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Der Welt-Detektiv Band 6

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Jacob von Molay, der letzte Templer 17

Franz Theodor Wangenheim
Jacob von Molay, der letzte Templer
Zweiter Teil
Herr und Knecht
Verlag von Joh. Fr. Hammerich, Altona, 1838

Viertes Kapitel

Am anderen Tag aß der Meister nicht mit den Brüdern im Konvent. Er hatte die Ordenshäupter zu sich in den Palast eingeladen. Als die Tafel aufgehoben war, erklärte der Großmeister, seine wahre Absicht sei, die vorzüglichsten Ritter und Herren um ihre Meinung über des Wildgrafen Vortrag im Kapitel zu befragen. Dieses war daher ein geheimer Rat, den der Meister zusammenberufen hatte. Die Herren bedachten sich, blickten einer auf den anderen; denn, größtenteils Franzosen, wäre es ihnen nicht unlieb gewesen, einen Franzosen auf dem päpstlichen Stuhl zu wissen, wenn nicht die französische Klerisei zu Bonifaz Zeiten ihnen gegenübergestanden hätte, wenn nicht Philipp gerade den Ausschlag bei der Wahl gegeben. Sein Stolz war den Tempelherren bekannt, ihr Stolz ebenfalls der ganzen Christenheit als auch den Sarazenen. Da jedoch eine Leidenschaft wie diese niemals diejenigen befreunden kann, deren Herzen sie erfüllt, so war schon aus diesem Grund stets Misstrauen obwaltend. Der Stolz der Tempelherren war den weltlichen Rittern am lästigsten. Philipp zählte deren gar viele an seinem Hof. Auch dieses trug nicht wenig dazu bei, dass der Orden die Handlungen des Königs größtenteils den Eingebungen jener weltlichen Ritter zuschrieb, zumal wenn diese Handlungen im Entferntesten auf eine Beeinträchtigung der Privilegien des Ordens hindeuteten. Hier war dieses um so mehr der Fall, da der Erzbischof von Bordeaux mit seiner Erhebung zum Papst keineswegs seiner Empfindungen sich entäußert haben konnte, welche ihn bis zu diesem Zeitpunkt erfüllt hatten. Die Erzbischöfe und Bischöfe waren nämlich durch ein Privilegium, welches Papst Alexander III. dem Orden erteilte, in ihrer Macht beschränkt worden. Dieses Privilegium war eine völlige Befreiung von der Gewalt der Bischöfe, denn der Papst erklärte darin, dass der Orden mit allen seinen Gütern und Besitzungen, den jetzigen und denen, so er in Zukunft, durch Gunst der Päpste, Könige und Fürsten sowie durch Geschenke von Gläubigen ober auf jede andere rechtmäßige Weise, erwerben könne, unter den Schutz des Apostolischen Stuhls nehme. Konnte nun ein Erzbischof, der, während der Streitigkeiten zwischen Philipp und Bonifaz, sich gegen diesen Papst erklärt hatte, und welchen die Tempelherren unterstützten, konnte daher Clemens V. jetzt schon andere Denkweisen angenommen haben, als die er bis dahin gehabt hatte? Und wenn auch diese unglaubliche Veränderung geschehen wäre, so wussten die Ordenshäupter, welche hier versammelt waren, zu gut, wie der Orden insgeheim dem König und seiner Geistlichkeit entgegengearbeitet hatte, als dass er sich etwas Guten von dieser letzten Wahl versehen konnte. Auch die prächtige Erscheinung des Königs und seines Hofstaates bei der Krönung in Lyon blieb nicht unbeachtet. Dort waren nur weltliche Ritter um ihn, und schon zu Perugia hatte der Wildgraf Geringschätzung erfahren.

Die Männer im geheimen Rat des Großmeisters überdachten dieses. Boulogne war der Erste, welcher seine Meinung an den Tag gab; doch wurde er in seinem Vortrag sogleich zu Beginn gestört.

