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Der Kommandant des Tower 13

Der Kommandant des Towers
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Zweites Buch
Der Lordprotektor
Fünftes Kapitel

Wie König Edward früh morgens in den Garten des Towers geht. Wie er dort der jungen Lady Jane Grey begegnet, und von der lehrreichen Unterhaltung, die zwischen beiden geführt ward

Während der letzten Regierungsjahre Heinrichs VIII. war der Tower wenig mehr gewesen als ein stark befestigtes, wohlverwahrtes Staatsgefängnis. Die Kerker waren gefüllt mit Märtyrern der schrecklichen »Sechs Artikel« und mit anderen Staatsgefangenen. Die großen Gemächer des Palastes aber waren geschlossen, und die Ratskammer im Weißen Tower wurde selten benutzt. Der grausame König hatte seinen Fuß nicht wieder in die Festung gesetzt, seit die unglückliche Katharine Howard ihr Haupt auf den Block gelegt hatte. Wohl mochte er den Tower meiden, denn die Steine derselben würden Rache geschrien haben. Wie hätte er den Platz vor der St. Petri-Kapelle überschreiten können, ohne die Blut getränkte Stelle wahrzunehmen, wo der Sage nach kein Gras wachsen wollte, ohne der beiden liebreizenden Frauen zu gedenken, die hierhin zum Tode geführt wurden und ihn vergebens um Gnade angefleht hatten? Wie hätte er die vielen Türme des inneren Hofes ansehen können, ohne der Hunderte zu gedenken, dort eingekerkert waren? Für ihn musste der Tower voll grässlicher Erinnerungen sein – Erinnerungen an die Edlen, Guten, Weisen, Schönen und einst Geliebten, die er hier in strenger Haft hielt oder dem Henker überliefert hatte. Wenn sie alle hier hätten versammelt sein können, die auf seinen Befehl zum Tode durch das Beil oder am Pfahl abgeführt worden waren, so möchten sie wohl den großen Platz gefüllt haben. Kein Wunder also, dass Heinrich, wie taub er auch gegen die Stimme des Gewissens war, den Schauplatz seiner Missetaten scheute.

Aber die finstere Wolke, die solange über der blutbefleckten Veste gehangen und sie für jedermann zu einem Anblick des Grauens gemacht hatte, war nun auf eine Weile verschwunden, und von dem Festgelage hallten Töne der Lust und Freude in die Höfe nieder. Alle Staatsgemächer des Palastes – die zum Unglück für den Antiquitätenliebhaber spurlos verschwunden – waren geöffnet und neu dekoriert worden. Im Tower ward nun Hof gehalten, und so groß war der Zudrang von Besuchern, welche die Huldigung hierher führte, dass jedes benutzbare Zimmer der Festung einen Bewohner hatte, ja manche Zimmer – und zwar nicht eben die größten – mehrere.

Aber nicht nur Gäste waren im Palast und in den verschiedenen damit zusammenhängenden bewohnbaren Räumen, sondern auch die militärische Besatzung des Towers war verdreifacht worden. Die Vorsicht wurde der Sicherheit des jungen Königs willen getroffen. Nicht, dass man einen Aufstand fürchtete, aber es war das zu jener Zeit so Brauch bei der Thronbesteigung eines neuen Fürsten. So war, abgesehen den Edelleuten mit ihrem Gefolge, der Tower dermaßen mit Bogenschützen und Arkebusieren gefüllt, dass es zu verwundern war, wie so viele Menschen untergebracht wurden. Die Bastionen starrten von Kanonen, und die Wälle waren mit Bewaffneten überfüllt. Gardisten paradierten auf dem äußeren Platz, während Haufen von Dienstleuten, Sergeanten, Marschallen, Aufwärtern und Zeremonienmeistern, Kammerdienern, Sängern und Lakaien sich in den inneren Höfen befanden. Drinnen und draußen war alles voll Unruhe und Leben. Und wenn die unglücklichen Gefangenen, die noch in den Kerkern schmachteten, nicht an der allgemeinen Freude teilnahmen, so störten sie diese doch auch nicht, denn niemand, außer den Kerkermeistern, kümmerte sich um sie.

