Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Dämonische Reisen in alle Welt – Kapitel I, Teil 2

Johann Konrad Friederich
Dämonische Reisen in alle Welt
Nach einem französischen Manuskript bearbeitet, 1847.

Kapitel I, Teil 2

Unterdessen waren die beiden Reiter an dem Hotel der Prinzen angekommen, wo man ihnen eine fürstliche Wohnung anwies. Bei Tafel nahm der Teufel Platz zwischen einer italienischen Primadonna und einer deutschen hochgräflichen Pietistin, ihm gegenüber saß ein verkappter Jesuite zwischen einer emanzipierten Hebräerin und einer Exfavoritin des Deys von Algier. Michel aber hatte das Glück, an die Seite einer blonden Mylady und einer etwas braunen spanischen Grandin geführt, sein en face war ein Missionar aus Indien zwischen zwei Quäkerinnen. Etwas weiter unten saßen Araber, Türken, Amerikaner, ein Bischof und ein Husarenoberst, ein aus Russland entlaufener Fürst etc. Alle ließen sich die köstliche Küche des Herrn Priva trefflich munden, und Weine aus allen Zonen schwenkten die kostbaren Bissen die Gurgeln hinab. Die Unterhaltung war lebhaft und heiter, drehte sich um Theater- und Staatsangelegenheiten, Politik und Musik.

Als die Sprache auf die große Oper kam, fragte Michel: »Was wird denn heute daselbst gegeben?«

»Der hinkende Teufel!«, antwortete die Primadonna.

Michel sah den Asmodi mit einem bedeutungsvollen Blick an, und beide beschlossen, sich nach aufgehobener Tafel in die große Oper zu begeben.

Als sie über die Boulevards gingen, fiel ihnen die hinter den Fenstern eines Buchladens ausgestellte neueste illustrierte Ausgabe von Le Sages Diable boiteux, mit Holzstichen von Juhannot, auf.

Asmodi grinste, auf sein Contrefait deutend. »Wenn man nicht schon ein Teufel wäre, müsste man des Teufels werden, sich so abgemalt zu sehen. Das Menschenpack kann sich nun einmal den Teufel nicht abscheulich genug denken, und schmückt uns immer auf das Freigebigste mit Hörnern, Klauen, Schwänzen und ähnlichen Zierraten aus, während es doch täglich die ärgsten Teufel in den verführerischen und liebenswürdigsten Gestalten zu Gesicht bekommt.«

Es war bereits Abend und aus allen Seitengassen und Gässchen schlüpfte das leichtfüßige und leichtsinnige Korps der Pariser Boulevardnymphen hervor, als wollte es des Hinkenden Worte bestätigen. Bald waren auch unsere beiden Helden von ihnen umschwärmt, doch wurden sie durch die diabolischen Blicke des einen eben so schnell wieder verscheucht, der zu seinem Gefährten sagte: »Das Völkchen könnte den Teufel selbst noch verführen.«

Sie lenkten nun in die Straße Lepelletier ein und hatten bald darauf in der Avantszene des Opernsaals mitten unter Diplomaten und diplomatischen Damen Platz genommen. Viktor Hugos Esmeralda war soeben beendet worden, und Asmodi unterhielt nach gefallenem Vorhang seinen Schützling, indem er ihm einige der anwesenden Tageszelebritäten zeigte und dieselben mit wenigen Worten charakterisierte.

