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Detektiv Schaper – Das stille Haus – 2. Kapitel

M. v. Neuhof
Detektiv Schaper
Das stille Haus

2. Kapitel

Dr. phil. Bertold Matra schüttelte energisch den Kopf.

»Beste Frau Lange, es geht wirklich nicht. Sie können unmöglich verlangen, dass ich mir hier die Nerven ruiniere, nur weil Sie mich als Mieter nicht aufgeben möchten. Seitdem da über mir diese klavierwütige Familie eingezogen ist, habe ich noch keine vernünftige Zeile zusammengebracht. Begreifen Sie doch in aller Welt, dass ich kein Steinklopfer, sondern Schriftsteller bin und als solcher Ruhe ebenso notwendig brauche, wie der eben vergleichsweise herangezogene ehrenwerte Steinklopfer zum Beispiel seinen Hammer! Ich habe heute Morgen gezählt: Seit acht Uhr sind die Donauwellen fünfmal, Puppchen, mein Augenstern achtmal und die Tangomelodie genau achtzehnmal herunter gehämmert worden, denn einen anderen Ausdruck verdient diese Art, auf einem Instrumente unter ständiger Pedalbenutzung herumzupauken, wirklich nicht! Dabei wird man langsam verrückt. Und um diesem Schicksal zu entgehen, kündige ich Ihnen hiermit zum Ersten ausdrücklich und unwiderruflich!«

Die korpulente Frau Lange mit der etwas verfänglich glänzenden Wollbluse versuchte noch ein Letztes.

»Herr Doktor, ich werde nochmals zum Hauswirt gehen und mich beschweren«, meinte sie mit einem wütenden Blick zur Decke empor, von wo wieder die harten Klänge eines altersschwachen Klaviers herabtönten. »Er muss für Abhilfe sorgen. Ich arme Frau lebe doch nun mal vom Möbliert-Vermieten. Und die Bande da oben macht mich bankrott, da hört sich wirklich alles auf! Vier Töchter, und jede übt zwei Stunden täglich, das … das …«

»… macht acht zusammen«, vollendete Bertold Matra ungeduldig. »Und die acht genügen, um mich aus dem Hause zu jagen. Nun räumen Sie bitte das Kaffeegeschirr ab und trösten Sie sich mit dem Gedanken, dass es noch genug Junggesellen gibt, die nicht Schriftsteller sind, und die das Gepauke da über uns weniger belästigen wird, iw gerade mich.«

»Sie lassen also wirklich nicht mit sich reden, Herr Doktor?«, meinte Frau Lange nochmals weinerlichen Tones.

»Nein. Sie kennen mich ja auch in dieser Beziehung zu Genüge. Wenn ich einmal zu etwas entschlossen bin, bleibt es dabei.«

Seufzend schlurfte die Frau mit dem Tablett hinaus.

Dr. Matra aber setzte sich aufatmend an den schräg vor dem Erkerfenster stehenden Schreibtisch und begann seine Arbeit. Über ihm nahm das Geklimper unentwegt seinen Fortgang. Fünf Minuten verstrichen. Grimmig warf er den Federhalter hin. »Der Teufel halte bei den Gassenhauern die Gedanken beisammen!«, knurrte er aufgebracht. »Ich bin gewiss ein friedliebender Mensch, der niemandem etwas Böses wünscht. Doch den vier Sekretärstöchtern gönne ich eine kleine Fingerlähmung von Herzen!«

Am Fortspinnen dieser feindseligen Rachegelüste hinderte ihn eine laute Stimme, die draußen im Korridor Frau Lange einen schönen guten Morgen wünschte.

Gleich darauf wurde die Tür aufgerissen und Edgar Bornemanns breite Gestalt schob sich ins Zimmer.

»Na, Bert, schon bei der Arbeit?«, meinte er, dem Freund die Hand schüttelnd.

Matra zuckte ärgerlich die Achseln und deutete stumm nach oben.