Früh am anderen Morgen nach Edwards Ankunft, während in der Festung das ungewöhnliche, eben beschriebene Treiben herrschte, wandelte derjenige, der all diesen ungewohnten Spektakel veranstaltete, fast allein in den zum Palast gehörenden Gärten umher. Garten und Palast sind seitdem längst verschwunden, aber zu jener Zeit war der dreieckige Platz zwischen Lanthorn Tower, Salt Tower und Well Tower in der Tat ein hübscher Garten. Jene Türme und die hohe ihn einschließende Mauer beengten freilich die Luft daselbst, aber er hatte zierliche Beete, eine beschnittene Taxusallee und einen Springbrunnen. Es prangten in ihm zwei oder drei schöne Buchen und ein alter Maulbeerbaum. Man erinnere sich indes, dass es Winter war, und folglich erschien der Garten nicht zu seinem Vorteil. Die Bäume waren kahl, das Wasser in der Fontäne gefroren, die beschnittene Allee mit Reif bedeckt. Wenn der Tower als königliche Residenz benutzt wurde, diente der Garten zur ausschließlichen Benutzung des Königs. Edward hatte deshalb keine Störung zu fürchten, während er hier spazieren ging.

Trotz der Ermüdung und Aufregung, die der vorhergehende Tag mit sich brachte, hatte Edward lange vor Tagesanbruch sein Lager verlassen. Nachdem er seine Andacht verrichtet und eine Predigt seines Kaplans, die einige Zeit dauerte, angehört hatte, begab er sich auf einem geheimen Weg, in Begleitung eines einzigen Kammerdieners, zu dem Palastgarten, wo er glaubte, ungestört zu sein. Der fleißige junge Monarch, der nie einen Augenblick Zeit verlor, suchte diesen stillen Ort nicht bloß auf, um sich Bewegung zu verschaffen, sondern er studierte im Auf- und Niedergehen die Institutionen des Justinian, während sein Begleiter ein anderes dickes Buch, nämlich des ehrenwerten Bractons Abhandlung De legibus et consuetudinibus Angliae zum gelegentlichen Aufschlagen mit sich trug. Edward war in einen grünen, mit Zobel besetzten Samtmantel gekleidet und schien die Kälte nicht halb so sehr zu empfinden wie sein Begleiter, sondern spazierte, in sein Buch vertieft, als ob es ein schöner Junimorgen gewesen wäre, auf und nieder, zuweilen stehen bleibend, wenn ihn irgendeine Stelle frappierte.

Sein Begleiter, den er »John Fowler« anredete, hatte in der äußeren Erscheinung nichts sonderlich Bemerkenswertes. Er war kurz und dick, nicht hässlich, und trug einen spitzen, rötlichen Knebelbart. Er liebte gute Mahlzeiten, und sein rotes Gesicht hatte in der Regel einen jovialen, drolligen Ausdruck. Jetzt aber sah sein Antlitz erfroren aus, seine große, mit verschiedenen Auswüchsen gezierte maulbeerfarbene Nase war ganz blau vor Kälte, und er vermochte kaum ein Zähneklappern zu unterdrücken. Er wagte nicht zu klagen und genötigt still zu stehen. Wenn sein Herr stehen blieb, musste er zusehen, wie er die Zirkulation seines Blutes in Gang behielt. Wie sehnte sich Master Fowler, während Edward in seinem Justinian vertieft war, nach dem großen Kamine voll brennender Scheite in der Halle zurück, den er soeben verlassen hatte! Wie gelobte er, sich mit einem kräftigen Trunk heißen Sekts, mit einem reichlichen Frühstück von Schweinerücken, gebratenem Kapaun und Wildpastete für die Leiden des Augenblicks zu entschädigen! Fowler hatte den Posten, den er jetzt bekleidete, schon zu Lebzeiten des verstorbenen Königs innegehabt. Der Lordprotektor setzte großes Vertrauen in ihn, und er hatte die Stelle in Edwards Nähe bekommen, um über dessen Tun und Lassen dem Oheim zu berichten. Ob Fowler das in ihm gesetzte Vertrauen rechtfertigte, wird die Zukunft lehren.

