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Der Welt-Detektiv Band 6

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Detektiv Schaper – Das stille Haus – 4. Kapitel

M. v. Neuhof
Detektiv Schaper
Das stille Haus

4. Kapitel

Edgar Bornemann ging wartend auf dem Bahnsteig drei des Anhalter Bahnhofs auf und ab. Die Ungeduld hatte ihn einen volle halbe Stunde zu früh von Hause fortgetrieben. Und nun schlichen die Minuten förmlich. Alles Mögliche hatte er schon versucht, um die Zeit sich zu verkürzen. Und doch fühlte er, wie ihm das Herz vor Nervosität in immer schnelleren Schlägen klopfte.

Der elegant gekleidete Herr, der mit einem in Seidenpapier eingehüllten Strauß unruhig auf und abschritt, zog manchen neugierigen Blick auf sich. Nun passierten zwei Offiziere in Uniform die Sperre und kamen langsam näher.

Bornemann machte plötzlich kehrt und verschwand hinter dem kleinen, mitten auf dem Perron stehenden Diensthäuschen.

»Die fehlen mir gerade noch!«, brummte er ärgerlich. »Hoffentlich haben sie mich nicht bemerkt …!«

Er hatte Glück. Ratternd fauchend lief nun der D-Zug in die mächtige, von Ruß geschwärzte Halle ein.

Wenige Minuten noch, und er hielt Hildegard Börmer wortlos in den Armen. Was kümmerten ihn die Menschen, die das junge Paar lächelnd musterten, was kümmerten ihn die beiden Oberleutnants, die ihn längst erkannt hatten und nun voller Interesse die junge Dame beäugten, der nun der Diener des Millionärs die Handtasche abnahm, um dann in angemessener Entfernung seinem Herrn zu folgen. Arm in Arm schritten sie dem Ausgang zu, beide wie im Traum. Hildegards Augen schimmerten feucht … Um die aufsteigenden Tränen tiefsten Glücks zu verbergen, tauchte sie nun ihr von innerster Seligkeit verklärtes Gesichtchen tief in die duftenden, dunkelroten Rosen.

Unten auf der Straße vor dem Hauptportal hielt ein elegantes, funkelndes Privatauto. Der Diener hatte schon die Tür geöffnet, stand nun kerzengerade daneben.

»Steig ein, Liebling«, flüsterte Bornemann.

Sie zögerte etwas. Ein Blick in das Innere hatte ihr hellseidene Polster, einen raffinierten Luxus der Ausstattung enthüllt.

Dann rollte das Auto davon, wand sich durch das Straßengewühl der Riesenstadt mit der Geschicklichkeit eines lebenden Wesens. Eng aneinander geschmiegt saßen die beiden da, ganz, ganz dicht. Er hatte ihre Hände zwischen die seinen genommen und schaute immer aufs Neue in dies geliebte, so lang entbehrte, reizvolle Antlitz, aus dem ihm ein Paar wunderbare Augen mit tiefer Zärtlichkeit entgegenleuchteten.

Was er zu ihr sprach? Törichte, zusammenhanglose Worte, und doch besagten sie so unendlich viel.

Nur langsam wurde er ruhiger.

»Du leichtsinniger Verschwender«, meinte sie nun mit sonnigem Lächeln. »So teure Rosen! Und dann das Auto! Das muss ja eine Unsumme Miete kosten! Sogar ein Diener neben dem Chauffeur! Wo hast du das alles nur aufgetrieben?«

»Gefällt dir der Wagen, Liebling?«, fragte er glücklich.

»Das wohl. Aber eine Fahrt in einem solchen Luxusgefährt passt nicht recht zu unseren Verhältnissen«, erwidert sie zögernd.

Bornemann schüttelt anscheinend betrübt den Kopf.

»Ich wollte mein Bräutchen doch in recht würdiger Weise dem neuen Heim der Eltern zuführen. Etwas leichtsinnig mag es ja gewesen sein.«

Sie sah nicht, wie es um seine Mundwinkel zuckte und wetterleuchtete.

