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Westernkurier 06/2012

Bella Coola oder was?

So mancher wird sich beim Lesen dieser Zeilen jetzt sicherlich fragen, was denn solch eine Aussage mit dem Westernkurier zu tun hat. Wenn ich jetzt noch von Kwakiutl oder Hootznahoo rede, gehen die Gedanken von einigen Lesern bestimmt in Richtung exotischer Tänze. Andere wiederum schwanken bei diesen Namen wahrscheinlich zwischen der Bezeichnung für eine afrikanische Süßspeise oder einer noch unbekannten Kampfsportart.
Aber weit gefehlt, die Rede ist hier tatsächlich von nordamerikanischen Indianerstämmen. Von Menschen, die sich mit einer Wildheit gegen die weißen Eindringlinge in ihrem Land zur Wehr setzten, die denen der bekannteren Völker in nichts nachstand.

Wir alle kennen Apachen, Comanchen oder Sioux, nach einer gewissen Zeit des Grübelns vielleicht noch Irokesen, Cheyenne, Delawaren, Kiowa und Navaho, aber dann sind hierzulande doch die meisten von uns mit der Kenntnis verschiedener Indianerstämme mit ihrem Latein am Ende, oder?
Gut, es gibt da noch ein paar Freaks, im positiven Sinn gemeint, die tatsächlich zu diesem Thema noch Osagen, Nez Perces, Siksika, oder Seminolen, Hopi und Pajutes aufzählen können, aber das sind dann schon die eingefleischten Fans und Leute, welche die Geschichte der Ureinwohner Amerikas zu ihrem Hobby erkoren haben.
Zugegeben, als ich diese Namen das erste Mal vernommen habe, wusste ich damit genauso viel anzufangen wie eine Kuh mit einer Muskatnuss.
Inzwischen bin ich von ihrer Geschichte fasziniert.
Wer sich nun ebenfalls etwas genauer mit den Bella Coola, Kwakiutl oder Tlingit beschäftigt, wird bald feststellen, dass deren Leben und Wirken noch heute großen Einfluss auf etliche nordwestliche Bundesstaaten in den Vereinigten Staaten und Kanada hat.
Diese Menschen haben sich trotz ihrer relativ geringen Zahl bis in unsere heutige Zeit nicht von den Weißen verbiegen lassen und sich ihre Eigentümlichkeit bewahrt. Obwohl die einzelnen Stämme zum Teil aus nicht mehr als ein paar Hundert Seelen bestehen, haben sie sich zu keiner Zeit in ihrer Geschichte davor gescheut, ihre Interessen gegen mächtige Industriekonzerne oder sogar gegen den Staat selber zu verteidigen. Beispiele dafür gibt es genügend, ob das nun die im 19. Jahrhundert fast fünfzig Jahre lang andauernde blutige Auseinandersetzung zwischen den Tlingit und den Männern der Hudson Bay Gesellschaft und später gegen die US-Army ist, der jahrelange juristische Kleinkrieg der Haida gegen den Holzgiganten Weyershaeuser oder 1986 die Blockade der Kwakiutl gegen den Fischereikonzern Pan Fish und die Holzgesellschaft Mac Millan Bloedel. Oder gar die im Juni 2006 erhobene Anklage von Wilson, einem Häuptling des Kwakiutlstammes, gegen das Land Kanada wegen den Methoden des Raubbaus an der Natur und dem Betrug an den Indianern. Übrigens, nach einer Volkszählung im September 2011 zählte dieser Stamm gerade mal 714 Köpfe, Kanada zu diesem Zeitpunkt etwa 35 Millionen.

Immer wieder ist klar zu erkennen, dass sich diese Menschen eine Einmischung in ihr Leben und ihr Land entschieden verbieten. Dieser Kampf eint noch heute alle Stämme von Alaska bis hinunter zu den Küsten von Washington und Oregon. Egal ob es sich dabei um Wakash, Coast Salish, Chinook oder die schon erwähnten Tlingit, Kwakiutl, Haida oder Bella Coola und Hootznahoo handelt.
Der Grund dieses immer noch schwärenden Konflikts hat ohne Zweifel seinen Ursprung im Zusammentreffen der Indianer mit den ersten Weißen. Sie brachten ihnen nicht nur die Errungenschaften der Zivilisation näher, sondern auch Krankheiten wie die Pocken, die unter diesen Ureinwohnern auf furchtbare Art und Weise wüteten und fast zur Ausrottung ganzer Völkerstämme führten.
Alleine die erste Pockenepidemie in den 1780er Jahren dezimierte das Volk der Haida um fast die Hälfte. Noch schrecklicher war die große Epidemie von 1862.
Wenn man sich einmal die verheerenden Verluste betrachtet, die diese Krankheit unter den Indianern forderte, versteht man die heute immer noch tief verwurzelte Abneigung dieser Menschen gegen den weißen Mann. Das Volk der Haida wurde durch die Pocken von 8000 auf 2000 Menschen dezimiert, die Tlingit verloren 60 Prozent ihrer Stammesmitglieder und von 1700 Heiltsuk überlebten gerade mal 500. Die gesamte Volksgruppe der
Kwakwaka´wakw, zu der neben fast dreißig anderen Unterstämmen auch die Kwakiutl gehörten, besaß damals eine Bevölkerungszahl von etwas über 19 000 Menschen. 1924, also über sechs Jahrzehnte nach der Epidemie, hatten sie sich von ihren Folgen immer noch nicht erholt und ihre Zahl lag damals noch bei knapp eintausend Seelen. Mit verantwortlich dafür war eine dritte, wenngleich auch deutlich schwächere Pockenwelle im Jahr 1890.
Wer sich einmal die Mühe macht und etwas mehr über diese schrecklichen Pockenjahre, insbesondere denen um 1862, in Erfahrung bringen will, wird bald erkennen, dass es sich dabei um eines der dunkelsten Kapitel in der Indianerpolitik beider nordamerikanischen Staaten handelt. Eine Epoche, die bis heute noch immer nicht die ihr zustehende Berichterstattung in den Medien dieser Länder erfahren hat.
Aber das ist eine Sache, die Amerika und Kanada mit ihrem Gewissen ausmachen müssen.
Wir wenden uns der Kultur und Lebensweise dieser einfachen und doch so faszinierenden Völker zu.

