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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Kommandant des Tower 6

Der-Kommandant-des-TowerDer Kommandant des Towers
Historische Erzählung von W. Harrison Ainsworth
Verlag von Christian Ernst Kollmann, Leipzig, 1863
Erstes Buch
Das Testament Heinrichs VIII.
Sechstes Kapitel

Wie der König, als er sein Ende herannahen fühlte, von den Prinzessinnen Mary und Elisabeth und von dem Prinzen Edward einen letzten Abschied nahm und von dem Rat, den er ihnen erteilte

Surrey war tot, aber seine Verderber weilten noch auf Erden. Zu dieser Zeit hatte jedoch die Krankheit des Königs solche Fortschritte gemacht, dass Doktor Butts den Earl von Hertford und einige andere Mitglieder des Staatsrats im Vertrauen benachrichtigte, Seine Majestät habe noch höchstens eine Woche zu leben, wahrscheinlich aber werde die Auflösung schon zu einer früheren Zeit eintreten. Heinrich konnte sich über seinen bedenklichen Zustand nicht täuschen, obwohl er nicht darüber sprach, und keiner – nicht einmal sein Arzt oder sein Beichtvater, der Bischof von Rochester, wagten, ihm von seinem herannahenden Ende zu unterrichten. Er hörte täglich Messe in seinem Zimmer und ließ andere heilige Bräuche an sich vollziehen, die zu dem Glauben verleiteten, als wolle er sich im letzten Augenblick mit dem römischen Stuhl versöhnen. Diese Ansicht gewann um so größere Wahrscheinlichkeit, als Gardiner und Wriothesley herbeigerufen und wieder zu Gnaden aufgenommen wurden. So ging es von einem Tag zum anderen, bis Sir John Gage, da er sah, dass alle vor der gefahrvollen Aufgabe zurückschreckten, den sterbenden König mit seinem wahren Zustand bekanntzumachen, ihn kühn fragte, ob er kein Verlangen trage, den Prinzen Edward und die Prinzessinnen Mary und Elisabeth zu sehen.

»Um von ihnen Abschied zu nehmen! Ist es das, was Ihr meint – he?«, brüllte Heinrich, der soeben einen heftigen Schmerzanfall überstanden hatte. »Sprecht Euch aus, Mann!«

»So ist es«, sprach der Kommandant mit fester Stimme. »Verzeiht mir, Sire, wenn ich Euch verletze. Ich erfülle nur meine Pflicht.«

Es entstand eine schreckliche Pause, während der niemand wusste, was kommen werde. Kein Wutausbruch erfolgte jedoch.

Im Gegenteil, der König antwortete in milderem Ton. »Du bist ein treuer Diener, Sir John, und ich ehre deinen Mut. Die Zusammenkunft darf nicht aufgeschoben werden. Lasst meine Kinder morgen zu mir gebracht werden.«

»Es freut mich, Eure Majestät so reden zu hören«, versetzte Gage. »Ich werde mich selbst sogleich nach Hampton-Court verfügen und seine Hoheit den Prinzen Edward und die Prinzess Elisabeth zum Palast führen.«

»Ich will Euch begleiten, Sir John«, sprach Sir Thomas Seymour.

»Und mit Eurer Majestät Erlaubnis werde ich mich nach Greenwich begeben, um die Prinzess Mary von Eurem Geheiß zu benachrichtigen«, sagte Sir George Blagge. »Ich bin überzeugt, dass sie sich beeilen wird, demselben zu gehorchen.«

»Ich bin Euch sehr verbunden, meine Herren«, erwiderte der König. »Wenn mir der Himmel so lange das Leben schenkt, hoffe ich, Euch morgen alle drei hier zu sehen. Lasst den gesamten Staatsrat sich um dieselbe Zeit versammeln. Gib mir einen Schluck Wein – schnell, Bursche!«, fügte er, sich zu einem Diener wendend, hinzu. »Ich fühle mich außerordentlich matt.«

»Gebe der Himmel, dass es morgen nicht zu spät ist. Sein Aussehen beunruhigt mich«, murmelte der Towerkommandant, als er sich mit Seymour entfernte.

Wider Erwarten befand sich Heinrich am folgenden Tag etwas besser. Er hatte während der Nacht ein wenig geschlafen und dadurch einige Linderung seiner unsäglichen Schmerzen gefunden. Entschlossen, seine königliche Macht und Würde bis zuletzt zu bewahren, gab er Befehl, dass bei dieser letzten Zusammenkunft mit seinen Kindern das Zeremoniell so sorglich beachtet werden solle, als hätte es sich um eine große Empfangsfeier gehandelt. Er hatte den riesigen Lehnstuhl, den er jetzt selten verließ, unter einen mit dem Wappen Englands bestickten Thronhimmel stellen lassen und saß auf demselben, von Samtkissen umhüllt und in einem lang herabwallenden Gewand von weißem, goldgeblümten Atlas, das mit Pelz gefüttert und verbrämt war und weite Ärmel hatte. Sein Haupt war mit der gestickten, schwarzseidenen Barettmütze bedeckt, die er gewöhnlich trug.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers saß auf einem Thronsessel, aber nicht unter einem Baldachin, die Königin Katharina, umgeben von der Viscountess Lisle, Lady Tyrwhitt und anderen Damen.