Ungefähr eine Stunde war so vergangen, und all die tröstlichen Fantasiegebilde, die dem halberfrorenen Gentleman vorschwebten, lagen in ebenso weiter Ferne wie zuvor. Der junge König war noch immer mit seinem Justinian beschäftigt und schien nicht daran zu denken, in den Palast zurückzukehren. Edward war an eine schwierige Stelle gekommen und sann gerade über einen verwickelten Satz nach, als eine andere Person den Garten betrat. Es war ein junges Mädchen von außerordentlicher Schönheit, gleich dem König in einen Pelzmantel gekleidet, um ihre zarte Gestalt gegen die Unbill des Wetters zu schützen, und gleich jenem hatte auch sie ein Buch in den Händen, von dem sie nicht aufblickte, sodass sie in der Tat den jungen Monarchen und seinen Begleiter nicht zu bemerken schien. Edward ward ihres Näherkommens ebenso wenig gewahr und schaute kein einziges Mal auf und nach ihr hin.

Der Kammerdiener wäre verpflichtet gewesen, den schönen Ankömmling von der königlichen Gegenwart in Kenntnis zu setzen, aber entweder fror er zu sehr, um gehörig seine Schuldigkeit zu tun, oder er war neugierig zu sehen, was folgen würde, denn er ließ es bei einem leisen Hüsteln bewenden und tat weiter nichts, um ihr Weiterschreiten zu verhindern, als der König jenes nicht bemerkte.

Jetzt war das schöne Wesen in geringer Entfernung von Edward. Dieser hörte Fußtritte, erhob die Augen von seinem Buch und blickte das Mädchen mit großem Erstaunen, aber durchaus nicht mit Missvergnügen am. In demselben Augenblick schaute auch sie auf und zeigte ein wunderliebliches Antlitz. Ein leichtes Erröten überflog ihr Gesicht und erhöhte wo möglich ihre Schönheit. Sie war vielleicht ein Jahr älter als der König, jedenfalls war sie die Größere von beiden. Ihre Züge, ihre Haltung – lieblich und würdevoll zugleich – verrieten ihre edle Herkunft. Ihr Anzug war der Art, wie er der Tochter eines der Edelsten im ganzen Land geziemte. Ihr sanftes und heiteres Gesicht sah gedankenvoll aus und so, als ob ihr Inneres frei sei von allen irdischen Flecken. Es zeigte jene seltene Vereinigung von Geist und Schönheit, die in ihrer Vollendung, wie hier, den Menschen auf eine Stufe mit Wesen höherer und edlerer Art zu erheben scheint. Blick und Lächeln waren wirklich engelhaft.

So war die jugendliche Lady Jane Grey, die Tochter des Marquis von Dorset, Großnichte Heinrichs VIII. und Enkelin seiner schönen Schwester Mary, die erst an Ludwig XII. von Frankreich und dann an den berühmten Charles Brandon, Herzog von Suffolk, verheiratet gewesen war.