Der Meister äußerte auf den Eingang von Boulognes Meinung: »Nicht so, lieber Herr, nicht so. König Philipp ist durch mich dem Orden wohlgewogen. Sein Vertrauen besitze ich in einem zu hohen Grad, als dass ich ihn der heimlichen Bemühungen, dem Orden zu schaden, fähig halten könnte. Mir, dem Mann, der des Königs Kind das Christentum geben durfte, würde der König nicht alles verhehlen.«

»Das wollte ich auch nicht sagen, lieber Herr«, bestand Boulogne auf seinen wohlbedachten Worten. »Ich wollte nicht sagen, dass der König den Orden beeinträchtigen will; aber andere durch den König.«

»Wer könnten diese anderen sein?«, entgegnete der Meister mit hohem Stolz. »Wer in der Christenheit außer Philipp dürfte es wagen, den mächtigsten Orden anzutasten? Und warum gehen wir überhaupt so weit? Es ist nicht gut, wenn man dem ersten Eindruck sich ganz dahingibt. Dem Furchtsamen gleicht man, dessen Hirn so befangen wird, dass er allenthalben Gespenster sieht, weil er nicht vorher fähig war, seine Umgebung zu prüfen. Und auch Philipp! Würde er es wagen, er, der beste Sohn der Kirche, uns zu verunglimpfen, uns zu schaden, uns, die wir die Vormauer der Christenheit sind? Was kümmert es uns, dass die heilige Handlung zu Lyon ein so trauriges Ereignis bezeichnete? Das Mauerwerk, welches herabstürzte, den Herzog1 und mehrere andere erschlug, den König und den Grafen von Valois verwundete, war morsch. Warum soll ich das als einen Fingerzeig des Himmels deuten? Und wollte ich es auch; warum ihn auf uns beziehen, diesen Fingerzeig des Himmels? Der König möge eine Warnung darin erkennen, oder auch der neue Papst. Sie werden Frieden halten, denke ich, damit der Christenheit nicht wieder ein Ärgernis gegeben werde, wie es Philipp und Bonifaz gaben.«

»Vergebt das Wort, lieber Herr und Meister«, erbot sich der Wildgraf. »Seht, ich bin ein Deutscher, der Einzige meiner Zunge hier. Mein Herz kennt kein Misstrauen. Ich kann mir sagen, dass ich stets gerade gedacht und getan habe. Aber hättet Ihr es gesehen wie ich – das Gefühl des Kardinals von Ostia – hättet Ihr gehört, wie er jene Worte sprach, hättet Ihr die Geringschätzung erfahren in Perngia und in Lyon, Ihr würdet wahrlich misstrauischer werden als ich. Niemals werde ich den Augenblick vergessen, da das Stück der Mauer herunterstürzte. Ich hatte mich weit vorn hingedrängt mit meinen Brüdern. Der Altar war kaum zwei Spanneslängen von uns entfernt. Die Prälaten führten eben den Erwählten in den Dom. Der König und sein Gefolge standen zur anderen Seite des Altars uns gegenüber. Die feierliche Handlung, welche der verwaisten Kirche ein Oberhaupt gab, sollte beginnen, da krachte es über den Häuptern der Gläubigen, so die Kirche bis zum Erdrücken füllten. Ehe ich den Blick dahin werfen konnte, woher das Unheil verkündende Geräusch drang, ertönte schon der Ruf Rettet! Rettet den König! aus tausend Kehlen, durch das Gepolter der Trümmer, in meine Ohren. Meine Begleiter und ich, wir eilten so schnell hinzu, dass wir die Ersten waren, welche den König erreichten. Entrissen ihn mit starken Armen dem gefahrdrohenden Ort. Wir standen mit ihm gerade vor dem Altar. Sein linker Arm war verletzt und mit kalkigem Gesicht schaute der Priester Chor vom Altar auf uns. Da fragte ich teilnehmend, ob sich der König irgend anderswo auch noch verletzt fühlte. Er sah mich mit einem langen, unzufriedenen Blicke an. Nein, nicht mich sah er an, den weißen Mantel und das rote Kreuz. Ehe er ein Wort erwidern konnte, trat ein missgestalteter Priester hinzu. Sein Wink schien Befehl und der König entfernte sich mit ihm, ohne mir ein Dankeswort zu spenden. Was kümmert mich eines Königs Dank?«, fuhr der Wildgraf eifriger fort, indem eine jähe Röte das schöne Gesicht überflammte. »Bin ich doch Fürst wie er. Wenn auch mein Reich nicht so groß ist wie das seine, wenn ich auch der Untertanen nicht so viel zähle, so bin ich doch Tempelherr und Großkomtur des Ordens in meinem deutschen Vaterland. Ein König von Frankreich wiegt leicht gegen den Großkomtur des Tempelherrenordens in Deutschland!«