So verschiedenartig ihre Stammesnamen waren, so ähnlich waren sie sich in ihrem Glauben und ihrer Lebensweise.
Sie nannten sich die Kinder des Raben oder die Kinder des Adlers.
Obwohl es zwischen den einzelnen Stämmen gewisse Unterschiede in der Religion und der Mythologie gab, war das Glaubensgebilde im Großen und Ganzen bei allen das gleiche. Egal ob es sich dabei um die Tlingit im Norden handelte oder um die Wakash, die mehrere Hundert Meilen von ihnen entfernt im Süden lebten.
»Zu Anfang schuf Rabe uns und alles und auch Totenpfähle.«
So gaben die Ältesten vieler Küstenstämme die Schöpfungsgeschichte wieder. Nach dem Glauben fast aller Nordwestküstenstämme erschuf der Rabe die Menschheit. Der listige Bursche pickte die ersten Menschen angeblich aus Muscheln, die er am Strand fand, und flog danach in das Reich des Himmelgottes, um ihm Sonne, Mond und Sterne zu stehlen. Erst dieser Diebstahl machte ein Leben auf der Erde möglich. Nur die mächtigen Wale lebten schon vorher in den Weiten des Meeres.
Bei den Tlingit und Haida waren Rabe und Adler die heiligen Tiere, bei den Kwakiutl war es der Donnervogel. Der Teufel war Baxbakualanu, der Menschenfresser aus dem Norden, und sein Diener Hohok, ein langschnäbeliges Vogelungeheuer.

Auch bei den anderen Stämmen drehte sich alles um die heiligen Tiere Rabe, Adler, Wolf, Karibu, Wal und Bär. Diese Tiergottheiten fanden vor allem bei den Haida, Bella Coola und den Kwakiutl ihren sichtbaren Ausdruck in Holzschnitzereien. Dort wurden Schutzgeister mit Menschen und verschiedenen Gegenständen zu einer Art Mischung aus Familienwappen, Stammbaum und Chronik des eigenen Volkes auf Holzpfähle übertragen, in denen begabte Handwerker ganze Stammesgeschichten schnitzten. Dass dabei diese Pfähle manchmal bis zu 15 Meter hoch waren, versteht sich aufgrund der Komplexität des darzustellenden Themas von selbst. Die letzten traditionellen Totenpfähle schnitzten die Haida um 1880.

Aber die Indianer waren nicht nur hervorragende Holzschnitzer, sondern auch geniale Baumeister und Schiffsbauer. Sie errichteten nicht selten Blockhäuser mit einer Wohnfläche von 300 Quadratmetern und bauten seetüchtige Kanus, die bis zu 50 Mann Besatzung aufnehmen konnten.
Eine der bemerkenswertesten Eigenarten in ihrem Stammesleben war die weithin bekannte Potlatch-Zeremonie, die vor allem bei den Haida und Kwakiutl in ihrer extremsten Form veranstaltet wurde. Mit diesem Wort bezeichnet man den Austausch von Geschenken, bei den Indianern der größte Ausdruck von Hochachtung gegenüber einem Gast.
Dabei versuchte jeder den anderen zu übertrumpfen und es kam nicht selten vor, dass sich eine ganze Familie dabei bis an ihr Lebensende verschuldete. Es sind Häuptlinge bekannt, die bei einer solchen Zeremonie 30 000 Wolldecken verschenkten oder fast 10 000 Armreife aus Silber und Messing. Die Folgen waren teilweise so gravierend, dass der Staat Kanada die Zeremonie 1884 verbot und erst in den 1950er Jahren in zeitgemäßer Form wieder erlaubte.

Eine weitere Gemeinsamkeit dieser Indianerstämme waren ihre hervorragenden Fähigkeiten als Jäger, Fischer und Kanuten, mit Pferden hingegen hatten sie nie viel im Sinn. Aufgrund dieser Lebensart schufen sie eine der größten einheimischen Zivilisationen der neuen Welt, die ihren Ursprung vor etwa 12 000 bis 15 000 Jahren hatte. Ein Leben im Einklang mit der Natur, welches um 1700 mit dem Eintreffen der ersten Weißen ein ebenso jähes wie schreckliches Ende fand.
Wer nach diesem kleinen Appetithappen im Westernkurier über das Leben der Indianer des Nordwestens jetzt Lust auf mehr bekommen hat, dem sei nachfolgende Seite empfohlen: www.travelworldonline.de

Ich hoffe man liest sich auch im nächsten Monat wieder, wenn es im Westernkurier ein weiteres Mal heißt: Auf ein Wort, Stranger!

Bis dahin euer Slaterman

Quellen:

  • Thomas Jeier: Das große Buch der Indianer, erschienen 2008 bei Ueberreuter
  • Ogden Tanner: Die Kanadier, ein Band aus der Time-Life Westernreihe von 1977
  • Joachim Hack, Das große Buch der Indianer, 2002 RM Buch und Medien

Copyright © 2012 by Slaterman

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