Bornemann lauschte einen Augenblick. »Der Marsch aus Carmen«, erklärte er dann, eine Grimasse schneidend. »Mensch, sei doch zufrieden! Jeder fünfte Ton ist mindestens richtig!«

Der Schriftsteller musste nun doch lachen, ob er wollte oder nicht. Bornemann hatte eine geradezu zwingende Art, seine trockenen Bemerkungen vorzubringen. Jetzt warf er ein in einem Kreuzband steckendes Zeitungsblatt vor Matra auf die Schreibtischplatte.

»Da, das gab mir unten vorm Haus dein Briefträger. Schau dir es nur an. Vielleicht lenkt es dich etwas von der holden Carmenmusik ab. Über deiner Adresse steht ja rot unterstrichen: Genau durchsehen! Äußerst wichtig! Vielleicht hast du in der preußisch-süddeutschen Klassenlotterie einen Haupttreffer gemacht. Es ist jetzt ja gerade Ziehung.«

Matra hatte ziemlich gleichgültig das Kreuzband gelöst.

»Wie kommst du auf die Lotterie?«, meinte er, die Zeitung auseinanderfaltend.

»Weil ich selbst gestern Abend entdeckte, dass meine Nummer 131 326 mit zehntausend Mark gezogen ist«, erwiderte Bornemann, indem er sich in die Sofaecke setzte und eine Zigarre anzündete.

Der Schriftsteller schaute auf. »Unglaublich! Man sieht, das alte Sprichwort trifft nur zu gut zu: Ohne Wahl verteilt die Gaben, ohne Billigkeit das Glück! Ausgerechnet gewinnst du, der du ohnehin schon von dem schnöden Mammon übergenug besitzt!«

Edgar Bornemann seufzte. »Ich schäme mich ja auch beinahe über diesen Dusel! Und mein eigener Trost ist, dass die Unglücksnummer 131 326, die kein Mensch dem Kollekteur abnehmen wollte, den Treffer gemacht hat.«

Inzwischen hatte Matra das Zeitungsblatt, das lediglich Annoncen enthielt, flüchtig durchgesehen. Plötzlich stutzte er.

»Merkwürdig«, sagte er, sich tiefer über die Zeitung beugend. »Hier ist eine Anzeige mit Rotstift dick kenntlich gemacht. Und daneben steht am Rande: Etwas für Sie. Ein Gönner.«

Auch Bornemann war nun aufmerksam geworden. »Wie lautet denn die Anzeige?«, fragte er, sich langsam vom Sofa erhebend.

»Elegant möbliertes Zimmer in ruhigem Haus an stillen Mieter, am liebsten Schriftsteller oder Gelehrten, billig abzugeben. Bei Übernahme kleiner Verpflichtungen fast umsonst. Zu erfragen bei Thomas van Heidersen, Schöneberg, Philippstraße 16.«

Matra hatte es langsam, jedes Wort betonend, vorgelesen und reichte nun dem Freund das Blatt hin.

Bornemann überflog die Anzeige nochmals und verglich dann die Schriftzüge der Adresse auf dem Kreuzband mit den am Rand der Zeitung stehenden fünf Worten.

»Der Absender hat seine Handschrift verstellt«, meinte er endlich. »Wer mag dir nur das Blatt zugeschickt haben? Hast du in dieser Hinsicht irgendeine Vermutung?«

Der Schriftsteller verneinte. »Ein Gönner? Ich besitze von dieser wertvollen Sorte von Mitmenschen nur zwei: Herrn Rentier Edgar Bornemann und Herrn Baron von Barnbiel. Und von diesen hätte sich sicher keiner die überflüssige Mühe gemacht und sich in geheimnisvolles Dunkel gehüllt!«

Der junge Millionär lehnte nun dem Freund gegenüber am Fenster. »Hm«, meinte er mit listigem Augenzwinkern, »du vergisst deine Gönnerin, Fräulein Isa von Barnbiel. Wäre es nicht möglich, dass die …«

»Las bitte die Baronesse aus dem Spiel«, unterbrach Matra ihn ungeduldig. Und doch konnte er es nicht verhindern, dass ihm die helle Röte in sein frisches, energisches Gesicht flutete.

