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Die drei Musketiere 60

Alexander Dumas d. Ä.
Die drei Musketiere
7. bis 10. Bändchen
Historischer Roman, aus dem Französischen von August Zoller, Stuttgart 1844, überarbeitet nach der neuen deutschen Rechtschreibung
XXVII.

In Frankreich

Als König Carl I. von England den Tod des Herzogs erfuhr, fürchtete er vor allem, die Rocheller könnten durch diese furchtbare Nachricht entmutigt werden, er ersuchte sie, ihnen daher, wie die Memoiren des Kardinals sagen, so lange wie möglich vorzuenthalten, ließ die Häfen in seinem ganzen Königreich schließen und sorgfältig darüber wachen, dass kein Schiff auslaufen konnte, bis das Heer, welches Buckingham ausrüstete, abgegangen wäre, und übernahm es, in Ermangelung Buckinghams, die Abfahrt in eigener Person zu leiten.

Er trieb die Strenge sogar so weit, dass er den Gesandten Dänemarks, der sich bereits verabschiedet hatte, und den Botschafter von Holland, der die indischen Schiffe, welche Carl I. den Vereinigten Niederlanden zurückgegeben hatte, in den Hafen von Vließingen zurückführen sollte, in England zurückhielt.

Da er aber seinen Befehl erst fünf Stunden, nachdem die Sache vorgefallen war, das heißt, gegen zwei Uhr nachmittags erließ, so waren bereits zwei Schiffe aus dem Hafen ausgelaufen: Das eine führte Mylady, welche das Ereignis vermutete und in ihrem Glauben noch bestätigt wurde, als sie die schwarze Flagge auf dem Admiralschiff sah.

Wen das zweite Schiff führte und wie es hinauskam, werden wir später mitteilen.

Während dieser Zeit ging nichts Neues im Lager von La Rochelle vor. Nur beschloss der König, der sich wie immer im Lager, aber vielleicht noch ein wenig mehr als anderswo, langweilte, das Fest des heiligen Ludwig inkognito in Saint-Germain mitzumachen, und ersuchte den Kardinal, eine Eskorte von zwanzig Musketieren für ihn bereitzuhalten. Der Kardinal, den die Langweile des Königs manchmal ansteckte, bewilligte mit großem Vergnügen seinem königlichen Lieutenant einen Urlaub. Dieser versprach ihm, am 15. September zurück zu sein.

Von Sr. Eminenz benachrichtigt, traf Monsieur de Tréville Anstalt zur Reise. Da er, ohne die Ursache zu wissen, mit dem lebhaften Verlangen und sogar dem gebieterischen Bedürfnis seiner Freunde, nach Paris zurückzukehren, vertraut war, so bezeichnete er sie zur Teilnahme an der Eskorte.

Die vier jungen Leute erfuhren die Neuigkeit eine Viertelstunde nach Monsieur de Tréville, denn sie waren die Ersten, denen er sie mitteilte. Nun erst wusste d’Artagnan die Gunst recht zu schätzen, die ihm der Kardinal dadurch bewilligt hatte, dass er ihn zu den Musketieren übertreten ließ. Ohne diesen Umstand hätte er im Lager zurückbleiben müssen, während seine Freunde reisten.

Man wird später sehen, dass das ungeduldige Verlangen, wieder nach Paris zu kommen, von der Furcht vor der Gefahr herrührte, der Madame Bonacieux preisgegeben sein musste, wenn sie im Kloster von Bethune mit Mylady, ihrer Todfeindin, zusammentraf. Aramis hatte auch unmittelbar an Marie Michon, die Weißnäherin von Tours, welche sich so schöner Bekanntschaften erfreute, geschrieben, sie möchte von der Königin für Madame Bonacieux die Erlaubnis auswirken, das Kloster verlassen und sich nach Lothringen oder Belgien zurückziehen zu dürfen. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, und schon nach acht bis zehn Tagen hatte Aramis folgenden Brief empfangen:

Mein lieber Vetter, Ihr erhaltet hier die Erlaubnis, unsere kleine Dienerin aus dem Kloster in Bethune zurückzuziehen, da ihr Eurer Ansicht nach die Luft daselbst nicht zuträglich ist. Meine Schwester schickt Euch diese Erlaubnis mit großem Vergnügen, denn sie liebt das kleine Mädchen sehr und gedenkt ihr in der Folge nützlich zu sein.

Ich umarme Euch.
Marie Michon.

Diesem Brief war eine in folgenden Worten abgefasste Vollmacht beigefügt:

Die Superiorin des Klosters in Bethune wird der Person, welche ihr dieses Billett zustellt, die Novizin übergeben, die auf meine Empfehlung und unter meinem Patronat in ihr Kloster eingetreten ist.