Zur Linken des Königs stand der Earl von Hertford, der seinen Amtsstab als Oberkämmerer trug. Das Perlencollier des Hosenbandordens mit dem Georgsbild hing um seinen Hals, und das goldene Band dieses Ordens trug er unter dem Knie. Er war prachtvoll gekleidet in ein Wams von weißer Seide, über und über mit Perlen von damastkiertem Gold bestickt, mit Ärmeln von demselben Stoff, die mit venezianischem Silberdraht gestreift waren. Darüber trug er einen goldgestickten und pelzverbrämten Mantel von blauem Samt. Obwohl nicht so auffallend schön wie sein jüngerer Bruder Sir Thomas Seymour, war der Earl von Hertford doch ein Mann von sehr adligem Aussehen, mit feinen Zügen, von hoher, schlanker Gestalt und von imponierender Haltung. Seine Augen waren dunkel und von durchdringendem Blick, aber die leicht gerunzelten Brauen gaben demselben ein etwas finsteres Aussehen. Seine Stirn war hoch und kühn, seine Züge regelmäßig und wohlgeformt, der hervorstechende Ausdruck seines Gesichtes war ein schwermütiger Ernst. Er besaß nichts von dem kecken Äußeren und Wesen, das seinen Bruder kennzeichnete, sondern mehr Vorsicht und vielleicht auch listigen Scharfsinn. Seine Gesichtsfarbe war blass und sein Bart ziemlich dünn. Hertfords Karriere war stets von glücklichem Erfolg begleitet gewesen. Durch die Gunst des Königs war er höher und höher emporgestiegen. Bei Heinrichs Vermählung mit seiner Schwester war er zum Viscount Beauchamp kreiert worden. Als Gesandter nach Paris geschickt, erhielt er im darauffolgenden Jahr den Hosenbandorden. 1542 wurde er auf Lebenszeit zum Lordoberkämmerer von England ernannt. Zwei Jahre später, beim Krieg mit Schottland, begleitete er unter dem Titel eines Generallieutenants des Nordens den Herzog von Norfolk in jenes Königreich. Als Heinrich die Belagerung von Boulogne begann, ward er zu einem der vier Räte ernannt, denen die Sorge für das Reich übertragen wurde. Erst vor wenigen Monaten hatte ihn der König zum Earl von Hertford gemacht. Aber wie hoch er auch gestiegen war, der ehrgeizige Edelmann trachtete, noch weit höher zu steigen. Seine kühnen Träume schienen nahe daran, in Erfüllung zu gehen. Ihm winkte fast die höchste Stufe der Macht. Seine Feinde waren aus dem Weg geräumt oder zermalmt. Surrey hatte seinen Kopf verloren, das gleiche Schicksal erwartete Norfolk. Bald, sehr bald musste der Tag kommen, welcher Heinrich zu seinen Vätern versammelte. Dann würde der junge Edward den Thron besteigen – aber er, sein Onkel, sein Vormund, würde in seinem Namen regieren. Was der Earl weiter noch träumte, wird klar werden, wenn wir später Gelegenheit finden, die tiefsten Tiefen seines Herzens zu ergründen.

Ein anderer wichtiger Akteur in dieser Szene, der im Geheimen kaum minder ehrgeizige und verwegene Absichten wie Hertford hegte, war John Dudley, Viscount Lisle. Ein Sohn jenes Edmund Dudley, dessen Tod auf dem Schafott Heinrichs Thronbesteigung eingeweiht, hatte sich dieser schlaue und weitblickende Edelmann schon früher durch seine Tapferkeit in den Kriegen mit Frankreich ausgezeichnet und die Ritterwürde sowie die Wiedereinsetzung in seine verlorenen Familienrechte erlangt. Sowohl an Wolsey als auch an Cromwell attachiert, stieg er durch ihre Unterstützung, und nachdem er zuerst zum Gouverneur von Boulogne ernannt war, das er erfolgreich wider alle Angriffe verteidigte, wurde er zum Rang eines Viscount Lisle und zum Großkardinal von England erhoben. Der verschwenderische Monarch, dessen Gunst er gewonnen hatte, bereicherte ihn außerdem durch große Besitztümer, welche er der Kirche genommen und welche in der Folge manche Verwünschung auf sein Haupt herabbeschworen hatte. Kühn und ehrgeizig war Lord Lisle ein Meister in der Verstellungskunst, und obschon er gerade in diesem Augenblick über Plänen brütete, die erst in viel späterer Zeit enthüllt wurden, ließ er sich doch keine Andeutung seiner Absichten entschlüpfen, sondern begnügte sich vor der Hand, Hertford gegenüber, den er schließlich zu verdrängen hoffte, eine untergeordnete Rolle zu spielen. Als ein Mittel zu diesem Zweck betrachtete er Sir Thomas Seymour. Lord Lisle stand bereits in seinem fünfundvierzigsten Jahr. Seine ausdrucksvollen, scharf markierten Züge verrieten Klugheit und Entschlossenheit. Sein Backenbart war dünn, und sein kurzer Schnurrbart ließ einen auffallend festen Mund erkennen. Seine Gestalt war groß und seine Haltung militärisch, aber sein Benehmen hatte nichts von dem martialisch rauen Wesen des Feldlagerers. Er vermochte ebenso gut sowohl die Rolle eines Höflings als auch die des Kriegers zu spielen. Im Vergleich mit Hertford war er einfach gekleidet. Seine Gewänder waren von schwarzem Samt ohne Stickerei, nur sein Mantel war reich verbrämt. Aber er trug die Georgsmedaille am Perlenkollier und die niedere Dekoration des Hosenbandordens.