»Pardon!« Bornemann verneigte sich übertrieben höflich. »Es war ja auch nur ein Scherz von mir«, fügte er entschuldigend hinzu. »Fräulein von Barnbiel kommt ja auch deswegen schon nicht in Betracht, weil dies hier zweifellos eine Männerhandschrift ist, und weil sie sich ferner zurzeit in einer Dresdener Zwangserziehungsanstalt für adlige junge Damen befindet, während diese Sendung hier nach dem Poststempel in Berlin-Schöneberg aufgegeben worden ist.«

Eine Weile schwiegen die beiden. Jeder suchte nach einer Lösung des seltsamen Rätsels, das diese Mitteilung doch fraglos darstellte.

Schließlich erklärte Matra, indem er das Zeitungsblatt zu sich steckte: »Wir wollen uns nicht weiter die Köpfe zerbrechen, wer der Absender sein kann. Jedenfalls meint er es gut mit mir. Und da ich ohnehin dieses klavierverseuchte Haus am Ersten verlassen will, werde ich dem freundschaftlichen Wink Folge leisten und mir zunächst einmal dieses ruhige, billige, elegant möblierte Zimmer ansehen. Mich lockt zweierlei: die Ruhe und die Billigkeit. Denn meine Finanzen stehen augenblicklich herzlich schlecht, und meine Nerven brauchen Grabesstille nach diesen letzten vierzehn Tagen der Qual!«

Bornemann streute die Asche seiner Zigarre in das breite Maul des Messingfrosches, der als Aschbecher dienend auf dem Schreibtisch stand, und sagte dabei zögernd: »Bert, darf ich dir vielleicht mit etwas Mammon aushelfen? Ich weiß ja, dass …«

»… ja, du weißt, dass ich auf dem Standpunkt stehe, man soll seine Freunde, und wenn es Millionäre und noch so liebe, gute Kerle sind, nie anpumpen«, ergänzte der Schriftsteller ernst. »Diesem Prinzip bleibe ich treu, eben um mir deine Freundschaft zu erhalten, ohne Missklang, ohne den störenden Gedanken, dir auf diese Weise verpflichtet zu sein. Und nun, wenn es dir recht ist, benutzen wir das schöne Aprilwetter, – eigentlich in sich ein Widerspruch, diese letzten Worte – und schauen wir uns Philippstraße 16 einmal aus der Nähe an.«

Von Matras Wohnung, die im Berliner Vorort Schmargendorf dicht an dem gleichnamigen Bahnhof der Ringbahn lag, bummelten die beiden gemächlich die noch unbebauten Straßenzüge entlang, die das Schöneberger Gelände von dem schnell aufblühenden Schmargendorf trennten.

Bert Matra, der den Ärger über die in seinem Haus ausgebrochene Klavierpest längst vergessen hatte, musste die Kosten der Unterhaltung ganz allein tragen, da Bornemann mit einem Mal ohne ersichtliche Ursache recht einsilbig geworden war.

Schließlich fiel dies dem Schriftsteller doch auf. Mit der Offenheit, die zwischen ihnen in allen Dingen herrschte, fragte er nun ganz unvermittelt: »Sag mal, Alterchen, was hast du nur? Du schleichst da jetzt mit einem Gesicht neben mir her, als ob du ein Gespenst gesehen hättest. Und vorhin warst du doch noch ganz munter und vergnügt.«

Bornemann hatte sich seinen kurzen, seidengefütterten Sportpaletot aufgeknöpft, als ob ihm plötzlich zu warm würde.

»Bert«, begann er dann ganz feierlich, »beichten ist doch eine verflixt schwere Sache …«

Matra blieb stehen und schaute ihn verwundert an. »Beichten? Habe ich recht gehört?«

Bornemann nickte mit einer wahren Armesündermiene.

