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Der Welt-Detektiv Band 6

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Jacob von Molay, der letzte Templer 12

Franz Theodor Wangenheim
Jacob von Molay, der letzte Templer
Erster Teil
St. Jean d’Angeli
Verlag von Joh. Fr. Hammerich, Altona, 1838

Zwölftes Kapitel

Unweit von den Gemächern der Königin Johanna befand sich ein Gemach im Louvre, welches sich durch seine Anspruchslosigkeit auszeichnete. Hier war nichts zu finden, welches den Stand seiner Bewohnerin anzeigen konnte, denn wie glänzend auch Pontrouge bei öffentlichen Versammlungen des Hofes auftrat, in ihrem Wohngemach war nichts von diesem Glanz zu finden.

Tiefen Ernstes saß die Schwester in einem einfachen Lehnsessel gerade aufgerichtet und schrieb mit wohl erfahrener Hand. Was sie schrieb, das war bei einer Frau nicht zu vermuten, denn der Brief war an Jacob von Molay gerichtet, an den Großmeister desjenigen Ordens, zu welchem sie sich bekannt hatte. Es musste etwas Großes sein, von dem sie den Großmeister Kunde gab, denn zu öfteren Malen ruhte die Feder und Pontrouge versank in tiefes Nachdenken. Die Zeit schien ihr jedoch nicht in allzu vollem Maße zu Gebot zu stehen. Sie schrieb stets emsiger, wenn sie den Blick auf die geräuschlose Zeitverkünderin geworfen hatte, deren Sandkörnchen der Schreiberin allzu schnell rannen. Poutrouge übereilte bei dem Schluss des Briefes die Zeit selbst, und wie auch die emsige Schreiberin sich mühte, sie konnte den Brief nicht vor dem Eintritt der schönen Heloise von Malhac schließen.

Gespannte Erwartung sprach aus des Fräuleins Zügen. Sie wurde noch höher gespannt, als Pontrouge den Brief schleunigst diesen fremden Blicken entzog. Doch die ersten Worte der Oberhofmeisterin verhinderten jede Frage, die etwa aus des Fräuleins Neugier entspringen konnte.

»Da bist du ja, schöne Malhac«, empfing sie die Eintretende, und zwar mit einem Ernst, der auf eine fernere Unterhaltung, welche durchaus nicht höfisch sein konnte, schließen ließ. »Ich habe dich schon erwartet«, fuhr sie fort, indem sie den Sessel verließ und das Fräulein auf die Stirn küsste. »Du hast ja heute alles aufgeboten, was irgend deine Reize erhöhen konnte. War der Pater schon bei dir? Wie schön steht dir diese Griechentracht! War Pater Wilhelm schon bei dir? Liebe Heloise, du kannst dir nicht benken, wie sehr ich von deinem Reiz überrascht bin. Sieh, ich wollte ein gar ernstes Wort mit dir sprechen, doch was ich mir vorgenommen habe, verwandelt sich in Lobeserhebungen, mit denen ich doch sonst nicht gar verschwenderisch bin. Setz dich zu mir, liebe Malhac. So … reiche mir die Hand … ich bin dir sehr gut, Heloise …«

Erstaunt, ja beinahe verlegen, sah Heloise der sonst so strengen Frau ins Auge und wusste nicht, was sie auf all diese Lobeserhebungen erwidern sollte. Pontrouge erwartete vergebens ein Wort der Malhac, vergebens eine Miene, an welche sie ihre wahren Absichten mit Worten knüpfen konnte. Doch die Erfahrene wusste sich bald Rat zu schaffen. Von den geringfügigsten Dingen sprach sie so lange, bis sie mit einer Wendung, die Heloise nicht vermuten konnte, auf das Erscheinen der Waffenschmiedstochter bei Hofe kam. Da errötete Heloise, und Pontrouge wurde wütend: »Bei der heiligen Gottesmutter, das meinte ich nicht zu erleben! Mir, mir übergibt man eine Dirne, welche in die Küche eines Handwerkers passt, und ich soll sie für den Hof des Königs von Frankreich erziehen. Nein, das wurde Pontrouge noch nie geboten!«

»Sie wusste die Worte recht gut zu wählen, als sie vor dem König …«

»Du erinnerst mich zur rechten Zeit«, unterbrach Pontrouge das Fräulein. »Vor dem König stand, wolltest du sagen. Sorgloses, argloses Kind! … Sie stand nicht vor dem König; der König stand vor ihr! Konnte er wohl das Auge von ihr wenden? Verstummte nicht der sonst so beredte Mund? Wahrlich, mich dauert nur Johanna und, wenn ich es sagen soll, das französische Volk. Woher will Philipp all die Summen nehmen, welche in den Händen einer so unerfahrenen Dirne wie Wassertropfen zerrinnen?«