Neben Lord Lisle stand ein ehrwürdiger Edelmann, dessen langer silberfarbener Bart fast bis zu seinem Gürtel hinabwallte. Dies war Lord Russel, der geheime Siegelbewahrer. Der alte Pair schien die Last seiner Jahre gut zu tragen, er hatte ein gesundes Aussehen und eine ungebeugte Gestalt. Wie Hertford und Lisle war er ein Ritter vom Hosenbandorden und mit den Insignien des Ordens dekoriert. Außer den schon Erwähnten umstanden noch ein paar andere Gruppen den König, die wir indes nicht im Einzelnen zu beschreiben brauchen. Unter ihnen befanden sich der Großmeister Lord St. John, der Oberstallmeister Sir Anthony Brown, der Staatssekretär Sir William Paget, der Vizekämmerer Sir Anthony Wingfield, der Schatzmeister Sir Thomas Chemby, die obersten Beamten der Geheimkämmerei, Sir Anthony Denny und Sir William Herbert, ferner Sir Richard Rich, Sir John Baker, Sir Ralph Sadler, Sir Richard Southwell und andere – alle in schimmernden Gewändern und festlichem Prunk.

Auch der Lordkanzler Wriothesley und Gardiner waren dort, aber hielten sich in einiger Entfernung von Hertford. Gardiner war indes nicht der einzige Geistliche, welcher dort anwesend war, auch noch andere waren zugegen, nämlich Tunstall, Bischof von Durham, und der Beichtvater des Königs, der Bischof von Rochester. Aber noch ein anderer war da, größer als sie alle – Thomas Cranmer, der Erzbischof von Canterbury.

In seinem vollen geistlichen Ornat, Stola, Chimära und Chorhemd, stand der Primas zur Rechten des Königs. Seine Haltung war ernst und würdevoll, sein Blick finster und nachdenklich, und ein langer grauer Bart erhöhte das Ehrwürdige seiner Züge. Letztere waren hart, aber doch nicht ganz ohne Milde. Er schien von dem Ernst der Situation tief ergriffen, ja fast überwältigt zu sein.

In der Tat, die Versammlung hatte trotz ihres glanzvollen Gepränges einen trüben und feierlichen Charakter. Nur flüsternd wurde gesprochen. Jedes Gesicht trug einen düsteren und unheimlichen Ausdruck. Alle fühlten, obwohl keiner es offenherzig aussprach, dass sie aller Wahrscheinlichkeit nach zum letzten Mal während des Königs Leben so zusammenberufen wurden. Wenige unter ihnen würden Heinrichs Hinübergang zu seiner letzten Ruhestatt verzögert haben, wenn es in ihrer Macht gestanden hätte. Einige hätten dagegen das Ereignis beschleunigt, und doch waren alle, nach ihren Gesichtern zu urteilen, von tiefer Sorge erfasst, als hätte ihnen ein entsetzlicher Verlust bevorgestanden.

Einige Minuten lang schien es, als sei der König selbst von diesem allgemeinen Anschein von Trauer überwältigt.

Zuletzt raffte er sich auf, überblickte mit feuchten Augen die Versammlung und drückte freundlich Cranmers Hand. Dann forderte er einen Becher Wein und schien, durch den Trank gestärkt, seine Schwäche abzuschütteln.

»Lasst die Prinzessinnen eintreten«, sagte er zu Hertford. »Ich bin bereit, sie zu empfangen.«

Mit einer tiefen Verbeugung schritt der Earl in den Hintergrund des Zimmers. Während der Vorhang, welcher eine dort befindliche Tür verdeckte, bei seinem Herannahen von den reich galonierten Türstehern beiseitegeschoben wurde, verschwand er hinter demselben, kehrte aber gleich darauf, die Prinzess Mary an der Hand führend, zurück. Derselben Weise wurde die Prinzess Elisabeth von Sir Thomas Seymour geführt. Den beiden Prinzessinnen folgten in ehrerbietiger Entfernung die Gräfin von Hertford und Lady Herbert.

Mary sah sehr ernst aus und schien, wie ihre bebenden Lippen verrieten, nur mit Mühe ihre Aufregung zu meistern. Elisabeth hatte ersichtlich geweint, denn Tränen standen noch in ihren Augen. Beide waren reich gekleidet, aber die ältere Schwester trug mehr Zierrat an ihrer Gewandung – vielleicht weil sie dessen mehr bedurfte als die andere. Marys Kopfputz, von der damals beliebten eckigen Form, war von prächtiger Goldschmiedearbeit, mit Juwelen umrandet. Daran hing ein breites, mit Gold durchwirktes Seidengeflecht. Ihr Brustlatz wurde mittelst zweier mit Smaragden besetzter Agatbroschen zusammengehalten, an der Unteren von diesen baumelte eine große orientalische Perle herab. Ihre schlanke Taille umschloss ein Goldgürtel mit Rubinrosen, die vorn an einem Mönchsknoten hingen. Ihr dichtanschließendes Gewand von Goldbrokat ließ ihre auffallende Magerkeit erkennen und gab ihr ein mönchstrenges Aussehen. Ihr kastanienbraunes Haar, das man wohl rot nennen konnte, war zierlich unter ihrem Kopfputz aufgeflochten. Marys Erscheinung war im Ganzen keine sehr reizende. Sie war zart bis zur Magerkeit, und ihre Züge besaßen geringe Schönheit, aber ihr Ausdruck war intelligent. Als Ersatz für diese Mängel hatte sie jedoch eine überaus würdige Haltung und sehr anmutige Manieren, ja, es gab manche – und nicht ganz Wenige, – die, von ihrem hohen Rang geblendet, selbst ihre Mängel für Schönheiten hielten.