Das Auto hatte soeben das Brandenburger Tor passiert und bog nun in die schnurrgerade Charlottenburger Chaussee ein.

»Da, die Siegesallee«, machte er sie auf die von Marmorgruppen eingefasste Prachtstraße aufmerksam.

Immer weiter ging es in einem Tempo, dass Hildegard bisweilen fast ein wenig angst wurde.

Nun tauchten zu beiden Seiten weite Kiefernwaldungen auf.

»Der berühmte Grunewald, Liebling. Etwas eintönig auf die Dauer.«

Eine knappe Viertelstunde später waren sie am Ziel.

Der Diener riss die Tür auf. Staunend stieg Hildegard Börmer aus. Ein Blick in die Runde, ein Ausruf des Entzückens.

Eine schlossartig gebaute Villa war es, vor deren breiter Freitreppe das Auto hielt. Das schneeweiße Gebäude mit den vergoldeten Ziergittern vor den Fenstern hob sich gegen den dunklen Hintergrund eines mit Tannengruppen bepflanzten, sanft an der Berglehne ansteigenden Parks wie eine Silhouette ab. Der Vorgarten, eine weite Rasenfläche mit einer Marmorfontäne in der Mitte, senkte sich sacht zum Ufer des Wannsees hinab, auf dessen im Sonnenlicht glänzenden Spiegel eine Anzahl Jachten mit weißen, leuchtenden Segeln dahinglitten.

Hildegard Börmer stand noch immer wie gebannt.

Dann eine verwunderte, ungläubige Frage: »Ist dies … dies dein … Häuschen, Edgar?«

Bornemann fühlte seine Augen feucht werden.

So, genauso hatte er sich diese Szene immer in Gedanken ausgemalt. Und da kamen auch schon Vater und Mutter Börmer eilig die Treppe heruntergetrippelt.

»Hilde, Hilde!«

Das junge Mädchen fuhr herum, flog ihnen entgegen.

»Mutter, Vater!«

Stumm, ergriffen schaute der Millionär auf die Wiedervereinten. Er sah, wie der alte Herr dem Töchterchen nun etwas zuflüsterte, wie er stolz auf den Schwiegersohn wies.

Da war Frau Hadwig schon neben ihm.

»Ist es wahr? Ist es wahr, was Vater mir eben erzählte … du … du ein Millionär? Das Auto … hier die Villa … alles dein Eigentum?«

»Ja, Liebling, und das war mein Geheimnis! Ist mir die Überraschung geglückt?«

Hildegard lehnte sich an ihn, fasste beinahe scheu nach seiner Hand. »Ich habe dir viel abzubitten, unendlich viel, du Guter …«

 

***

 

Doktor Matra unterrichtete nun schon seit fünf Jahren den einzigen Sohn des Barons von Barnbiel, da der lebhafte, aufgeweckte Knabe für alles andere mehr Interesse zeigte als gerade für die trockenen Schulwissenschaften, und sein Vater ihm nach Möglichkeit das Vorwärtskommen erleichtern wollte. Mit der Zeit war der junge Schriftsteller, dessen äußere Erscheinung und tadellose Umgangsformen ihn überall zu einem gern gesehenen Gast machten, mit der Familie des Barons derart verwachsen, dass man ihn wie einen lieben Freund und nicht wie einen bezahlten Privatlehrer behandelte, besonders da Bert Matras Vater bis zu seinem Tod die schlesischen Güter des Herrn von Barnbiel zu dessen größter Zufriedenheit verwaltet und der Baron dasselbe Vertrauen, das er einst seinem treuen Oberinspektor geschenkt, auch auf dessen Sohn übertragen hatte.

Jeden Nachmittag gegen halb fünf fand sich der Schriftsteller in der eleganten Grunewald-Villa ein, die der Baron nach dem vor einigen Jahren erfolgten Tod seiner Gemahlin erworben und ganz nach seinem Geschmack hatte ausbauen lassen.