»Wollen aber hier nicht anwachsen, Bert«, meinte er. »Die Geschichte lässt sich auch im Gehen erledigen. Sag mal, hast du nicht in letzter Zeit eine gewisse Veränderung an mir bemerkt?«, begann er dann, nachdem sie ihren Weg fortgesetzt hatten.

Matra, der noch immer annahm, dass diese angebliche Beichte auf nichts anderes als irgendeinen faulen Witz hinauslaufen würde, erwiderte denn auch prompt:

»Allerdings, du trägst einen neuen Paletot, seit vorgestern eine neue Kragenform und …«

»Bitte, lass die Dummheiten!«, unterbrach der andere ihn ungeduldig. »Ich habe etwas Ernstes mit dir durchzusprechen. Berücksichtige das gefälligst …«

Der Schriftsteller schob schnell seinen Arm in den des Freundes.

»Verzeih, Alterchen, das ahnte ich nicht. So, und nun will ich dir vernünftige Antwort geben. Allerdings hast du dich verändert – sogar sehr. Soweit ich mich erinnere, wurde etwa vor anderthalb Jahren Edgar Bornemann definitiv aus der Liste der Lebemänner gestrichen und entpuppte sich plötzlich als Musterknabe von reinstem Wasser, worüber die Welt, in der man sich nicht langweilt, nicht genug die Köpfe und Köpfchen schütteln konnte. Doch wozu sage ich dir das! Gehört hast du es von mir ja schon verschiedentlich, freilich stets mit dem Zusatz, dass ich mich über diese Verwandlung des Saulus in einen Paulus ehrlich freue, da ich selbst nichts öder und langweiliger finde als das Leben dieser reichen jungen Leute, die nachmittags aufstehen und abends, wenn andere nach des Tages Last und Mühen ihr Lager aufsuchen, ihre erste Mahlzeit einnehmen.«

Bornemann nickte zufrieden vor sich hin. »Gut, die Wirkung hast du also konstatieren können. Ist dir nun noch nie der Gedanke gekommen, dass diese Wirkung notwendig auch einen Ursache haben muss?«, meinte er mit einem eigenartigen Lächeln.

Matra beugte sich vor und schaute dem Freund prüfend in das wie von innerem Glück durchwärmte, strahlende Gesicht.

»Du … Mensch … Alterchen … mir geht eine Ahnung auf! Wär es möglich … du bist ernstlich verliebt … nur das kann es sein.«

Bornemann antwortete nicht sofort. Er holte aus seiner Brieftasche eine Fotografie hervor und reichte sie dem Schriftsteller.

»Hildegard Börmer«, sagte er leise und mit einer Innigkeit, die niemand dem tollen Edgar von einst zugetraut hätte.

Dann beichtete er, erzählte von seinem Sommeraufenthalt in dem Fischerdörfchen, von der immer stärker werdenden Neigung zu dem liebreizenden, harmlosen Kind, von seiner Verlobung … Alles teilte er dem Freund mit, alles …

Matra hatte schweigend, oft mit einer gewissen stillen Rührung kämpfend, zugehört. Jetzt blieb er stehen und nahm des anderen Hände in die seinen, umspannte sie mit festem Druck.

»Meinen Glückwunsch, Alterchen!«

Bornemanns Augen leuchteten.

»Ich sehe es deinem Gesicht an, Bert, dass du dich von Herzen mit mir freust! Hildegard verdient es wirklich, dass ihretwillen zwei Männer hier auf offener Straße, umgeben von Häusern, die erst noch gebaut werden sollen, eine kleine Rührszene aufführen. Du wirst sie ja kennen lernen, sogar sehr, sehr bald, meine Frau Hadwig, wie man sie im Pensionat getauft hat, meine kleine Zauberin, die den tollen Edgar so urplötzlich völlig behext hat, dass er, wie du dich vorhin ausdrücktest, von der Liste der Lebemänner gestrichen wurde. Doch komm weiter, sonst gelangen wir erst bei Dunkelwerden in die Philippstraße.«

Matra brauchte doch noch eine geraume Weile, bis er sich von dieser Überraschung erholt hatte.