Mary war mehr als doppelt so alt wie ihre Schwester, denn sie zählte zweiunddreißig Jahre, während Elisabeth erst gerade dreizehn alt war. Die jüngere Prinzessin war jedoch ein sehr schlank gewachsenes Mädchen, ebenso groß wie ihre Schwester, und von unvergleichlich viel einnehmenderem Äußeren. Elisabeths Schönheit war von einer fast vorzeitigen Reife. Wenige, die sie sahen, würden sie für so jung, wie sie in Wirklichkeit war, gehalten, sondern ihr ein oder zwei Jahre mehr zugesprochen haben. Sie hatte eine schön gebaute, bereits vollentwickelte Gestalt, einen blendend weißen Teint, dichte Locken von sonnigem Gold, reizende Züge, blaue und zärtliche Augen und Zähne wie Perlen. Ihre Hände waren von bemerkenswerter Schönheit, mit schmalen Fingern und rosigen Nägeln. Ihre üppigen Locken wurden durch einen goldenen Reif und ein Netz von Golddraht zusammengehalten, das kaum von der sonnigen Farbe des Haares zu unterscheiden war. Eine lange Garnitur weißseidener Fransen fiel auf ihren Nacken herab, und ein schwarzes Taftkleid ließ ihre Figur aufs Vorteilhafteste erkennen, während es zugleich die schimmernde Weiße ihrer Haut lieblich hervorhob.

Als Mary sich dem König näherte, schritt Cranmer langsam auf sie zu und begrüßte sie mit den feierlichen Worten. »Erlauchteste, edelste und vortrefflichste Prinzessin, der König, Euer erhabener Vater, hat in dem Gefühl, dass es Gott, dem Allmächtigen, gefallen könnte, ihn plötzlich von hinnen zu rufen, Euch und die hochedle Prinzessin, Eure Schwester, herbeschieden, um Euch heilsamen Rat zu geben, Euch seinen Segen zu erteilen und, wenn es sein muss …« Hier bebte die Stimme des Erzbischofs ein wenig. »… obschon der Himmel gebe, dass es sich anders füge, einen letzten Abschied von Euch zu nehmen. Fest überzeugt, dass Ihr seine Ermahnungen stets im Herzen bewahren und das glorreiche Beispiel, welche Seine Majestät Euch gegeben, immer vor Augen haben werdet, ersuche ich Eure Hoheiten, vor Eurem königlichen Vater niederzuknien und in dieser ehrerbietigen Stellung offenen Ohres seine Worte zu vernehmen.«

»Ich bedarf keiner Belehrung über meine Pflicht von Euch, Mylord von Canterbury«, antwortete Mary, welche Cranmer hasste. »Es wird kein Wort den Lippen meines königlichen Vaters entfallen, das nicht für immer eine Stätte in meinem Herzen findet.«

Elisabeth versuchte zu reden, aber die Worte versagten ihr und sie brach in Tränen aus.

Inzwischen wurden zwei Samtkissen neben den Stuhl gelegt, auf welchem der kranke Monarch saß, und die beiden Prinzessinnen knieten auf denselben nieder. Von Sir John Gage und Lord Lisle unterstützt, richtete sich Heinrich ein wenig empor, und gleich darauf zogen sich die beiden Staatsdiener zurück.

Seine Arme über seinen Töchtern ausstreckend, sprach der König mit etwas matter, aber sehr ernster Stimme: »Mein Segen über Euch beide! Und möge er immer, für immer auf Euch ruhen! Nur dem großen Lenker der Welt ist das Schicksal bekannt, welches Euch beschieden sein mag. Ihr beide werdet vielleicht Königinnen sein – und fügt es sich so, dann werdet Ihr erfahren, was für Sorgen die Krone mit sich bringt. Denkt dann nur – wie ich es immer getan habe – an die Wohlfahrt und den Ruhm Eurer Reiche und an Eure eigene Ehre, so werdet Ihr gut und weise regieren.«

»Sollte mir je das Los einer Herrscherin beschieden sein, Sire, so werde ich mich bemühen, Eurem glorreichen Beispiel zu folgen«, sagte Mary.

»Ich werde niemals Königin sein«, schluchzte Elisabeth, »deshalb brauche ich nichts zu versprechen.«

»Wie weißt du das, Mädchen?«, rief der König mit unwilligem Ton. »Du hast ebenso viel Aussicht, Königin zu werden wie Mary. Ich fordere dein Versprechen. Ich habe dir den Weg angedeutet, den du einschlagen sollst, und wenn du nicht eine entartete Tochter bist, wirst du meine Ermahnung befolgen!«

»Ich zweifle daran, Eurer Größe nachzueifern, o mein Vater!«, rief Elisabeth aus. »Aber wenn es der Vorsehung gefallen sollte, mich auf einen Thron zu berufen, so will ich mich bestreben, eine gute Regentin zu sein.«

»Genug!«, antwortete Heinrich besänftigt. »Und jetzt steht beide auf, dass ich Euch etwas näher betrachten kann, denn meine Augen werden trübe.«