»Guten Morgen, liebe Cousine«, sagte der junge König, indem er Janes tiefe Verbeugung erwiderte. »Ihr seid ja früh auf! Ich sollte denken, dass an einem so frischen Morgen wie heute ein Platz am warmen Herd besser für ein so zartes Wesen wie Euch wäre als die scharfe Luft. Aber Ihr scheint der Kälte brav zu trotzen.«

»Ich fühle sie nicht«, antwortete die junge Lady Jane. »Ich bin daran gewöhnt, mich jeder Witterung auszusetzen, sie schadet mir nicht. Eure Majestät halten mich irrigerweise für sehr zart, ich bin das nicht. Ich bin weit stärker als mein Aussehen glauben lässt. Wenn ich in Bradgate bin, in Leicestershire, so reite ich mit meinem Vater auf die Jagd, und eine tagelange Belustigung ermüdet mich nicht. Was sagte ich: Belustigung?«, setzte sie mit einem leisen Seufzer hinzu. »Die Hirschjagd ist kein Vergnügen für mich. Es wird nur im Allgemeinen dafür gehalten, und so muss ich es wohl ja nennen. Dann stehe ich früh auf, denn ich bin keine Langschläferin und nehme mein Buch und gehe in den Park im Sommer oder in den Garten im Winter und lese und denke nach, bis man mich zu meinem einfachen Frühstück ruft.«

»Das ist gerade dasselbe Leben, wie ich es geführt habe«, antwortete Edward, »nur konnte ich der Jagd nicht müde werden. Jetzt, da ich König bin, gedenke ich meiner Liebhaberei nachzugehen und im Windsor Forst und in Enfield Chase eine Menge Wild zu schießen. Aber wenn Ihr die große Jagd nicht liebt, schöne Base, so doch gewiss die Falkenjagd? Das ist ein edles Vergnügen.«

»Mag sein«, erwiderte Jane ernsthaft, »aber ich liebe auch das nicht und mag nur die Hetzjagd mit Windhunden weniger als die Falkenjagd, und Angeln noch weniger als Hetzjagd. Eure Majestät werden lächeln, wenn ich gestehe, dass mir all diese Belustigungen als grausam erscheinen. Sie machen mir keine Freude. Ich kann es nicht ertragen, dass arme Geschöpfe zu meinem Vergnügen gequält werden. Es tut mir weh, wenn ich sehe, wie ein edler Hirsch niedergeworfen wird. Mehr als einmal habe ich einen klagenden Hasen von den Zähnen seiner Verfolger gerettet. Arme Tiere, sie dauern mich, selbst die boshafte Otter.«

»Ich kann Eure Gefühle nicht teilen, Jane«, sagte der König, »aber ich bewundere sie als Beweis Eurer Milde. Was mich betrifft, so regt mich sowohl die Hetzjagd als auch die Falkenjagd dermaßen auf, dass ich für Wild und Vogel wenig empfinde. Angeln liebe ich nicht besonders, muss ich gestehen, denn das regt mich nicht auf, und ich sitze am Ufer und lese, während meine Lehrer sich mit Rute und Angel befassen. Aber, wie ich sagte, ich will im Windsor Forst eine große Jagd veranstalten, die mein Onkel Seymour anführen soll, und Ihr seid eingeladen, wenn es Euch beliebt, schöne Cousine.«

»Ich bitte Eure Majestät, mich zu entschuldigen«, antwortete Jane. »Ich habe in Bradgate mehr Jagden, als mir lieb ist. Aber wohl möchte ich durch den Windsor Forst streifen, der, wie ich höre, ein herrlicher Forst ist.«

»Ihr habt ihn noch nicht gesehen?«, rief Edward aus. »O, dann steht Euch noch ein großes Vergnügen bevor, liebe Base. Solche Haine und solche Lichtungen, wie Ihr dort finden werdet, gibt es ganz gewiss nicht in Bradgate.«

»Das glaube ich wohl«, antwortete Jane, »und auch das Schloss selbst hat viel Interesse für mich.«

»Ich werde nicht eher hinkommen, als bis in der St. Georgs-Kapelle eine gewisse traurige Zeremonie stattgefunden hat«, sagte Edward bewegt, »und die der König, mein teurer Vater, – dessen Seele sich Christus erbarme – neben meiner seligen Mutter in dem Gewölbe beigesetzt worden ist. Aber wenn diese Trauerzeit vorbei ist, wenn ich im Westminster gekrönt worden bin, und wenn ich dann unter Zustimmung des Lordprotektors und des Conseils meinen Hof nach Windsor verlege, dann schöne Cousine, müsst Ihr aufs Schloss kommen. Oh, es wird Euch erfreuen! Es ist viel, viel sehenswürdiger als dieser alte schreckliche Tower, der einem Gefängnis viel ähnlicher sieht als einem Palast.«