»Recht so, recht so«, knüpfte der Meister die Worte an die des Wildgrafen, »und eben darum finde ich es sonderbar, dass Männer wie Ihr bangen Zweifeln Raum geben.«

Der Wildgraf stutzte. Er hatte sich selbst widersprochen. Schnell gefasst aber warf er dem Meister ein: »Vorsicht steht dem Beherztesten wohl an.«

»Vorsicht zwar, doch keine gar zu ängstliche.«

»Sie wird uns wahren gegen Unbill, so wir nicht verdient und nicht erdulden mögen«

»Folgte ich Eurem Wort, den Brand würde ich in der Christenheit tiefstes Herz werfen.«

»Und Pontrouge …?«

»Ja, das war es«, kam der Meister zurück. »Schier hätte ich es vergessen.«

»Den Brief gab sie mir selbst in Lyon. Geschrieben war er lange, doch fehlte ihr ein sicherer Bote.«

»Liebe Herren«, wandte sich der Meister an die Übrigen, »unsere liebe Schwester Pontrouge zeigt mir an, dass der König zwei Abtrünnige des Ordens hoch in Ehren halte; den Prior von Montfaucon und Nosso Dei. Sie waren Haupträdelsführer bei dem Aufstand des Volkes, zum Tode verdammt und der König hat sie nicht allein begnadigt, sondern auf seine Kosten sind sie guter Dinge in Paris.«

»Sonderbar!«, stieß Boulogne hervor, indem sich seine Stirn in düstere Falten zog.

»Das freilich ist es«, fiel ihm der Dauphin bei, »jedoch wer weiß, welche Absicht der König mit den beiden hat. So viel denke ich verbürgen zu können, dass es seine königliche Ehre nicht zulässt, Abtrünnige des Ordens zum Nachteil des Ordens zu beschützen.«

»Verbürgt das nicht, lieber Bruder«, setzte ihm der Wildgraf entgegen. »Ich habe Frankreich durchzogen, ich, und habe vernommen, wie König Philipp selbst sich nicht entblödet, auf seinen Reisen schlimme Gerüchte über den Orden zu verbreiten.«

»Das ist nicht wahr!«, unterbrach ihn jener mit einer Heftigkeit, welche, mit den Worten des Dauphins, Zornesglut auf Stirn und Wangen des Deutschen jagte. Aber, den Meister ehrend, dämpfte er den Ausbruch seines Empfindens und versetzte mit drohender Kälte, während das große, blaue Auge flammte: »Freilich, lieber Herr, hat dann der Großkomtur, der Wildgraf Hugo, gelogen.«

Der Dauphin blickte verlegen vor sich nieder.

Den Meister aber hatten die Worte wohl ebenso tief wie den Wildgrafen verletzt, und edlen Zornes voll schüttelte er das ehrwürdige Haupt.