Die Hand seiner ältesten Tochter erfassend, als dieselbe aufstand, schaute Heinrich ihr einige Minuten lang starr ins Gesicht, während er murmelte: »Vergib mir, Katharina, meine erste Gemahlin, wenn ich jemals hart gegen diese deine Tochter gehandelt habe!« Dann fügte er nach einer Pause laut hinzu: »Ihr beide mögt wissen und alle mögen es erfahren, dass ich durch mein Testament Euch beiden das Recht der Thronfolge gesichert habe. Keine von Euch darf sich ohne die Zustimmung und Genehmigung des Staatsrats vermählen, und solche Zustimmung soll unter Brief und Siegel erteilt werden. Bei Eurer Vermählung aber soll jede von Euch eine so große Geldsumme erhalten, wie ich bestimmt habe, und außerdem solche Juwelen, Goldgeschirre und Hausgeräte wie diejenigen, welche mit der Ausführung meines Testamentes betraut sind, für zweckmäßig erachten. Ich habe Euch beiden gleich viel hinterlassen, – dasselbe Einkommen, solange Ihr ledig seid, dasselbe Heiratsgut. Jetzt beachte wohl, Mary«, fuhr er mit finsterem und gebietendem Ton fort, »wenn du nicht die Pflichten erfüllst, welche mein Testament dir auferlegt, wird das Erbfolgerecht auf Elisabeth übergehen. Und wenn Elisabeth dieselben vernachlässigt«, fügte er, seine jüngere Tochter anblickend, hinzu, »so wird die Thronfolge an unsere wohlgeliebte Nichte Frances Brandon, die Tochter unserer Schwester Mary und des Herzogs von Suffolk, gelangen. Jetzt kennt Ihr beide unseren Willen und unser Gelieben. Küsse mich, Mary, und lass deine Schwester näher zu mir herantreten.«

Die Hand Elisabeths ergreifend, welche weinend vor ihm stand, und aufmerksam ihre Züge betrachtend, schien der König mit Erinnerungen zu kämpfen, die sich ihm aufdrängten, denn er murmelte vor sich hin: »Ja, es ist dasselbe Gesicht, die Augen, die Lippen! So sah sie aus, wenn ich sie schalt! In allem gleicht sie ihrer Mutter, mit Ausnahme des Haares. Anna, süße Anna, wie gut entsinne ich mich all deiner liebenswürdigen Reize! Der Hals dieses schönen Kindes ist dem deinen so gleich, und dennoch – O, könnte ich dich ins Leben zurückrufen!«

Als diese Worte ihr Ohr erreichten, flossen Elisabeths Tränen noch reichlicher, und sie erbebte, als ein tiefes Stöhnen sich der Brust des Königs entrang. Aber Heinrich schüttelte diese vorübergehende Empfindung von Reue schnell von sich ab und sprach freundlich, aber mit festem Ton: »Weine nicht, liebes Kind, es möchte deinen hübschen Augen sonst schaden. Spare deine Trauer, bis du mich verloren hast. Sei wohl auf deiner Hut, Mädchen. Du bist schön und wirst noch schöner werden. Nimm an Anmut zu, wie du an Schönheit zunehmen wirst. Dann wird man dich wahrhaft lieben und ehren. Schönheit ohne Vorsicht bringt Tod – deine Mutter hat das erfahren. Küsse mich und nimm dir meine Ermahnung wohl zu Herzen.«

Elisabeth gehorchte fast schaudernd, und der König, der sich durch die Anstrengung, welche er gemacht hatte, sehr erschöpft fühlte, forderte abermals einen Becher Wein und verlangte, nachdem er einen tiefen Zug daraus getan hatte, den Prinzen Edward zu sehen.

Inzwischen hatten die Prinzessinnen sich zurückgezogen und an dem anderen Ende des Zimmers neben der Königin Platz genommen.

Sobald der König sein Verlangen ausgesprochen hatte, schritt der Earl von Hertford zur Tür hinaus, durch welche die Prinzessinnen eingetreten waren, und führte gleich darauf den jugendlichen Prinzen herein, welchen er zeremoniös bis zum König geleitete. Dem Prinzen folgten Sir George Blagge und zwei andere Herren.

Aller Augen waren auf Edward bei seinem Eintritt gerichtet, und jedes Haupt war gebeugt wie zur Huldigung vor dem künftigen Monarchen. Er erkannte dankbar die Ehrerbietigkeit an, welche ihm bewiesen wurde, und welche ohne Zweifel noch größer gewesen wäre, hätte man nicht befürchtet, den eifersüchtigen König zu verletzen. Der junge Prinz war, wie schon erwähnt worden ist, erst soeben in sein zehntes Jahr getreten, allein er schien an Intelligenz seinem Alter weit vorausgeeilt und war in der Tat von einigen der gelehrtesten Männer jener Zeit unterrichtet worden. Er sprach Französisch und Italienisch und hatte Briefe in lateinischer Sprache an seinen Vater, seine Schwestern und die Königin geschrieben. Er hatte ein sehr schwächliches Aussehen und schien wie eine Treibhauspflanze rasch aufgeschossen zu sein. Obschon groß für sein Alter, war er sehr mager und von weiblich zartem Bau. Seiner äußeren Erscheinung nach war er mehr ein Seymour als ein Tudor. Sein Gesicht war völlig oval, einzelne seiner Züge erinnerten an seinen finsteren Vater, die meisten aber an seine schöne Mutter. Sein Gesichtsausdruck war mild, aber gedankenvoll – gedankenvoller, als einem Kind anstand. Seine Augen waren dunkelbraun. Sein helles, ins goldfarbige spielende Haar war besonders um die Stirn herum dicht abgeschnitten. Er war wie der Sohn eines prunkliebenden Monarchen und wie der Erbe eines prächtigen Thrones gekleidet. Sein kleiner Mantel war von dunkelrotem Samt, über und über mit Damast, Gold und Perlen besetzt und mit goldenen Knöpfen und Schnüren. Wams und Kniehose waren von dunkelroter Seide, mit Goldfäden durchwirkt, und seine Samtstiefelchen waren mit Goldrosetten geschmückt. Er trug einen kurzen Stoßdegen und einen Dolch in einer reichverzierten Scheide, und eine Samttasche hing an seinem Gürtel. Sein flaches Samtbarett, das er abnahm, war mit Rubinen und Smaragden besetzt und hatte auf der rechten Seite eine prachtvolle Diamantagraffe, über der eine blutrote Feder nickte.

