Elbsagen 74
Elbsagen
Die schönsten Sagen von der Elbe und den anliegenden Landschaften und Städten
Für die Jugend ausgewählt von Prof. Dr. Oskar Ebermann
Verlag Hegel & Schade, Leipzig
75. Der Warner vor der Schlacht und die Magdeburger Taufe
Im Jahr 1550 hatten die Magdeburger einen schweren Krieg mit dem Herzog von Mecklenburg. Dieser war in das Magdeburger Land eingefallen und trieb ein arges Wesen mit Rauben, Plündern und Brandschatzen, sodass das Landvolk den Rat zu Magdeburg um Hilfe und Errettung anflehte. Da rüsteten sich denn die Magdeburger und zogen am 22. September aus, um dem Feind eine große Schlacht zu liefern. An ihrer Spitze waren der Bürgermeister Georg Gericke und Haus Müller nebst dem Hauptmann Hans Springer.
Nun ist den Magdeburgern der Monat September in ihren Kriegszügen gewöhnlich Unglück bringend gewesen, denn sie sind zweimal an demselben Tag und an demselben Fluss, der Ohre, geschlagen worden. Es ist aber, wie von einigen alten Leuten, die persönlich dabei gewesen waren, glaubwürdig berichtet worden ist, den Magdeburgern bei ihrem Auszug vor dem Dorf Barleben, eine Meile von der Stadt entfernt, ein feiner, langer, ansehnlicher Mann, der Kleidung nach einem Bauersmann nicht unähnlich, begegnet und hatte sie gefragt, wo sie mit dem Kriegsvolk und der Kriegsrüstung hinauswollten. Der hatte sie, nachdem sie ihm ihr Vorhaben berichtet hatten, mit hochgehobenen Händen herzlich gebeten und gewarnt, von ihrem Vorsatz abzustehen, wieder umzukehren und ihre Stadt in Acht zu nehmen und ja an diesem Ort und zu dieser Zeit nun nichts vorzunehmen, da gerade vor 200 Jahren die Magdeburger an demselben Tag und Ort geschlagen worden wären. Das könne jeder, der es nicht wisse, auf der Tafel in der St. Johanniskirche zu Magdeburg lesen. Es werde ihnen gewiss auch diesmal nicht glücklich ergehen. Obwohl etliche sich über die Person und Rede dieses Mannes wunderten, so haben doch sehr viele über ihn gespottet und die Warnung höhnisch verachtet und verlacht, aber diese Spötter sollten danach in der Schlacht alle erschlagen oder gefangen genommen worden sein. Man sagt aber, diese Person sei ein alter eisgrauer Mann von so schönem, rötlichem und jungem Angesicht gewesen, dass es zu verwundern gewesen sei. Leider war später alles eingetroffen, wie er geweissagt hatte. Da hatte man allenthalben fleißig Nachforschung nach diesem Mann gehalten, aber man hatte niemand finden können, der ihn zuvor oder danach gesehen hätte. Darum konnte auch niemand sagen, ob er ein Mensch oder Engel gewesen sei. Übrigens wurden die Magdeburger in jener Schlacht, obwohl sie zuerst angegriffen hatten, schon nach einer halben Stunde so aufs Haupt geschlagen, dass sie 1200 Tote und 300 Gefangene verloren sowie 11 Feldgeschütze und 11 Bürgerfähnlein in die Hände des Feindes fielen.
Es hatte sich aber hierbei noch folgende merkwürdige Begebenheit zugetragen, die viele das Leben gekostet hat. Die Magdeburger hatten nämlich, als sie dem Feind entgegengingen, das Flüsslein, die Ohre genannt, überschreiten müssen, das zu damaliger Zeit gerade sehr tief war. Sie hatten daher eine seichte Stelle gesucht, durch welche sie ohne große Beschwerden über den Fluss gelangten und diese, um sie bei ihrer Rückkehr leichter wiederzufinden, mit einem Merkmal bezeichneten. Wie sie nun vom Feind geschlagen und zu einer eiligen Flucht gezwungen wurden, da war unterdessen, ohne dass sie etwas davon wussten, das Zeichen von der Furt weggenommen und an eine Stelle gesteckt worden, wo die Ohre gerade am allertiefsten war. Die Magdeburger glaubten, das sei ihre Furt, stürzten in ihrer großen Angst sich in die Tiefe hinein und fanden einen gar jämmerlichen Tod im Wasser. Auf welche Weise das Zeichen von seiner alten Stelle weggekommen war, hatte man niemals erfahren können. Die Stelle jedoch, wo dieses sich zugetragen hatte, heißt noch bis auf den heutigen Tag die Magdeburger Taufe.