»Was muss ich erleben? Ist es so weit gekommen, dass im geheimen Rat, vor meinen Augen, die edelsten Herren sich so verunglimpfen? Wenn es hier so steht, was muss ich von den Provinzen denken? Gut, dass König Philipp es nicht gehört hat, was eben hier gesprochen worden ist. Bei Gott und unserer lieben Frau, er dürfte mit Recht Arges von dem Orden denken!«

»Lieber Herr!«, wagte der Dauphin das Wort.

Aber streng befahl ihm der Meister: »Schweigt! Ich befehle es! Denkt Ihr, weil ich Nachsicht übe, weil ich, das Heil der Christenheit erwägend, nicht jeden streng nach dem Gesetz bestrafe, man könne jeder Unbill sich bedienen? Denkt Ihr, es sei damit abgetan, wenn Ihr im versammelten Kapitel Demut zeigt und Gehorsam übt? Mit Nichten! Der Templer muss, wo er auch sei, dem Kleid Ehre und Ruhm erwerben um Gotteswillen! Wohin führte Euer Wort, wenn nicht drohend die Regel vor Euch stände? Christ würde gegen Christ, Bruder gegen Bruder das Schwert gebrauchen, wovor uns Gott bewahre! An Euch ist es, den Bruder Großkomtur um Vergebung zu bitten und, bei dem Kleid, das ich trage, nicht eher kommt Ihr von der Stelle, als bis Ihr den Wildgrafen versöhnt!«

Der Meister hatte einen schweren Eid getan. Solches hatte niemand noch an ihm erlebt, darum blickten die Herren auf den Dauphin, dessen ungezähmter Stolz beinahe zum Sprichwort geworden war. Der Kampf, welchen Stolz und Gehorsam in seiner Brust kämpften, war jedoch nicht in seinen Zügen zu lesen, denn der Dauphin war wieder zu stolz, seine Empfindungen vor irgendeinem zur Schau zu tragen. Wie sehr überraschte daher sein Benehmen in diesem ängstlichen Augenblick. Er sprach zu dem Grafen hinüber, jedoch ohne ihn anzusehen.

»Ich habe gefehlt gegen Euch, lieber Herr und Bruder. Vergebt mir um Gotteswillen, denn ich bereue meinen …«

»Nicht weiter!«, fiel ihm der Deutsche in das Wort. »Es macht mich verlegen, Euch, lieber Herr, so demütig vor mir zu sehen. Reicht mir die Hand, vergessen sei, was zwischen uns sich zugetragen.«

Anstatt des freudigen Ausdrucks, welchen man in den Zügen des Meisters erwartet hatte, stieg der finsterste Ernst in seinem Antlitz auf. Eine drückende Stille herrschte einige Minuten, dann sprach er.

»Wie sehr demütigt uns Franzosen dieser deutsche Mann! Zwar sind wir alle gleich im Orden, doch kann ich mich einer hässlichen Empfindung nicht erwehren, da sein Edelmut ihn höher stellt als irgendeinen unter uns. Aber eine gute Lehre gibt mir dieser Augenblick; ich will sie nutzen. Sind schlimme Gerüchte in Frankreich über den Orden im Umlauf, wahr oder unwahr und gleichviel, wer sie verbreitet, so müssen einzelne Ritter Anlass dazu gegeben haben und mir kommt es zu, das Übel im Keim zu unterdrücken. So ungern ich Eurer jetzt entbehre, lieber Herr«, wandte er das Wort an den Generalvisitator von Frankreich, »so finde ich mich notgedrungen, Euch nach Frankreich zu senden. Äußerste Strenge sei die ganze Weisung, welche ich Euch gebe.«

»Und wann, lieber Herr, soll ich nach Frankreich?«

»So schleunig, als es der Umstand erfordert. Hier darf nicht gesäumt werden. Ein fressender Krebs ist das Verderbnis Einzelner am Herzen des Ganzen. Zugleich gebe ich Euch einen Auftrag an den Heiligen Vater mit. Wir wollen nicht handeln, ohne vorher genau erwogen, geprüft zu haben. Der Papst wird unsere Privilegien bestätigen …«

Drei Schläge an der Tür unterbrachen den Meister. Peyrand fragte nach der Ursache derselben. Des Meisters Kammerdiener brachte ein Schreiben von Ninove.

