zweck hat, als die Seele dieses jungen Mädchens dem Satan zu entreißen, wenn er ihre Heirat mit Don Esteban de Vargas verhindert, der, wie man sagt, der Sohn eines Marrano11 und Enkel eines Moresken ist.«
»O, das ist wahr«, sagte die Chapa, ein großes Zeichen des Kreuzes machend. »Seine Eminenz ist ein Heiliger und tut nichts, was nicht im Interesse des Himmels wäre. Aber sagt mir nicht, ich sei eine Hexe«, fügte sie erschreckt hinzu. Ein solches Wort darf nicht aus dem Munde eines Familiaren des heiligen Gerichts geben, denn zum Lohn meines Eifers, der allerheiligsten Inquisition zu dienen, könnte mich dieses Wort leicht in die Lage bringen, bei dem ersten Autodafé zur Feier der Siege unseres vielgeliebten Herrn, des Königs Don Carlos, zu figurieren.«
»Nun, nun, sei ruhig, Chapa! Du bist eine zu gute Katholikin und eine getreue Dienerin der heiligen Inquisition, um sie zu fürchten. Wir werden unfehlbar bald ein großes Autodafé haben, und das wird nicht das erste sein, seit unser vielgeliebter Herr und König Don Carlos den Thron bestiegen hat. Ich verspreche dir den besten Platz auf dem großen Balkon der Plaza Mayor, damit du all diese Hunde von Ketzern braten sehen kannst.«
»Wirklich!«, rief die junge Andalusierin, fröhlich in die Hände klopfend. »O, Señor Enriquez! Man sagt, es würden mehr als fünfzehn Ketzer verbrannt und eine große Anzahl derer, die Seine Eminenz begnadigt hat, weil sie abgeschworen haben und als gute Christen sterben wollen. Die werden erst erdrosselt12, ehe sie den Flammen übergeben werden. O, das wird schön sein! Und das alles wollt Ihr mich sehen lassen, Señor Enriquez, nicht wahr?«
»Ich schwöre es dir«, antwortete der Familiar, »im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes und mit Erlaubnis des allerheiligsten Inquisitors von Sevilla. Es wird herrlich werden«, fügte Enriquez hinzu, erfreut, dass er die Gitana von solchem Eifer für das heilige Gericht belebt sah. Aber hätte er aufmerksam das Gesicht der Andalusierin betrachtet, so würde er gesehen haben, dass ihre roten Lippen unmerklich erblassten, ihre lebhaften, glänzenden Augen sich mit heimlichen Entsetzen füllten und unter ihrem schwarzsamtenen Korsett hätte er, ein wenig näher getreten, ihr Herz in ungleichen, heftigen Schlägen pochen hören können.
Die Schwester Cocos brauchte nicht weit in ihre Vergangenheit zurückzugehen, um den Quell ihres reinen katholischen Blutes zu finden. Sie war daher der Inquisition gegenüber nicht ruhig und war aus Furcht ihre demütige Dienerin geworden. Wenig beruhigt von der frommen, heuchlerischen Miene des Soldaten Christi13, rief sie daher mit aufgeregtem Wesen, dem sie einen freudigen Anstrich zu geben sich bemühte: »O, wie das schön sein wird! Wie es schön sein wird!«
In diesem Augenblick bemerkte sie, dass die großen schwarzen Augen des Predigermönchs auf sie gerichtet waren. Der Mönch hatte kein Wort von ihrer Unterhaltung verloren, keine Bewegung ihres Gesichts war ihm entgangen.
»Bring uns Wein, meine Tochter«, sagte der Familiar.
Froh, den durchdringenden Blicken des Mönchs und diesem Gespräch zu entgehen, wo sie in jedem Augenblick zitterte, ihr Entsetzen zu verraten, eilte die arme Chapa schnell und leichtfüßig fort, holte einen mit Wein gefüllten Jarto14 und setzte ihn Seiner Ehrwürden vor.
Als Enriquez einen hölzernen Schemmel heranrückte, um sich dem Franziskaner gegenüberzusetzen, trat eine andere Person in die Schenkstube. Der neue Ankömmling näherte sich dem Familiar, deutete mit einem Blick auf den Mönch und fragt mit süßlichem Ton: »Ist das unser heiliger Kommissär?«
»Er ist es, Señor Frazco«, antwortete Enriquez.
Der Mönch erhob sich und kreuzte seine beiden Hände über der Brust. Der jüngst Angekommene machte dieselbe Gebärde; der Mönch legte sie darauf auf eine andere Art übereinander und verbeugte sich dann gegen Frazco, um ihn zu grüßen. Frazco machte ebenfalls dieselbe Bewegung, sodass sich beim Verneigen ihre beiden Stirnen einander sanft berührten. Das war der unterscheidende Gruß der Familiaren des heiligen Gerichts.