»Ich verstehe Euch nicht …«

»Das glaube ich gern, mein Kind; aber ich werde dir alles verständlich machen. Du bist jetzt nicht mehr das Kind Heloise. Du bist Heloise von Malhac, die schönste Blume im Kranz der Frauen an König Philipps Hof. Erröte nicht, ich sage nur die Wahrheit und darf sie dir nicht vorenthalten, weil du allein berufen bist, uns alle vor der Schande, von einer Bürgerdirne beherrscht zu werden, zu bewahren.«

»Ich? Wie könnte ich …?«

»Lass mich gewähren, Heloise. Freilich mochtest du wohl noch nie an etwas anderes gedacht haben, als bei Hofe zu glänzen, oder auch wohl der Königin näher zu stehen, als man von einer Ehrendame gewöhnlich erwartet! Kind, Kind, das Schicksal hat dich zu etwas Höherem berufen – nicht allein die Königin verpflichtest du dir, solange du atmest und sie, sondern die ganze Christenheit wirst du vor einem unersetzlichen Verlust bewahren, wirst hochgepriesen dastehen in der Frauenwelt und die Fürsten der Erde werden sich beugen vor dir!«

Diese Verheißungen, die Art und Weise, wie Pontrouge sie hervorbrachte, wirkten mächtig auf Heloise ein, und gibt es wohl einen Menschen, der nicht mit dem Versprechen auf Größe bestochen werden könnte? So unerfahren das Fräulein auch sein mochte, Poutrouges Worte entzündeten das empfängliche Herz.

»Bei Gott und seinen himmlischen Heerscharen«, versicherte die Oberhofmeisterin, da sie merkte, wie ihre Verheißungen das Fräulein ergriffen, »bei der heiligen Mutter, du wirst eine Gepriesene werden, so weit das Kreuz reicht! Heloise, du trittst, wenn du dich mir ganz übergibst, in einen Stand, um den dich Königinnen beneiden werden, und alle Welt wird deinen Namen noch in den spätesten Jahrhunderten preisen.«

»Frau Oberhofmeisterin«, stieß Heloise verwirrt hervor, »ist es Scherz, was Ihr jetzt mit mir treibt, so kommt doch bald zurück von einer Laune, in welcher ich Euch niemals gesehen habe.«

»Scherz?«, rief Pontrouge verächtlich lachend. »Scherz? Solche Versprechungen von mir und du denkst, ich scherze? Mädchen«, fuhr sie hohen Ernstes, ja sogar gestrengen Tones fort, » Pontrouge scherzt niemals und zumal jetzt, da ein so Großes auf dem Spiel steht.«

»Aber wie soll ich …«

»Du, nur du allein bist zu dem großen Werk geschaffen. Die Natur hat sich erschöpft, da sie dich mit jenem Reiz übergossen hat, der eines Königs Herz gewinnen kann, gewinnen wird. Warum erschrickst Du? Es ist heraus, was mir das Herz beschwerte. Ja Heloise, eines Königs Herz muss dir schlagen, damit nicht jede Dirne von Beziers uns durch den König beherrsche.«

»Nimmermehr, Frau Oberhofmeisterin!«, entgegnete das Fräulein mit schamgeröteter Wange. »Nimmermehr werde ich meiner angebeteten Königin mit sündigem Beginnen in den Weg treten.«

»Dachte wahrlich nicht, dass du mich schon so bald verstanden hast«, sprach Pontrouge, nachdem sie die Jungfrau scharf prüfend angeschaut hatte. »Doch desto besser für mich, denn ich erspare mir jetzt überflüssige Worte. Heloise, ich denke, mit dir nun offener reden zu können. Ein Augenblick hat dich gereift vor mir. Höre also und lass den Gedanken an eine Kränkung der Königin fahren. Ist es nicht desser, wenn des Königs Neigung dir gehört, als wenn er sie an eine gemeine Dirne verschwendet?«

»Lasst mich, Frau Oberhofmeisterin«, brach die Jungfrau auf. »Dieses Gespräch dünkt mir nicht der Ehre einer Malhac angemessen.«