Im Louvre, den 10. August 1628. Anna.

Man begreift, wie sehr die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Aramis und einer Weißnäherin, welche die Königin ihre Schwester nannte, unsere Freunde belustigten. Aber nachdem Aramis wiederholt bis unter das Weiße der Augen bei den plumpen Späßen von Porthos errötet war, bat er seine Gefährten, nie mehr auf diesen Gegenstand zurückzukommen, und erklärte zugleich, wenn man ihm noch ein Wort hierüber sagen sollte, so würde er seine Base nun und nimmermehr als Vermittlerin in solchen Angelegenheiten benutzen.

Es war also nicht mehr von Marie Michon die Rede unter den vier Musketieren, welche übrigens in Händen hatten, was sie haben wollten, nämlich den Befehl, Madame Bonacieux aus dem Kloster der Karmeliterinnen in Bethune wegzunehmen. Dieser Befehl nutzte ihnen allerdings nicht viel, so lange sie sich im Lager von La Rochelle, das heißt am anderen Ende Frankreichs, befanden. Auch war d’Artagnan im Begriff, sich von Monsieur de Tréville, unter einfacher Andeutung der Wichtigkeit seiner Abreise, einen Urlaub zu erbitten, als ihm wie seinen Freunden die Nachricht erteilt wurde, dass sich der König mit einer Eskorte von zwanzig Musketieren, worunter auch sie, nach Paris begeben würde.

Die Freude war groß. Man schickte die Bedienten mit dem Gepäck voraus und zog am 16. morgens ab.

Der Kardinal begleitete Se. Majestät von Surgères bis Maupes, und hier nahmen der König und sein Minister unter großen Freundschaftsbeteuerungen voneinander Abschied.

Obwohl der König, welcher Zerstreuung suchte, so schnell wie es ihm möglich war, reiste, denn er wollte am 23. in Paris sein, hielt er doch von Zeit zu Zeit an, um die Elster beizen zu sehen, ein Vergnügen, wofür er stets eine große Vorliebe hegte. Von den zwanzig Musketieren freuten sich immer sechszehn, wenn dies der Fall war, über die Ruhe, welche dann eintrat, aber vier murrten gewaltig.

D’Artagnan besonders hatte ein beständiges Summen in den Ohren, was Porthos also erklärte: »Eine sehr vornehme Dame hat mich belehrt, dies bedeute, dass man irgendwo von dir spreche.«

Endlich am 23. in der Nacht zog die Eskorte durch Paris. Der König dankte Monsieur de Tréville und bevollmächtigte ihn, Urlaube auf vier Tage unter der Bedingung zu erteilen, dass sich keiner von den Begünstigten bei Strafe der Bastille an einem öffentlichen Ort sehen lasse.

Die vier ersten Urlaube, welche bewilligt wurden, erhielten, wie sich leicht denken lässt, unsere vier Freunde. Athos erhielt sogar sechs Tage statt vier und ließ diesen sechs Tagen noch zwei Nächte beifügen, denn sie reisten am 24. abends fünf Uhr ab, und Monsieur de Tréville stellte den Urlaub vom Morgen des 25. aus.

»Ei! Mein Gott«, sprach d’Artagnan, der bekanntlich nie an etwas verzweifelte, »wir machen viel Wesens um eine ganz einfache Sache. Wir reiten ein paar Pferde zu Tode, was liegt daran? Ich habe Geld. In zwei Tagen bin ich in Bethune, überreiche der Superiorin den Brief der Königin und führe den teuren Schatz, den ich suche, nicht nach Belgien, nicht nach Lothringen, sondern nach Paris, wo er besser verborgen sein wird, besonders so lange der Monsieur Kardinal vor La Rochelle liegt. Sind wir einmal aus dem Feld zurück, so erhalten wir von der Königin, halb durch die Protektion ihrer Base, halb für die Dienste, die wir ihr persönlich geleistet haben, alles was wir wollen. Bleibt also hier und erschöpft Euch nicht durch unnütze Anstrengungen. Ich und Planchet genügen für eine so einfache Expedition.«

Hierauf erwiderte Athos ruhig: »Wir besitzen auch Geld, denn ich habe den Rest des Diamanten noch nicht ganz vertrunken, und Porthos und Aramis haben ihn noch nicht ganz verspeist. Wir werden also ebenso gut vier Pferde als eines zu Tode reiten. Aber bedenkt, d’Artagnan«, fügte er mit so finsterer Betonung bei, dass dieser von einem Schauer ergriffen wurde, »bedenkt, dass Bethune eine Stadt ist, wo der Kardinal einer Frau Rendezvous gegeben hat, welche, wohin sie auch geht, stets Unglück mit sich bringt. Wenn Ihr nur mit vier Männern zu tun hättet, d’Artagnan, so ließe ich Euch allein ziehen. Ihr habt es aber mit einem Weib zu tun. Darum lasst uns zu viert ausziehen, und möge es Gott gefallen, dass wir mit unseren vier Bedienten die hinreichende Zahl bilden.«

»Ihr erschreckt mich, Athos!«, rief d’Artagnan, »mein Gott! was fürchtet Ihr denn?«

»Alles!«, antwortete Athos.