Abermals trat Cranmer vor und redete den Prinzen in ähnlicher Weise an, wie er seine Schwestern begrüßt hatte. Doch lag vielleicht etwas mehr Ehrerbietigkeit in seinem Benehmen.

Edward blickte ihn mit seinen klaren Augen zuerst ruhig an. Als aber der Erzbischof weiter sprach, verließ den jungen Prinzen gänzlich die Fassung. Natürliche Gefühle behaupteten gewaltsam ihr Recht in seinem kindlichen Herzen, und die Etikette missachtend, stürzte er auf den König zu, und seine Arme um dessen Hals schlingend, schluchzte er laut: »Mein Vater! Mein lieber Vater! «

So unerwartet und doch so natürlich war dieser Vorfall, dass von all den kalten und gefühllosen Leuten, aus denen die Versammlung zum größten Teil bestand, nur wenige ihm den Zoll ihrer Rührung versagten. Einige waren sogar bis zu Tränen erschüttert. In der Befürchtung, dass die Wirkung einer plötzlichen Aufregung das Leben des Königs zerstören könne, eilte Doktor Butts auf ihn zu.

Aber obwohl Heinrich durch diesen Liebesbeweis seines Sohnes ergriffen war, hielten doch seine Nerven die Szene aus.

Den Knaben auf die Stirn küssend, machte er sich sanft von seiner Umarmung los und richtete an ihn ein paar beruhigende Worte im freundlichsten Ton, während Edward noch immer fortfuhr zu weinen.

Um dem König die Verlängerung dieser Szene zu ersparen, schritt der Earl von Hertford auf seinen Neffen zu, aber Heinrich wies ihn zurück mit den Worten: »Lasst ihn! Lasst ihn gewähren!«

Die Handlung selbst gab jedoch Edward seine Fassung zurück. Seinen Schmerz bemusternd, kniete er vor dem König auf dem Kissen nieder und sprach, während noch immer Tränen seine Augen benetzten: »Vergebt mir, Sire! In dieser Stellung ziemt es mir, Euch um Euren Segen zu bitten!«

»Du hast ihn, mein liebes Kind«, antwortete der König würdevoll, aber doch mit zärtlichem Ton. »Der Himmel segne dich, Knabe, der du des Reiches Hoffnung und auch die meine bist. Mögen die, welche ich dazu bestellt habe, über dich zu wachen, ihre Pflicht treulich erfüllen.«

»Zweifelt nicht daran, mein königlicher Herr«, sagte Hertford, als der König einen Augenblick innehielt.

»Merke wohl auf, Edward«, fuhr Heinrich fort, indem er alle seine Kraft zusammennahm. »Acht Jahre müssen verfließen, ehe du die volle Autorität der Krone ausüben kannst. Ich habe es so verfügt. Du wirst bald genug König sein. Inzwischen bereite dich auf die hohe und wichtige Aufgabe vor, welche du bald zu erfüllen hast. Ich zweifle nicht, dass du die großen Eigenschaften und fürstlichen Tugenden besitzen wirst, die einen Herrscher auszeichnen sollten. Ich weiß, du bist fromm gesinnt, und ich danke dem Himmel dafür und bete, dass er dein Herz erleuchten möge für alle Wahrheiten unseres heiligen Glaubens. Ich habe dir geistliche Ratgeber bestellt, denen meine Wünsche bekannt sind und auf deren gesundes Urteil und richtige Grundsätze ich mich verlassen kann. Darf ich nicht des Prinzen geistige Pflege Euch anvertrauen, Mylord von Canterbury?«, fragte er Cranmer. »Und Euch, Mylord von Durham?«, wandte er sich an Tunstall.

»Und auch mir, hoffe ich, mein gnädigster Herr«, bemerkte Gardiner.

»Nein, nicht dir, Mylord von Winchester«, erwiderte Heinrich. »Du bist ein Werkzeug des Papstes. Höre mich an, Edward, du wirst unter die Obhut des tugendhaften Cranmer gestellt werden. Beachte wohl seine Lehren. Aber in Glaubenssachen lass, wenn du über sie zu urteilen imstande sein wirst, dich durch keinen Gelehrten verblenden. Es gibt leider viel Zwietracht und Meinungsverschiedenheit in der Kirche. Die Priester predigen wider einander, lehren der eine dies und der andere das Gegenteil, schmähen einander ohne Rücksicht und Liebe, und wenige oder keiner von ihnen predigt das Wort Gottes, wie es sich ziemt. Dir wird es zufallen, dies Ärgernis zu heben, diesen Streit zu beenden. Du wirst dich derselben geistlichen Autorität wie dein Vater erfreuen. Du wirst gleich mir der Vikar und Oberpriester des Himmels auf Erden sein. Sei dann kein ungetreuer Diener. Tritt in die Fußtapfen deines Vaters, dann wirst du nicht vom rechten Pfad abweichen.«

»Ich will alles tun, was an mir liegt, so zu handeln, wie Ihr es wollt, Sire«, antwortete Edward sanft. »Und ich hoffe, dass es mir unter dem Beistand Seiner Hochwürden von Canterbury gelingen wird. Ich danke Euch herzlich, dass Ihr mich den Händen Seiner Hochwürden anvertraut habt.«

»Dem Jungen ist die Lektion eingetrichtert worden«, bemerkte Wriothesley verächtlichen Tones zu Gardiner.