Auch am Tag nach der denkwürdigen Unterredung mit Edgar Bornemann wanderte Bert Matra, nachdem er am Ringbahnhof Halensee die elektrische Straßenbahn verlassen hatte, zu Fuß durch die sauber gepflegten Straßen der Villenkolonie dem Barnbiel’schen Haus zu. Wie er eben den Bismarckplatz überschritt und in die breite Allee einbog, wurde er von einem älteren, elegant gekleideten Herrn mit grauem Vollbart angerufen.

»Matra, hallo, einen Augenblick!«

Es war Baron von Barnbiel, der sich ebenfalls auf dem Nachhauseweg befand.

Die Herren schritten dann nebeneinander weiter.

»Heinz erzählte mir, dass Sie umgezogen sind«, begann Barnbiel die Unterhaltung. »Wie gefallen Sie sich denn in Ihrem neuen Heim?«

Matra mochte den alten Herrn nicht belügen. »Ehrlich gesagt, gar nicht, Herr Baron«, erwiderte er daher etwas zögernd.

»So? Gewöhnlich stellen sich die Mängel einer neuen Behausung doch erst später heraus«, meinte Barnbiel lächelnd. »Freilich, Ihr Schriftsteller seit zumeist unpraktische Leute, die sich leicht übervorteilen lassen. Nicht übelnehmen das Letzte, Doktor! War nicht böse gemeint«, setzte er herzlich hinzu.

Matra fühlte sich verpflichtet, schon um sich gegen den Vorwurf eines vorschnellen Mietsabschlusses zu verteidigen, dem Baron die merkwürdige Geschichte, wie er zu dem möblierten Zimmer bei Thomas van Heidersen gekommen war, zu erzählen. Zum Schluss bat er dann, der Baron möchte über das Gehörte Stillschweigen bewahren, da Edgar Bornemann versuchen wolle, dieses Geheimnis mithilfe eines Detektivs zu enträtseln.

Barnbiel, der gespannt dem Berichte des Schriftstellers gefolgt war, beeilte sich zu versichern, dass er selbstredend mit niemandem über die Sache sprechen werde.

»Ihres Freundes Ansicht«, erklärte er dann, »teile ich in allen Stücken. Ganz sauber ist diese Affäre nicht. Und wer weiß, was alles dahintersteckt. Jedenfalls seien Sie vorsichtig, lieber Freund, und halten Sie Ihre Tür nachts stets gut verschlossen. Allzu große Sorglosigkeit ist Leichtsinn – das habe ich am eigenen Leib vor einem halben Jahr erst erfahren müssen, als mir mein Kammerdiener Harprecht mit meiner schönen Edelsteinsammlung durchbrannte – auf Nimmerwiedersehen leider!«

Inzwischen waren die beiden Herren vor der Villa angelangt und betraten durch das schmiedeeiserne Gittertor den Vorgarten.

Hier blieb der Baron plötzlich stehen. »Beinahe hätte ich es vergessen, Doktor. Auch ich habe eine Überraschung für Sie bereit. Ja, denken Sie, gestern Abend ist mein kleiner Wildfang plötzlich ganz unangemeldet heimgekehrt.«

Der junge Schriftsteller blickte den Baron zweifeln an.

»Baronesse Isa?«

»Allerdings! Eigentlich sind Sie daran schuld, dass mein Sprühteufelchen der strengen Aufsicht der Frau von Queisner so schnell entwichen ist«, meinte Barnbiel mit vergnügten Lächeln.

»Ich, Herr Baron?«

»Nun, freilich. Machen sie aber kein so entsetztes Gesicht, Doktor. Die Sache liegt einfach so, dass Frau von Queisner es nicht länger dulden wollte, dass Sie Isa hin und wieder ein Brieflein zukommen ließen. War sehr verkehrt von der Dame. Hätte sich an mich wenden sollen. Ich würde sie dann schon darüber aufgeklärt haben, dass Sie ein alter Freund meines Hauses sind. So aber … Na, kurz und gut, die Queisner ließ gestern Nachmittag Isa zu sich rufen und verbot ihr diese Korrespondenz. Und mein resolutes Fräulein Tochter hat dann wohl dort eine Szene aufgeführt, die sicher die recht einschneidenden Meinungsverschiedenheiten noch vergrößerte und damit endete, dass Isa ihre sieben Sachen packte und abreiste.«

Matra war eine verlegene Röte ins Gesicht gestiegen.