D’Artagnan schaute die Gesichter seiner Freunde forschend an. Auf allen trat, wie bei Athos, das Gepräge tiefer Unruhe scharf hervor. Man setzte den Ritt in großer Eile, aber ohne ein Wort zu sprechen, fort.

Als sie am 25. in Arras anlangten und d’Artagnan vor dem Gasthaus Zur goldenen Egge abstieg, um ein Glas Wein zu trinken, kam ein Reiter aus dem Posthof, wo er die Pferde gewechselt hatte, und sprengte mit verhängtem Zügel auf der Straße nach Paris fort. Im Augenblick, wo er durch das große Tor in die Straße ritt, öffnete der Wind den Mantel, in den er sich gehüllt hatte, obwohl man erst im Monat August war, und lüpfte seinen Hut, den der Reisende mit der Hand fasste und rasch wieder in die Stirn drückte.

D’Artagnan heftete seinen Blick auf diesen Menschen, erbleichte und ließ sein Glas fallen.

»Was habt Ihr, gnädiger Herr?«, fragte Planchet. »Holla! herbei, Messieurs, mein Gebieter wird unwohl!«

Die drei Freunde liefen herbei und fanden d’Artagnan, der, statt sich übel zu befinden, zu seinem Pferd eilte. Sie hielten ihn auf der Schwelle zurück.

»Wo, des Teufels, willst du denn hin?«, rief ihm Athos zu.

»Er ist es!«, erwiderte d’Artagnan bleich vor Zorn und mit schweißtriefender Stirn. »Er ist es, lasst mich ihn einholen.«

»Wer denn?«

»Er! Dieser Mensch!«

»Welcher Mensch?«

»Dieser verfluchte Mensch, mein böser Genius, dem ich stets begegnete, wenn ich von einem Unglück bedroht war, derjenige, welcher die furchtbare Frau begleitete, als ich sie zum ersten Male erblickte; derjenige, welchen ich suchte, als ich unseren Freund Athos herausforderte; derjenige, welchen ich an demselben Morgen gewahr wurde, wo man Madame Bonacieux entführte. Ich habe ihn gesehen, er ist es! Der Mann von Meung, ich habe ihn wiedererkannt, als der Wind seinen Mantel öffnete.«

»Teufel!«, sprach Athos träumerisch.

»Zu Pferde! Messieurs, zu Pferde! Wir wollen ihn verfolgen und werden ihn sicherlich einholen.«

»Mein Lieber«, sagte Aramis, »bedenkt, dass er in der entgegengesetzten Richtung von uns reitet, dass er ein frisches Pferd hat und dass unsere Pferde ermüdet sind, dass wir folglich unsere Pferde, ohne die geringste Hoffnung ihn zu erreichen, zu Tode reiten werden. Lassen wir also den Mann, d’Artagnan, und retten wir die Frau.«

»He, Monsieur!«, rief ein Stallknecht, der dem Unbekannten nachlief. »He, Monsieur, hier ist ein Papier, das aus Eurem Hut fiel. He, Monsieur, he!«

»Mein Freund«, sprach d’Artagnan, »eine halbe Pistole für dieses Papier.«

»Meiner Treu, Monsieur, mit dem größten Vergnügen.«

Entzückt über den guten Tagelohn, den er gemacht hatte, kehrte der Stallknecht in den Hof des Wirtshauses zurück. D’Artagnan entfaltete das Papier.

»Nun?«, fragten seine Freunde lauschend.

»Ein einziges Wort!« antwortete d’Artagnan.

»Ja«, sagte Aramis, »aber dieses Wort ist der Name einer Stadt.«

» Armentières«, las Porthos. »Armentières, ich kenne das nicht.«

»Und der Name dieser Stadt ist von ihrer Hand geschrieben.«

»Wir wollen das Papier sorgfältig bewahren«, sprach d’Artagnan. »Meine halbe Pistole ist vielleicht nicht verloren. Zu Pferde, meine Freunde, zu Pferde!«

Und die vier Gefährten sprengten im Galopp auf der Straße nach Bethune fort.