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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Freibeuter – Bei Frau von Norcroß

Der-Freibeuter-Dritter-TeilDer Freibeuter
Dritter Teil
Kapitel 4

Einsam in ihrem Zimmer zu Stockholm saß des Kapitäns Norcroß junge Frau. In den feinen Zügen ihres Gesichtes hatten die Furchen eines stillen, tiefen Herzensgrames Platz genommen, ein früher Kummer hatte ihre Wangen gebleicht und das große blaue Auge streifte verloschen und mit Schwermut über die kleinen weiblichen Arbeiten hin, die sie teils in der Hand hielt, um daran zu schaffen, und die teils vor ihr auf dem Tisch lagen. Es waren jene Arbeiten, mit welchen sich eine junge Frau in der Regel so gern beschäftigt, wenn sie zuerst die süße Überzeugung erlangt hat, die allliebende Vorsicht habe die Blüte ihrer hingebenden Liebe zur Frucht gestaltet und sie gesegnet, der Welt bald einen Bürger zu schenken. Es waren die ersten Hüllen, welche dem nackten Wanderer bei seinem Gruß ans Licht angetan werden, um ihn zu schützen vor dem Frost der Erde, der früher oder später, trotz aller Hüllen, mit denen die Liebe uns umkleidet, doch jedes Herz trifft. Wohl ihm, wenn es nicht erstarrt zu Eis oder Stein, sondern wieder erwacht an der Sonne der Liebe, in den warmen Bädern der Tränen, im Frühlingshauch des Gefühls!

Das Herz der Frau von Norcroß war weich geblieben, es war in Tränen noch weicher geworden. Ach, sie trauerte um den verlorenen Gemahl, den sie kaum einige Wochen besessen hatte. Sie sollte Mutter werden und ihr Kind keinen Vater haben. Ihr machten die leichten Arbeiten keine Freude, die feinen Linnen tranken ihre Tränen, eine böse Vorbedeutung für das Kind, dessen erstes Kleid daraus gefertigt werden sollte. Vor ihr am Fenster hing eine kleine Karte der Ost- und Westsee, welche ihr Gemahl sonst benutzt hatte. Dann und wann flog ihr Blick darauf, gleichsam, als sei es möglich, auf der Karte zu erspähen, an welcher Stelle jener Meere und Länder der geliebte Flüchtling jetzt weile.

Dina von Broke war, wenn auch keine ausgezeichnete Schönheit, aber doch eine liebenswürdige Frau. Ungemeine Anmut schmückte ihre Züge, und so war auch Sanftmut der hervorstechende Charakterzug ihrer schönen Seele. Sie hatte den körperlich und geistig wohlgebildeten, vom König geliebten und von vielen geachteten und bewunderten Kaperkapitän, welcher der Gegenstand so mannigfacher weiblicher Wünsche gewesen war, aus inniger Zuneigung geheiratet, wenn auch nicht eine stürmische Leidenschaft für ihn, deren sie nicht fähig war, ihre Seele aufgeregt hatte. Sie liebte nichtsdestoweniger vielleicht treuer, als ein in heftiger Glut aufwallendes Herz; und die Entfremdung ihres Mannes hatte ihr unsäglichen Schmerz bereitet.

Dina saß in Gedanken mit ihm beschäftigt, als ein Mann in schwedischer Seekapitänsuniform hereintrat, an der Hand einen jungen, stämmigen Burschen in Matrosentracht führend. Dina stand auf und ging ihm mit den Worten entgegen. »Was verschafft mir die Ehre, Herrn Kapitän Flaxmann in meiner einsamen Behausung zu sehen?«

»Das Verlangen, endlich einmal etwas von Kapitän Norcroß zu hören, führt mich zu Ihnen, edle Frau«, versetzte der Kapitän galant.

»Dann muss ich bedauern, dass Sie sich vergeblich bemüht haben. Wollen Sie von Kapitän Norcroß Nachrichten, so müssen Sie sich an andere Leute wenden, als an mich; denn wahrlich, es lebt gewiss in Stockholm niemand, der weniger von ihm wüsste als seine Frau.«

»Er ist zweifelsohne in dänische Gefangenschaft geraten, die es ihm unmöglich gemacht hat, etwas von sich hören zu lassen.«

»Wer hieß ihm auch, nach Kopenhagen zu gehen. Er hatte dort nichts zu tun. Wer sich mutwillig in Gefahr begibt, kommt darin um. Er konnte mit seinen Offizieren nach Helsingoer gehen und war gerettet wie sie.«