»Was ist das?«, fragte Jakob von Molay, indem er noch las und mit der flachen Hand über die Stirn strich. »Ein Legat des Heiligen Vaters in Ninove? Mit Aufträgen an mich? Nicht an den Orden? Das befremdet mich!«

»Mit Verlaub, lieber Herr«, meinte der Wildgraf, »mich befremdet es nicht, ich sah es kommen, wollte jedoch meinem Vermuten noch nicht Worte leihen. Ich ahnte schon in Lyon, dass bald ein Unerwartetes sich ereignen würde.«

»Sprecht, sprecht! Ich sehe ein, dass Ihr gut beobachtet.«

»Die Krönung hatte stattgefunden«, berichtete Hugo, »und wie ich mir auch Mühe gab, zu unserem neuen Herrn und Richter zu gelangen; mein Mühen blieb ohne Erfolg. Da begegnet mir eines Tages ein junger Mann, dessen Gesicht ich schon einmal gesehen zu haben vermeinte. Ich redete ihn an, und ich hatte mich nicht geirrt. Auf der Veste Roucy sah ich ihn, als ich auf dem Weg nach Italien war. Ein Wort gab das andere. Er war mit dem Hofstaat des Königs nach Lyon gekommen, denn sein Meister, ein Waffenschmied aus Beziers, der mit einem der Abtrünnigen im Kerker auf Roucy gefangen lag …«

»Wie hieß der Waffenschmied?«

»Florian, lieber Herr.«

»So hat Pontrouge doch nicht mehr berichtet als Wahrheit. Vergesst Eure Rebe nicht, ich will Euch nur die Stelle aus dem Brief unserer lieben Schwester mitteilen.«

Der Meister las: »Außer diesen beiden Abtrünnigen begünstigt der König einen früher zum Tode Verdammten, einen Waffenschmied aus Beziers, dessen schöne Tochter mir übergeben worden war. In ihrer Dummheit erzählte sie mir, dass sie auf der Veste Roucy ihren Vater im Kerker besucht und ihr Bräutigam, der sich von ihr lossagte, geäußert hatte, er wolle sich in den Orden aufnehmen lassen. Da sei ein anderer Gefangener, sie beschrieb mir den Prior von Montfaucon, dazwischen getreten und habe den jungen Mann von diesem Vorhaben abgeraten. Aufmerksamer gemacht durch des Königs besondere Huld gegen einen Missetäter, welcher mit einem Abtrünnigen des Ordens gefangen war, forschte ich weiter, konnte jedoch nicht mehr erfahren, als dass der Waffenschmied nie und nimmer seine Tochter einem Menschen zum Weibe geben würde, der nur von den Tempelherren spräche.«

»Was Pontrouge mit einer Neigung des Königs und dergleichen weiteren Geschichten sagen will, das verstehe ich nicht, es scheint für Weiber zu sein. Fahrt fort, lieber Herr.«

»Er teilte mir seinen Wunsch, in den Orden zu treten, mit. Ich nahm keinen Anstand, ihn aufzunehmen, zumal da er nicht mehr der Tochter seines Meisters angehörte. Durch ihn gelang es mir, mit einem von des Königs Kammerdienern in Berührung zu kommen und, sonder Arg, führte mich dieser in den Palast, um mir die prächtigen Geräte zu zeigen. Auf meine Frage, wo der König sei, ob ich ihn nicht einmal zu sehen bekommen könnte, wurde mir die Antwort, der König habe sich mit dem Heiligen Vater eingeschlossen. Unbefangen, scheinbar unbefangen und wie hoch verwundert, sah ich die köstlichen Geräte und zögerte, soviel ich konnte, damit ich Näheres erführe. Mein Führer drängte schon, da öffnete sich die Tür und König Philipp trat herein; hinter ihm sein Beichtiger, wie ich nachher erfahren habe, der Priester, mit welchem er im Dom von mir ging. Auch noch zwei andere folgten dem König, sein Kanzler Nogaret und Enguerrand von Marigni. Der Kammerdiener stand bebend an der Tür.

