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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Detektiv – Die Schmuggler von Palermo – 1. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920

Harald Harst gegen Cecil Warbatty
Des berühmten Liebhaberdetektivs Abenteuer im Orient

Die Schmuggler von Palermo

1. Kapitel

Der Luxuszug Messina-Palermo, der eigens für die zahlreichen Touristen zwischen diesen beiden Hafenstädten Siziliens verkehrt, war heute nur wenig besetzt.

In einem Abteil erster Klasse saßen zwei Herren, denen man auf den ersten Blick die Künstler ansah. Sowohl das reichlich lange Haar und die dunklen Bärte als auch die groß karierten Anzüge, die weichen Umlegekragen und die farbenfrohen wehenden Schleifen ließen erkennen, dass die beiden aus ihrem Beruf kein Geheimnis machen wollten. Während der Größere, ein sehr schlanker Mann, vor den Augen eine Hornbrille mit runden, leicht bläulichen Gläsern trug, schaute der Kleinere, etwas korpulent, sich die Welt durch einen Hornkneifer an. Ihre tief gebräunten Gesichter verrieten, dass sie sich viel in der sengenden Sonne irgendwo an der See zuletzt aufgehalten haben mussten. Sie waren von Messina an allein im Abteil geblieben und der Größere von ihnen hatte dies schon bei der Abfahrt dort durch ein dem Schaffner gespendetes sehr reichliches Trinkgeld durchzusetzen gewusst. Sie sprachen jenes Elsässer deutsch, das so sehr mit französischen Ausdrücken behaftet ist, dass ein Uneingeweihter es leicht für reines Französisch hält. Ein Eingeweihter freilich, ein geborener Elsässer, hätte sehr bald gemerkt, dass dieser Sprachmischmasch der beiden niemals echt war.

Wenn die beiden, wie nun wieder, eng nebeneinander saßen und die Köpfe zusammensteckten, dann gebrauchten sie reines hochdeutsch und bewiesen so, dass ihr Elsässer wohl nur zur Täuschung anderer dienen sollte.

Der Zug hatte Villabate, die letzte Station vor Palermo verlassen. Soeben war wieder der Herr mit gelbbraunem Sizilianergesicht und schwarzem Spitzbart draußen im Gang langsam an dem Abteil der beiden Maler vorüber geschlendert.

Da hatte der Größere dem Freund zugeflüstert: »Lieber Schraut, der Mann bummelt jetzt zum dritten Mal draußen vorbei. Mir behagt das nicht. Wenn es ein Spion Warbattys ist, so fängt die Geschichte hier recht unangenehm an, denn der Kerl schenkt uns eben eine sehr auffällige Beachtung, wenn er auch den Harmlosen zu spielen sucht. Wir hätten doch vielleicht besser getan, jeder allein zu reisen. Nun ich werde mir sehr bald Aufschluss über diesen Herrn verschaffen.«

Er betrat den Gang. Der ihm so verdächtig erscheinende Herr stand am dritten Fenster und betrachtete angelegentlich die von der Sonnenglut völlig ausgedörrten, weiten Felder der Ebene, durch die der Zug gerade hindurchbrauste.

Harst schritt gemächlich an dem Fremden vorüber, griff in die Brusttasche, holte seine Zigarettendose hervor und ließ dabei absichtlich einen Brief zur Erde flattern, schien dies nicht zu bemerken und ging weiter, nachdem er die Zigarette angezündet hatte. In dem nächsten Wagen angelangt, stellte er sich so auf, dass er im in die Tür des Waschraums eingelassenen Spiegel den Gelbbraunen genau beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden.