»Also deine Braut hat bisher tatsächlich keine Ahnung, dass du mit auf der Millionärsliste im Berliner Steuerregister stehst?«, meinte er dann mit leisem Zweifel.

»Weder sie noch meine Schwiegereltern«, entgegnete Bornemann bestimmt. »Ich habe alles so einzurichten gewusst, dass sie mich noch heute für einen simplen Ingenieur mit viertausend Mark Jahreseinnahme halten, der in Wannsee ein bescheidenes Häuschen sein eigen nennt. Sieh, Bert, deshalb verehre ich ja dieses Mädchen so über alles, deshalb bin ich ja auch so übermenschlich glücklich, weil ich eben bestimmt weiß, dass Hildegard mich allein liebt, mich mit allen meinen Fehlern und Schwächen, und nicht meine Millionen … Hätte ich mir meine zukünftige Frau anderswo gesucht, nie wäre ich den Verdacht losgeworden, dass meine güldenen Schätze für sie der Hauptmagnet gewesen sein könnten …«

»So unrecht hast du nicht«, meinte der Schriftsteller ernst. »Jedenfalls kannst du dich glücklich preisen, dass dir ein gütiges Geschick nunmehr alles beschert hat, was des Menschen Leben angenehm macht. Nebenbei, wann trifft deine Braut hier ein?«

»Wahrscheinlich bereits übermorgen. Genau kann ich das heute noch nicht sagen, da die Dekorateure in dem bescheidenen Häuschen in Wannsee grässlich gefaulenzt haben und ich Hildegard erst in das fix und fertige Heim ihrer Eltern führen will. Auf diese Überraschung freue ich mich ja wie ein Kind …!«

Da sie nun in belebtere Viertel einbogen, nahm die Unterhaltung eine allgemeinere Wendung an. Die Philippstraße fanden sie dann erst nach zweimaliger Nachfrage bei einem Schutzmann und nach einigen Umwegen glücklich auf.

»Weiß der Himmel«, meinte Bornemann, »still ist es hier allerdings. Da haben wir ja auch schon Nummer 16. Ganz nett und sauber, wenn auch nicht gerade sehr vornehm, dieser zweistöckige Bau. Fahrstuhl, Warmwasserversorgung und Dampfheizung dürften in diesem Palais unbekannte Einrichtungen sein.«

Sie waren auf dem Bürgersteig stehen geblieben und musterten eingehend das hell gestrichene Haus, das abseits von den übrigen in einem kleinen Garten lag und durch ein grünes Eisengitter von der Straße getrennt war.

»Von außen gefällt mir die Geschichte großartig«, erklärte Matra eifrig. »Kein Gegenüber – sehr viel wert! Scheint ein Holzhof zu sein da drüben. Licht und Luft reichlich vorhanden, dazu lärmende Kinder offenbar spärlich vertreten! Was meinst du, ob ich diesem Herrn van Heidersen – klingt holländisch, der Name – mal einen Besuch abstatte?«

»Selbstredend. Probieren geht über Studieren! Nur musst du nicht verlangen, dass ich mitkomme. Ich kann mein Mundwerk nur schwer im Zaum halten. Vielleicht verderbe ich dir durch eine meiner berüchtigten Bemerkungen den ganzen Spaß. Halt … du, da verlässt eben jemand das Haus. Und … wahrhaftig! Das ist kein anderer als Karlchen Belling, der berühmte Filmdramatiker. Vielleicht ist der dir schon zuvorgekommen.«

Belling hatte die beiden jetzt auch erkannt. Er winkte ihnen schon von Weitem mit der Hand zu.

