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Der Kommandant des Tower 20

Der Kommandant des Towers
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Zweites Buch
Der Lordprotektor
Zwölftes Kapitel

Von der Zusammenkunft zwischen Sir Thomas Seymour und der Prinzessin Elisabeth, und wie dieselbe unterbrochen wurde

Sir Thomas Seymour verließ am anderen Morgen sein Zimmer im Wardrobe Tower nicht vor der zu der Zusammenkunft mit der Prinzessin festgesetzten Stunde. In großer Aufregung, aber doch mit stolzer Zuversicht machte er sich zu dem Gang bereit. Ugo Harrington, der ihm beim Ankleiden geholfen und ihm zuletzt noch ein Paar parfümierte Handschuhe gereicht hatte, begleitete ihn bis zur Tür und wünschte buona riuscita. Aber es war zumindest zweifelhaft, ob der Blick des Dieners seinen Worten entsprach, sein Lächeln drückte mehr Bosheit als Teilnahme aus.

Als Seymour durch die langen und gewundenen Gänge des Palastes schritt, um die Zimmer zu erreichen, welche seine Schwester – Lady Herbert – bewohnte, zog seine stattliche Figur und seine prächtige Kleidung die Bewunderung des zahlreichen Dienstpersonals auf sich, welches in den Galerien umherstand, und es hieß einstimmig, dass er der ritterlichste Herr am ganzen Hofe sei.

»Sir Thomas sieht so tapfer aus, wie ein König«, bemerkte ein Oberkoch, der in weißen Damast gekleidet war und eine goldene Kette um den Hals trug.

»Seine Hoheit der Lordprotektor kann sich nicht mit ihm messen«, sagte ein ebenso hell gekleideter Küchenjunge.

»Alle Damen am Hof, sagt man, sterben vor Liebe zu ihm«, sprach ein geputzter Diener, der in der Gewürzkammer angestellt war.

»Ihr solltet ihn bei einem Turnier sehen, meine guten Herren«, meinte ein dicker Vorschneider in der Gesindehalle.

»Oder in der Reitbahn oder auf dem Fechtboden«, setzte ein schlanker Bursche hinzu. »Kein Mensch versteht mit dem Pferd so umzugehen oder das Rapier so zu handhaben wie Sir Thomas Seymour!«

»Seine Königliche Hoheit sollte ihn Ihrer Gnaden der Prinzessin Elisabeth zum Gemahl geben«, bemerkte ein zierlich aufgeputzter Page. »Kein anderer wäre ihrer so würdig.«

»Das kann sein und auch nicht sein«, nahm Xit das Wort, der mitten zwischen den Leuten stand. »Wenn der Vorhang aufgeht, so wird enthüllt werden, was dahinter ist«, fügte er geheimnisvoll hinzu.

»Was willst du damit sagen, kleiner Solon?«, rief der Page. »Willst du vielleicht andeuten, dass du mehr wüsstest als wir, die wir schon so lange Diener Seiner Majestät sind!«

»Ich weiß, was ich weiß – und was ich dir nicht anvertrauen werde, – darauf kannst du dich verlassen«, entgegnete Xit.

»Es ist unerträglich, was sich der Knirps einbildet!«, rief der Page. »Seit er des Königs Zwerg geworden ist, tut er wie ein spanischer Grande. Ich schlage vor, dass wir ihn aus unserer Gesellschaft treiben.«

»Versuche es auf deine Gefahr, du aufgeblasene Puppe«, erwiderte Xit stolz, indem er die Hand an den Griff seines Schwertes legte. »Ich weiche nicht, und, bei unserer lieben Frau, wer mich anrührt, soll es bereuen!«

»Ha! Was ist das?«, rief Fowler, der gerade in dem Augenblick herbeikam, »ein Wortwechsel dicht beim Audienzsaal! Beim heiligen Kreuz! Euer Betragen muss anders werden, meine Herren, oder einige von Euch müssen dafür büßen! Ah! Du bist da, mein lustiges Männlein?«, setzte er hinzu, indem er Xit bemerkte. »Komm, folge mir. Der König hat nach dir gefragt.«

»Merkst du was, elender Page?«, rief Xit mit dem Ausdruck tiefster Verachtung seinem Gegner zu. »Wenn meine Gesellschaft sich für dich nicht ziemt, so doch für deinen König und Herrn. Du kannst lange warten, bis Seine Majestät nach dir schickt. Ich folge sofort, verehrter Herr Fowler«, setzte er hinzu, indem er unter dem Hohn und Gelächter der Pagen und Diener hinter dem diensttuenden Gentleman einherstolzierte.