»Bleib!«, befahl jene. »Du wirst bleiben, Heloise, denn nicht allein die trübe Aussicht, eine Tochter des Waffenschmieds von Beziers über uns zu wissen, ist der Hebel zu meinem Vorhaben. Ein anderes, ein wichtigeres ist noch vorhanden. Du weißt, dass die Christenheit stolz ist auf einen Ritterorden, zu dem sich auch ein Malhac bekennt. Ich selbst bin die Schwester eines jeden Ordensgliedes und muss den Vorteil desselben im Auge haben, wie ich alles aufbieten muss, Schaden von ihm abzuwenden. König Philipp schuldet dem Orden so große Summen, dass sein ganzer Schatz nicht hinreicht, sie zu bezahlen. König Philipp möchte sich diesen Gläubiger vom Halse schaffen. Doch davon verstehst du nichts.«

Bei dieser letzten Bemerkung aber dachte Pontouge gerade das Gegenteil, denn sie merkte wohl, wie Heloises Augen höher leuchtete, da sie eines Ritterordens erwähnte, dessen Großtaten die Welt mit Staunen und Bewunderung füllten. In jenen Zeiten empfand ein weibliches Herz beinahe schwärmerisch für den Rittersmann, so wie dieser auch der Frau die größte Achtung bezeigte. Kaum hundert Jahre vorher gab es Minnesänger im Ritterstand. Ihre Lieber erhielten sich auch noch bis zu dem Verfall der Ritter- und ehrbaren Frauensitte. Heloise, jung, schön, tugendhaft, konnte unmöglich eine gleichgültige Hörerin der Überlieferungen von treuer Liebe und Heldenmut der Ritter geblieben sein. Im Gegenteil, ihr jugendliches Herz klopfte warm für so hohen Beruf und Religionsschwärmerei, der Frau zu allen Zeiten eigen, ließ die Jungfrau um so mehr für einen geistlichen Ritterorden empfinden, da ihr wohl sein Glanz, seine Größe, sein aufopfernder Mut, seine an das Wunderbare grenzende Kühnheit und Tapferkeit bekannt war, und sie vom Verderbnis, welches man ihm zur Last legte, keine Ahnung hatte.

»Möge der König für immer des Ordens Schuldner bleiben!«, war Heloises ganze Antwort.

»Ich stimme dir bei, Mädchen, aber der König will den Orden nichts schulden. Er will die Schuld getilgt wissen, und wer weiß, ob nicht ein blutiges Abkommen getroffen wird!«

»Ein blutiges Abkommen? Eure Worte werden mir stets dunkler.«

»Höre Mädchen«, trat Poutrouge dicht vor Heloise hin, »höre, ich bin so weit gegangen, dass ich nicht mehr zurück könnte, wenn ich es auch wollte. Wisse, es ist gefährlich, einen Mächtigeren, als man selbst ist, auf dieser Stufe zu sehen. Du weißt, was ich an diesem Hofe vermag. Mein Amt lässt mich die Königin selbst auf Augenblicke beherrschen. Heloise, wenn du dir selbst nicht gleichgültig bist, so füge dich, wäre es auch nur zum Schein, in alles, was ich von dir fordere. Schwöre mir unverbrüchliches Schweigen, Gehorsam und die nächsten Stunden schon sollen dich höher gestellt finden, als du jemals zu stehen vermeintest.«

»Ihr drängt mich auch allzu sehr«, zitterte es aus Heloises Mund.

Poutrouge fand in diesem, von Furcht erzeugten Zustand, dass Heloise sie wahrhaft verstanden hatte und dass ihr Anschlag bei der Jungfrau schon für gelungen gelten konnte. Mit schlauer Berechnung tat sie nun den letzten Zug im gewagten Spiel – ein Zeichen, unbemerkt gegeben für Heloise, rief Margot zu der Pontrouge.

Aber nicht mehr in dem grauen Gewande erschien sie, nicht von blauem Stahl waren Spange und Gürtel. Wenn auch eben nicht reich, so war Margot doch so geschmackvoll gekleidet, dass sie sogleich bei ihrem Erscheinen, ein gar sonderbares Gefühl in Heloises Brust erweckte. Als die Oberhofmeisterin der Sitte genügte, die beiden Jungfrauen miteinander bekannt gemacht, da meinte sie, als stumme Zuhörerin in Heloises Herz ungestört hinunterblicken zu können. Doch Heloise schwieg, sie schwieg sogar, als Margot einige Worte gesprochen hatte, in denen sie die Freude über Heloises näheren Umgang mit ihr schilderte. Heloises Schweigen begleitete ein Anstrich des beleidigenden Stolzes. Dem unverdorbenen Gemüt steht häufig ein richtigeres Urteil zur Seite, und bei Margot war dies der Fall. Sie wandte sich, nachdem sie vergebens auf ein Wort von Heloise geharrt hatte, mit zurückgepressten Tränen an Pontrouge.