»Morgen allerseits!«, begrüßte er sie vertraulich. »Matra, willst du dich etwa auch um das Zimmer bewerben?« Er betonte dabei das letzte Wort eigentümlich. »Wenn ja, so lenke deine Schritte nur wieder heimwärts. Denn dieser Herr van Heidersen ist ein schnurriger Kauz, dem niemand so leicht gefallen wird. Stellt der Anforderungen an einen Mieter – unglaublich! Dabei ist die Bude selbst gar nicht so übel.«

»Erzähle Genaueres, Belling«, bat Matra etwas enttäuscht. »Allerdings gedachte ich mich dem Herrn vorzustellen. Aber wenn du …«

»Nein, mein Bester«, unterbrach ihn der Filmdichter lachend. »Den Genuss musst du dir gönnen. Dieser Heidersen ist wirklich ein Original. Inzwischen will ich mit Bornemann hier draußen warten. Zögere nicht lange. Du wirst dein helles Wunder erleben.«

Der Schriftsteller war neugierig geworden. Kurz entschlossen schritt er auf das Haus zu. Der Weg durch den Vorgarten war sauber mit gelbem Kies bestreut, und die Blumenbeete rechts und links hatte man offenbar erst kürzlich frisch bepflanzt. Von der Eingangstür führte eine mit Linoleum belegte Treppe in das Hochparterre hinauf. Dort hing an der rechten Flurtür eine geschriebene Visitenkarte: Thomas van Heidersen.

Matra läutete. Es dauerte eine ganze Weile, bevor geöffnet wurde. Und der Schriftsteller hatte das deutliche Gefühl, dass er durch das Guckloch von drinnen prüfend gemustert wurde, während er wartend in dem hellen Treppenflur stand.

Dann tat sich plötzlich die Tür lautlos auf. Ein älterer Mann mit glattrasiertem, bleichem Gesicht, in dem die Backenknochen sich scharf abzeichneten, lud Matra durch eine Handbewegung zum Nähertreten ein, ging voraus und stieß eine Tür auf: »Bitte!«

Es war eine tiefe, volle Stimme, wie sie der Schriftsteller dem schwächlich aussehenden Männchen nicht zugetraut hatte.

Das Zimmer, in dem sie dann an dem Mitteltisch Platz nahmen, war ein großer, zweifenstriger Raum. Die Möbel so neu, dass Matra noch deutlich den Geruch scharfer Holzbeize verspürte. Die Einrichtung bewies im Übrigen einen verfeinerten Geschmack und erinnerte in nichts an die übliche Zimmereinrichtung der sonstigen billigen Junggesellenbehausungen. Das Bett stand hinter einem geschickt drapierten türkischen Vorhang, der zugleich die in den Nebenraum führende Tür verdeckte. Die Bilder an den Wänden, zum Teil Stahlstiche, zum Teil Ölgemälde, verrieten in ihrer Auswahl gleichfalls den Kunstsinn dessen, der dieses Zimmer für einen neuen Mieter hergerichtet hatte.

Thomas van Heidersen hatte inzwischen Zeit gefunden, seinen Besucher eingehend zu mustern, während dieser sich seinerseits in dem behaglichen Raume umschaute. Jetzt begann der Alte, während er seine knochige Rechte mit dem Daumen zwischen die Westenknöpfe einhakte.

»Dass Sie die Anzeige im Lokalanzeiger hergeführt hat, erwähnten Sie schon. Wie war doch Ihr Name?«

»Dr. phil. Bertold Matra, Schriftsteller.«

»Schön. Nun denn, Herr Doktor, wie sagt Ihnen dieser Raum zu?«

»Recht gut«, entgegnete Matra der Wahrheit gemäß.

Heidersen nickte grinsend vor sich hin. Es sollte wohl mehr ein wohlgefälliges Lächeln sein, aber in diesem Totenkopfgesicht sah es wirklich nur wie ein abscheuliches Grinsen aus, das zwei Reihen graugelber, falscher Zähne bloßlegte.