Unterdessen hatte Sir Thomas sein Ziel erreicht, und mit pochendem Herzen betrat er das Vorzimmer von Lady Herberts Gemächern. Hier fand er einen alten Portier, der ihm mit tiefer Verbeugung meldete, dass Ihro Gnaden, Seymours Schwester, im Augenblick nicht daheim sei, aber bald zurückkehren werde.

»Ich will ihre Rückkehr abwarten, Thopas«, sprach Sir Thomas, indem er auf das innere Gemach zuschritt.

»Nein, Sir Thomas, da drinnen sind zwei Damen!«, rief der Portier.

»Alt oder jung, Thopas?«, fragte Seymour.

»Was das betrifft, Sir Thomas, so halte ich die eine weder für alt noch für jung, sondern mitten zwischen dem. Sie ist, wie man sagt, noch eine hübsche Frau. Die andere aber halte ich für jung, obschon ich es nicht ganz bestimmt sagen kann, weil ihr Gesicht verhüllt war, aber Haltung und Gestalt verrieten ein junges Mädchen.«

»Ich will hinein und darüber ins Klare kommen«, sagte Seymour, über des alten Mannes Beschreibung der Prinzessin und ihrer Erzieherin lächelnd. Und indem er die Tapete aufhob, trat er in das anstoßende Gemach.

Es war ein großes Zimmer, mit kostbaren Tapeten in Silberstoff behangen. In Letzteren waren mit kunstreicher Hand goldene Nägel gestickt, während auf der Tapete Rosen, Lilien und Löwen prangten. Über dem weit vorspringenden Kaminmantel befand sich ein lebensgroßes Porträt Heinrichs VIII. von Holbein gemalt, der ebenfalls das Modell zu dem Kamin entworfen hatte. Die Decke war von Holz, mit grotesken geschnitzten Figuren verziert. Ein sehr tiefes Fenster mit farbigen Scheiben bildete eine Nische, und dort, an dem mit einem türkischen Teppich überhangenen Tisch, saßen zwei Damen, von denen die eine Prinzessin Elisabeth, die andere ihre Erzieherin Mistress Ashley war. Von Letzterer muss bemerkt werden, dass sie sehr liebenswürdig und wohlunterrichtet war, aber auch ganz ungemein nachsichtig gegen die Launen ihrer etwas eigenwilligen Elevin, von der sie närrisch eingenommen war, und die mit ihr machte, was ihr gerade gefiel.

Mistress Ashley saß im Hintergrund der Nische und war so sehr mit ihrem Buch beschäftigt, dass man annehmen konnte, sie bemerkte Sir Thomas Seymours Eintreten gar nicht. Welchen Gebrauch sie von ihren Ohren machte, können wir nicht berichten. Die Liebenden selbst kümmerten sich wenig um sie.

Als Elisabeth Sir Thomas sah, stand sie auf und kam ihm entgegen. Seymour warf sich ihr sofort zu Füßen.

»Steht auf, Sir Thomas«, sagte sie, »in dieser Stellung kann ich Euch nicht anhören.«

»Verzeiht, meine süße Heilige, wenn ich ungehorsam bin!«, rief Seymour leidenschaftlich. »Ich liege als ein Bittender vor Eurem Schrein und kann nicht aufstehen, bis mein Gebet erhört worden ist. Wehrt mir nicht, Euch so gedemütigt meine Gelübde darzubringen und auszusprechen, wie tief und innig ich Euch liebe.«

»Nein, in Wahrheit, Ihr müsst tun, was ich sage«, erwiderte Elisabeth in einem Ton, dem gehorcht werden musste.