»Ich habe Ihnen hier seinen treuen Begleiter, den Schiffsjungen Juel Swale, mitgebracht, der jetzt auf meinem Schiff zum Matrosen avanciert ist. Der Junge ist zwar mit dem Bootsmann gereist, weil Ihr Gemahl allein nach Kopenhagen wollte, aber der Bursche verließ ihn früher nicht und wurde von ihm geliebt. Vielleicht gewährt es Ihnen Trost, ihn auszusagen.«

»Ihre Güte rührt mich, Kapitän. Ich erkenne den Knaben wieder, er ist groß und stark geworden. Mein Mann sprach einige Male mit Lob von den Fähigkeiten und dem guten Willen des Juel und hoffte, etwas Tüchtiges aus ihm bilden zu können. Ich bitte Sie, Kapitän, ehren Sie den Willen meines Gemahls, und verhelfen Sie dem Burschen zu der Karriere, für welche Norcroß ihn erzog. Denn ich will Ihnen meine Besorgnis nicht länger verhehlen: Mir kommt es vor, als sei ich schon Witwe.«

Die leidende Frau trocknete sich die Tränen. Der Knabe, für den sie so warm gesprochen hatte, sah sie mit gutmütigen, teilnehmenden Augen an, und die Hände erhebend, rief er: »Nein, gnädige Frau, das ist gewiss nicht wahr! Das kann nicht möglich sein! Tot ist mein guter Kapitän Norcroß nicht! Sonst hätte ich eine Ahnung davon gehabt. Die Dänenhunde werden ihn erwischt und eingesteckt haben, aber er macht sich gewiss los und kommt wieder zu Euch zurück. Aber hört mich an, gnädige Frau! Ich will Euch einen Vorschlag tun. Ihr seid so gütig gegen mich gesinnt, und ich möchte Euch gern dankbar sein. Ich will mich hinüber machen nach Kopenhagen und einmal dort wieder umherspionieren. Es wäre ja nicht das erste Mal. Und wenn ich den Kapitän auch nicht selbst sprechen kann, so erfahre ich doch sicherlich, wo er steckt. Wenn es aber möglich ist – und ich denke, ich soll es schon möglich machen – so kriege ich ihn selbst zu sprechen und bringe ihm Eure Grüße, gnädige Frau, ja vielleicht gelingt es mir gar mit Gottes Hilfe, ihn zu befreien.«

»Du hast ein stolzes Vertrauen auf dich«, sagte Flaxmann.

»Auf Glück und List. Ihr erlaubt mir doch die Spionsfahrt, Kapitän? «

»In Gottes Namen, wenn’s die Frau Norcroß zufrieden ist.«

»Der Bursche hat einen vortrefflichen Einfall!«, rief die junge Frau, den Gedanken mit Lebhaftigkeit ergreifend. »Ja, Juel, du sollst mich aus der martervollen Ungewissheit reißen. Du wirst dir um mich ein Verdienst erwerben. Mit dem ersten Schiff, welches zum Sund geht, sollst du reisen. Ich werde dich mit Geld und Kleidern versehen.«

Der Knabe sprang vor Freuden, und Flaxmann wünschte sich und der Dame Glück, ihr den Knaben zugeführt zu haben.

»Ich bitte dich, lieber Junge«, sagte die Frau, »lass mich noch einmal umständlich hören, wie meines Gemahls Schiff untergegangen ist. Er hat es oft gesagt, dass er den Verlust seiner Fregatte schwerlich überleben werde. An sie schien sein Glück in Schweden gebunden zu sein. Zwar hat mir der Bootsmann Pehrson schon alles erzählt, aber ich möchte die traurige Geschichte umständlicher aus deinem Mund hören. Wohin sind Norcroß’ Leute gekommen, die er hierher bestellt hatte, dass sie ihn erwarten und ferner unter ihm auf einem anderen Schiff dienen sollten?«

»Sie haben alle Dienste auf meiner Fregatte genommen, werte Frau«, antwortete Flaxmann. »Ich nahm sie gern, denn ich kannte sie schon lange, und sie dienen gern unter mir, weil sie es gut haben.«

Juel begann mit jugendlichem Feuer von dem traurigen Winter und der frühen Seefahrt zu berichten. Da trat der Feldmarschall Graf Mörner in das Zimmer, und alle standen auf, ihn mit Ehrerbietung zu begrüßen.