»Bevor wir uns über den Preis unterhalten«, meinte er darauf, »möchte ich Ihnen meine Bedingungen mitteilen. Würden Sie bereit sein, hier gleich so etwas den Hausverwalter zu spielen? Ich meine, die Mieten zu kassieren, die Steuern zu bezahlen usw., kurz mir alles abzunehmen, was zu den Pflichten eines Grundstückeigentümers gehört? Ich bemerke jedoch, dass diese Arbeit äußerst gering ist. Ich habe dieses Haus erst vor einem halben Jahre gekauft und es vollständig herrichten lassen. Es enthält vier Wohnungen zu je vier Zimmern. Drei davon sind zurzeit bewohnt – von mir, den Damen Geschwister Bernhard und dem Rechnungsrat Schwarz nebst Frau. Die Vierte hier gegenüber im Hochparterre steht leer, wird aber bereits in einer Woche von einem einzeln stehenden älteren Herrn bezogen. Kinder gibt es im Haus überhaupt nicht. Über mir wohnen die Damen Bernhard, von denen man kaum etwas sieht und hört. Ruhig ist es also. Wie denken Sie über die Sache, Herr Doktor?«

»Ich wäre nicht abgeneigt. Bei nur vier Mietparteien, eigentlich nur drei, kann die Verwaltung nicht allzu beschwerlich sein. Freilich, ich habe bisher derartige Geschäfte noch nie besorgt und weiß daher nicht, ob ich auch alles zu Ihrer Zufriedenheit zu regeln vermag.«

»Oh, da seien Sie ganz außer Sorge. Ich gebe Ihnen vorkommenden Falles genaue Anweisungen«, erklärte Heidersen eifrig. »Also würden wir in diesem Punkte einig sein, nicht wahr?«

»Ja«, bestätigte Matra etwas zögernd, denn er ahnte, dass der Alte jetzt erst mit seinen speziellen Wünschen herausrücken würde, die Karl Belling veranlasst hatten, ihn als »schnurrigen Kauz« zu bezeichnen.

Und wirklich, Thomas van Heidersen richtete jetzt seine großen Augen voll auf seinen Besucher und sagte langsam: »Ich habe noch so einige Eigenheiten, die zu berücksichtigen Sie sich verpflichten müssten. Ihr Zimmer hier würde von derselben Aufwärterin instand gehalten werden, die auch für mich sorgt. Morgenkaffee bekommen Sie, falls Sie es wollen, aus meiner Küche nebst Weißbrot und etwas Aufschnitt. Dies wäre in den Mietzins miteingeschlossen. Die Bilder in diesem Zimmer, die alte Andenken sind, dürfen nicht wo anders aufgehängt werden. Ich habe sie außerdem von dem Dekorateur ganz fest an die Wand anschlagen lassen. Für Ihren eigenen Wandschmuck, den Sie eventuell mitbringen, Herr Doktor, ist ja noch Platz genug vorhanden. Schließlich, unser geschäftlicher Verkehr hinsichtlich der Hausverwaltung muss sich, so lange ich dies für gut befinde, schriftlich in der Weise abwickeln, dass Sie Ihre Fragen usw. auf Zettel schreiben und diese in den Briefkasten werfen, der drüben an der Tür nach meinen Privaträumen angebracht ist. Die Antwort erhalten Sie in gleicher Weise. Zu diesem Zweck werden Sie an Ihrer Stubentür außen ebenfalls einen Briefkasten entdecken. Auf keinen Fall darf ich je in meiner Arbeit dadurch gestört werden, dass Sie persönlich bei mir Einlass begehren. Ich verreise zudem sehr häufig und habe auch viel außer dem Hause zu tun. Sie würden mich also höchst selten antreffen. Handelt es sich um eilige Sachen, so erledigen Sie sie nach Ihrem Dafürhalten. Trotzdem wird sich ja noch so manches Abendstündlein erübrigen lassen, wo Sie mir, wenn Sie so liebenswürdig sein wollen, Gesellschaft leisten können. Ich bin viel in der Welt herumgekommen, und manche meiner Erlebnisse dürften für Sie als Schriftsteller recht anregend sein. So, das wäre alles. Wie stellen Sie sich nun zu meinen Wünschen, Herr Doktor?«

Matra, der nachdenklich vor sich hingeschaut hatte, blickte auf. Seine Augen begegneten denen Heidersens, und da überkam ihn plötzlich etwas wie ein leises Unbehagen. Denn der Ausdruck dieser Augen war jetzt hinterlistig forschend, so ganz anders, wie bisher. Ein unbestimmtes Gefühl des Argwohns beschlich ihn. Merkwürdig genug waren ja auch des Alten Bedingungen, so, als ob dahinter irgendein Geheimnis steckte. Trotzdem, warum sollte er nicht darauf eingehen? Geschehen konnte ihm ja gar nichts! Die Hauptsache, das Zimmer gefiel ihm.