»Es tut mir sehr leid, Herr Baron, dass durch …«

Doch der alte Herr ließ ihn nicht ausreden. »Eine Entschuldigung Ihrerseits ist völlig überflüssig, lieber Doktor. Aufrichtig gestanden, ich freue mich eigentlich, dass der kleine Wildspuk wieder da ist. War doch sehr still im Haus ohne sie. Das brauchen Sie Isa aber nicht gerade zu sagen. Sonst denkt Sie noch wunder, was für einen Geniestreich begangen zu haben! Auf Wiedersehen, Doktor. Will noch mal nach den Treibhäusern hinten im Park sehen. Noch eins. Sie müssen heute zum Abendbrot bleiben und an der Begrüßungsbowle für das Sprühteufelchen teilnehmen.«

Eine Stunde später betrat Isa von Barnbiel nach vorsichtigem Anklopfen das Bibliothekzimmer der Villa, in dem Bert Matra sich mit seinem jungen Freund Heinz aufzuhalten pflegte.

»Schon fertig mit dem Pensum, Herr Doktor? Ich wollte Sie gerne begrüßen. Papa hat Ihnen ja schon erzählt, dass ich sozusagen aus Dresden ausgekniffen bin.«

Matra umfing ihre schlanke, zierliche Erscheinung mit dem vollen, blonden Haar und dem pikanten Gesichtchen, aus dem ein Paar große, dunkle Augen temperamentvoll hervorleuchteten, mit einem freudigen Blick. »Kommen Sie nur, gnädigste Baronesse, Sie stören gar nicht. Wir haben soeben Schluss gemacht«, sagte er dann zu der noch zögernd an der Tür Stehenden.

Isa zog ein allerliebstes Schmollmäulchen.

»Gnädigste Baronesse!«

»Sie sollen mich doch nicht so nennen, sehr geehrter Herr Doktor! Wie oft muss ich Ihnen das wiederholen! Haben Sie denn die schöne Zeit ganz und gar vergessen, wie wir im Park unseres Stammgutes herumtollten, wir beide – Sie der fröhliche, achtzehnjährige Student und ich das kleine, dumme, elfjährige Mädchen, das so stolz darauf war, einen so großen Spielgefährten zu haben! Und ich hätte mich über Ihre gelegentlichen Briefe und Karten auch viel, viel mehr gefreut, wenn nicht immer diese offizielle Anrede mich gestört haben würde. Für Sie bin ich Fräulein Isa – bitte, bitte, sehr geehrter Herr Doktor!«

Mit reizendem Lächeln streckte sie ihm nun ihre feine, schmale Hand hin. Länger als nötig hielt Bert Matra diese weichen Finger umspannt, von denen ein heißer Strom in seinen Körper überzufließen schien. Wieder trafen sich ihre Blicke. Nun, in diesem Augenblick, merkte Isa von Barnbiel zum ersten Mal, welch tiefe, werbende Zärtlichkeit in des Schriftstellers dunklen Augen lag. Der feine Instinkt des Weibes verriet ihr das Richtige. In holder Verwirrung entzog sie ihm ihre Hand und begann hastig von etwas anderem zu sprechen.

Bert Matra aber war urplötzlich der glücklichste Mensch unter der Sonne geworden. Die Hoffnung hatte in sein zages Herz Einzug gehalten und frohe Zuversicht sich seiner bemächtigt.

Heinz von Barnbiel hatte inzwischen seine Bücher und Hefte fortgepackt und sich daher um die beiden nicht weiter gekümmert. Nun reckte er die Arme in jugendlichem Kraftgefühl und meinte aufatmend: »So, nun bin ich frei! Wie wäre es mit einer Partie Tennis? Das Wetter ist prächtig.«