Zornig hob der König an: »Was führt Euch, Ritter, in die Gemächer des Königs von Frankreich? Bei meiner königlichen Ehre, ich glaube, Ihr trotzt auf Euer Ordenskleid und denkt, alles sei Euch drum erlaubt!«

»Vergebt«, entgegnete ich mit Ehrfurcht, »die Neugier verleitete mich, die gepriesene, glänzende Hofhaltung Eurer Majestät zu sehen.«

»Und diesen Burschen nahmt Ihr zum Führer? Ich meinte nicht, dass ein deutscher Graf, ein Großkomtur des stolzesten der Orden, sich einem meiner Kammerdiener anvertrauen würde! Bei Gott, Herr Graf, es ist zum Lachen!«

Aufgemuntert durch des Gebieters Worte, lachten Nogaret und Enguerrand laut auf. Mir trieb der Zorn das Blut zu Kopf, doch die Scham über die unmännliche List schloss mir den Mund. Ohne dass ich es gewollt hatte, war jedoch meine Faust an den Griff des Schwertes gefahren. Der König flammte auf, gebot mir, den Palast zu meiden und fügte die Drohung hinzu, mich bei Euch verklagen zu wollen.«

Missbilligend schüttelte der Meister wieder das Haupt. »Der Eifer, wenn auch löblich die Absicht, führte Euch zu weit. Nun wird es heißen, eines von des Ordens Häuptern habe sich in den Palast des Königs geschlichen, um zu spähen, um zu horchen. Wenn auch Philipp selbst den guten Ruf des Ordens nicht zerfleischt, so werden die jenigen, welche uns beneiden, die Gelegenheit nicht versäumen, und ihrem Verdruss über uns Worte leihen. Doch, es ist geschehen. Es ist nichts mehr daran zu ändern. Zu anderen Dingen denn! Hat einer von Euch, liebe Herren, noch etwas vorzutragen, was in den geheimen Rat gehört?«

»Ich, lieber Herr und Meister«, erhob sich der, der den Schatz verwaltete. »Aus den nördlichen Provinzen sind Klagen an mich gelangt. Viele Komtureien bitten um Zuschüsse an barem Geld. Die Ernte ist schlecht ausgefallen, die Zehnten haben nicht eingetragen, und die Pächter sind in Rückstand geraten. Sagt an, lieber Herr und Meister, was sollen wir tun?«

»Es ist eine schwere Zeit in diesem Augenblick, lieber Bruder Schatzmeister. Das wisst Ihr ebenso gut wie ich. Der Krieg, wie wir ihn jetzt führen müssen, ist kostspielig. Gar wenig Zuschüsse werden uns zuteil, denn der Eifer für das Gelobte Land scheint in der Christenheit erkaltet zu sein. Die Beute von Tortosa hat kaum die Kosten des Zuges betragen, denn mit dem Fürsten von Tyrus mussten wir sie teilen. Der Orden hat den Brüdern nicht mehr versprochen als Brot und Wasser, um Gotteswillen. Die Komtureien sollen sich daher einschränken. Wir können unseren Schatz in Zypern nicht erschöpfen. Wie vermöchten wir sonst jeden günstigen Augenblick zu benutzen, der sich darbietet, den allgemeinen Feind anzufallen? Müssen wir uns doch selbst verwahren gegen die Ungläubigen, Ninove und seinen Hafen noch mehr befestigen. Das kostet viel, sehr viel! Für jetzt also kann den bedürftigen Komtureien nicht geholfen werden. Es wäre denn, dass sie an Kleidern, Waffen und Pferden so sehr Mangel litten, dass sie nicht mehr mit Anstand, wie es den Rittern vom Tempel ziemt, erscheinen könnten. Den Bescheid gebt den Komtureien, lieber Herr. Es dauert mich, dass wir nicht helfen können. Zugleich verordne ich, dass schleunigst alles in den besten Stand gesetzt werde, damit wir den Abgesandten Sr. Heiligkeit so würdig empfangen, als man von jeher an uns gewohnt war. Ihr, liebe Herren, und noch sechzig andere Ritter werdet mich nach Ninove begleiten. In unserer Mitte wollen wir den Legaten hierher führen.