»Nicht doch, mein Herr«, erwiderte Jane, »wie groß und regelmäßig gebaut auch Schloss Windsor sein mag, es kann mich nicht mehr interessieren als diese ernst aussehende Veste. Welche Tragödien sind innerhalb dieser Mauern gespielt worden! Welche schrecklichen Dinge sind da vorgegangen! Gespenster müssen hier umgehen. Aber ich will bei dem Gegenstand nicht länger verweilen und bitte um Verzeihung wegen der Andeutung. Es ist sonderbar, aber seit ich meinen Fuß in den Tower gesetzt habe, hat mich der Gedanke verfolgt, und ich kann ihn nicht loswerden, dass ich selbst eines Tages eine Gefangene in diesem Kerker sein und dass mein Blut den Rasen tränken werde.«

»Zu meinen Lebzeiten wird ein solcher Tag nicht anbrechen«, antwortete Edward. »Der Ort ist nicht geeignet, heitere Gedanken oder angenehme Träume zu erregen, und ich muss gestehen, dass ich selbst in vergangener Nacht schlecht geschlafen habe. Ich träumte von den beiden Kindern meines Namensvetters Edwards V., wie sie im Tower ermordet wurden. Ich hoffe, Jane, Ihr hattet nicht solche Träume.«

»Doch, Herr«, sagte sie, »meine Träume waren vielleicht noch schrecklicher als die Euren. Ihr mögt sie erraten, wenn ich Euch sage, dass ich beim Erwachen froh war, dass mein Kopf noch zwischen meinen Schultern saß. Glaubt Eure Majestät an Vorbedeutungen?«

»Nicht sonderlich – aber warum fragt Ihr, liebe Base?«

»Eure Majestät soll hören. Als ich gestern mit dem edlen Lord, meinem Vater und Eurer Majestät Cousine, meiner Mutter, in den Tower kam, mussten wir auf unserem Weg zum Palast den inneren Hof durchschreiten. Da bemerkte ich unter dem hier versammelten Haufen eine sonderbar hässliche Person. Der Mann hinkte und war in blutrote Serge gekleidet. Darunter trug er ein ledernes Koller. Schwarze Zöpfe hingen an jeder Seite seines leichenfarbenen Gesichts und in seinen Augen war etwas Wölfisches und Blutdurstiges. Als er bemerkte, dass ich ihn ansah, nahm er seine Mütze ab und schritt auf mich zu, aber mein Vater wies ihn ärgerlich zurück und schlug ihn mit der Peitsche. Der Mann hinkte davon, indem er immerfort mit seinen roten Wolfsaugen boshaft nach mir hinstarrte. Mein Vater sagte mir sodann, es sei Manger, der Henker, und weil man es für Unglück bedeutend halte, ihm zu begegnen, so habe er ihn weggetrieben. Glaubt Eure Majestät nicht, dass eine solche Begegnung an einem solchen Ort von schlimmer Vorbedeutung sei?«

»Der Himmel verhüte es!«, rief der junge König aus. »Aber lasst uns von etwas anderem reden. Erzählt mir von Euren Studien, meine gelehrte Cousine.«

»Ich kann keinen Anspruch auf das Beiwort machen, das Eure Majestät mir geben«, antwortete sie. »Aber das Buch, das ich gerade lese, ist Martin Bucers Kommentar zu den Evangelien.«

»Mein Lehrer Doktor Cox hat mir davon gesprochen. Er sagt, es sei eine vortreffliche Abhandlung. Ihr sollt sie mir erklären, Jane. Ohne Zweifel kennt Ihr Bucers Kommentar zu den Psalmen?«