»Ohne Zweifel, und er hat sie gut aufgesagt«, erwiderte der Bischof. »Aber wir werden ihn bald anders unterwerfen.«

»So viel über deine geistige Pflege, mein Sohn«, fuhr Heinrich fort. »Obwohl ich wünsche, dass du fromm und gelehrt wirst, möchte ich doch nicht, dass du durch überanstrengtes Studieren deine Gesundheit schädigtest. Um stark an Geist zu sein, musst du auch stark an Körper sein. Um die königliche Würde aufrechtzuerhalten, wie dein Vater sie aufrecht hielt, musst du dich großer Kraft und einer guten Gesundheit erfreuen. Ich möchte dich in allen männlichen Übungen und Künsten wohlgeschult wissen. Stähle bei Zeiten deinen Arm, dass er eine Lanze zu schwingen vermag, und deine Glieder, damit sie die Anstrengungen des Krieges ertragen lernen.«

»Mein Vater«, rief Edward, mit strahlendem Gesicht aufspringend, »ich werde bald stark genug sein, um eine Lanze zu tragen und auf dem Turnierplatz zu reiten, wie mein Onkel Sir Thomas Seymour mich versichert. Ich fechte oft mit ihm, und er sagt, ich sei ein gelehriger Schüler. Ich wollte, Eure Majestät könnte uns einmal zusehen.«

»Niemand ist fähiger, dich alles zu lehren, was es an kriegerischen Übungen zu lernen gibt als dein Onkel Seymour«, entgegnete der König, beifällig seinem Kind das Haupt streichelnd. »Sir Thomas«, fügte er, sich an Seymour wendend, hinzu, der rasch zum König herantrat, »ich vertraue dir diesen Teil der Erziehung meines Sohnes. Während andere ihn zu einem Gelehrten und Theologen heranbilden, sei es deine Aufgabe, ihm fürstliche Manieren und Ritterkünste zu lehren.«

»Es soll ihm an nichts gebrechen, das ich zu lehren vermag, davon seid überzeugt«, antwortete Seymour mit einer tiefen Verbeugung.

»Gib deinem Onkel deine Hand, Edward«, sagte der König.

»O, mit Freuden und von ganzem Herzen«, sagte der Prinz, die Hand ergreifend, welche Seymour ihm hinhielt. »Ich liebe meinen Onkel Thomas am meisten von allen, Eure Majestät ausgenommen.«

»Ha! Steht es so?«, dachte Hertford. »Habe ich keinen Plan in deinem Herzen, wein lieber Neffe?«, fügte er, zum Prinzen gewendet, laut hinzu.

»Gewiss, mein teurer Lord, ich wäre ja sonst ein Undankbarer«, versetzte Edward. »Aber mein Onkel Thomas ist öfter mit mir zusammen als Ihr.«

»Ich habe es mir gedacht«, murmelte Hertford. »Das soll aufhören.«

»Du hältst meines Sohnes Hand in der deinen, Sir Thomas?«, fragte Heinrich.

»Ja, mein königlicher Herr«, antwortete Seymour.

»Sei es ein Unterpfand, dass du ihm immer treu sein wirst«, fuhr Heinrich fort.

»Ich schwöre ihm hiermit Treue und Ergebenheit«, sprach Seymour, sein Knie beugend und seinem Neffen die Hand küssend.

»Du bist der beste Lanzenschwinger, der beste Schwertführer und der beste Reiter an unserem Hof, Sir Thomas«, fuhr der König, gegen Seymour gewendet, fort. »Sieh zu, dass mein Sohn dich in all diesen ritterlichen Übungen erreiche.«

»Er soll mich in ihnen allen übertreffen«, antwortete jener.

»Ein Wort im Vertrauen, Sir Thomas«, sagte der König. »Er ist nur ein zartes Bürschchen«, fügte er leiseren Tones hinzu. »Strenge ihn nicht über seine Kräfte an. Um deiner Schwester willen sei ein freundlicher Onkel gegen ihn.«

»Um ihret, um Euretwillen, mein Fürst, will ich gegen ihn sein, was Ihr nur wünschen könnt«, beteuerte Seymour feierlich.

Als Sir Thomas sich zurückzog, sagte Heinrich zu seinem Sohn: »Geh zu der Königin, Edward, und führe sie zu mir!«

Der Prinz eilte sofort zu Katharina, die ihn in ihre Arme schloss und ihn zärtlich küsste, dann stand sie auf und begleitete ihn zum König.

Als sie sich ihrem königlichen Gemahl genähert hatte, wollte die Königin niederknien, aber Heinrich wollte das nicht gestatten. Ihre Hand freundlich erfassend, sagte er mit derselben Feierlichkeit, mit welcher er bisher gesprochen hatte: »Du warst immer ein gehorsames Weib, Käthe, und hast dich in allem meinem Willen gefügt. Du wirst deshalb – davon bin ich überzeugt – auch meinem letzten Wunsch nicht ungehorsam sein. Dieser teure Knabe hat niemals die Liebe einer Mutter gekannt. Sei du ihm eine Mutter. Du hast kein Kind, das deine Zärtlichkeit von ihm ablenkte. Schenke sie ihm ungeteilt!«

»Er hat sie schon ganz, Sire«, erwiderte die Königin. »Liebst du mich nicht, Edward?«

»Gewiss, Madame, wie eine Mutter«, antwortete der Prinz mit zärtlichem Ton.