Und so sagte er denn kurz entschlossen: »Gut so, Herr van Heidersen, ich bin einverstanden. Und der Preis?«

»Monatlich zehn Mark – alles in allem, mit elektrischem Licht, Bedienung, Morgenkaffee und Heizung«, meinte darauf der Alte gelassen.

Matra war aufs Angenehmste überrascht. Das war spottbillig.

»Angenommen!«, erklärte er höchst befriedigt. »Und wann kann ich einziehen?«

»Sofort. Sie würden mir damit auch einen Gefallen erweisen, Herr Doktor. Ich muss nämlich schon in den nächsten Tagen verreisen und mag das Haus nicht ohne Aufsicht lassen.«

Er hatte sich dabei erhoben und streckte nun Matra seine knochige Hand hin.

»Schlagen Sie also ein, Herr Doktor. Zwischen Ehrenmännern genügt das als Vertragsabschluss.«

Bert Matra zuckte erschreckt, fast angewidert zusammen, als Heidersens eiskalte, feuchte Finger sich um die seinen legten. Aber er überwand diese lächerliche Regung schnell. Was konnte jener dafür, dass ihm die Natur diese unangenehme Beigabe, diese feuchtkalten Hände, beschert hatte? Mit einem leisen Lächeln meinte er: »Auf gute Kameradschaft und Nachbarschaft denn, Herr van Heidersen!«

Wenige Minuten später gesellte er sich wieder den beiden Freunden zu, die indessen in der Philippstraße wartend auf und ab gegangen waren.

»Nun?«, fragte der Filmdichter gespannt. »Was sagst du zu Herrn van Heidersen?«

»Etwas seltsam ist der Mann, das stimmt«, entgegnete Matra, die Achseln zuckend. »Mir aber gleichgültig. Für zehn Mark ist das Zimmer ein Paradies, und das gab bei mir den Ausschlag.«

»So seid ihr also wirklich einig geworden?« Man merkte, dass Belling ganz starr vor Staunen war.

»Allerdings. Weshalb hast du denn eigentlich nicht zugegriffen, Karlchen?«

Belling zögerte, offenbar etwas verlegen, mit der Antwort.

»Nun, weil ich diesem alten Totenkopf nicht gefiel«, sagte er dann ehrlich. »Erst teilte er mir all seine merkwürdigen Bedingungen mit, fügte aber sofort in einem Atem hinzu, ich wäre ihm als Anwärter für die Stellung nicht willkommen. Da lachte ich ihn aus – so etwas Enttäuschung und Ärger war wohl auch dabei – und ging. Ich dachte nun, er würde es mit dir ebenso machen, Bert.«

Matra war nachdenklich geworden.

»Komisch ist die Geschichte, hol’s der Henker!«, meinte er. »Vielleicht hätte ich doch klüger getan, abzulehnen.«

Jetzt mischte sich auch Bornemann ins Gespräch.

»Kinder, nun erklärt mir doch nur endlich, was der Mann denn für Bedingungen stellt! Ich vergehe ja vor Neugierde.«

Matra berichtete darauf den Inhalt seiner Unterredung mit Heidersen in allen Einzelheiten.

Der Millionär äußerte sich jedoch nicht weiter dazu, sondern gratulierte dem Freund nur herzlich zu der neuen Behausung.

»Kommt, ich lade euch zu einer Flasche Rotspon ein«, fügte er hinzu. »Die Sache muss begossen werden.«