»Ja, Herr, und ich will versuchen, Euch das Werk zu erklären, wenn Ihr Lust habt; ebenso Pirskaovol von Paul Fagius, welches ich kürzlich gelesen habe.«

»Ihr könnt mir keinen größeren Gefallen tun. Ich bin überzeugt, Jane, dass ich Nutzen und Belehrung aus Eurer Interpretation ziehen werde. Eine solche Vorbereitung ist nötig, denn ich will Bucer und Fagius nach England berufen. Seine Ehrwürden von Canterbury hat schon mit mir darüber gesprochen. Mein Streben wird dahin gehen, meinen Hof zum Sammelplatz gelehrter und frommer Männer zu machen, und besonders solcher, die eifrig darauf bedacht sind, die Kirche zu reformieren und von den Irrtümern des Papsttums zu reinigen.«

»Bucer und Fagius sind beide sehr gelehrte und fromme Männer, strenge und ernste Streiter, die wohl imstande sind, wo es nottut, die Gegner der guten Sache anzugreifen und zu widerlegen. Ich freue mich, dass Ihr sie einladen wollt. Ihr ehrt Euch selbst dadurch. Aber da ist noch ein anderer, der Eurer Majestät nicht unbekannt ist, und der, wie mich dünkt, Euch bei dem großen Werk, das Ihr vorhabt, die Reformation zu verbreiten, gute Dienste leisten kann. Ich meine den Lehrer der Prinzessin Elisabeth, den würdigen Master Roger Asham.«

»Ich habe an ihn schon gedacht«, erwiderte Edward. »Asham verdient Beförderung, und sie soll ihm werden. Ein Mann, der wie Asham einen Lehrstuhl in St. John’s College zu Cambridge einnimmt, muss der griechischen Sprache vollkommen Herr sein, und, wie ich höre, kommt seine Frömmigkeit seiner Gelehrsamkeit gleich. Mein weiser und geliebter Vater wählte ihn seiner vielen Kenntnisse wegen zu Elisabeths Lehrer – sie liest jetzt den Sophokles und Cicero mit ihm, und wenn der Cursus zu Ende sein wird, was nicht lange mehr dauern kann, – denn sie ist eine fleißige Schülerin -so will ich ihn in meiner Nähe haben.«

»Ew. Hoheit tut wohl daran«, sagte Jane, »Roger Asham sollte eine Leuchte unseres Jahrhunderts sein. Vor allen Dingen ist er ein guter Mann, ohne allen Hinterhalt. Sein Latein ist merkwürdig rein.«

»Das muss wohl wahr sein, wenn Ihr es sagt, meine gelehrte Base, denn Ihr seid eine kompetente Richterin. Sowohl Sir John Cheke als auch Doktor Cox lobten mir Eure lateinischen Briefe und sagten, sie wären mit elastischer Eleganz geschrieben.«

»Ew. Hoheit wollen mich eitel machen«, antwortete

Jane, leicht errötend, »aber ich muss bekennen, dass mein eigener würdiger Lehrer, Master Elmer, dieselbe Bemerkung in Betreff der Briefe, mit denen Ihr mich beehrt habt, gemacht hat. Indem ich von meinen Korrespondenten spreche – wenn es mir erlaubt ist, in einem Atem noch von anderen als Ew. Majestät zu sprechen, – so fällt mir noch eine andere, Eurer Aufmerksamkeit würdige Person ein, insofern sie ein demütiger, aber eifriger Mitarbeiter an Eurem großen Werk sein würde, nämlich Henry Bullinger, Zwinglis Schüler und Nachfolger in Zürich. Bullinger hat viel Verfolgung erlitten und würde für die gute Sache noch mehr leiden, wenn es nottäte.«