Und der Mann schaute sich nun wirklich scheu um, schoss dann wie ein Habicht auf eine Beute auf den grauen Geschäftsumschlag zu, raffte ihn auf und schob ihn blitzschnell in die Tasche seines nur für flüchtige Blicke noch elegant wirkenden Rocks. Dann schlenderte er zur anderen Seite davon, blickte nochmals ängstlich um sich und betrat schnell das letzte Abteil des Wagens, griff wieder zum Brief und zog aus dem Umschlag einen zusammengefalteten Bogen und fünf Hundertlire-Scheine heraus. Seine Augen leuchteten auf. Ebenso blitzschnell, wie vorhin den Briefumschlag an sich genommen, verbarg er nun die Banknoten in seinem Strohhut unter dem Schweißleder, knüllte Umschlag und Briefbogen zusammen, wollte sie unter die Polstersitze werfen.

Wollte! Er kam nicht dazu. Harst war ihm lautlos und eilig nachgeschlichen, hatte, da der Mann sich mit dem Rücken zur Glastür stellte, ihn unbemerkt abermals beobachtet und sagte nun höflich in etwas dürftigen italienisch: »Signore, Sie scheinen den Brief, den ich soeben verlor, gefunden zu haben.«

Der Sizilianer schnellte herum, wurde bleich, stotterte ebenso angstvoll wie verlegen: »Oh, ich glaubte, jemand hätte das Schreiben als wertlos weggeworfen. Daher wollte ich …«

Harst unterbrach ihn lächelnd. »Wertlos? In dem Umschlag befanden sich fünf Banknoten, die ich in Messina auf dem Bahnhof aus Bequemlichkeit nicht in meine Brieftasche gesteckt hatte.«

Dem Sizilianer schoss nun die helle Röte ins Gesicht. Seine Miene zeigte den Ausdruck eines kurzen inneren Kampfs zwischen Gut und Böse. Dann senkte er den Kopf, erklärte leise und mit flehender Stimme: »Signore, Sie sind fraglos ein Ausländer. Sie werden reich sein, und deshalb bitte ich Sie, einen armen Teufel wie mich nicht etwa der Polizei zu übergeben. Ich habe die Banknoten behalten wollen. Ich räume das ohne Weiteres ein. Aber mir geht es schlecht, jämmerlich schlecht.« Er blickte auf und Harst ehrlich an.

Harst, dieser vorzügliche Menschenkenner merkte, dass der mit so fadenscheiniger Eleganz gekleidete nicht log und kein gewöhnlicher Spitzbube war. Dieser Mann hatte fraglos einst bessere Tage gesehen. Daher erwiderte er auch sofort liebenswürdig: »Seien Sie außer Sorge. Ich denke gar nicht daran, Ihnen Ungelegenheiten zu bereiten.«

Da nahm der Sizilianer schnell den Strohhut ab und die Banknoten heraus. »Bitte, Signore. Ich kann auf mein Wort versichern, dass dies meine erste derartige Entgleisung vom Weg der Ehrlichkeit ist. Wenn nicht die Not so furchtbar …«

Er schwieg, denn Harst hatte mit der Hand eine ablehnende Bewegung gemacht und erklärte nun: »Stecken Sie das Geld nur wieder ein. Sie scheinen es tatsächlich dringend zu gebrauchen. Ich kann es unschwer entbehren.«

Der andere wich vor Erstaunen etwas zurück. »Wie, Sie … Sie wollen diese … diese große Summe mir wirklich schenken?«

Harst nickte. »Gewiss. Vielleicht können Sie mir dafür einen Gefallen tun.«

Ich saß derweil in unserem Abteil. Ich hatte erst den Gelbbraunen und gleich darauf Harst an der Tür vorüberhuschen sehen und sagte mir, dass unsere Tätigkeit in Palermo wohl schon mit einem kleinen Abenteuer hier im Zug beginnen würde.

Gleich darauf betraten Harst und der Fremde das Abteil, und mein berühmter Freund und Gebieter fügte in einem Ton, als befinde er sich in einem Berliner Salon: »Lieber Schaper, ich stelle dir hier den Conte Cesare Leonforte vor. Herr Graf, mein Kollege und Freund Maxim Schaper, Kunstmaler wie auch ich und gleichfalls in Straßburg daheim.«

Ich hatte mich erhoben. Ich reiste nun als Maxim Schaper und Harald Harst als Heinz Horn.