»Bin ich Euch denn gleichgültig geworden!«, rief Seymour mit verzweifelndem Ausdruck, indem er aufstand. »Habe ich mich selbst getäuscht mit der Hoffnung, dass meine Liebe erwidert würde?«

»Wenn ich Euch nicht liebte, Sir Thomas, so würde ich nicht hier sein«, entgegnete sie.

Seymour enthielt sich kaum, abermals zu ihren Füßen zu stürzen.

»Niemals klangen Worte einem sterblichen Ohr so süß, teuerste Prinzessin!«, rief er. »Sprecht sie noch einmal! O, noch einmal! Ich kann kaum glauben, dass ich recht gehört habe.«

»Ihr erinnert mich, dass ich schon zu viel gesagt habe. Und doch möchte ich offen gegen Euch verfahren. Es liegt in meiner Natur, offenherzig zu sein.«

»Ich weiß es! Ich weiß es! Beglückt mich noch einmal mit den Worten, ich beschwöre Euch! Mein Herz verlangt danach.«

»Nun denn, zum zweiten Mal sei es gestanden: Ich liebe Euch, Sir Thomas! Seid Ihr zufrieden?«

»O, wie soll ich Euch für das Glück danken, womit Ihr mich überschüttet! Wie könnte ich nur Worte finden, um Euch meine Bewunderung Eurer unvergleichlichen Schönheit auszudrücken! Welche Gelübde könnte ich tun, um Euch meiner Ergebenheit zu versichern! Ein ganzes Leben reicht nicht hin, um sie zu beweisen, aber mein ganzes Leben soll Euch gewidmet sein!«

»Ihr wollt mich also glauben machen, dass ich der einzige Gegenstand Eurer Neigung bin, Sir Thomas?«, sagte sie, indem sie ihn prüfend anschaute.

»Könnt Ihr einen Augenblick zweifeln, schöne Prinzessin?«, erwiderte er. »Nein, Euch gehört mein ganzes Herz!«

»Mein Verdacht kann unbegründet sein. So will ich mich seiner zu entschlagen suchen. Das Gerücht nennt Euch einen Bewunderer unseres Geschlechts überhaupt.«

»Das Gerücht lügt, wie es gewöhnlich tut, schöne Prinzessin, es lügt, wenn es sagt, dass ich ein schönes Weib anders bewundere als ein meisterhaftes Bild oder eine herrliche Statue. Ein reizendes Weib entzückt mein Auge, aber nur wie ein Gegenstand, den man gern anschaut.«

»Zählt Ihr die Königin, meine Stiefmutter, mit zu den Frauen, die Ihr nur etwa wie ein Gemälde oder eine Statue anschaut, Sir Thomas?«, fragte Elisabeth.

»Ohne Zweifel«, erwiderte er, »die Schönheit Ihrer Majestät erweckt kein anderes Gefühl in mir. Euch aber, schöne Prinzessin, kann ich nicht kühl betrachten.«

Etwas wie ein Seufzer traf in diesem Augenblick das Ohr der beiden, aber sie achteten nicht darauf, weil sie meinten, Mistress Ashley seufze.

»Misstraut mir nicht, ich bitte Euch, schöne Prinzessin«, fuhr Seymour, ungeduldig, alle etwaigen Zweifel in Elisabeths Brust zu beschwichtigen, fort. »Königin Catharinas gnädiges Benehmen gegen mich hat meinerseits vielleicht ein lebhaftes Gefühl der Dankbarkeit hervorgerufen, was für ein wärmeres Interesse gehalten worden sein kann. Ich sage nicht, dass dem so ist, aber es kann sein.«

»Die Königin redet sich ein, dass Ihr sie liebt – davon bin ich überzeugt«, sprach Elisabeth. »Täuscht sie sich selbst oder täuscht Ihr sie?«

»Wahrlich, ich täusche sie nicht. Aber für eine Selbsttäuschung vonseiten Ihrer Majestät kann ich nicht einstehen.«

»Pst! Was war das?«, rief Elisabeth, »mich dünkt, ich hörte einen Seufzer.«

»Eure Erzieherin muss ein sehr rührendes Buch lesen, denn sie seufzt schon zum zweiten Mal«, antwortete Seymour. »Aber nun, da ich Euch jede nur mögliche Versicherung meiner Treue und Beständigkeit gegeben habe, beschwöre ich Euch, mich auch nicht länger in Ungewissheit zu lassen. Darf ich dieses Zimmer mit der beseligenden Gewissheit verlassen, dass ich Euch mein nennen werde, oder überlasst Ihr mich der Verzweiflung?«