»Bullinger ist ein eifriger Förderer der Reformation«, bemerkte Edward. »Ich erinnere mich, er war bei der berühmten Versammlung zu Bern. Gelegentlich sollt Ihr mir noch mehr von ihm erzählen, und wenn Ihr mir einen Einblick in seine Briefe an Euch vergönnen wollt, so wird mich das sehr erfreuen. Indessen mögt Ihr Euch überzeugt halten, dass er nicht vergessen werden soll. Ihr seid selbst ein eifriger Advokat für den reformierten Glauben, Cousine.«

»Ich fühle die Kraft in mir«, rief sie mit aufwärts gerichteten Blicken, »für die Religion, zu der ich mich bekenne, zu sterben!«

»Ich zweifle nicht an Eurer Standhaftigkeit, liebe Cousine, aber ich hoffe, dass sie nicht auf die Probe gestellt werden wird«, sprach der junge König. »Ich kam in den Garten, um Justinian und Bracton zu studieren. Ihr aber habt mich weit besser belehrt, als irgendein Gesetzgeber imstande wäre. Ihr müsst oft an unseren Hof kommen, Jane, sei er nun in Westminster, Shene oder Windsor.«

»Ich will mit Freuden dem Befehl Ew. Majestät nachkommen«, erwiderte Jane, »wenn mein Vater es erlaubt. Aber ich fürchte, er hält mich für viel zu jung, um bei Hofe zu erscheinen. Ich habe bisher fast in gänzlicher Zurückgezogenheit gelebt, da meine Erziehung noch lange nicht beendet ist.«

»Aber wenn ich befehle, so muss Mylord Dorset gehorchen, und so auch Ihr, schöne Cousine!«, rief Edward mit einem leichten Anflug von seines Vaters herrischem Wesen.

»Ew. Hoheit wird nichts befehlen, dessen bin ich gewiss, was ein loyaler Untertan nicht erfüllen könnte«, antwortete Jane. »Aber Ew. Majestät scheint zu vergessen, dass Ihr einen Hofmeister habt – und zwar einen strengen, wenn man wahr redet. Seid Ihr dessen gewiss, dass der Lordprotektor Euch Eure Umgebung selbst wählen lassen wird?«

»Vielleicht nicht, sie stände ihm denn selbst an«, sagte Edward, »aber gegen Euch kann er nichts haben, schöne Base. Ich werde ihn nicht bitten, meine Schwester Marie oft bei mir sein zu lassen, es sei denn, dass sie ihre Irrtümer abschwört und sich zu der neuen Lehre bekennt.«

»Sanfte Überredung könnte Lady Marie vielleicht auf den rechten Weg führen. Sie ist so reich begabt, darum sollte keine Mühe bei ihr gespart werden. Eine solche Bekehrung wäre Ew. Majestät würdig und würde Euch zu hoher Ehre gereichen.«

»Ich verzweifle an Marys Bekehrung. Sie ist so halsstarrig und bigott, dass selbst mein energischer Vater genug zu tun hatte, um sie zum Gehorsam zu bringen, und eine Zeit lang trotzte sie sogar seiner rechtmäßigen Autorität. Seine Ehrwürden von Canterbury wird mir raten, was ich mit ihr anfangen soll, und seinem Rat werde ich folgen. Kennt Ihr meinen jüngeren Onkel Sir Thomas Seymour, Jane?«

»Nur wenig«, antwortete sie. »Ich sah ihn bei meinem Vater, und ich konnte nicht umhin, ihn gestern zu bemerken, denn nach allgemeinem Urteil sah er von allen, die Euch den Huldigungseid leisteten, am Ritterlichsten aus. Jetzt erinnere ich mich, Ihre Hoheit, die Königinwitwe, machte mich auf ihn aufmerksam und fragte, was ich von ihm halte. Ich sagte, dass ich ihn wunderschön fände, worauf sie mir gnädig zulächelte.«