An Eurem Harnisch, Herr Graf, habe ich Gold bemerkt. Nehmt eine andere Rüstung, denn Gold und Silber verbietet die Regel an den Rüstungen, den Waffen der Tempelherren. Ich sage Euch das nicht, um die Regel aufs Äußerste zu treiben. Doch ein Legat des Papstes kann keinen Verstoß gegen dieselbe finden, zumal, wo dieses unter meinen Augen geschieht.

Ihr, lieber Bruder Marschall, sorgt, dass auch die Rosse ganz gerüstet seien. Der päpstliche Legat soll uns nicht anders finden, als stets bereit, das Schwert zu ziehen.

Ich entlasse Euch hiemit, liebe Herren und Brüder. Gott geleite Euch und lasse Euch im Guten stets vollkommener werden.«

Boulogne war schon unter der Tür, als ihn der Großmeister allein zu sich berief. Er und Boulogne waren Freunde. Sie teilten ihre Ansichten unter vier Augen offener einander mit, und was sie auch vor anderen Rittern verbargen, das wurde unter ihnen allein gewöhnlich verhandelt. Boulogne war das Haupt, Molay der Arm.

»Wir sind allein«, begann der Meister. »Sage mir, Boulogne, was du von dem allen denkst, denn als der Deutsche erzählte, da erblickte ich in deinen Zügen ein unnennbares Etwas, welches mich befremdete. Ich kenne deine Weisheit, deine ruhige Prüfung aller Umstände. Verhehle mir deine geheimsten Gedanken nicht, Boulogne.«

»Es ist noch zu früh«, war die Antwort des Generalprokurators. »Wenn ich dir jetzt meine Gedanken kundtäte, so würde ich mich eines Vorurteils schuldig machen. Der Legat des Papstes wird dir eine Bulle überbringen. Ihr Inhalt soll uns Licht geben. Wie ist der Name des Legaten?«

»Vergaß ich doch danach zu fragen.« Der Großmeister rief seinen Kammerdiener.

Georg erschien, und auf die Frage, ob sich nicht ausgesprochen habe, welchen Namen der Abgesandte des Papstes trüge, versetzte Georg: »Doch! Ich glaube, man nannte mir den Kardinal von Ostia.«

Da winkte der Großmeister dem Kammerdiener schweigend, dass er sich entferne. Die beiden Männer waren erstaunt über das sonderbare Zusammentreffen der Umstände.

Molay fragte zuerst: »Was denkst du, Boulogne? Was sagst du?«

»Ich denke viel; doch ich sage wenig. Nur einen Rat will ich dir erteilen, Freund und Bruder, sorge, dass der Deutsche nicht dem Kardinal begegnet. Hier darf den Priester nichts unangenehm berühren. Was auch in der Zeiten Schoß verborgen liegt, durch Ehren aller Art versuche es zu entkräften. Gelingt dir das – wohl uns allen! Gelingt es nicht, und Neid und Eifersucht und Bosheit reckt das Haupt empor, so bleibt dir mindestens das Bewusstsein, dass deine Schuld nicht den Keim zur Reife trieb und das Bewusstsein stärkt Kopf und Herz.«

Von lange her gewohnt, Boulognes Rat treu zu befolgen, reichte ihm der Meister lächelnd dankend die Hand. Die Männer schieden voneinander.

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  1. Johann II., Herzog von Bretagne