»Ihr sollt nicht ganz verzweifeln, Sir Thomas. Aber Ihr müsst warten. Ich bin noch zu jung, um schon an eine Heirat zu denken, bis dahin müssen noch einige Jahre vergehen. Aber jetzt liebe ich Euch und glaube nicht, wankelmütig zu sein. Mehr kann ich nicht sagen.«

»Prinzessin!«

»Ich bin die Tochter Heinrichs des Achten«, fuhr Elisabeth fort, »und als solche werde ich nichts tun, was meines großen Vaters oder meiner selbst unwürdig wäre. Von allen Männern, die ich je gesehen habe, seid Ihr der ritterlichste. Ihr – wie ich bereits gesagt – habt mein jungfräuliches Herz gewonnen. Aber um meine Hand zu gewinnen, müsst Ihr steigen, denn nimmer werde ich ein Bündnis unter meinem Rang schließen. Wäret Ihr an Eures Bruders Stelle – wäret Ihr Lordprotektor des Reichs – so würde ich nicht Nein sagen. Aber bis es Euch gelingt, eine meiner würdige Stellung zu erlangen, bis dahin muss ich meine Liebe zu Euch beherrschen.«

»Wenn mein Ehrgeiz eines Anspornes bedürfte, so würden mir Eure Worte ein solcher sein«, sagte Sir Thomas. »Dass ich es gewagt habe, meine Augen zu Euer Majestät zu erheben, mag mein Streben nach dem Höchsten beweisen und kein scheinbar unüberwindbares Hindernis soll mich abhalten, es zu erringen. Ich brauche Euch kaum zu sagen«, fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu, »dass ich des Königs, Eures Bruders Lieblingsoheim bin, und dass, wenn es mir beliebt, meinen Einfluss auf meinen königlichen Neffen geltend zu machen, die Würde, die Ihr zur Erlangung Eurer Hand für nötig erachtet, mein werden wird. Als meine Gattin soll Eure Majestät keiner Dame im ganzen Königreich nachstehen.«

»Aber Edward kann unserer Verbindung entgegen sein«, sprach Elisabeth.

»Seine Majestät schlägt mir nichts ab – selbst nicht Eure Hand«, erwiderte Seymour.

»Aber der Lordprotektor – und das Conseil?«

»Alle Hindernisse sollen meinem Entschluss weichen.«

»Wenn Edward unter Aufsicht des Lordprotektors bleibt, so werdet Ihr bald Euren Einfluss auf ihn verlieren.«

»Das lasst meine Sorge sein«, entgegnete Seymour bedeutungsvoll. »Ich bin entschlossen, den höchsten Wurf zu wagen und ihn zu gewinnen oder alles zu verlieren. Doch die Macht gewinnen ohne den Preis, der allein der Macht den Wert verleiht, das hieße nichts erreichen. Ich bin es zufrieden, bis zu dem Zeitpunkt zu warten, wo meine Stellung mir erlaubt, um Eure Hand zu bitten. Aber um meine Zuversicht zu stärken, bitte ich Euch, gebt mir eine Gewähr für die Zukunft: Verlobt Euch mit mir.«

»Ich binde mich nicht gern in dieser Weise«, sprach Elisabeth schwankend.

»Nein, verweigert mir es nicht, ich bitte Euch!«

Nach einem kurzen inneren Kampf, während dessen ihr Liebhaber noch dringlicher bat, gab Elisabeth nach mit den Worten: »Sei es, wie Ihr wollt. Ich bleibe bei dem, was ich gesagt habe. Mistress Ashley soll Zeuge unserer Verlobung sein.«

Damit reichte sie Seymour ihre Hand, er presste sie an seine Lippen, und sie schritten zusammen auf die Nische zu, in welcher immer noch die Erzieherin saß, als plötzlich die Tapete an der rechten Seite des Zimmers zur Seite gezogen wurde und … Königin Catharina vor ihnen stand.