»Er ist wunderschön!«, rief Edward enthusiastisch, »und es wundert mich nicht, dass Ihre Majestät über sein Lob lächelte, denn er ist ein Liebling von ihr, ebenso von meiner Schwester Elisabeth und von fast allen Leuten, den Lordprotektor ausgenommen. Die Wahrheit zu sagen – denn ich kann sie Euch wohl sagen, liebe Cousine – ich glaube, der Lordprotektor ist eifersüchtig auf ihn und seinen Einfluss auf mich. Ich wollte, Sir Thomas wäre mein Hofmeister geworden. Mein älterer Onkel ist gut, aber er ist streng, und – er ist nicht, was Sir Thomas ist. Er wird alle Gewalt in Händen behalten und mir nicht vielmehr als den Namen lassen.«

»Vielleicht ist es so am besten. Ew. Hoheit ist noch sehr jung und kann in Staatsgeschäften nur wenig Erfahrung haben.«

»Aber ich mag des Lordprotektors Kontrolle nicht!«, rief Edward aus. »Es macht mich schon ungeduldig, nur daran zu denken, obwohl er kaum damit begonnen hat. Aber Sir Thomas könnte ich gehorchen – ohne Murren.«

»Ich fange an wahrzunehmen, dass Sir Thomas’ Einfluss auf Ew. Majestät keineswegs imaginär ist, und dass der Lordprotektor seine guten Gründe haben mag, auf seinen jüngeren Bruder eifersüchtig zu sein«, bemerkte Jane lächelnd. »Aber ich muss Ew. Majestät um Erlaubnis bitten, mich zurückzuziehen. Ich habe Eure Studien schon zu sehr unterbrochen und will Ew. Majestät kostbare Zeit nicht ferner in Anspruch nehmen.«

»Nun, ich halte Eure Unterhaltung für nützlicher als meine Studien, wie ich Euch schon gesagt habe, schöne Base«, sagte der jugendliche König. »Ich lese doch jetzt nicht mehr. Belästigt Euch nicht mehr mit dem Buch, gebt es Fowler zu tragen.«

Und als auf ein Zeichen des Königs der diensttuende Gentleman näher trat, um seines königlichen Herrn und Lady Janes Bücher in Empfang zu nehmen, warf Edward die Bemerkung hin, dass er sehr erfroren aussähe.

»Ich bin fast vor Kälte gestorben, Ew. Majestät Liebe zu Liebe«, antwortete Fowler. »Ich besitze kein inneres Feuer wie Ew. Hoheit und Lady Jane, um mich daran zu erwärmen.«

»Von welchem inneren Feuer redest du denn, Fowler?«, fragte lächelnd der König.

»Das Feuer des Geistes, Majestät«, sprach der andere, »welches so hell in Ew. Hoheit und Lady Jane brennt, dass Ihr keines irdischen Elementes bedürft, um Euch zu erwärmen, – so scheint es wenigstens. Was mich betrifft, so ist mein bisschen Witz erfroren, wie meine Nasenspitze – falls eine so stumpfe Nase, wie die meine, eine Spitze haben kann, -und wenn ich hier noch länger stehe, so laufe ich Gefahr, beides ganz zu verlieren, Nase und Witz.«

»Du hättest mich früher von deinem traurigen Zustand in Kenntnis setzen sollen«, sagte der König. »Lasst uns hineingehen, liebe Cousine, oder dieser zarte Gentleman wird, während wir hier reden, in Eis verwandelt.«

»Wirklich, es ist so, mein gnädiger Herr. Wenn ich nicht schnell erlöst werde, so erstarre ich hier auf dem Fleck, wie die Fontaine dort.«

»Obschon du so als Statue den Garten zieren würdest, kann ich doch einen guten Diener nicht missen, und ich will Mitleid mit dir haben. Kommt, schöne Base!«

So sprechend gab der König Lady Jane die Hand und führte sie dem Eingang des Palastes zu, gefolgt von Fowler, auf dessen Antlitz die Erwartung eines wärmenden Feuers und reichlichen Mahles den Ausdruck des höchsten Behagens hervorgerufen hatte.