»Ich komme, dir meinen Besuch zu machen, Dina«, sagte der Greis, »und mich nach deinem Befinden zu erkundigen. Der König wünscht zu wissen, wie lange du noch zu deiner Niederkunft rechnest.«

»Der Herr kann alle Stunden über mich gebieten«, versetzte die junge Frau verschämt.

»Se. Majestät wünscht, da dein Mann noch nicht zurückgekehrt ist, die Taufe selbst auszurichten.«

»Seine Gnade beglückt mich arme Verlassene.«

»Es wird sich alles aufklären. Verzage nicht, Bäschen. Es ist mir auch lieb, dass ich Sie hier finde, Kapitän Flaxmann. Es ist schön von Ihnen, dass Sie meine Base in ihrem Strohwitwenstand nicht vergessen. Des Königs Majestät sprach vor einigen Tagen von Ihnen und wünschte, dass Sie den Seedienst quittieren und eine Majors- oder Obristenstelle in der neu zu errichtenden Armee annehmen möchten.«

»Sr. Majestät Gnade ist mir jederzeit teuer«, versetzte Flaxmann nicht ohne Verlegenheit. »Aber das Seewesen ist mir so lieb geworden, dass ich mich nur mit Unlust entschließen könnte, es aufzugeben und eine mir minder angenehme Lebensart zu wählen.«

»Des Königs Majestät wird es ganz in Ihr Belieben setzen.«

»Auch ist mir von der Bildung einer neuen Armee noch nichts bekannt geworden.«

»Sie erscheinen nicht mehr bei Hofe, obgleich, wie Se. Majestät mir versicherte, Stand und Geburt Ihnen dort den Platz anweisen.«

»Ich bin nicht am Hof erzogen und liebe das Hofleben nicht. Das Leben auf dem Meer ist mir lieber.«

»So sage ich Ihnen wohl auch eine Neuigkeit, wenn ich Ihnen mitteile, dass gestern ein Gesandter des Königs von England hier angelangt ist, der diesen Morgen schon Audienz bei unserem König hatte, seine Beglaubigungsschreiben abgab und die Unterhandlung einleitete.«

»Ein englischer Gesandter! Was will er in Stockholm? Das ist die seltsamste Erscheinung von der Welt. Wie heißt er?«

»Es ist Herr von Fabrice, der Ihnen bekannt sein wird.«

»Dem Namen nach. Was führt ihn hierher?«

»Sein Auftrag lautet, mit kurzen Worten, unseren König mit dem seinen auszusöhnen.«

»Nimmermehr!«

»Seien Sie unbesorgt, König Karl wird dem Kurfürsten von Hannover schon Bedingungen machen, die ihn von selbst nötigen, von der gewünschten Versöhnung abzustehen.«

»Woher mag dieser Wind pfeifen? Was fällt dem Kurfürsten ein, sich an König Karl zu wenden, der stets sein ärgster Feind war und mehr als irgendein anderer europäischer Monarch auf die Resolution der Stuarts drang?«

»Gerade die unerschütterliche Beharrlichkeit unseres Königs ist es, welche Herrn von Fabrice hierher getrieben hat. Man erzählt sich die Sache folgendermaßen: Unsere neuen Friedensunterhandlungen mit dem Zaren auf der Insel Aland sind sehr geheim gehalten worden.«

»So geheim, dass ich nichts davon wissen würde, wenn des Königs Majestät mich nicht selbst mit Aufträgen an den Baron Görz nach Aland gesandt und beauftragt hätte, mit meinem Landsmann Sterling, welcher im Namen des Prätendenten an den Unterhandlungen teilnimmt, über die Sache der Stuarts besondere Rücksprache zu nehmen. König Karl forderte mir mein Ehrenwort ab, von diesem Frieden mit Russland nichts verlauten zu lassen, gegen wen es auch sei.«

»Und dennoch sind diese ernstlichen Anstalten, den unglücklichen Jakob Stuart wieder auf den Thron seiner Väter zu setzen, die jedenfalls bald von einem glücklichen Erfolg gekrönt sein würden, an den hannoverschen Kurfürsten verraten worden. Die Friedensunterhandlungen mit Russland wurden Anfang Mai, vor drei Wochen, auf Befehl Sr. Majestät, dem französischen Gesandten an unserem Hof, dem Grafen de la Marc, insgeheim mitgeteilt, weil der König hoffte und wünschte, den Herzog-Regenten von Frankreich zum Beitritt zu bestimmen und einen Krieg zwischen Frankreich und England zugunsten des Prätendenten zu entstammen. Aber jedenfalls hat diese Maßregel das Gegenteil herbeigeführt: Der Herzog-Regent spielt am Hof des Usurpators von Großbritannien den Schmeichler. Er hat König Georg den ganzen Anschlag verraten, und als schnelle Rückwirkung des königlichen Schreckens über diese kräftigen Anstalten, ihm die gestohlene Krone vom Haupt zu schlagen und ihn wieder nach Hannover zurückzujagen, ist Herr von Fabrice hier, um sein Möglichstes zu versuchen.«

»So glauben Sie wirklich, Herr Graf, dass die gerechte Sache Jakobs von Stuart den Sieg davontragen wird?«, fragte Flaxmann.