Aber Frazco begnügte sich nicht mit diesen Erkennungszeichen; er öffnete seine Brust und zeigte unter seinem Wams eine Silberplatte mit einem umgekehrten Christusbild. Mitten auf der Brust Christi glänzte eine Sonne, als Zeichen des Lichts, die höhnische Devise der Inquisition, dieser Botin des Irrtums und der Vernichtung.
Auf dieses letztere Zeichen antwortete der Franziskaner nicht.
Frazco warf auf Enriquez einen finsteren Blick des Misstrauens.
Enriquez zuckte die Achseln mit sorgloser, überzeugter Miene und murmelte leise Frazco zu: »Er gehört zu den unseren.«
Frazco machte eine Gebärde des Zweifels. »Er gehört nicht zu den unseren, sage ich dir«, wiederholte Frazco, »und wir sind verraten. Verraten! Verstehst du wohl?«, fuhr er fort, Enriquez Hand krampfhaft drückend, während in seinem Gesicht der Ausdruck eines wilden Zornes lag.
Das alles wurde mit leiser Stimme gesprochen, doch nicht so leise, dass die Stammgäste der Schenke die Aufregung nicht bemerkt hätten, die einen Streit ankündigte. Aller Augen wandten sich nun auf den Mönch, der, ruhig und regungslos, eher ein Zuschauer als ein Mitspielender bei diesem seltsamen Auftritt schien.
Beim Anblick des Franziskaners, dessen imponierendes Antlitz Ehrfurcht einflößte, wagten einige zu murren und Drohungen gegen Enriquez und Frazco gingen aus dem Mund der Banditen hervor.
Obwohl, im Fall einer Beschimpfung, der Rache gewiss, wollten es doch die Familiaren der Inquisition nicht zu einer Schlägerei mit den Bewohnern des Barrio von Triana kommen lassen. Sie kannten sie hinlänglich, um zu wissen, dass sie sich bei der Verteidigung eines Mönchs bis auf den letzten Mann würden niederhauen lassen; aber etwas flößte dem Volk noch größere Ehrfurcht als Priester und Mönche ein, die Inquisition.
Mit höllischer List wandte sich Frazco also zu den Trinkern, deren Blicke und Gebärden feindliche Absichten ausdrückten.
»Brüder«, rief er, »wäret Ihr so schlechte Katholiken, um einen Feind der Inquisition zu schützen.«
Bei diesem furchtbaren Wort Inquisition konnte man alle Köpfe sich beugen und eine tödliche Blässe an die Stelle der Zornesröte auf die Gesichter treten sehen. Es war, als ob der Blitz mitten unter diese rohen lärmenden Männer eingeschlagen wäre. Keiner wagte noch ein Wort zu sagen.
Da erhob sich der Predigermönch, ohne den Zorn Frazcos oder die Bestürzung der Banditen zu beachten, und wandte sich der Tür zu.
»Wie!«, rief Frazco, »Ihr wollt ihn entkommen lassen? Geht keiner von Euch, um die Sbirren des Heiligen Gerichts herbeizurufen?«
»Ich, ich!«, rief die entsetzte Chapa voll Furcht.
Zugleich eilte sie zur Tür und wollte durch ihren Diensteifer der Gefahr entgehen, die sie noch immer für sich selbst fürchtete; aber indem sie die Klinke niederdrücken wollte, warf der Franziskaner einen langen, ernsten Blick auf sie. Wie bezaubert faltete das Mädchen die Hände und fiel vor dem Mann Gottes auf die Knie nieder. Durch ein ähnliches Gefühl streckten die Banditen ihre Arme gegen ihn aus, als wollten sie seine Hilfe gegen eine verborgene Macht anrufen, der sie nicht zu trotzen wagten.
Da wandte sich der Mönch mit majestätischer Haltung zu dieser stummen, andächtigen Versammlung, segnete sie mit einem himmlischen Blick, eilte auf die Straße und verschwand, ohne dass irgendjemand, ohne dass selbst Frazco daran gedacht hätte, ihn zurückzuhalten.
»Wir sind verraten, Unvorsichtiger!«, sagte Frazco, zu Enriquez gewandt, der gleich den Übrigen von tiefer Betäubung ergriffen war.
»Er weiß nichts«, antwortete Enriquez.
»Wohlan denn, ans Werk!«, rief Frazco beruhigt. »Wir brauchen keinen Dritten dazu.«
Und die beiden Soldaten Christi verließen zusammen das Schenkhaus.