»Das ist gut«, sagte Heinrich, »aber du musst nicht jeder seiner Launen nachgeben, Käthe. Ich höre, er ist etwas eigensinnig.«

»Wer Eurer Majestät das gesagt hat, tut ihm unrecht«, erwiderte die Königin. »Edward ist immer gut und freundlich, ja, sehr leicht zu behandeln.«

»Wenn er das auch ferner ist, wird es gut sein«, versetzte Heinrich. »Liebst du deine Schwestern, Edward? Sprich die Wahrheit, Junge!«

»Ich spreche immer die Wahrheit, Sire«, erwiderte der Prinz. »Ich liebe sie zärtlich. Aber Elisabeth habe ich am liebsten«, fügte er, sich mit leiserem Ton an den König wendend, hinzu, »denn Mary ist bisweilen unfreundlich und mürrisch gegen mich, während Elisabeth immer vergnügt und zum Spiel aufgelegt ist.«

»Elisabeth steht deinem Alter näher, mein Junge. Du wirst Marys Vorzüge erkennen, wenn du älter wirst«, versetzte der König. »Ich wünsche, dass Ihr alle in Einigkeit miteinander lebt. – Ha!«

»Was fehlt Eurer Majestät?«, rief Katharina, beunruhigt durch die plötzliche Veränderung seiner Züge.

»Ein Krampf – er ist vorüber«, antwortete Heinrich mit einem Stöhnen.

»Vater – lieber Vater! Ihr seht sehr krank aus«, rief Edward erschrocken.

»Führt ihn hinweg«, sprach der König mit matter Stimme und sank auf die Kissen zurück.

Alles war jetzt in Unruhe und Verwirrung. Man glaubte allgemein, der König liege im Sterben. Rasch zu seinem königlichen Patienten hinschreitend, fühlte Doktor Butts ihm den Puls und beobachtete mit augenscheinlicher Besorgnis seine Züge.

»Meint Ihr, dass er tot ist?«, wandte sich Gardiner mit besorgtem und flüsterndem Ton an Wriothesley.

»Nach Butts bedenklicher Miene sollte man es fast glauben«, erwiderte dieser. »Wäre es so, dann ist Norfolks Leben gerettet, denn sie werden nicht wagen, ihn hinzurichten.«

»Der Himmel gebe es!«, rief Gardiner aus. »Bemerkt Ihr nicht Hertfords Verwirrung? Irgendetwas ist noch ungetan.«

»Vielleicht ist alles noch ungetan«, versetzte Wriothesley. »Ich glaube nicht, dass das Testament unterzeichnet ist.«

»Das wäre in der Tat ein Gewinn für uns«, sagte Gardiner. »Aber ich wage es kaum zu hoffen.«

»Wie geht es Seiner Hoheit?«, fragte der Earl von Hertford, dessen Gesicht große Angst verriet, als der Arzt seine Hand von dem Puls des Kranken entfernte.

»Der König wird leben«, antwortete Butts. »Lasst das Gemach unverzüglich räumen!«

»Ihr hört, Mylords«, sagte Hertford, augenscheinlich erleichtert. »Doktor Butts erklärt, dass Seine Majestät für den Augenblick außer Gefahr ist, aber er bittet Euch alle, Euch unverzüglich zu entfernen.«

Nach dieser Ermahnung begann die Versammlung sich sofort zu zerstreuen.

Prinz Edward zögerte indes noch immer, obschon die Königin, welche fortging, ihm winkte, sie zu begleiten.

»Darf ich nicht bei dem König, meinem Vater, bleiben?«, fragte der Prinz, Doktor Butts am Gewand zupfend.

»Es tut mir leid, Eurer Hoheit eine abschlägige Antwort zu geben, aber es kann nicht sein«, erwiderte der Arzt.

»Folgt mir, Edward«, sprach Sir Thomas Seymour. »Die Königin wartet auf Euch. Dies ist kein Schauspiel für Eure Augen.«

Der junge Prinz ergriff die Hand seines Onkels und ließ sich von ihm aus dem Zimmer führen, indem er beim Fortgehen schmerzlich zu seinem Vater hinblickte. Er sollte ihn nie wiedersehen.

»Ihr seid überzeugt, dass er ins Leben zurückkehren wird?«, fragte der Earl von Hertford den Doktor Butts, als sie allein bei dem noch immer bewusstlosen Monarchen standen.

»Ich bin dessen gewiss«, erwiderte der Arzt. »Aber ich stehe nicht dafür ein, dass er noch viele Stunden zu leben hat. Sie sehen beunruhigt aus, Mylord. Was muss noch geschehen?«

»Alles«, versetzte Hertford. »Norfolk lebt noch – und der König hat sein Testament noch nicht unterzeichnet.«

»Er sprach doch, als hätte er es getan«, bemerkte Butts.

»Alle glauben es, und ich möchte ihnen diesen Wahn nicht nehmen«, sagte Hertford. »Das Testament ist wohl überlegt und besprochen worden, aber er schiebt immer noch die Unterzeichnung hinaus. All mein Zureden hat nichts bei ihm ausgerichtet.«

»Wie sehr er sich auch widersetzt, er soll es unterzeichnen«, antwortete der Arzt. »Aber still!«, fügte er hinzu, indem er ihn schweigen hieß. »Er erwacht! Zieht Euch zurück, Mylord, und schickt Ferrys, den Wundarzt des Königs, eiligst hierher.«