»Siehst du dort links die kleine quecksilbrige Figur, das ist der große Thiers, der gar zu gern die Rolle des eben nicht immer großen Napoleon spielen möchte. Er ist ein großer Freund der französischen Gloire, besonders auch der klingenden, und das muss ihm sein Erzfeind lassen, dass er als Minister, so wie noch keiner vor ihm, die kostbare Erfindung des Telegrafen zu benutzen verstand. Was ihn aber jetzt gewaltig bewegt und ihm Tag und Nacht die Ruhe raubt, ist, dass er a tout prix wieder ein Portefeuille haben will, und er hat es schon tausendmal bereut, dasselbe so schnell abgegeben zu haben, in der Meinung, es hänge nur von ihm ab, es wieder zu nehmen, sobald er nur wolle. Irren ist menschlich. Einstweilen tröstet er sich damit, eine bissige Opposition, und seinem Geifer, Ärger und seiner Galle im Constitutionel Luft zu machen und einen großen Roman zu schreiben, den er Das Konsulat und das Kaiserreich betitelt, und dabei sich selbst als Karikatur seines Helden allenthalben produziert. Er besitzt eine große Gewandtheit, auch die absurdesten Doktrinen mit großer Leichtigkeit zu verteidigen, wie er erst wieder bei Gelegenheit der Armierung der Pariser Festungswerke bewies. Das frühere Leben des Advokaten Adolph Thiers ist bekannt genug. Lange Zeit konnte man auch in den elysäischen Feldern ein Aushängeschild lesen, auf dem geschrieben stand: Madame Thiers, Schwägerin des Ex-Ministers, Äpfelverkäuferin. Und die Frau soll gute Geschäfte gemacht haben. Aus seinen Schuljahren sagt man ihm nicht viel Gutes nach. Als Advokat zu Aix-en-Provence spielte er eine mehr als traurige Rolle und beschloss nun in Paris sein Glück zu versuchen. Hier kam der kleine Mann mit ein paar Brillen auf den blinzelnden Augen an, mit einem Rock bekleidet, dessen Farbe zu bestimmen auch den erfahrensten Chemiker in Verzweiflung hätte bringen können, mit anliegenden, sehr kurzen Beinkleidern, die etwa bis an die Waden reichten und einen ekelerregenden Glanz hatten, mit ein paar Wasserträgerstiefeln an den Füßen, einem fast fabelhaft verschabten Hut, würdig das Kabinett eines englischen Narren-Antiquars zu zieren. Lange ging es ihm in Frankreichs Hauptstadt unglücklich genug. Endlich fand er Gelegenheit, sich dem Deputierten Manuel vorstellen zu lassen, der ihn in den Büros des Constitutionel empfahl, wo er zuerst Salon-Artikel schrieb. Bevor Thiers Politiker wurde, war er also Maler, er hat nur die Farben gewechselt. Bald bewies er sich jedoch undankbar gegen seinen Beschützer und intriguierte gegen Manuels Wiederwahl, nachdem diesen die Ultras aus der Kammer gestoßen hatten. Dieser ebenso feige wie treulose Verrat war das Vorspiel von dem, was er später tat. Wahr ist jedoch, dass er seitdem, um das Gehässige der Undankbarkeit zu mindern, dieselbe zu einer Staatstugend erhoben hat.

Kaum hatte er sich durch seine Zudringlichkeiten Zutritt in Laffittes Salon zu verschaffen gewusst, so nahm er auch daselbst, mit dem Hut auf dem Kopf eintretend, eine Protektionsmiene an, sich eine Wichtigkeit gebend, die niemand anerkennen wollte, alle Welt um neue Mitteilungen zu einem großen Revolutionswerk, das er schreiben wolle, angehend.

Félix Bodin hatte zuerst die Idee gehabt, eine Geschichte der Revolution zu schreiben, und Thiers dabei als Sekretär zu Hilfe genommen. Nach drei Monaten und nachdem der erste Band erschienen war, war Bodin nicht mehr der Autor seines Buchs, und Thiers wusste ihn von einem Werk auszuschließen, bei dem er von dessen ursprünglichem Autor Anstellung und Verdienst erhalten hatte.

Intriguant, unverschämt, dreist bis zur Frechheit, wollte Thiers a tour prix seinen Weg machen, und es gelang ihm, wozu seine Geschichte der Französischen Revolution, die er einem anderen aus den Händen gespielt hatte, die Bahn brach.

Thiers sagte sich nun vom Constitutionel los und gründete den National mit Armand Carrel, der ihm in jeder Hinsicht überlegen war. Als die Juli-Ordonnanzen erschienen, unterzeichnete er mit den anderen Journalisten die Protestation gegen dieselben, die den anderen Tag auf einem einzigen Bogen erschien.

Nach Beendigung der drei Tage machte er sich mit so manchen anderen auf die Ämterjagd, bot Lafayette, Guizot, Laffitte und dem König seine Dienste an. Der Baron Louis öffnete ihm die Pforten zu dem Staatsrat, und schon im Jahr 1832 hatte er sich, nachdem er als Unterstaatssekretär der Finanzen Frankreich dem Bankrott nahe gebracht, zum Minister intrigiert, kaufte als solcher dem infamen Deutz das Geheimnis der Herzogin von Berry ab, wusste bald darauf den Conseil-Präsidenten Soult, der ihn einen Scharlatan genannt hatte, aus dem Ministerium zu verdrängen, sowie nach ihm auch die Marschälle Gerard und Mortier, später ebenso Broglie und Guizot, und bemeisterte sich der Präsidentschaft.