»Gnädige Frau, warum wart Ihr so grausam, mich zu rufen? Unmöglich kann es die Absicht meiner königlichen Gebieterin und ihres Gemahls sein, dass ich dem Spott, dem Hohn, der verächtlichen Laune zum Ziel diene. Kanntet Ihr das Fräulein nicht, dessen Benehmen mit den gütigen Zügen des schönen Gesichtes im Widerspruch steht, so weiß ich nicht, was Euch vermochte, uns beide zusammenzuführen. Wusstet Ihr, dass ich beleidigt würde, so rechnet mir zu, dass ich mich darüber beklagen werde.«

Wie sehr hatte sich aber eine Margot in Pontrouge irren müssen! Nur einen Blick warf die Höfischerfahrene der Malhac zu. Diese verstand ihn und Pontrouge schloss die Waffenschmiedstochter in die Arme.

»Es ist nicht meine Schuld«, begütigte sie das Mädchen. »Es ist nicht meine Schuld, dass ich mich in Heloise von Malhac betrogen fühle. Vergib, Margot und Ihr, Fräulein, werdet eine angemessene Strafe von Ihrer Majestät der Königin erwarten. Margot, beruhige dich. Dir soll Recht werden und die gebührende Genugtuung.«

Heloise, vor einer halben Stunde schien sie kaum der Verstellung fähig, war wie umgewandelt. Sie hatte den Wink der Pontrouge so gut verstanden, dass sie weinend herzutrat und Margot die Hand zur Versöhnung reichte. Des Mädchens Herzensgüte trocknete bald die Tränen der Bereuenden und Margot ergriff freudig die dargebotene Hand.

»Weint nicht, schönes Fräulein, ich habe Euch schon vergeben, und nichts wird mir höhere Freude bereiten, als wenn Ihr mir eine Freundin sein wollt. Ich stehe fremd auf diesem fremden Boden«, fügte sie seufzend hinzu. »Das Schicksal führte mich an diesen glänzenden Hof, ließ mich der Gnade des Herrscherpaares teilhaft werden, und was ich niemals im Traum geahnt habe, das ist wahr und wirklich um mich her. Aber es war nicht meine Wahl! Bescheidenes Los, wenn auch nicht dürftig zwar, das war mein Trachten. Nicht zu Glanz und Pracht zog mich das Herz. Ich muss jedoch dem Geschick mich fügen, und, wie ich so einsam dastehe, drängt mich das Herz zu einem Herzen, welches mich verstehen kann. Ihr, edles Fräulein, Eure schönen Züge, sprachen mächtig zu mir, als ich Euch erblickte, und wenn ich die Kluft ins Auge fasse, welche unsere Stände voneinander trennt, so kann ich Euren Stolz nicht ebenso unbillig finden, wie er mir im ersten Augenblick erschien. Es ist wahr, ich fühlte mich tief verletzt, doch war ich über jene Schranken unwillkürlich hinweggeführt, welche eines Waffenschmieds Tochter stets, einer edlen Malhac gegenüber, im Auge halten soll.«

»Gute Margot!«, rief Pontrouge. »Heloise! Fräulein«, verbesserte sie sich, »mögt Ihr dieses schöne Herz verkennen? Was gäbe ich drum, wenn ich einen Freundschaftsbund zwischen Heloise und Margot, den schönsten Perlen in Königin Johannas Frauenkreis, stiften könnte! Was gäbe ich drum, wenn ich die Dritte, eine mütterliche Freundin, Eurer beiden Freundschaft genösse!«

Lange schwiegen die Jungfrauen. Margot suchte Heloises Blick.

Die begann schüchtern: »Margot! Du vergabst mir. Ich bin deine Schuldnerin …«

»Nicht ein Wort davon …«

»Dein Herz erhebt dich weit über mich …«

»Nicht höher denke ich zu stehen, als Heloise von Malhac … nur möge sie mich, um meines niederen Standes willen …«

Ein inniger Kuss des Fräuleins hemmte das Wort. Brust an Brust hielten sich die schönen Jungfrauen, und einer Priesterin gleich stand Pontrouge, den höllischen Segen über diesen Freundschaftsbund heraufbeschwörend.