»Jetzt oder nie, Kapitän! Unser König hat geschworen, er will eher sein eigenes Reich, ja sein Leben verlieren, wenn er es nicht durchsetzen sollte, dem rechtmäßigen Thronerben Englands Gültigmachung seiner Ansprüche zu verschaffen.«

»Und doch werden in England diese Ansprüche meist so gänzlich bezweifelt. Haben Sie nie davon gehört, dass der Prätendent ein untergeschobenes Kind, der Sohn eines Müllers sein soll?«

»Man hat dies auch an unserem Hof zu wiederholten Malen behauptet, und ich sprach vor Kurzem noch mit Sr. Majestät darüber. Da versicherte mir der König, er habe die unbezweifeltsten Beweise von dem Leben, der Existenz und der Echtheit Jakob Stuarts erhalten, dass er nunmehr fest entschlossen sei, demselben sein Recht zu verschaffen. Früher habe er nie daran gedacht, jetzt sei es die heiligste Pflicht für ihn geworden. Und nun könnt Ihr sicher sein, dass der Prätendent in Jahr und Tag König von England ist.«

»Es kann in diesem Jahr sich vieles ändern.«

»Der König hat schon den Befehl gegeben, ein Heer von 72.000 Mann wirklicher Soldaten und 140.000 Mann Reserve teils zu werben, teils aus dem schwedischen Landvolk auszuheben. Bei der ersten Aushebung muss jeder dritte Bauer, bei der zweiten jeder fünfte Soldat werden. Jetzt wird aus allen Kräften angefasst. Mit diesem Heer reißen wir Norwegen von Dänemark ab, Russland erobert uns unsere deutschen Provinzen wieder und führt in eigener Person seine Flotte nach Seeland. Ist erst Dänemark, der treueste Bundesgenosse des Königs Georg, bezwungen, dann geht die Expedition gegen England selbst. Auch hat unser Gesandter im Haag den Auftrag erhalten, dass er durch den spanischen Gesandten einen Krieg des Königs von Spanien gegen Frankreich und Großbritannien zu erregen suchen soll. Spanien ist schon mit beiden gespannt. Der Kardinal Alberoni mag die Konzessionen nicht mehr leiden, die Spanien vor fünf Jahren mit dem Sklavenhandel und der großen Porto-Bello-Messe England im Frieden von Utrecht machen musste, es möchte auch gern die italienischen Nebenländer, die es damals verlor, wiederhaben, und hasst den Herzog-Regenten als den Störer seiner großen Pläne. Frankreich ist jetzt schwächer, als wir alle glauben, und da der Herzog-Regent jeden Krieg, wie ein gebranntes Kind das Feuer, fürchtet, so gilt Frankreich in der ganzen Angelegenheit nichts.« Flaxmann schüttelte ungläubig den Kopf. Ein bitteres Lächeln flog um seinen Mund.

»Ja, jetzt oder nie«, fuhr der greise Feldmarschall mit jugendlichem Feuer fort. »Und Sie scheint es nicht zu freuen, Kapitän, dass der Usurpator gestürzt und der rechtmäßige König von England auf seinen Thron erhoben werden soll? Sind Sie nicht ein eifriger Jakobit? Haben Sie Ihrer politischen Meinung wegen nicht Ihr Vaterland verlassen und Schutz in Schweden suchen müssen?«

»Das alles ist wahr, Herr Graf. Nur habe ich den Glauben an den Sieg der Sache der Stuarts verloren.«

»Nicht mutlos! Wie würde Kapitän Norcroß jubeln, wenn er hier wäre! Es war stets der größte Wunsch seiner Seele, einst nach England zurückkehren und unter seinem rechtmäßigen König dienen zu können.«

»Wir wollen dem Himmel anheimstellen«, sagte Flaxmann, und beurlaubte sich mit Juel, nachdem er Frau von Norcroß das Verbrechen gegeben hatte, die Abreise des Jungen zu fördern.