Wir nahmen wieder Platz, und Harst fuhr in leichtem Plauderton fort: »Der Herr Graf Leonforte hat mir soeben mitgeteilt, dass er sich zurzeit in etwas bedrängter Lage befindet. Er ist seit einem Jahr mit einer Deutschen verheiratet, die in Palermo im Haus seiner Eltern Erzieherin war. Dieser Heirat wegen haben seine Eltern, die durch seinen älteren Bruder hierzu nach aufgereizt worden sind, sich mit ihm entzweit. Da er wie die meisten Söhne der reichen sizilianischen Großgrundbesitzer nichts Rechtes gelernt hat, versucht er als Fremdenführer und Klavierspieler sein Brot ehrlich zu verdienen. Nun ist jedoch seine Gattin bereits wochenlang krank, und die Not ist in das bescheidene Heim des Grafen als ständiger Gast eingezogen. Er wohnt außerhalb Palermos in einem alten, halb verfallenen Palast unweit des Meeres. Diesen Palast hat der Eigentümer, soweit die Gemächer noch bewohnbar sind, an ärmere Familien vermietet, zumeist Fischer. Es ist sogar ein recht bekannter Palazzo, um den es sich hier handelt, nämlich der Palazzo Batticino, der früher in Reisehandbüchern stets als Sehenswürdigkeit mit aufgeführt wurde. Vor fünf Jahren hat jedoch ein Erdbeben dem wohl 500 Jahre alten Bauwerk so übel mitgespielt, dass es zur Ruine geworden ist und der Besitzer alles Wertvolle daraus entfernen ließ.

Der Conte ist vorhin an unserer Tür schon ein paar Mal vorübergegangen, um irgendwie Gelegenheit zu finden, sich uns als Führer für Palermo anzubieten. Er pflegt wie viele andere, die gewerbsmäßig Touristen die Sehenswürdigkeiten der Stadt zeigen, bis Villabate dem Luxuszug entgegenzufahren, um sich dann gleich hier nach Verdienst umzusehen. Ich freue mich nun sehr, dass ich die Bekanntschaft des Grafen gemacht habe, denn er will uns von seiner für ihn zu großen Wohnung zwei Räume überlassen. Ich habe sofort zugegriffen, denn der Palazzo Batticino liegt ja inmitten eines nun zwar recht verwilderten, aber immer noch sehr schönen Parks, dazu keine achtzig Meter von der Steilküste der Bucht von Palermo ab. Wir werden dort also die beste Gelegenheit haben, in Ruhe arbeiten zu können.«

Bei dem Wort Batticino hatte Harst mich beide Male schärfer angesehen. Ich verstand sofort.

Harst hatte nämlich bei seinem ersten recht gefährlichem Zusammentreffen mit Cecil Warbatty, der ja das Oberhaupt einer glänzend organisierten Verbrecherbande sein sollte, einem von dessen Spießgesellen unter anderem auch eine Skizze eines Teils des Stadtplans von Palermo abgenommen und auf Grund scharfsinniger Kombinationen sich die Überzeugung verschafft, dass Warbatty gerade in Palermo einen neuen großen Schlag plane. Auf dieser Skizze, auf die ich später noch näher zu sprechen komme, hatte der Palazzo Batticino eine ganz besondere Bedeutung gehabt.

Anderthalb Stunden später brachte ein Wagen uns samt unserem Gepäck in Begleitung des liebenswürdigen und bescheidenen Grafen zum südöstlich der Stadt gelegenen Palazzo, der mit seinem großen Park sozusagen das Zierstück einen neueren, nur von der ärmeren Bevölkerung bewohnten Viertels bildete.