Thiers hielt sich nun wirklich für ein Universalgenie und wollte an der Spitze aller Zweige der Verwaltung stehen. Frankreich verdankt ihm nebst den Festungswerken auch die Septembergesetze, und das Gesetz, alle, die im Verdacht stehen, zu geheimen Gesellschaften zu gehören, aus Paris wegschicken zu dürfen. Er suchte nun auch seinen alten Freund Carrel in das scheußliche Attentat des Fieschi zu verwickeln, weil ihm dessen Polemik nicht mehr behagte. Der ganz unschuldige Carrel rief bei seiner Verhaftung aus: ›Sagt dem Thiers, dass ich mich dafür rächen werde!‹ Als dies dem Herrn Minister hinterbracht und ihm Carrels vermutliche Unschuld bekräftigt wurde, rief er aus: ›Ich verlange ja nicht mehr, als dass Carrel unschuldig sei. Sobald er es bewiesen hat, geben wir ihm die Freiheit wieder. Als Haupt der Republik muss er auch etwas tragen, denn es ist doch die Republik, die den Schlag führte!‹

Napoleons Name musste dem hochmütigen Ministerpräsidenten zum Fußgestell dienen. Da er dessen Asche von St. Helena hatte kommen lassen, zählte er sich beinahe selbst zu dessen Familie, wickelte sich in den napoleonischen Mantel, ahmte selbst den Gang des Kaisers nach, seine kleinen Augen blitzten hinter seiner Brille flammender hervor. Er nannte England einen großmütigen Alliierten gestattete, dass das Mittelmeer ein englischer See wurde, und war dabei nur der geprellte Spielball des Lords Palmerston, der den berühmten Londoner Vertrag vom 15. Juli 1840 mit Brunow fabrizierte. Als Thiers offiziell von der Sache unterrichtet wurde, schrie er Feuer und Schwert, schlug mit der Hand an seinen Degengriff, erließ drei oder viermal sein Ultimatum und beendete den Skandal mit der Note vom 8. Oktober. Das heißt, er sagte, Shakespeare parodierend. ›Alles hat schlimm für uns geendigt.‹ Indessen wollte er doch der Welt zeigen, dass es ihm Ernst sei, sich als gewaltiger Kriegsheld zu zeigen, und dass er nicht nur Kriege beschreiben, sondern auch führen könne. Er ließ das Heer organisieren, in Deutschland ausrangierte Pferde aufkaufen, um die französische Kavallerie damit beritten zu machen, antwortete auf die Kanonenschüsse von Beirut und St. Jean d’Acre durch die Befestigung von Paris, drohte Deutschland, das linke Rheinufer in seine Tasche zu stecken und französisch-thierische Herrschaft daselbst einzuführen, forderte ganz Europa heraus, spielte à la bète mit Mehemed Ali und – wurde bète, und trat – aus dem Ministerium, den kaum halb gezogenen Degen bescheiden wieder einsteckend – schwörend, so etwas solle ihm nie wieder passieren.

Man glaubte, dass Thiers damals sogar usurpatorische Gedanken gehegt habe, und der Fliegen-Mirabeau an einen Cäsarmantel gedacht habe. Aber man tat dem armen Mann unrecht. So sehr er auch von sich und seinem Genie eingenommen und aufgeblasen sein mag, so verstiegen sich doch nie seine Gedanken so hoch, er kennt Ludwig Philipp zu gut und macht sich in dieser Hinsicht keine so abgeschmackte Illusionen. Ein wenig Lärmen und von sich reden machen, das war alles, und leer trat er nicht ab, dank dem Telegrafen, den er zur großen Freude seines Schwiegervaters, Herrn Dosne, den er aus Dankbarkeit für gewisse Gefälligkeiten seiner Gattin zum Receveur-General von Lille gemacht hatte, besser als die englische Allianz zu benutzen verstand. Jetzt spielt er parlamentarische Komödien in der Kammer, jedoch mit wenig Glück und Beifall, macht Reisen, um Schlachtfelder zu besuchen, die ihm jedoch unverständliche Hieroglyphen sind, da er von der Taktik nichts weg hat, und beschließt das erste halbe Jahrhundert seines Lebens1 mit dem Roman seines Kaiserreichs, dessen gewaltige erwiesene Irrtümer, Entstellungen und unpolitische Parteilichkeit ihm schon manche tüchtige Rüge zugezogen haben.«

Hier beendete der Hinkende seine kurze Lebensbeschreibung des Herrn Thiers, die er aus dessen Zügen zu lesen schien.

Show 1 footnote

  1. Thiers wurde zu Ende des Jahres 1797 zu Marseille geboren, wo sein Vater Schlosser war, und jetzt noch mehrere seiner Verwandten ehrliche Handwerksleute sind.